Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Natur und Übernatur (Teil 4)

23. März 2003

Das Spannungsverhältnis zwischen Körper und Geist

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es ist unsere alltägliche Erfahrung, daß Körper und Geist zwei Herren sind, zwei Herren, die über uns herrschen wollen. Wir spüren den Gegensatz zwischen Körper und Geist, und wir spüren ihn alle Tage. Wir merken, daß Kräfte in uns sind, die sich widerstreiten, und wenn wir um uns schauen und vielleicht in uns schauen, so finden wir diese Erfahrung bestätigt. Die bequemen Genießer, die aus dem Küchenzettel einen Lebensinhalt machen, haben noch selten etwas beigetragen zum Geistesleben und zu der Ideenwelt der Menschen. Und umgekehrt, die Geistesmenschen, die Diener des Geistes, haben häufig ihren Leib vor der Zeit aufgebraucht und verzehrt, weil eben ein Feuer in ihnen glühte, das sie verbrannte.

Dieser Gegensatz zwischen Körper und Geist ist von vielen Menschen schmerzlich empfunden worden. Sie haben es als eine Tragik und als ein Rätsel angesehen, daß dieser Zwiespalt im Menschen ist, und das Volk, das am tiefsten in die menschliche Seele hineingeschaut hat und das den menschlichen Körper am vollkommensten dargestellt hat, nämlich das griechische Volk, dieses Volk hat auch den Zwiespalt zwischen Geist und Körper am deutlichsten empfunden. Die großen Denker der Griechen kamen dazu, das leibliche Leben als beschämend und niederdrückend anzusehen und als Abfall, ja als Sündenfall der menschlichen Kreatur. Nun gehört ein gewisses Maß an Körperpflege, an Körperkultur zu einem gesitteten Leben, zu einem menschenwürdigen Dasein; daran besteht gar kein Zweifel. Aber die Kirche hat eine tausendjährige Erfahrung mit diesem Zwiespalt zwischen Körper und Geist. Sie hat deswegen auch immer die Spannung empfunden, die zwischen Körper und Geist besteht, und nach einem Ausgleich gesucht für diese Spannung. Sie hat ein Mißtrauen gegen eine allzu betonte Körperpflege, gegen eine allzu große Sorgfalt, die auf den Körper gewendet wird, bekundet. Und ihre großen Heiligen, vor allem die mittelalterlichen Heiligen, haben den Kröper durch das Übermaß ihres Betens und Büßens, ihres Werkens und Schaffens ermüdet, ja beschädigt und zerstört. Die Kirche hat gewußt, daß alles Körperliche in Unterordnung und Dienstbarkeit unter den Geist gehalten werden muß. Gewiß hat die Kirche nicht den Pessimismus der Griechen geteilt, denn sie wußte, daß der Leib eben ein Geschöpf Gottes ist. Aber sie hat davor gewarnt, das Leibliche, das Körperliche vor den Geist zu stellen und über den Geist zu stellen. Es sind deswegen drei Sätze, meine lieben Freunde, die wir uns merken müssen, wenn wir das Verhältnis von Körper und Geist, von Körperkultur und Geistespflege in eins bringen wollen. Diese drei Sätze lauten: Das Körperliche hat einen eigenen Willen, es hat eine eigene Macht und es hat einen eigenen Wert.

Das Körperliche hat einen eigenen Willen. Wir spüren ja die Triebe, die Leidenschaften, die Bestrebungen unseres Körpers in uns, die dem Geist widerstreben, die ihre eigene Richtung suchen ohne Rücksicht auf das Gesamtleben und ohne Rücksicht auf den Geist. Das Tier hat dieselben Triebe mit uns gemeinsam, also Nahrungsaufnahme, Erhaltung des Lebens, Fortpflanzung, aber im Tier sind die Triebe oder Instinkte geordnet. Das Tier kann nicht anders leben, als es leben muß. Im Tier ist eine Beschränkung der Triebe von Natur aus vorgesehen. Das Tier stößt an innere und äußere Schranken, die es nicht überschreiten kann und nicht überschreiten will. Anders der Mensch. Beim Menschen ist eine solche Schranke nicht durch seine körperliche Verfaßtheit gegeben. Im Menschen ist eine bloße biologische Einordnung in das Weltganze nicht möglich, sondern der Mensch muß die Kräfte seines Körpers, die Kräfte seines Leibes mit der Macht seines Geistes und seiner Vernunft bändigen. Seine Bedürfnisse, also Nahrungsaufnahme, Erhaltung, Fortpflanzung, müssen durch die Regeln und Gesetze des Geistes geordnet werden; denn wenn er die körperlichen Kräfte ungeordnet und wild gewähren läßt, dann zerstören sie ihn, zerstören sein Leben, zerstören das Verhältnis mit den übrigen Kreaturen, vor allem mit den übrigen Menschen. Der Mensch kann auch körperlich nur bestehen, wenn er geistig lebt. Wenn er das nicht tut, dann richtet er sich zugrunde. Deswegen muß das körperliche Leben dem Geist unterworfen werden; es muß dem Geiste dienstbar gemacht werden. Das Wichtigste ist nicht, daß wir flink wie Windhunde oder hart wie Stahl oder zäh wie Leder werden, wie Adolf Hitler sagte. Das Wichtigste ist, daß wir einen geistigen und sittlichen Hochstand erreichen, daß wir geistig erleuchtete und sittlich geformte Wesen werden. Und zu diesem Zweck muß die Kraft des Körpers eingesetzt, muß die Kraft des Leibes aufgebraucht werden.

So ergibt sich die Aufgabe, daß wir die Kräfte des Körpers, die Triebe und Instinkte unseres Leibes einordnen in eine geistige Zucht, in die geistigen Lebenszwecke. Die Gesundheit, die Schönheit, die Kraft des Körpers sind von Gott gegeben, aber sie haben den einen Zweck, nämlich dem Bedürfnis des Geistes zu dienen. Wir dürfen Körperpflege betreiben, wir dürfen Sport treiben, wir dürfen uns des Wassers und der Luft erfreuen; aber alles das hat nur dann seinen Wert, wenn wir als geistige Menschen leben. Die bloße Ausbildung von Muskelstärke ist in sich kein Wert. Im Gegenteil, wenn unter der Ausbildung des Körpers die seelische Feinheit leidet, wenn die körperlichen Instinkte die geistigen Betätigungen überwuchern, wenn es soweit kommt, daß das körperliche Leben zur sittlichen Entartung führt, dann fallen wir zurück in vormenschliche, in untermenschliche Stufen, dann sind wir dekadent und richten uns selbst zugrunde.

Der Körper hat seinen eigenen Willen. Er hat aber auch zweitens seine eigene Macht. Die Macht, die im Körper ist, läßt sich in zwei Worte zusammenfassen: Lust und Angst, Lebenslust und Lebensangst. Wir alle wissen, zu welchen entsetzlichen Tiefen diese Triebe führen können, und deswegen müssen schon die allerersten Regungen des körperlichen Lebens geformt, beherrscht und eingeordnet werden. Der kleinste Schritt vom rechten Wege hat die Neigung, immer größere Schritte nach sich zu ziehen. Der geringste Fall setzt sich mit beschleunigter Geschwindigkeit fort. Darum müssen wir darauf achten. Das körperliche Leben hat die Eigenart der Unersättlichkeit. Je mehr Aufmerksamkeit man ihm schenkt, um so aufdringlicher wird es. Ein Mensch, der zu viel Blick auf das körperliche Leben verwendet, wird allmählich blind für das Geistige und Geistliche. Das ist die Wurzel so manchen Abfalles vom Glauben und von unserer Kirche. Wenn Menschen zu sehr dem körperlichen Genuß, dem Essen, dem Trinken, dem Geschlechtsgenuß ergeben sind, dann verlieren sie das Gespür für das Geistige und Göttliche.

Der übertriebene Körperkult vermag den Geist in Fesseln zu schlagen. Je mehr man den Ansprüchen des Körpers nachgibt, um so größer werden sie. Immer mehr, immer mehr, das ist sein ewiger Rhythmus. Darum muß gegenüber der Aufdringlichkeit des Körperlichen eine Anspruchslosigkeit in uns Platz greifen, eine Anspruchslosigkeit der leiblichen Bedürfnisse. Die großen Forscher, die großen Helden, die großen Entdecker, die großen Heiligen waren alle Meister der Enthaltsamkeit. Sie haben die körperlichen Bedürfnisse auf ein Mindestmaß beschnitten. Sie hatten nicht viel Zeit und nicht viel Interesse, um für das leibliche Leben zu sorgen, und so sind sie natürlich – das muß man dazusagen – vor der Zeit aufgerieben worden. Mir sagte einmal ein Herr: „Wenn ich mich nicht mehr mit meiner Frau vergnügen kann, dann habe ich überhaupt nichts mehr vom Leben.“ Meine lieben Freunde, es ist tatsächlich so, daß viele Menschen glauben, daß sie nichts vom Leben haben, wenn sie nicht die körperlichen Genüsse sich zuführen können. Sie vergessen, daß der Mensch nicht von der Lust und vom Genuß lebt, sondern vom Worte, das aus dem Munde Gottes kommt. Sie vergessen, daß auch der etwas vom Leben hat, der geistigen Idealen nachlebt. Wer eine Idee in sich trägt, wer einem Gotte dient, wer vor einem Kreuzbild kniet, wer einem anderen Menschen selbstlos dient, der hat etwas vom Leben. Die Erfahrung lehrt, daß die Ansprüche des Körperlichen zurückgehen, je mehr die Kraft des Geistes wächst. Je geistiger ein Mensch lebt, um so leistungsfähiger wird auch sein Körper. Die leistungsfähigsten Menschen waren niemals die ausgebildeten Muskelmenschen, sondern das waren diejenigen, dir für einen Gedanken, für ein Volk oder für einen Gott lebten und für ihn starben. Das waren die leistungsfähigsten Menschen. Die Übermacht der körperlichen Bedürfnisse und der körperlichen Leiden stellt sich dort ein, wo der Körper über den Geist zu herrschen beginnt.

Der Geist und der Körper sind Gegensätze, das ist gar keine Frage; denn der Körper hat seinen eigenen Willen, er hat seine eigene Macht, er hat aber auch seinen eigenen Wert. Er ist nicht bloß ein Bleigewicht, das uns anhängt mit seinen ständigen Bedürfnissen, mit dem Frondienst, den wir ihm täglich leisten müssen. Er ist auch nicht das Gefängnis der Seele, wie die Griechen meinten. Nein, der Leib ist der gute Kamerad des Geistes; er ist sein wundervolles Werkzeug; er ist sein getreuer Diener. Der menschliche Körper ist das feinstorganisierte Gebilde, das es gibt unter allen Körpern auf dieser Erde. Das macht seine Eigenart und seine Kostbarkeit aus. Er ist mit einer Schönheit begabt wie sonst kein irdischer Körper und mit einer Kraft wie kein Tierkörper; kein Tier kann so viel aushalten wie ein Mensch. Deswegen ist der Körper von hohem Wert für den Menschen. Er ist eine Kostbarkeit, und diesen Wert sollen wir erhalten, vermehren und verschenken. Wir können den Körper in den Dienst unseres Geistes stellen, indem wir anderen helfen, indem wir für sie arbeiten, indem wir uns abmühen. Das ist wahrhaftig Dienst des Körpers unter der Herrschaft des Geistes. Ja noch viel mehr: Wir können den Körper zum Werkzeug unserer Liebe machen. Wir haben vor einem Jahre von der schenkenden Liebe gesprochen, die zwischen Gatten möglich und hoffentlich auch wirklich ist. Die Menschen, die Gatten, welche die schenkende Liebe haben, können ihren Leib als kostbare Gabe dem anderen überantworten, als Ausdruck und Symbol ihrer Liebe. Das ist etwas Großes und Gewaltiges, auch vor Gott. Aber noch darüber steht die dienende Liebe, die dienende Liebe, die den Körper hingibt für die anderen. „Niemand hat eine größere Liebe als der, der sein Leben hingibt für die Seinen.“ Und das eben, meine lieben Freunde, hat unser Herr und Heiland uns vorgelebt. Wenn wir Weihnachten den Körper des kleinen Kindleins betrachten in der Krippe, dann wissen wir, in diesem Körper war die höchste Geisteskraft mit der besten Körperkultur vereinigt. Und von Anfang an steht über diesem Leben, über diesem körperlichen Leben auch, der Satz: „Siehe, einen Leib hast du mir bereitet, ich komme, ihn dir zu opfern für die Menschen.“ Und so hat er am Ende seines Lebens einen Segen über seinen Leib gesprochen. Der schönste Segen, der je über einen Leib gesprochen wurde, ist der Segen des Abendmahles, und dieser Segen heißt: „Nehmet hin und esset – und lebet davon -  das ist mein Leib. Er ist die Erlösung der Welt, denn er wird für euch hingegeben.“

Amen.

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