Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das Wesen Gottes (Teil 1)

5. Januar 1997

Über Gott als das absolute Sein

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In der Religion hängt alles an Gott. Religion ist eben die Bindung des Menschen an Gott. In der Religion kommt deswegen auch alles auf Gott an, auf das Bild Gottes, auf die Vorstellung Gottes, auf den Begriff Gottes, den wir haben. Alles andere in der Religion ist von Gott abgeleitet. Ob es sich um die Mutter Gottes handelt, ob es die Heiligen sind, ob es die Kirche ist, ob es die Sakramente sind, der Gottesdienst und das Gebet – alles hängt letztlich davon ab, was man von Gott hält. Wie einer von Gott denkt, so wird er auch über das Außergöttliche denken. Wer den richtigen Gottesbegriff hat, der wird auch die richtige Sittlichkeit haben. Noch einmal: In der Religion kommt es ganz entscheidend auf Gott, auf den Gottesbegriff, auf das Gottesbild an. Wir wollen deswegen heute und an folgenden Sonntagen über Gott, sein Wesen und seine Eigenschaften nachdenken. Denn wenn wir kein persönliches Verhältnis zu Gott gewinnen, dann nützt alle äußere religiöse Betriebsamkeit nichts. Wenn wir nicht wissen, wem wir dienen, und wenn wir nicht wissen, wohin wir laufen, dann ist alles, was wir tun mögen, vergeblich.

Wir wissen, daß Gott existiert. Die Schöpfung ist sein Werk, und sie preist ihren Schöpfer. Wir gewinnen aus der Schöpfung ein undeutliches Bild von unserem Schöpfer. Die geschaffenen Dinge weisen auf den hin, der sie gemacht hat. „Aus dem Geschaffenen können wir auf sein Wesen schließen“, sagt der Apostel Paulus im Römerbrief. Die Schönheit der Dinge weist auf den hin, der sie gemacht hat. Die Weisheit der Dinge kündet die Weisheit dessen, der sie erschaffen hat. Die Ordnung der Dinge spricht von dem Ordnungssinn dessen, der sie ins Leben gerufen hat. Die große Zahl der Geschöpfe ist ein Hinweis auf die Macht des Schöpfers.

Dennoch ist die Sprache der Natur undeutlich. Wir können gewiß auf die Schönheit, auf die Weisheit, auf die Macht Gottes schließen, aber wir wissen dann immer noch viele Dinge, die Gott angehen, nicht. Sein inneres Wesen bleibt uns noch verschlossen. Deswegen hat sich Gott aufgemacht und sich selbst geoffenbart in der Offenbarung Alten und Neuen Testamentes. „Gott hat einst gesprochen durch die Propheten, in der jüngsten Zeit hat er gesprochen durch seinen Sohn!“ Dieser konnte den deutlichsten Aufschluß über Gott geben, denn er kam vom Vater in die Welt. Dennoch ist es nicht möglich, weder aus der Naturoffenbarung noch aus der Wort- und Werkoffenbarung Christi, ein vollkommenes, ein erschöpfendes, ein ebenbürtiges Bild von Gott zu gewinnen. Das Unermeßliche kann nicht vom Ermeßlichen durchschaut werden. Der Unendliche kann von einem endlichen Wesen nicht erfaßt werden. Unser Erkennen bleibt immer notwendig hinter dem Wesen Gottes zurück. Unsere Erkenntnis ist mit einem Wort analog. Analog besagt soviel: Wir können von Gott Aussagen treffen, die seinem Wesen ähnlich sind, aber die Unähnlichkeit ist größer als die Ähnlichkeit. Was wir von Gott sagen, ist nicht falsch, aber es erschöpft ihn nicht und es erreicht ihn nur in einer nicht ebenbürtigen, adäquaten Weise.

Wenn man auf einem Berge steht und über das Meer schaut, kann man gewiß einen gewissen Teil des Meeres erkennen. Aber das Meer dehnt sich weit, weit über unser Blickfeld hinaus aus. Ähnlich-unähnlich ist es mit Gott. Wer die Gottheit ergründen will, der wird von ihr erdrückt. Die Griechen kannten die Sage von Ikarus. Ikarus hatte sich Flügel gemacht aus Wachs, um zur Sonne zu fliegen. Er flog, aber als er der Sonne nahe kam, wurden die Flügel aus Wachs von der Sonne versengt, und er stürzte zu Boden. So ist es auch mit dem Menschen, der die Gottheit ergründen will. Er stürzt in ein Meer von Zweifel und Unglauben. Die Engel erkennen Gott, aber sie erkennen ihn nur nach dem Maße ihrer Fassungskraft. Auch wir werden Gott einmal schauen, aber ebenfalls nur nach der Kraft unseres Erkenntnisvermögens.

Wenn wir nun diese Einschränkungen gemacht haben, die unser Erkennen von Gott betreffen, so sind wir doch imstande, einige zutreffende Aussagen über Gottes Wesen zu machen, nämlich

1. Gott ist ein Wesen aus sich selbst, von unendlicher Vollkommenheit, Schönheit und Glückseligkeit, der Schöpfer und Regierer der Welt. Gott ist ein Wesen aus sich selbst. Was will das besagen? Das bedeutet, Gott ist nicht einem anderen zu verdanken. Er verdankt sich selbst; er hat den Grund seines Daseins in sich selbst. In unserem Erfahrungsbereich stammt alles, was ist, von einem anderen ab. Wenn man immer weiter zurückgeht, kommt man an einen Punkt, wo man sagen muß: Hier hat Gott aus nichts die Welt geschaffen. Anders bei Gott. Gott ist so geartet, daß er sein Dasein nicht einem anderen verdankt, er verdankt es nur sich selbst. Gott ist aus sich selbst, er ist von solcher Daseinsmächtigkeit, daß mit seinem Wesen das Dasein gegeben ist. Wir sind kontingent: das bedeutet, wir könnten auch nicht sein. Wenn unsere Eltern nicht gewesen wären, wären wir eben nicht am Leben. Ähnlich ist es mit allen Geschöpfen auf Erden. Sie sind kontingent, sie sind nicht wesensnotwendig auf dieser Erde. Und so ist es mit der ganzen Schöpfung. Die Schöpfung ist kontingent; sie könnte auch nicht sein. Gott mußte, Gott konnte nicht nicht sein. Er ist ein Wesen aus sich selbst. In ihm ist alles Tatwirklichkeit, in ihm gibt es keine Möglichkeiten, weil alles schon in die Wirklichkeit übergeführt ist. Er ist der actus purus, wie mit einem philosophischen Ausdruck gesagt wird, der reine Akt, die reine Tatwirklichkeit, ohne jede Unerfülltheit und ohne jede bloße Möglichkeit.

Gott ist auch die absolute Vollkommenheit. Wir beobachten einen Stufenbau auf der Erde. Der Stein hat nur das Sein. Die Pflanze hat Leben, sie bewegt sich. Das Tier ist, weit mehr noch als die Pflanze, in der Lage, sich zu bewegen und ein Nest zu bauen und Nachkommen zu zeugen. Der Mensch steht über dem Tier. Er ist mit Geist begabt; er hat Willen, er hat Erkenntnis. Die Engel sind reine Geister und über ihnen, unendlich erhaben, erhebt sich Gott als die höchste Stufe der Vollkommenheit. Er ist absolut glückselig; ihm fehlt nichts. Uns fehlt so oft etwas auf dieser Erde, und wir sind oft bedürftig und mangelhaft. Gott ist absolut erfüllt und glückselig. Bei ihm gibt es nichts, was ihm fehlt, er hat keine Bedürftigkeiten und keinen Mangel. Er ist auch die absolute Schönheit. Wenn schon die Dinge so schön sind, die Pflanzen und die Menschen und die Tiere, um wieviel schöner muß der sein, der das gemacht hat! Er ist der Schöpfer und der Herrscher der Welt. Er hat alles ins Dasein gerufen. Er hat die Welt geordnet. Immer wieder, meine lieben Freunde, muß man sich die Erkenntnisse der Physik, der Chemie, der Biologie ins Gedächtnis rufen, um zu der Bewunderung des Schöpfers zu gelangen. Die Erde bewegt sich nach einem geheimnisvollen Gesetz in 365 und ein Viertel Tagen um die Sonne. Sie dreht sich in 24 Stunden um ihre eigene Achse. Der Mond bewegt sich in 27 und ein Drittel Tagen um die Erde. Diese Bewegungen sind so genau, daß man Sonnen- und Mondfinsternisse vorwärts und rückwärts mit höchster Akribie berechnen kann. Das Licht pflanzt sich mit einer Geschwindigkeit von 300.000 Kilometern in der Sekunde fort. Der Schall läuft 333 Meter in der Sekunde. All diese Wirklichkeiten deuten auf eine übermächtige Intelligenz, aber auch natürlich auf eine übermächtige Kraft, die all das ins Leben gerufen hat. Gott ist der Schöpfer und Herrscher der Welt. Er hat ihr seine Gesetze gegeben.

Er hat sie auch den Menschen gegeben. Beim Menschen sind die Gesetze an seinen Geist gerichtet. Er kann sie erfüllen, wenn er guten Willens ist; aber wenn er sie nicht erfüllt, dann muß er dafür zahlen. Wenn er Gottes Gesetze erfüllt, dann wird er selig; wenn er sie nicht erfüllt, dann wird er elend. Auch darin zeigt sich die Herrschermacht Gottes. Der Abfall von Gott, meine lieben Freunde, ist immer der Zerfall.

2. Gott ist absolut weltüberlegen. Das besagt, er ist kein Teil der Welt, er ist kein Bestandteil der Welt. Die Irrlehre des Pantheismus oder des Pan-Entheismus geht in eine falsche Richtung. Gott ist absolut weltüberlegen. Er ist ein souveräner, weltüberlegener Gott. Die Götter, welche sich die Menschen ausgedacht haben, waren immer Bestandteile der Welt. Sie waren weltverhaftet. Ob es sich nun um die „archä“ der ionischen Physik handelt oder im die „idea“ der Philosophen: Es sind das immer nur die Grundgestalten der Wirklichkeit, die vergöttlicht werden. Im Gegensatz dazu ist Gott absolut weltüberlegen, d.h. auch absolut unangreifbar von der Welt. Es kann ihn kein Haß und keine Untat der Menschen erreichen. Gott ist über der Welt, und die Welt ist unter ihm. Gott ist ein weltüberlegener Gott.

3. Gott ist ein Geist, ein körperloses Wesen mit Verstand und Willen. Gleich muß ich den falschen Einwand zurückweisen, als ob er ein Geist wäre, wie wir auch Geist haben. Gott ist ein unendlicher Geist. Unser Geist ist nur gewissermaßen ein Schattenwurf des göttlichen Geistes. So wie sich die Sonne im Wasser spiegelt, so ähnlich-unähnlich ist Gottes Geist die Vorbildursache für unseren Geist. Er ist ein Geist von unendlicher Kraft, von unendlicher Überlegenheit, von unendlicher Weisheit, von unendlicher Willensstärke. Weil Gott ein Geist ist, ist er mit den Augen des Körpers nicht zu schauen. Er wohnt, wie es im ersten Timotheusbrief heißt, „in einem unzugänglichen Licht“. Gott kann kein Mensch sehen in dieser irdischen Phase seines Lebens, und es hat ihn auch kein Mensch gesehen, sondern Gott verhüllt sich vor den Augen des Menschen, wahrscheinlich, weil der Mensch sonst verbrennen würde.

Wenn er sich den Menschen geoffenbart hat, dann hat er manchmal eine sichtbare Gestalt angenommen; so bei Abraham die Gestalt eines Reisenden, am Pfingstfest die Gestalt von Feuerzungen, bei der Taufe Jesu die Gestalt einer Taube. Diese Gestalten waren natürlich nur schwache Abbilder Gottes; in ihnen hat sich die Gottesherrlichkeit verhüllt. Wenn Gott in solche Gestalten eingeht, dann will er uns damit belehren, daß er lebendig ist, daß er also nicht ein toter Gott ist, der sich von der Welt zurückgezogen hat, die er vielleicht einmal geschaffen hat, wie der Deismus meint, sondern daß er ein lebendiger Gott ist, der die Herrschaft in seinen Händen hält. Deswegen wird in der Schrift ganz unbefangen davon gesprochen, daß Gott ein Mann sei, daß er Füße, daß er Hände habe, daß er sich im Garten ergehe (im Paradiesesgarten). Diese Ausdrücke sind Anthropomorphismen, also Redeweisen, wie man sie von Menschen anwendet und wie man sie also nur im uneigentlichen Sinne auf Gott übertragen kann. Warum tut man so etwas, warum spricht man so? Um zu zeigen, daß Gott ein lebendiger Gott ist, daß er hört, unser Flehen hört, unsere Klagen hört, daß er sieht, unsere guten Werke, aber auch unsere Missetaten. Das soll damit ausgedrückt werden. Und wenn Gott als Mann dargestellt wird, dann nicht deswegen, weil er ein Mann ist, sondern weil er unterschieden werden soll von einer Sache. Er ist eine Person und nicht eine Sache. In Gott gibt es keine Geschlechtlichkeit. Alle geschlechtlichen Unterschiede sind weit von Gott fernzuhalten. Das ist der Fall bei den griechischen Göttern. Da steht immer neben einem Gott eine Göttin, und zwischen ihnen spielt ein Liebesgetändel bis zum Ehebruch. Das sind eben falsche religiöse Lehren. Unser Gott ist absolut über jede Geschlechtlichkeit erhaben. Der biblische Gott ist ein reiner Geist, der mit dem geschlechtlichen Leben nichts zu tun hat.

4. Gott ist ein einziger. Die Ordnung verlangt einen einzigen Gott, sonst würde ein Durcheinander entstehen. Auf einem Schiffe kann nur ein Steuermann das Steuerruder in der Hand halten. So ist es auch in der Welt. Es gibt nur ein höchstes Wesen, denn wenn es zwei gäbe, dann wäre keines das höchste Wesen. Das höchste Wesen muß also notwendig ein einziges sein. Es ist nur ein Gott, und so bekennen wir in allen Glaubensbekenntnissen immer an erster Stelle, meine lieben Freunde: „Ich glaube an Gott.“ Das ist das Erste und Wichtigste in unserer Religion, auch in unserer religiösen Betätigung: an Gott zu glauben, auf ihn zu vertrauen, auf ihn zu hoffen, ihm zu dienen, ihn zu lieben und das Leben ihm zu weihen.

Die Kirche hat in ihren Glaubensbekenntnissen das, was ich eben kurz darzustellen bemüht war, mehrfach ausgesagt, etwa auf dem Ersten Vatikanischen Konzil. Da heißt es: „Die heilige katholische, apostolische, römische Kirche glaubt und bekennt: Einer ist der wahre und lebendige Gott, der Schöpfer und Herr Himmels und der Erde, allmächtig, ewig, unermeßlich, unbegreiflich, an Verstand, Wille und an aller Vollkommenheit unendlich. Da er ein einziges, für sich bestehendes, ganz einfaches und unveränderliches geistiges Wesen ist, muß man ihn als wirklich und wesentlich von der Welt verschieden verkünden als in sich und aus sich ganz glücklich und über alles unaussprechlich erhaben, was außer ihm ist und gedacht werden kann.“ Diese Lehre des Ersten Vatikanischen Konzils ist nur der Widerhall dessen, was uns in der Heiligen Schrift gesagt wird. Im letzten Buche der Heiligen Schrift, in der Apokalypse, ist über Gott erklärt: „Ich bin das Alpha und das Omega“ (das sind der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets, also soviel wie: Ich bin der Anfang und das Ende). „‘Ich bin das Alpha und das Omega’, spricht Gott, der Herr, der ist und der war und der kommt, der Allmächtige.“

Amen.

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