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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das Bußsakrament (Teil 1)

12. Juni 1994

Die Reue als Wesenselement der Buße

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Bußsakrament ist einer von den sieben Quellgründen der Gnade in unserer heiligen Kirche. Die Kirchenversammlung von Trient hat gegen die Neuerer den Lehrsatz aufgestellt: „Wer sagt, daß das Bußsakrament nicht eines der sieben Sakramente des Neuen Bundes ist, der sei ausgeschlossen.“ Damit ist einmal und für immer die irrige Meinung abgewehrt, es gäbe keine sakramentale Sündenvergebung. Dem Bußsakrament fehlt nichts von den drei Stücken, die zu einem Sakrament gehören, nämlich das äußere, sinnenfällige Zeichen, die innere Gnade und die Einsetzung durch Christus.

Wir wollen uns heute und an den kommenden Sonntagen Wesen und Wirkungen des Bußsakramentes vor Augen führen. Das Bußsakrament hat ein äußeres Zeichen. Das äußere Zeichen des Bußsakramentes besteht aus Materie und Form. Materie sind die Handlungen des Büßers, also Reue, Bekenntnis, Genugtuung. Form ist die Lossprechung des Priesters. Materie und Form sind einander zugeordnet. Zu der Materie, die der Büßer erbringt, muß die Form kommen, die der Priester setzt.

Am heutigen Sonntag wollen wir uns mit der Reue beschäftigen, denn die Reue ist das wichtigste Element, welches der Büßer erbringen muß. Das Konzil von Trient hat die Reue bestimmt als Schmerz der Seele, Abscheu vor der Sünde und Vorsatz, die Sünde nicht mehr zu begehen. Seelenschmerz, Abscheu vor der Sünde, Vorsatz, nicht mehr zu sündigen. Die Reue muß vier Eigenschaften haben, damit sie eine wahre Reue, eine übernatürliche Reue ist. Sie muß nämlich erstens innerlich, zweitens übernatürlich, drittens allgemein und viertens über alles groß sein.

Die Reue muß innerlich sein. Das besagt, es genügt nicht, die Kleider zu zerreißen, sondern das Herz muß zerrissen werden, wie es im Propheten Joel heißt: „Zerreißet euere Herzen und nicht euere Kleider!“ Es muß also eine Handlung von Verstand und Willen sein. Auch das Gefühl soll nach Möglichkeit beteiligt werden, aber in jedem Falle muß sich die Reue innerlich, in der Seele vollziehen.

Die Reue muß sodann übernatürlich sein, d.h. von der aktuellen Gnade eingegeben und sich auf Gott richtend. Es gibt auch eine natürliche Reue. Wir wissen alle, daß unsere Sünden Dummheiten sind, und man kann natürlich auch bereuen, eine Dummheit begangen zu haben, aber das ist keine übernatürliche Reue. Die natürliche Reue richtet sich auf irdische Gegenstände, die übernatürliche Reue richtet sich auf Gott. Wenn es einen reut, Gott gekränkt zu haben, sich gegen Gottes Ordnung verfehlt zu haben, dann besitzt er die Reue, die zum Empfang des Bußsakramentes unerläßlich ist. Sie muß übernatürlich sein, das heißt, aus der aktuellen Gnade hervorgehen und als Motiv Gott haben.

Die Reue muß allgemein sein. Das bedeutet, sie muß sich auf alle Sünden richten. Man kann nicht bestimmte Sünden von der Reue ausnehmen. Man kann nicht die eine Sünde verabscheuen und eine andere Sünde lieben, weil in diesem Falle die Abwendung von Gott, die das Wesen der Sünde ausmacht, nicht rückgängig gemacht wird; entweder werden dem Sünder alle Sünden vergeben oder überhaupt keine. Wer eine Sünde nicht bereut, der empfängt nicht gültig die Lossprechung. Die Reue muß allgemein sein.

Sie muß über alles groß sein. Sie muß der Wertschätzung nach über alles groß sein; das heißt, man muß die Sünde mehr verabscheuen als jedes andere Übel. Man muß sie, weil sie eine Beleidigung Gottes ist, in einer Tiefe der Seele von sich weisen, wie man sonst nichts von sich weist. Der Wertschätzung nach muß die Reue über alles groß sein, weil sie sich gegen den höchsten Wert überhaupt richtet, nämlich gegen Gott.

Innerhalb der Reue unterscheiden wir die vollkommene Reue und die unvollkommene Reue. Der Unterschied liegt im Motiv. Die vollkommene Reue geht hervor aus der vollkommenen Gottesliebe. Wann habe ich vollkommene Gottesliebe? Ich liebe Gott vollkommen, wenn ich ihn um seiner selbst willen über alles liebe. Diese beiden Momente müssen in der Gottesliebe sein, wenn sie eine vollkommene Gottesliebe sein soll. Ich muß Gott um seiner selbst willen über alles lieben. Um seiner selbst willen heißt: nicht um meinetwillen, weil ich ihm Vorteile verdanke, weil ich ihm zu Dankbarkeit verpflichtet bin, sondern um seinetwillen, um seiner Schönheit, seiner Größe, seiner Heiligkeit, seiner Herrlichkeit willen muß man ihn lieben, wenn man ihn vollkommen lieben will.

Und man muß ihn über alles lieben. Das heißt, man darf ihm nichts vorziehen. Das ist ja das Wesen der Sünde, daß man etwas Geschöpfliches Gott vorzieht; und nur der hat vollkommene Liebe, der Gott nichts vorzieht. Wer Gott über alles liebt, wem also Gott über jedem anderen Werte, über jedem anderen Gute steht, der liebt Gott vollkommen. Man sieht, daß es gar nicht so leicht ist, Gott vollkommen zu lieben. Und ich weiß nicht, ob sehr viele die vollkommene Liebe zu Gott haben.

Eine Vorstufe der vollkommenen Liebe ergibt sich aus dem Motiv der Dankbarkeit, wenn man den Seelenschmerz und den Abscheu vor der Sünde empfindet, weil man Gott undankbar war. Gott ist ja der Geber aller guten Gaben, und wir sind ihm zu Dank verpflichtet. Der Dank soll sich bekunden im Gehorsam. Wenn wir ungehorsam sind, sind wir gleichzeitig auch undankbar. Wir vergelten Gott Gutes, das er uns getan, mit Bösem, das wir getan. Vielleicht fällt es uns leichter, aus dem Motive, daß wir undankbar gewesen sind, Reue zu empfinden und Gott zu lieben, als aus dem Motive, das ich zuerst nannte. Denn wenn wir bedenken, was Gott für uns getan hat, daß er uns geschaffen hat, daß er uns erlöst hat, daß er uns geheiligt hat, daß er seinen Sohn ans Kreuz gesandt hat, wenn wir das alles bedenken, dann dürfte es uns nicht schwerfallen, die Reue in uns zu erwecken.

Die vollkommene Reue ergibt sich aus der vollkommenen Gottesliebe, die unvollkommene Reue aus der unvollkommenen Gottesliebe. Wann ist die Gottesliebe unvollkommen? Nun, wenn die Motive, Gott zu lieben, schwächer sind. Auf diese Atrt von Liebe lassen sich die anderen übernatürlichen Beweggründe zurückführen, um deretwillen wir die Sünde meiden, meiden wollen, zu meiden beabsichtigen, wenn wir also die Sünde als einen Schaden für uns ansehen, weil wir dadurch die Seele befleckt und Strafe verdient haben. Das sind die gewöhnlichsten und häufigsten Motive der unvollkommenen Reue. Wir haben die Häßlichkeit der Sünde erkannt, die uns die seelische Schönheit nimmt, und wir haben die Strafe vor Augen, die wir dafür verdient haben, denn Sünden verdienen Strafe. Derjenige, der sündigt, handelt sich damit Strafe von Gott ein. Es gibt Sündenstrafen, zeitliche, hier oder im Fegfeuer abzubüßende, und ewige Sündenstrafen; die Verdammnis, das ist die ewige Sündenstrafe. Und davor scheuen wir natürlich zurück, und das ist die unvollkommene Reue, die auf die Häßlichkeit der Sünde und auf die dafür verwirkte Strafe blickt. Die Furcht vor der Strafe ist ein Motiv der unvollkommenen Reue.

Luther hat diese katholische Lehre verworfen und gesagt, sie mache den Menschen zum Heuchler und nur noch mehr zum Sünder. Nein, hat das Konzil von Trient gesagt, die unvollkommene Reue ist eine übernatürliche Gabe. Sie ist ein Geschenk Gottes und ein Antrieb des Heiligen Geistes, sie ist gut und berechtigt. Wie menschlich hat das Konzil von Trient gesprochen gegen die Abstrusitäten des sogenannten Reformators! Die Furcht, die mit der unvollkommenen Reue verbunden ist, muß freilich die rechte Furcht sein. Wir unterscheiden verschiedene Arten der Furcht. Es gibt einmal die kindliche Furcht; das ist diejenige, die der Gerechtfertigte, der in der heiligmachenden Gnade Stehende hat, nämlich die heilige Scheu, den Vater im Himmel zu kränken, zu betrüben. Sie ist eine Gabe des Heiligen Geistes. Sie ist hier nicht gemeint. Es ist auch nicht gemeint die knechtische Furcht. Das ist jene Furcht, die sich willensmäßig gar nicht von der Sünde abwendet, sondern die Sünde weiter liebt, aber die Sünde deswegen nicht tut, weil man die Strafe verdient. Diese Furcht ist nichts wert, die knechtische Furcht. Die Furcht, die bei der unvollkommenen Reue erforderlich ist, ist die knechtliche Furcht, wie wir sie mit einem deutschen Ausdruck wiedergeben, jene Furcht, die sich von der Sünde abwendet und wirklich mit der Sünde bricht, aber eben aus Furcht vor der Strafe, vor dem Verlust Gottes, der durch die Sünde bewirkt wird.

Wir können also mit unvollkommener Reue zur heiligen Beichte gehen. Es ist ein Lehrsatz, daß für das Bußsakrament die unvollkommene Reue genügt. Der lateinische Ausdruck heißt attritio, unvollkommene Reue, im Unterschied von der contritio, der vollkommenen Reue. Natürlich sollen wir nach der vollkommenen Reue streben. Natürlich sollen wir uns bemühen, Gott um seiner selbst willen zu lieben, aber wer es noch nicht fertigbringt, der sei beruhigt; seine Beichte ist gültig, die Lossprechung wird empfangen, wenn er wenigstens mit unvollkommener Reue zu diesem heiligen Sakrament schreitet.

Nun ist freilich mit der Reue noch ein zweites verbunden, nämlich Vorsatz und Wiedergutmachungswille. Wer die Sünde verabscheut, der muß natürlich ohne weiteres auch die Absicht haben, sie nicht mehr zu tun. Denn wie sollte er sie verabscheuen und gleichzeitig den Willen haben, sie wieder zu begehen? Also mit der Reue ist der Vorsatz notwendig verbunden. Eine Reue ohne Vorsatz ist keine wahre Reue. Ein Büßer, der zur Beichte ginge ohne Vorsatz, würde die Lossprechung ungültig empfangen. Worauf muß sich der Vorsatz richten? Er muß sich darauf richten, alle schweren Sünden zu meiden, ohne Ausnahme. Er darf keine ausnehmen. Er muß sich von allen schweren Sünden nicht nur für die Vergangenheit abwenden, sondern auch für die Zukunft. Er muß sich vornehmen, alle schweren Sünden zu meiden.

Es gibt eine Probe auf die Echtheit des Vorsatzes. Wann ist ein Vorsatz echt, meine lieben Freunde? Erstens, wenn man die Gelegenheit zur Sünde meidet, zweitens, wenn man die Mittel, die Sünde zu überwinden, anwendet. Diese beiden Kriterien bestimmen die Echtheit des Vorsatzes. Man muß die Gelegenheit zur Sünde meiden. Wenn jemand durch lange Erfahrung weiß, daß er, wenn er einmal ein Glas Alkohol genossen hat, kein Halten mehr kennt, sondern sich sinnlos betrinkt, dann muß er das eine Glas Alkohol meiden; das ist die Gelegenheit, die er meiden muß. Die Mittel, die man anwenden muß, sind verschieden je nach der Sünde. Wer weiß, daß er bei seinen Erzählungen regelmäßig zu Übertreibungen, zu Lügen kommt, der muß weniger sprechen. Das Mittel, um diese Sünde zu überwinden, liegt darin, daß er weniger redet. Der Mensch hat zwei Ohren und einen Mund. Das ist ein Zeichen dafür, daß er mehr hören als reden soll. Also die Probe auf die Echtheit des Vorsatzes sind das Meiden der Gelegenheit und das Anwenden der notwendigen Mittel.

Aber noch etwas ergibt sich aus der Reue, nämlich der Wille zur Wiedergutmachung. Die Sünde kann man nicht mehr ungeschehen machen. Ein Ereignis der Vergangenheit läßt sich nicht mehr aufheben. Es ist eine Tatsache, und es bleibt eine Tatsache. Was verändert werden kann, ist vor allem die Vergebung der Schuld, die mit dieser Tatsache verknüpft ist. Und noch etwas anderes; man kann nämlich die Auswirkungen der Sünde, die in der Vergangenheit liegt, beseitigen. Bei vielen Sünden ist es möglich, den Schaden, den die Sünde angerichtet hat, wiedergutzumachen. Wenn ich beispielsweise jemanden an der Ehre gekränkt, ihm unzulässig schwere Verfehlungen zugeschrieben habe, die er nicht begangen hat, dann muß ich jenen, denen ich diese Verleumdungen vorgetragen habe, die Wahrheit aufdecken. Die Kirche hat die Pflicht zur Wiedergutmachung in früheren Zeiten, in besseren Zeiten, als sie heute sind, sehr ernst genommen. Wenn z.B. ein theologischer Schriftsteller ein kirchenfeindliches, ein zersetzendes Buch geschrieben hatte, dann wurde er nicht eher losgesprochen, als bis er den Entschluß gefaßt hatte, die Bücher soweit wie möglich zurückzukaufen. Er konnte also beträchtliche Summen hinlegen, um diesen schädlichen Lesestoff wieder in seine Hand zu bekommen. Oder um ein anderes Beispiel zu erwähnen: Im 18. Jahrhundert regierte in Frankreich König Ludwig XV., der Vielgeliebte, wie er hieß. Er war ein Mann, der Dutzende oder vielleicht gar Hunderte von Frauen verbraucht hat. Als er zum Sterben kam, hat ihm der Beichtvater ein Schuldbekenntnis vor ganz Frankreich (seine Taten waren bekannt) abverlangt. Und das hat der König getan. Er hat ein Schreiben verfaßt, das von den Kanzeln aller französischen Kirchen verlesen wurde, in dem er seine Schuld bekannte, sein Bedauern aussprach und die Gläubigen um Verzeihung bat für das, was er auch ihnen durch sein schuldhaftes Leben angetan hatte. So ernst hat man in früheren Zeiten die Reue und die aus der Reue fließende Pflicht zur Wiedergutmachung genommen.

Wir alle sollten jeden Tag Reue erwecken. Der Abend ist der geeignete Zeitpunkt, zu dem wir ein Reuegebet sprechen sollten. Als Kinder haben wir ein schönes Gebet gelernt. Es lautet: „O mein Gott und Herr, alle Sünden meines ganzen Lebens sind mir leid von Grund meines Herzens, weil ich dadurch verdient habe, von dir, meinem gerechten Richter, zeitlich oder ewig gestraft zu werden, weil ich dir, meinem größten Wohltäter, so undankbar gewesen bin, besonders aber weil ich dich, den unendlich guten Gott, dadurch beleidigt habe. Ich nehme mir ernstlich vor, mein Leben zu bessern und nicht mehr zu sündigen. O Jesus, gib mir deine Gnade dazu!“

Ja, das ist ein ergreifendes Gebet. Hier ist einmal der Abscheu vor der Sünde, der Schmerz der Seele über die Sünde ausgedrückt. Alle Sünden meines ganzen Lebens – ohne Ausnahme! – sind mir leid von Grund meines Herzens, also aus innerlicher Reue. Und danach kommen die Motive für die Reue. Zunächst die unvollkommene Reue: Weil ich dadurch verdient habe, von dir, meinem gerechten Richter, zeitlich oder ewig gestraft zu werden – immerhin ein Motiv, das sich auf Gott richtet. Dann aber die vollkommene Reue: Weil ich dir, meinem größten Wohltäter, so undankbar gewesen bin. Und schließlich die höchste Stufe der vollkommenen Reue: Weil ich dadurch dich, den unendlich guten Gott, beleidigt habe.

Und weil der reuige Mensch weiß, daß er in der Zukunft die Sünde meiden muß, fügt er hinzu: Ich nehme mir ernstlich vor, mein Leben zu bessern und nicht mehr zu sündigen. Und weil das nur möglich ist in der Gnade Gottes, so fleht er zum Schluß: „O Jesus, gib mir deine Gnade dazu!“

Amen.

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