Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Pflichten gegen Gott (Teil 4)

29. März 1998

Die Pflicht der christlichen Hoffnung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die erste und grundlegende Pflicht gegen Gott ist, daß wir ihm glauben. Wenn er zu uns gesprochen hat, wenn er in der Offenbarung sich gewürdigt hat, uns anzureden, dann müssen wir auf ihn hören und ihm gehorchen. Mit dem Glauben verbunden aber ist die Hoffnung. Gott befiehlt uns nicht nur, zu glauben, er befiehlt uns auch, zu hoffen; denn die Hoffnung erwächst aus dem Glauben. Der Glaube sagt: Die himmlischen Güter sind da; die Hoffnung sagt: Sie sind auch erreichbar, und du sollst sie anstreben. Wir wollen also am heutigen Sonntag von der Hoffnung sprechen, und zwar

1. von ihrem Wesen,

2. von ihrer Notwendigkeit,

3. von ihren Eigenschaften und

4. von ihrem Nutzen.

Wir sprechen schon im natürlichen Leben von der Hoffnung. Wir hoffen auf gutes Wetter, wir hoffen auf Genesung, wir hoffen auf einen Erfolg in unseren Geschäften. Damit ist gemeint, daß wir zukünftige Güter erwarten, die zwar schwer zu erreichen sind, aber doch erreichbar scheinen. Von dieser natürlichen Hoffnung verschieden ist die übernatürliche Hoffnung, die theologische Tugend der Hoffnung, denn sie richtet sich auf Gott, und sie wird von Gott gewirkt. Sie stammt aus Gott, wie der Glaube von Gott stammt, und sie richtet sich auf Gott, wie sich der Glaube auf Gott richtet. Gegenstand der Hoffnung ist das himmlische Ziel, also Gott und seine Seligkeit und alles, was zur Erreichung dieses Zieles notwendig ist – das himmlische Ziel und alles, was zur Erreichung dieses Zieles notwendig ist. Wenn wir die Hoffnung erwecken, dann beten wir ja: „O mein Gott und Herr, ich hoffe von dir die Verzeihung meiner Sünden, deine Gnade und endlich die ewige Seligkeit.“ Also die Hoffnung richtet sich auf Geistiges, auf Jenseits-Menschliches, auf die jenseitige Wirklichkeit. Freilich ist alles damit mitgehofft, was zur Erreichung der jenseitigen Wirklichkeit erforderlich ist, und das kann Gesundheit oder Krankheit sein, das kann Erfolg oder Mißerfolg sein. Gott sieht auf das Ziel, und wir sehen zuviel auf die Mittel. Die Mittel, die nach Gottes Plan zur Erreichung der ewigen Seligkeit notwendig sind, dürfen wir erhoffen. Die Hoffnung ist eine göttliche Tugend, weil sie von Gott stammt und zu Gott führt. Sie macht uns besser, indem wir durch Hoffnung die himmlischen Güter erwarten und gleichzeitig anstreben. Durch das Streben nach den himmlischen Gütern werden wir gut.

Die Hoffnung ist notwendig. Diese Notwendigkeit ergibt sich einmal aus dem Glauben. Wenn uns der Glaube die himmlischen Güter zeigt, dann müssen wir auch auf sie hoffen. Die Hoffnung vollendet gewissermaßen den Glauben. Denn wenn uns Gott etwas Wunderbares, Erhabenes, Großartiges vor Augen stellt, dann kann man nicht anders als sich danach sehnen und es erhoffen. Die Hoffnung ist deswegen die zuversichtliche Erwartung der Güter, die Gott uns für die Erfüllung des göttlichen Willens versprochen hat. In der Hoffnung ist gleichzeitig Sehnsucht und Erwartung und Zuversicht und Vertrauen. Sehnsucht und Erwartung auf das, was Gott uns versprochen hat, Zuversicht und Vertrauen, daß Gott uns auch geben will, was er verheißen hat. Die Hoffnung ist also eng mit dem Glauben verbunden, ja sie ergibt sich aus dem Glauben gleichsam als Korallarium.

Die Notwendigkeit der Hoffnung ergibt sich auch aus der Beharrlichkeit. Niemand kann im Guten verharren, wenn Gott ihm nicht die Gnade gibt. Das Beharren im Guten ist eine göttliche Gnade, ein göttliches Geschenk. Dieses Geschenk aber kann man nur erhoffen und erbitten. In jedem Bittgebet ist die Hoffnung beschlossen. Denn wir würden nicht um etwas bitten, wenn wir nicht erwarten würden, daß Gott es uns geben kann. Bittgebet und Hoffnung sind also unzertrennlich miteinander verbunden. Die Hoffnung ist notwendig, damit wir das Heil ergreifen. Sie ist eine göttliche Tugend, die uns zum Heile führt.

Die Notwendigkeit der Hoffnung ergibt sich auch aus den häufigen Ermahnungen der Heiligen Schrift, zu hoffen. Besonders der Apostel Paulus ist der Künder der christlichen Hoffnung, wenn er beispielsweise im Römerbrief schreibt: „Wir rühmen uns ob der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. Aber nicht allein dies, sondern wir rühmen uns auch ob der Trübsal, da wir wissen, daß Trübsal Geduld bewirkt, die Geduld Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung, die Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden.“ Und an einer anderen Stelle desselben Briefes schreibt er: „Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht freiwillig, sondern um dessentwillen, der sie unterworfen hat in Hoffnung, daß auch die Schöpfung selbst befreit wird von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Wir erwarten, daß wir zu Kindern Gottes angenommen werden und unser Leib erlöst werde. Durch Hoffnung sind wir ja gerettet worden. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist keine Hoffnung; denn wie kann einer hoffen, was er schon erfüllt sieht?“ Hier wird das Wesen der Hoffnung deutlich vor Augen geführt. Und im Galaterbrief schreibt er: „Wir erwarten im Geiste aufgrund des Glaubens die erhoffte Gerechtigkeit.“ Und noch einmal im Hebräerbrief: „So sollten durch unwandelbare Tatsachen, in denen Gott nicht trügen kann, wir, die wir unsere Zuflucht zu ihm genommen haben, einen starken Ansporn haben, festzuhalten an der Hoffnung.“

Die Hoffnung ist also notwendig, um das Heil zu erreichen. Sie hat bestimmte Eigenschaften. Die erste ist: Sie muß wirksam sein. Die Hoffnung ist wirksam, wenn sie unser Leben durchdringt, wenn wir also wirklich davon erfüllt sind, daß wir das erwarten, was uns Gott verheißen hat. Im Glaubensbekenntnis, das wir gleich nachher beten werden, ist diese Hoffnung ausgedrückt: „Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das ewige Leben.“ Diese Erwartung ist nichts anderes als die Hoffnung. Wir hoffen die Auferstehung von den Toten und das ewige Leben. Diese Hoffnung muß unser Herz bewegen, muß unser Tun durchdringen. Wir müssen alle Anstrengung auf uns nehmen, um das Hoffnungsgut auch zu erreichen. Die Hoffnung ist also nicht ein Ruhebett, daß man sagt: „Es wird schon alles werden, auch wenn ich nichts tue.“ Nein, Gott erwartet, daß wir alles einsetzen, um das Hoffnungsgut zu erreichen; dann will er es uns schenken. Hilfe von Gott erwarten, ohne das Seinige zu tun, hieße Gott versuchen. Wir müssen das Beste tun und das Beste erhoffen. Die Hoffnung muß also wirksam sein.

Sie muß zweitens fest und zuversichtlich sein. Der Hebräerbrief vergleicht die Hoffnung mit dem Anker. Wir haben einen Anker, und dieser Anker ist die Eigenschaft Gottes, daß er allmächtig ist, ist die Eigenschaft Gottes, daß er gütig ist, ist die Eigenschaft Gottes, daß er treu ist. Allmacht, Güte und Treue sind der Anker unserer Hoffnung. Der uns das Heil und die dazu notwendigen Mittel versprochen hat, er ist allmächtig, er kann es uns gewähren; er ist allgütig, er will es uns gewähren; er ist getreu, er wird es uns gewähren.

Die Hoffnung muß drittens gewiß sein, und sie kann gewiß sein. Gewiß heißt: Die Hoffnungsgüter sind da, sie liegen bereit, und Gott ist gewillt, sie uns zu geben. Darin besteht die Gewißheit unserer Hoffnung. Nicht in dem vermessenen Sinne, wie es Luther meint, daß man sich hier schon subjektiv der Erlösung und des Heiles gewiß sei. Darüber gibt es keine Gewißheit. Wir wissen nicht, ob wir ein Gegenstand des Zornes oder der Liebe Gottes sind. Nur durch eine besondere Offenbarung, die normalerweise nicht gegeben wird, könnten wir wissen, ob wir im Gnadenstande sind. Es gibt allerdings Zeichen der Auserwählung. Wenn jemand Freude an Gott hat, wenn er die Sünde meidet, wenn er die Welt geringschätzt, wenn er ausharrt in Geduld – das sind Zeichen, daß wir in der Gnade stehen, aber keine untrüglichen Zeichen, die uns subjektive Gewißheit über die Erlangung des Heils gäben.

Die Hoffnung muß viertens verknüpft sein mit der Furcht, mit der heiligen Furcht, nämlich das Heil zu verfehlen. Das Heil liegt bereit, aber es bedarf großer Anstrengung, um es zu erringen. Wir tragen dieses Schatz – damit ist die Gnade gemeint – in „irdenen Gefäßen“. Irdene Gefäße sind solche, die leicht zerbrechen. „Wer steht, der sehe zu, daß er nicht falle“, so mahnt der Apostel. An einer anderen Stelle: „Ich bin mir zwar nichts bewußt, aber deswegen noch nicht gerechtfertigt.“ „Sei nicht übermütig, sondern fürchte dich!“ Die heilige Gottesfurcht ist der Hoffnung unentbehrlich. Die Hoffnung lehrt uns gehen, und die Furcht macht uns vorsichtig beim Gehen. Das sind also die vier Eigenschaften der heiligen Hoffnung.

Und nun schließlich: Der Nutzen der Hoffnung ist ebenfalls ein vierfacher. Wer auf Gott hofft, der erfreut sich eines besonderen Schutzes Gottes. Gott hat ja seine Verheißungen gegeben, um sie zu erfüllen, und wer auf ihn hofft, der darf gewiß sein, daß Gott diese Hoffnung nicht enttäuschen wird, wenn immer wir hoffen, was in der Ordnung des Heiles gehofft werden darf. Zwei Monate lang, meine lieben Christen, belagerte ein Heer von 250.000 Türken die Stadt Wien im Jahre 1683. Nur 16.000 Verteidiger standen auf den Wällen von Wien gegen diese Übermacht. Aber es waren gläubige Männer, die auf Gottes Hilfe hofften, und sie wurden nicht enttäuscht. Am 12. September 1683 rückte das große deutsche und polnische Heer unter dem König Sobieski an, und den ganzen Tag tobte der Kampf. Am Ende stoben die Türken wild davon. Die Hoffnung der Verteidiger von Wien war nicht enttäuscht worden.

Wer auf Gott hofft, kann von ihm alles erreichen, alles, was in der Ordnung des Heiles erbeten werden kann. Natürlich dürfen wir nichts hoffen, was gegen den Glauben ist. Wir dürfen auch nichts hoffen, was gegen unser Seelenheil ist; und wir müssen Gott zutrauen, daß er einen weiteren und tieferen Blick hat als wir und deswegen manches versagt, was wir in unserer Torheit und in unserer Kurzsichtigkeit von ihm erbitten. Aber wir dürfen – noch einmal – alles von ihm erhoffen, was zu unserer ewigen Seligkeit notwendig ist. Wir dürfen auch die zeitlichen Dinge erhoffen, die für die ewige Seligkeit erforderlich sind. Die zeitlichen Dinge sind von der Hoffnung nicht ausgeschlossen, aber immer secundum ordinem salutis – nach der Ordnung, nach der von Gott festgesetzten Ordnung des Heiles. Ja, wir würden Gott beleidigen, wenn wir nichts von ihm erhoffen würden. Er erwartet von uns, daß wir viel von ihm erhoffen, und er gibt uns soviel, wie wir erhoffen.

Wer auf Gott hofft, der wird auch von ihm gestärkt. Wer die himmlische Hoffnung besitzt, der ist unerschrocken gegenüber Menschen und Menschenmeinungen. Er weiß: Gott, auf den er hofft, wird ihn nicht verlassen. Er wird ihn hindurchretten durch alles, was Menschen ihm antun können. Wer auf Gott hofft, ist auch geduldig im Leiden und gefaßt im Tode. Er weiß: Derjenige, der seine Verheißungen gegeben hat, trügt nicht, sondern wird erfüllen, was er versprochen hat. Wer auf Gott hofft, der wird von ihm gestärkt. Als der heilige Ignatius von Antiochien in Rom zum Tode verurteilt wurde und die römischen Christen Versuche machten, ihn durch geheime Verbindungen vom Tode zu erretten, da sagte er ihnen: „Ich fürchte mich nicht vor dem Tode, ich fürchte nicht die wilden Tiere und die Zerreißung meiner Glieder, wenn ich nur in Christus erfunden werde.“ Die Hoffnung hatte ihn gestärkt.

Die Hoffnung treibt uns schließlich auch an, gute Werke zu verrichten und heldenmütige Tugenden zu erwerben. Wir wissen: Der Lohn liegt bereit. Alles, was wir hier um Gottes willen auf uns nehmen, was wir hier tun und lassen um Gottes willen, das findet seinen himmlischen Lohn. Gott läßt sich an Großmut von uns nicht übertreffen. Und so wird derjenige, der hofft, himmlisch gesinnt sein. Er wird seinen Wandel im Himmel vollziehen und nicht auf der Erde. Er wird suchen, was droben ist und sich nicht an die dürftigen, irdischen Schätze klammern. Wer hofft, der geht durch die Welt hindurch, ohne sich an die Welt zu verlieren. Er trachtet nach dem, was Gott ihm verheißen hat. Und wir dürfen gewiß sein, daß Gott uns nicht enttäuschen wird. Wir können voll Zuversicht das beten, was wir Priester fast jeden Tag beten, wenn wir das Tedeum, den Ambrosianischen Lobgesang, an Gott richten: „In te, Domine, speravi, non confundar in aeternum“ – Auf dich, Herr, habe ich gehofft, ich werde in Ewigkeit nicht zuschanden werden.

Amen.

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