Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das eucharistische Opfer (Teil 6)

21. Juli 1996

Einwände gegen den Opfercharakter der Messe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das heilige Meßopfer ist die Vergegenwärtigung und Zuwendung des Kreuzesopfers. Am Kreuze hat Christus das Werk der Erlösung vollzogen. In einem allgemeinen, objektiven Sinne sind alle Menschen dadurch erlöst. Doch der Erwerb der Erlösung, der Erlösungsverdienste, der Erlösungsgnaden ist nicht gleichbedeutend mit der Austeilung derselben. Es muß das Kreuz Christi noch über einen jeden einzelnen mächtig werden. Es muß ein jeder noch von der Kraft des Kreuzes für sich persönlich und täglich erfaßt werden. „Der dich ohne deine Mitwirkung erschaffen hat, will dich nicht ohne deine Mitwirkung selig machen“, sagt der heilige Augustinus. Die Mittel, mit denen wir zum Kreuz, zum Segen des Kreuzes, zur Kraft des Kreuzes in Beziehung treten, sind Glaube und Sakramente. Das vorzüglichste Mittel, um den Kreuzessegen zu empfangen, ist die Feier des Meßopfers; denn in ihm wird das Kreuz in einem wahren Sinne aufgerichtet, wenn auch in sakramentaler Gestalt. Das Meßopfer ist eine wirkliche Erneuerung des Kreuzesopfers. Im Meßopfer wird der Kreuzessegen dem einzelnen, der recht daran teilnimmt, zugewendet. „Sooft das Gedächtnis des Opfers gefeiert wird, wird das Werk unserer Erlösung vollzogen.“ So heißt es im Stillgebet der Messe des kommenden Sonntags. Sooft das Gedächtnis dieses Opfers gefeiert wird, wird das Werk unserer Erlösung vollzogen. Also im Meßopfer wird uns subjektiv zugewendet, was am Kreuze objektiv beschafft wurde. Die Kirche teilt das Heil, das Christus uns verdient hat, aus. Es ist also eine ungeheure Würde, die den Christen zuteil geworden ist, daß sie an dem Meßopfer teilnehmen dürfen. Es ist freilich auch eine schwere Verpflichtung, sich eingedenk dieser Würde mit Herz und Mund an dem Meßopfer zu beteiligen.

Die Beteiligung an der Meßfeier ist ein wahrhaft priesterlicher Dienst. Es ist durch die Taufe geschehen, daß alle Getauften Anteil an dem Priestertum Christi bekommen haben. Es gibt – und das sei ohne jede Abschwächung gesagt – ein allgemeines Priestertum, an dem alle Gläubigen, alle getauften Christgläubigen Anteil haben. Doch kann dieses allgemeine Priestertum im Meßopfer nur aktualisiert, verwirklicht werden, wenn ein Amtspriester dieser heiligen Feier durch seine Gegenwart und sein Tun die Weihe gibt. Nur der Amtspriester kann das vollziehen, was im heiligen Meßopfer der Kern ist, nämlich die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers. Das allgemeine Priestertum ist also notwendig verwiesen auf das besondere, auf das Amtspriestertum.

Seit Irrlehrern wie Wiclif, Hus, Luther sind über das Verhältnis von allgemeinem Priestertum und Amtspriestertum schwerwiegende Irrlehren verbreitet worden. So wird der Unterschied zwischen beiden nivelliert oder ganz aufgehoben. Man sagt, Christus habe, als er die Worte sprach: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“, das Opfer der ganzen Kirche übergeben. Alle ohne Unterschied seien berechtigt, die Feier des Meßopfers, des Abendmahles zu setzen. Nur um der guten Ordnung willen habe die Kirche einzelne Glieder damit beauftragt. Diese handeln nur im Auftrag der Glieder der Kirche, nicht als von Christus Ermächtigte und innerlich Umgeformte. Damit wird das besondere Priestertum in seinem Wesenskern vernichtet.

Ich würde davon nicht sprechen, wenn solche falschen Lehren nicht im katholischen Bereich heute Heimstätte gewonnen hätten, wenn es nicht sogenannte katholische Theologen gäbe, die diese Irrlehren den Protestanten und dem Herrn Witclif und dem Herrn Hus nachsprechen. Dagegen müssen wir entschieden Front machen. Es gibt ein besonderes Priestertum, und die Auslegung, welche die Kirche dem Abendmahlsbericht gegeben hat, ist die gottgeleitete. Man kann den Einsetzungsbericht der Eucharistie in verschiedener Weise auslegen; ich glaube, es gibt 84 verschiedene Auslegungen. Aber nur eine kann die richtige sein. Und daß die richtige in der katholischen Kirche aufbewahrt wird, das ist keine Anmaßung von Menschen, sondern das ist das Wirken des Heiligen Geistes, der in dieser Kirche die Wahrheit durchhält, allen Anfeindungen und allen Verkürzungen und allen Verfälschungen zum Trotz.

Der Priester, der am Altare steht und das Meßopfer vollzieht, stellt die Person Christi dar; und nur er ist in dieser Weise Christus verähnlicht, daß es ihm gegeben ist, das Meßopfer zu konfizieren, wie der Fachausdruck heißt, also das Meßopfer in seinem Vollzugskern herzustellen. Die Gläubigen, die das allgemeine Priestertum besitzen, schließen sich dem Tun des Priesters an. Sie nehmen am Meßopfer in einem wirklichen und wahrhaftigen Sinne teil. Dafür gibt es eine Menge von Belegen. Zunächst einmal, meine lieben Freunde, ist Ihnen vielleicht schon aufgefallen, daß die meisten Gebete, die der Priester in der heiligen Messe spricht, in der Mehrzahl formuliert sind. Er ist aber nur einer! Er spricht sie deswegen in der Mehrzahl, weil er sie als Vertreter des Volkes spricht, weil das Volk in ihm gleichsam gesammelt ist, weil er die Person Christi in sich trägt, und Christus ist das Haupt des Volkes. Wer also Christus vertritt, der vertritt damit auch das Volk.

So heißt es beispielsweise bei der Darbringung des Weines: „Wir opfern dir, Herr, den Kelch des Heiles und flehen dich, den Allgütigen an.“ Besonders deutlich wird es in jenem Gebet, das wir gemeinsam sprechen. Wenn nämlich die Darbringung der Gaben beendet ist, wendet sich der Priester zum Volk und sagt: „Betet, Brüder, daß mein und euer Opfer wohlgefällig werde bei Gott, dem allmächtigen Vater!“ In dem weiteren Geschehen der heiligen Messe, im Kanon, der ja der Hauptteil der heiligen Messe ist, betet der Priester, daß er dieses Lobopfer für die Umstehenden und für alle Gläubigen darbringt „und sie selbst opfern es dir für sich und alle die Ihrigen.“ Ein wenig weiter, wo der Priester um die Annahme der Opfergabe bittet: „So nimm denn, Herr, wir bitten dich, diese Opfergabe huldvoll an, die wir, deine Diener, und deine ganze Gemeinde dir darbringen.“ Die wir, deine Diener, und deine ganze Gemeinde dir darbringen. Und noch ein letztes Mal will ich hinweisen auf ein solches Gebet, in dem der Priester nicht nur für sich, sondern für die versammelte Gemeinde spricht, nämlich das Aufopferungsgebet nach der Wandlung: „Daher sind wir denn eingedenk, Herr, wir, deine Diener, aber auch dein heiliges Volk, des heilbringenden Leidens, der Auferstehung von den Toten und der glorreichen Himmelfahrt deines Sohnes und – wieder im Plural – bringen deiner erhabenen Majestät ein reines, ein heiliges, ein makelloses Opfer dar.“ Diese Texte sind bewußt und gezielt in der Mehrzahl formuliert, weil Priester und Volk gemeinsam das Meßopfer, das Opfer der Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers darbringen.

Aber es gibt auch noch andere Hinweise dafür, daß Priester und Volk gemeinsam opfern. In den alten Zeiten brachten die Gläubigen auch die Gaben zum Altar, die aufgeopfert werden, nämlich Brot und Wein. Sie trugen aus ihrer Vorratskammer diese Gegenstände herbei, Teile davon wurden ausgesondert, um in der heiligen Wandlung in Leib und Blut des Herrn verwandelt zu werden. Das ist heute nicht mehr üblich. Aber von dieser Gabendarbringung habe sich zwei Übungen erhalten, die darauf zurückweisen. Wenn wir in der heiligen Messe ein Körbchen herumgehen lassen, um unser Scherflein hineinzuwerfen, dann ist das eine Teilnahme am Opfer. Das ist nicht bloß ein Beitrag zur Aufbringung der Kosten, um den Strom, den wir verbrauchen, zu bezahlen oder um die Kerzen zu erneuern, nein, diese Gabe ist ein Opfer. Durch diese Gabe gliedern wir uns in das Opfer ein. Wir müssen es ja irgendwie auch sichtbar opfern und etwas weggeben, was wertvoll ist – der Besitz ist wertvoll! –, denn das ist eben ein Opfer. In diese Richtung gehört auch das Meßstipendium. Wenn wir dem Priester eine Gabe überreichen, damit er in einer bestimmten Absicht, in einer bestimmten Intention das heilige Meßopfer darbringt, dann ist das ebenfalls eine Opfergabe. Es ist eine Gabe, die dem Opfer zugeordnet ist und die für das Opfer bestimmt ist. Auf diese Weise gliedern sich die Gläubigen, welche die Gabe darreichen,  in das Opfer des Priesters ein. Gewiß, noch einmal: Die unblutige Hinopferung, die in der Wandlung geschieht, vollzieht der Priester allein in der Person Christi, als Stellvertreter Christi, oder besser: Die unblutige Hinopferung vollzieht Christus allein durch den Priester. Aber was nachher geschieht, gleich nachher, nämlich die Aufopferung der jetzt auf dem Altar liegenden Gabe, die vollziehen Priester und Volk, wie ich soeben vorgelesen habe, gemeinsam. Das ist eine wahre Darbringung im eigentlichen Sinne. Und an ihr ist das Volk mit dem Priester zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen.

Der große Papst Pius XII. hat dieses Mitopfern der Gläubigen in seiner Enzyklika „Mediator Dei“ dahin beschrieben, daß die Gläubigen durch den Priester, durch die Hände des Priesters und mit dem Priester zusammen diese Gabe darbringen. Er will damit zweierlei ausdrücken. Einmal bringen die Gläubigen diese Gabe durch den Priester dar, weil der Priester sie vertritt. Weil er der Vertreter des Hauptes ist, ist in ihm die gesamte Gliedschaft dieses Hauptes gleichsam gesammelt. Er spricht als Vertreter des Volkes, weil er in der Person Christi handelt. Und die Gläubigen vereinigen ihre Gesinnung mit der des Priesters oder noch besser mit der Christi. Diese Vereinigung der Gesinnungen finden ihren äußeren Ausdruck in dem sichtbaren äußeren Ritus der Aufopferung der auf dem Altare liegenden Gaben. So hat Pius XII. das Mitopfern der Gläubigen beschrieben.

Wenn wir diese eben genannten Zusammenhänge bedenken, dann kommen uns zwei Gedanken, nämlich erstens: Wie muß man als Priester mit Zittern und Zagen zu diesem heiligen Geschehen hinzutreten! Als wir zu Priestern geweiht wurden, da hieß es in dem damaligen Ritus: „Beachtet, was ihr tut, und ahmet nach, was ihr vollzieht! Da ihr das Geheimnis des Todes des Herrn begeht, trachtet danach, eure Glieder von allen Sünden und Leidenschaften zu ertöten!“ Das ist also die furchtbare Aufgabe, die dem Priester gestellt ist, reinen Herzens, mit lauterer Gesinnung zu diesem furchterregenden Geheimnis hinzuzutreten. Wenn die Menschen wüßten, was ein Priester ist, dann würden sie verständlicherweise vor dem Priestertum zurückweichen und fliehen, statt sich nach ihm zu drängen. Aber weil sie nicht wissen, was es ist, deswegen drängen sie sich danach, die Feministinnen! Und zweitens: Die Gläubigen sind aufgerufen, an diesem Opfer sich selbst opfern zu lernen. Der Apostel Paulus hat im Römerbrief den Satz geschrieben: „Ich ermahne euch bei dem Erbarmen Gottes, daß ihr euren Leib darbringet als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer, als euren geistigen Gottesdienst.“ Und Petrus schreibt in seinem ersten Brief: „Als lebendige Steine lasset euch selber aufbauen zu einem geistigen Tempelbau, zu einer heiligen Priesterschaft, um geistige Opfer darzubringen, die Gott um Jesu Christi willen wohlgefällig sind.“ Hier ist von dem Opferdienst der Gläubigen die Rede. Er nimmt seinen Ausgang im Meßopfer. Wer es nicht lernt, sich im Meßopfer zu opfern, der lernt es überhaupt nicht. Jedes Opfer unseres Lebens muß von hier seinen Ausgang nehmen. Und wahrhaftig, es sind ihrer viele. Es sind viele Opfer, die wir in unserem Leben zu vollbringen haben. Wir müssen unsere Leidenschaften opfern, wir müssen unsere schlechten Neigungen überwinden, wir müssen den Hochmut sterben lassen und den Zorn überwinden, wir müssen die Ausschweifungen und die Neigung zum Bequemen in uns ertöten. Das alles nimmt seinen Ausgang vom Meßopfer, oder es geschieht überhaupt nicht.

Jetzt begreifen wir, meine lieben Freunde, welche Auswirkungen es hat, wenn man den Opfercharakter der Messe zurücktreten läßt. Dann lernen die Menschen nicht mehr sich mit Christus opfern. Sie müssen nämlich im Meßopfer nicht nur Christus opfern, sie müssen sich mit ihm opfern. Sie müssen ihr Opfer mit dem Christi vereinen. In der Wandlung wird das Opfer Christi in geheimnisvoller Weise Gegenwart. Wir sollen ihn anbeten und sollen uns mit seinem Opfer vereinen. In der Aufopferung, die danach folgt, sollen wir unseren Opferwillen, unsere Opfergesinnung, unsere Opferentschlossenheit mit der Christi verbinden. Das ist der Kern des heiligen Meßopfers. Ich sage noch einmal: Es ist nicht notwendig, meine lieben Freunde, daß Sie alle Gebete, die der Priester betet, wortwörtlich mitbeten. Entscheidend ist der Anschluß an den sich opfernden Christus. Wenn Sie das getan haben, dann haben Sie die Messe vorzüglich mitgefeiert.

Und deswegen ist auch jede heilige Messe eine Gemeinschaftsveranstaltung. Es gibt Leute, heute mehr denn je, die sagen, der Priester solle keine sogenannte Privatmesse lesen. Wenn er also allein, nur mit einem Meßdiener oder mit einer Person die heilige Messe feiern kann, dann soll er es besser unterlassen. Ich habe es erlebt, wie ein Priester in der Woche nach seiner Primiz die Meßfeier unterlassen hat, weil er sagte, er habe keine Gemeinde. Das Meßopfer ist immer eine Gemeinschaftsangelegenheit; es ist von Natur aus und wesentlich eine Gemeinschaftsangelegenheit, weil nämlich der Priester Christus vertritt und in Christus das Volk und weil er das Meßopfer aufopfert für die ganze Kirche, für die Lebenden und Verstorbenen. Das Meßopfer hat also notwendig immer einen amtlichen und öffentlichen Charakter. Selbst die Privatmesse, die ein Priester mit einem einzigen Anwesenden feiert, hat diesen öffentlichen Charakter. Sooft wir das Gedächtnis dieses Opfers begehen, wird das Werk unserer Erlösung vollzogen. Die Gläubigen stimmen ein in diese Aufopferung, wenn sie am Schluß des Kanons das Amen sprechen, nachdem der Priester mit vernehmlicher Stimme ihnen zugerufen hat: „Durch ihn und mit ihm und in ihm ist dir, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Ehre und Verherrlichung.“

Amen.

 

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