Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Wer ist dieser Jesus (Teil 5)

5. November 2000

Das Zeugnis des Apostels Johannes (Teil 2)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Was dünkt euch von Christus? Wessen Sohn ist er?“ Diese Frage hatten wir vor einigen Sonntagen zu stellen und zu beantworten versucht. Wir hatten vernommen, was die Synoptiker, die ersten drei Evangelisten, von Jesus berichten. Wir hatten auf Paulus gehört, und wir hatten begonnen, das Zeugnis des Johannes entgegenzunehmen. Aber dieses Zeugnis ist so reich, daß wir uns auch heute noch damit beschäftigen müssen. Wir hatten am letzten Sonntag gesagt, daß er Jesus erlebt hat als die Wahrheit. Heute wollen wir auf ihn hören, wenn er sagt, er sei der Weg, er sei das Licht, er sei das Leben und er sei das Brot des Lebens. Weg, Licht, Leben, Brot des Lebens – das alles nimmt Christus für sich in Anspruch. Was bedeutet das?

Christus sagt von sich, er sei der Weg. Als er Abschied nehmen mußte von den Jüngern in den letzten Stunden vor seiner Gefangennahme, da erklärte er ihnen: „Wohin ich gehe, wisset ihr und kennt auch den Weg.“ Da sagt Thomas zu ihm: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir den Weg wissen?" Jesus antwortete ihm: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Die Menschen machen auf Erden viele Wege, und sie müssen sie machen, denn der Mensch muß ja die Erde verwalten, und er muß die Wege gehen, die Gott ihm verordnet hat. Diese Wege gehen zum menschlichen Du, um die eheliche Gemeinschaft zu begründen, sie führen in Volk und Staat. Auf diesen Wegen erwirbt der Mensch Kenntnisse, Besitz, Reichtum, Macht. All diese Wege sind notwendig, weil sie uns aufgetragen sind, aber sie führen nicht zum letzten Ziel. Es sind Wege, die irgendwo abbrechen, die aus der Welt und aus der Geschichte nicht herausführen. Es sind Sackgassen. Diese Wege führen uns im Kreise herum; sie geben uns nicht die Möglichkeit einer letzten Hoffnung. Sie gegen uns nur vorletzte Hoffnungen, weil sie uns nur vorletzte Ziele bieten können. Wir können hoffen auf vorletzte Ziele, auf vorletzte Hoffnungen, aber vorletzte Ziele und vorletzte Hoffnungen sind eben letztlich ausweglos; wer nur sie kennt, ist ohne Hoffnung. In diese Situation hinein ruft Christus: „Ich bin der Weg.“

Er ist ein Weg von anderer Qualität. Der Weg, den er weist, der Weg, der er ist, führt über die Welt und über die Geschichte hinaus; er führt in die Wirklichkeit Gottes hinein. Einen anderen Weg in die unverhüllte Wirklichkeit Gottes gibt es nicht als den, der Jesus selbst ist. Diesen Weg müssen alle gehen, die zum letzten Ziele kommen wollen. Die Menschen meinen, sie könnten hier auf Erden zur Erfüllung gelangen. Sie träumen vom Übermenschen, vom Menschengott, vom irdischen Paradies. Sie meinen, es werde eine ständig steigende Kurve des Wohlstandes geben. Sie meinen, es werde einmal der ewige Friede kommen. Wir sind überzeugt, daß das alles Illusionen sind. Solange der Mensch seine Wege auf Erden wandelt, kommt er nicht darum herum, immer wieder zu sich selbst zurückzufinden, findet er keinen Ausweg aus dieser Welt, aus dieser Geschichte, krümmt sich immer wieder der Weg und läuft in einem Kreislauf. Der Weg, der hinausführt aus der Welt und aus der Geschichte, dieser Weg ist Jesus Christus.

Jesus sagt dann von sich, er sei das Licht. Schon im ersten Kapitel des Johannesevangeliums wird gesagt: „Das Licht leuchtet in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen. Ein Mensch trat auf, gesandt von Gott, sein Name war Johannes. Er kam zum Zeugnis, um Zeugnis zu geben vom Licht, damit alle durch ihn glaubten. Er war nicht das Licht, sondern sollte nur von dem Licht Zeugnis geben. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.“ Dieses wahre Licht ist Jesus Christus. Er hat es von sich selbst bezeugt in einem Gespräch mit den Pharisäern: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wandelt nicht in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“

Wir wissen, wie notwendig wir auf das Licht angewiesen sind. Das Licht erhellt die Welt, so daß wir die Wege finden. Das Licht läßt uns die Gegenstände und die Menschen anschauen. Die Sonne ist unser oberstes Licht, unsere oberste Leuchte, und von ihr leben wir, lebt unser irdisches Leben. Aber wir wissen auch: Die Sonne geht wieder unter, und auch wenn sie scheint, ist das Licht immer nur ein Gemisch von Helligkeit und Dunkel. So strahlend die Sonne aufgehen mag, auch sie verschwindet wieder. Es besteht die Möglichkeit, daß die Sonne eines Tages ganz erlischt. Vor allem aber vermag die Sonne nicht das Dunkel des menschlichen Herzens zu erleuchten. In die Seele hinein vermag der Sonnenstrahl nicht zu dringen. Dieses Dunkel vermag keine irdische Leuchte zu erhellen. In diese Situation hinein spricht Jesus: „Ich bin das Licht der Welt.“

Der Mensch sehnt sich nach Erleuchtung des Herzens, nach Erhellung des Daseins, nach Antwort auf die Fragen Wozu und Warum. Er verlangt nach einer durchlichteten Existenz, aber das zu gewähren ist das irdische Licht nicht imstande. Auf Erden ist ihm nur die Sehnsucht danach gegeben. Diese Sehnsucht kann nur einer stillen, der von sich sagt: „Ich bin das Licht der Welt.“ Das Licht hat schon von Anfang an geleuchtet durch die Schöpfung. Die Menschen hätten sich mit ihrem Verstande als Geschöpfe erkennen und dementsprechend verhalten können. Aber sie wollten in Autonomie leben. Sie wollten das tun, was ihnen schmeckt und was ihnen paßt, und deswegen haben sie die Offenbarung im Werke Gottes nicht angenommen, sind versunken in Dunkel und Finsternis, und dort haben sie ihren Herrn gefunden, nämlich den Satan. Er ist der Herr der Dunkelheit und der Herr der Finsternis. Aber dann in der Menschwerdung hat das Licht noch einmal in vollem Umfang geleuchtet. Jesus ist das Licht der Welt kraft seiner Menschwerdung. Er ist der Lichtträger. Wenn er einen Blindgeborenen heilt, dann ist das nicht bloß zu verstehen als ein erbarmungsvolles Mitleid mit dem Kranken. Nein, es gab damals viele Blinde, und sie blieben ungeheilt. Die Heilung des Blindgeborenen ist ein Sinnbild. Sie ist ein Sinnbild dafür, daß Jesus das Licht der Welt ist. Diese Heilung des Blindgeborenen bezeichnet seine Funktion: Er ist der Lichtträger, er ist der Lichtbringer, der das Dunkel des menschlichen Herzens zu erhellen imstande ist. Von ihm vermögen die Menschen Antwort auf die Fragen Wozu und Warum zu erlangen. Er vermag das Dunkel des menschlichen Herzens zu erleuchten. Die anderen, die sich nicht haben von Christus sehend machen lassen, träumen ihre Träume von irdischem Glück und von irdischem Frieden. Solange diese Erde besteht, meine lieben Freunde, wird es hier kein vollkommenes Glück und keinen vollkommenen Frieden geben. Das sind Illusionen, die sich Menschen machen, die nicht vom Lichte Christi erleuchtet sind. Wir sind Wissende; uns hat Christus die Situation, in der wir leben, aufgehellt. Er hat uns gesagt, daß wir nicht nur Geschöpfe sind, sondern daß wir Verlorene sind, Verlorene, aber auch Gerettete durch die Macht der Gnade Gottes. Das ist die Lichtfunktion unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus.

Christus ist das Leben. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist vom Tode zum Leben übergegangen. Denn wie der Vater Leben in sich selbst hat, so hat er es auch dem Sohne verliehen, Leben in sich selbst zu haben.“ Wir kennen irdisches Leben, und wir wissen, wie alles Lebendige am Leben hängt. Aber das irdische Leben ist immer vom Tode bedroht; es muß geschützt werden, es muß bewahrt werden. Gewissermaßen in der Mitte des Lebens sitzt der Tod. Wir sind Todverfallene. Da erhebt sich die Sehnsucht nach unvergänglichem Leben, nach Leben, das nicht mehr erlischt, nach Leben, das bleibt. Und dieses Leben ist in Jesus Christus. Es ist deswegen in ihm, weil er der Sohn des Vaters ist, und der himmlische Vater ist der Lebendige, er ist das Leben in Person, er ist das Leben in unverbrauchbarer Fülle. An diesem Leben gewinnt Anteil, wer sich im Glauben zu Jesus bekennt.

Gewiß hat auch Jesus, der Lebendige von innen heraus, das Todesschicksal auf sich genommen. Wir wissen, warum. An ihm hatte der Böse keinen Anteil, aber um den Willen des Vaters zu erfüllen, hat er sich dem Tode ausgeliefert. Er ward geopfert, weil er selbst es wollte. Aber dieser Tod hat das Leben in ihm frei gemacht. Durch das Todesschicksal ist die Herrlichkeit Gottes auch an seiner menschlichen Gestalt durchgebrochen. Der Auferstandene ist der Verklärte. Er ist derjenige, in dem das Leben Gottes nun in einer unvergleichlichen und unvorstellbaren Weise durchgebrochen ist. Das steht uns bevor. Wer an Christus Anteil hat, wird das erleben, was er erlebt hat. „Ich lebe, und ihr werdet leben.“ Das Todesschicksal, das uns bevorsteht, macht das Leben in uns frei. Die welthafte Existenz hat ja schon einen Todesstoß erlitten, nämlich in der Taufe. In der Taufe ist die welthafte Existenzform schon zum Tode getroffen, und diese Verwandlung geschieht immer weiter in allen Sakramenten, vor allem natürlich im heiligsten eucharistischen Opfersakrament. Der Tod wird das vollenden, was die Sakramente bereitet haben, nämlich die Verwandlung in das neue, in das unvergängliche, in das ewige Leben Gottes. „Ich lebe, und ihr werdet leben.“

Christus sagt von sich, er sei das Brot des Lebens. „Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben das Manna in der Wüste gegessen und sind gestorben. Von solcher Art ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist, daß jeder, der davon ißt, nicht stirbt. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wenn jemand von diesem Brote ißt, wird er ewig leben.“ Wir kennen die Funktion des Brotes, es nährt unser Leben. Wir sind dankbar für diese Gottesgabe, für diese herrliche, für diese wunderbare Gabe des irdischen Brotes. Aber nach jeder Sättigung tritt der Hunger von neuem auf. Und auch das Leben, das vom besten irdischen Brote genährt ist, wird eines Tages zu Ende gehen.

Christus ist ein anderes Brot, ein Brot von anderer Qualität. Es ist ein Brot, das unvergängliches Leben verheißt und bewirkt. Er hat diese seine Funktion gleichnishaft dargestellt in dem großen Abendessen, das er seinen Anhängern in der Wüste gab. Damals, bei dieser Abendeinladung, bei der wunderbaren Brotvermehrung, da hat er auf seine Funktion als das lebendige Brot hingewiesen, und noch deutlicher hat er das gemacht beim letzten Abendmahl. Da hat er, anders als andere Gastgeber, den Jüngern im Zeichen von Brot und Wein, unter der Gestalt von Brot und Wein sich selbst den Jüngern dargeboten. Das war auch nur ein Anfang, das war auch nur ein gleichnishaftes Geschehen, denn es verweist auf eine Zukunft, in der er sich den Seinigen nicht mehr in verhüllter Gestalt geben und schenken will, sondern in unverhüllter Gestalt. Im ewigen Leben, das uns bereitet ist, will er sich dem Menschen so schenken, wie er wirklich ist, ohne daß er sich um unserer Schwachheit willen in irdischen Gestalten verbergen muß.

Jesus ist das Brot des Lebens. Wer von diesem Brot ißt, wird leben. „Wie kann sterben“, sagt der heilige Ambrosius, „wer das Leben ißt?“ Wahrhaftig, das ist unsere Hoffnung, das ist unsere Zuversicht, das ist unser Vertrauen. Wer von diesem Brote ißt, wird ewig leben. Ach, meine lieben Freunde, Christus hat sich bekannt als den Weg, als das Licht, als das Leben und als das Brot des Lebens. An uns ist es, an diesen Wirklichkeiten festzuhalten, nicht abzuweichen von dem Wege, der Christus ist. „Wer von seiner Spur abweicht, geht zugrunde“, schreibt der heilige Augustinus. Wer von seiner Spur abweicht, geht zugrunde. Er ist unser Licht. „Ich will dich lieben, schönstes Licht, bis mir das Aug‘ im Tode bricht.“ Er ist das Leben, das unvergängliche Leben, das Leben, das nie versagt, das Leben, das nie zerbricht. Er ist das Brot des Lebens. „Brot vom Himmel hast du ihnen gegeben, das alle Süßigkeit in sich enthält.“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt