Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Jesus Christus (Teil 6)

6. Februar 1994

Jesu Tod als Sieg über Sünde, Tod und Teufel

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn wir in einem Wort zusammenfassen wollen, was Jesus Christus für uns ist, dann können wir sagen: Er ist der Mittler. Er steht in der Mitte zwischen Gott und den Menschen. Er bringt die Gnade Gottes zu den Menschen und trägt die Schuld der Menschen hinweg. Deswegen ist er unser Priester, unser Hoherpriester, wie wir an den vergangenen Sonntagen gesehen haben. Aber das Priestertum erschöpft nicht sein Mittlertum. Es ist von einer derartigen Fülle, daß wir es auch in anderer Weise beschreiben müssen.

Das soll heute geschehen, wenn wir das Mittlertum Christi schildern als den Sieg über Sünde, Tod und Teufel, positiv ausgedrückt als die Aufrichtung der Gottesherrschaft. Denn wenn Gottes Herrschaft aufgerichtet wird, dann müssen Sünde, Tod und Teufel eine unwiderrufliche Niederlage hinnehmen.

Christus ist gekommen, um die Königsherrschaft Gottes aufzurichten. Das war die Erwartung aller Generationen des Alten Bundes. Das war die Ankündigung Johannes des Täufers, der vom Gericht und vom Vollstrecker des Gerichtes sprach. In den Juden zur Zeit Jesu lebte die Erwartung des Reiches Gottes, wenn auch teilweise oder überwiegend in einer pervertierten Form. Die Juden wußten, daß eine Zeit kommen würde, in der Gott Herr sein wird in einer unübersehbaren Weise. Sie dachten sich das Reich Gottes als die Erfüllung des Willens Gottes, gleichzeitig aber auch als Befreiung von dem römischen Joch. Ihre Hoffnung auf das Reich Gottes war also gemischt. Sie war teilweise auf die Befreiung von der Sünde gerichtet, teilweise auf die Rettung von der fremden Besatzung.

Die Besten unter der Bevölkerung, die Stillen im Lande, die besonders Religiösen erwarteten ein transzendentes und universales Königtum Gottes. Transzendent, d.h. ein jenseitiges, nicht ein diesseitiges; universal, d.h. ein auf alle Völker gerichtetes, nicht nur ein national verengtes Königtum. Freilich in der breiten Masse und auch bei den Führern des Volkes war vorherrschend die Erwartung, daß das politische Königtum aufgerichtet werde, daß die Davidsherrschaft erneuert werde, daß der römische Okkupant aus dem Lande getrieben werde. Und jetzt kam Jesus, um das Reich Gottes aufzurichten. Er kam, um es aufzurichten in seiner wahren Gestalt, nämlich als geistliche Wirklichkeit, aber diese Gestalt war den herrschenden Kreisen in Israel nicht willkommen. Sie meinten, daß er seinem Volke das Beste nähme, wenn er das politische Königtum beiseitesetzte. Jesus war der Bringer des Königtums Gottes in seiner eigenen Person. Er war nicht nur der Künder, nicht nur der Herold des Königtums, er hat es nicht nur ausgerufen, sondern er hat es herbeigeführt. Denn er ist der messianische Menschensohn, den der Prophet Daniel angekündigt hatte. Ihm ist Herrschaft und Herrlichkeit, Macht und Gewalt eigen. Er ist auch der Davidssohn, denn der Messias Gottes mußte ein Nachkomme Davids sein. Er ist ein König. Als er Befehl gibt, das messianische Reittier zu beschaffen vor dem Einzug in Jerusalem, da sagen die Abgesandten: „Der Kyrios, der Herr, bedarf seiner.“ Wie ein König verfügt er über das Eigentum seiner Untertanen. Und vor Pilatus, dem Vertreter der Besatzungsmacht, bekennt er sein Königtum offen: „Ja, ich bin ein König!“ Auch die Jünger haben an seinem Königtum festgehalten. Freilich mußten sie sich langsam und mühsam durcharbeiten durch die national-politische Erwartung, wie sie die Masse des Volkes hegte. Sie hofften auf die ersten Plätze im Reiche dieses Königs, und Jesus hatte die größte Mühe, sie zu der transzendenten und universalen Auffassung seines Königtums zu bekehren. Denn das Königtum, das Jesus bringt, ist ein Reich der Wahrheit und der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens. Es hat mit keinem irdischen Königtum etwas zu tun, es tritt nicht in Konkurrenz zu einem irdischen Königtum. Herodes braucht sich nicht zu fürchten, denn sein Königtum ist nicht in Gefahr durch das Königtum Jesu. Er richtet das Reich Gottes, das Reich der Wahrheit, das Reich der Liebe, die Herrschaft der Gerechtigkeit, die Nerrschaft des Friedens auf.

Dieses Königtum ist entgegengesetzt der Sünde. Denn die Sünde ist all dem, was Christus bringt, feindlich, der Liebe und der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Wahrheit. Die Sünde hat den Tod im Gefolge, und für beides ist verantwortlich der Teufel. Er ist der Vater von Sünde und Tod. Und wenn Christus jetzt das Königtum der Wahrheit und der Liebe aufrichtet, muß er unweigerlich zusammenstoßen mit dem Herrscher über Sünde und Tod. So war sein ganzes Leben ein Kampf gegen diesen Weltherrscher, gegen diesen Gewaltherrscher, gegen den, der die Sünde und den Tod in die Welt gebracht hat und kraft ihrer über die Menschen herrscht.

In seinem ganzen Leben hat Christus diesen Kampf geführt. An die Stelle des Todes setzt er das Leben, an die Stelle der Lüge die Wahrheit, an die Stelle des Hasses die Liebe, an die Stelle der Sünde die Heiligkeit, an die Stelle des Teufels Gott. Er hat die Sünde ernstgenommen. Er macht es nicht so, wie heutige Theologen, die die Sünde verharmlosen. Er hat die Sünde ernstgenommen, und er hat den Sünder ernstgenommen; er hat gezeigt, daß der Sünder ein Aufständischer ist, ein Empörer gegen Gott und damit ein Todverfallener. Aber er hat die Sünde überwunden auf zweifache Weise. Er hat einmal einzelnen Menschen die Sünden vergeben. Er hat die Sünden so vernichtet, daß sie nicht mehr da sind. Selbstverständlich hat er die geschichtliche Tatsächlichkeit der Sünden nicht ungeschehen gemacht, aber er hat ihre Schuldhaftigkeit aufgehoben. Die Schuld der Sünde ist in den Abgrund des Erbarmens Gottes geworfen und damit zerstört. Er hat weiter Gemeinschaft mit den Sündern aufgenommen. Das war nicht nur ein harmloses Speisen und ein gemütliches Schmausen, nein, nein, wenn Christus Gemeinschaft mit den Sündern aufnimmt, wenn er mit den Zöllnern und Sündern zu Tische liegt, dann zieht er sie in seine Gemeinschaft hinein, und wer in der Gemeinschaft mit ihm ist, der ist in der Gemeinschaft mit Gott. Wenn also Jesus Gemeinschaft mit den Sündern hält, dann führt er sie zu Gott.

Christus hat sodann die Todesherrschaft vernichtet. Er hat in einzelnen Fällen Tote lebendig gemacht. Er hat sie ins Leben zurückgerufen, und das konnte er, weil er der von innen heraus Lebendige war, weil er keinen Anteil an der Todesherrschaft hatte. Er hat die Dämonen, die Teufel, ausgetrieben. Die Teufel ahnen es, daß ihr Ende gekommen ist, deswegen schreien und toben sie, wenn er in ihre Nähe kommt. „Wir wissen, wer du bist. Du bist der Heilige Gottes. Quäle uns nicht!“ so schreien sie. Sie sind stark, aber sie müssen vor dem Stärkeren weichen. Wenn der Stärkere kommt, dann muß der Starke seine Niederlage einräumen. In den Totenerweckungen und in den Teufelsaustreibungen blitzt die neue Zeit, die Zeit des Königtums Gottes, auf. Die Totenerweckungen und die Teufelsaustreibungen sind nicht etwa nur eine Bezeugung der göttlichen Macht Jesu, sondern sie sind auch das Wetterleuchten des neuen Aeon, der gekennzeichnet ist durch die Königsherrschaft Gottes und das Heil der Menschen.

Auch in den Krankenheilungen zeigt Christus, daß die Königsherrschaft Gottes angekommen ist; denn die Krankheit geht letztlich zurück auf den Teufel. Daß der Mensch verwundbar, verletzbar ist durch die Krankheit, das hängt mit der Sünde zusammen, und die Sünde, jede Sünde, hat irgendwie einen Bezug zum Satan. Was Christus in den Sündenvergebungen, in den Totenerweckungen, in den Teufelsaustreibungen, in den Krankenheilungen getan hat, das geschah an einzelnen. Es war der Anfang, der Einbruch der Gottesherrschaft, aber ihre Vollendung für alle empfing sie am Kreuz. Da hat Christus das Wort wahr gemacht, der Menschensohn müsse erhöht werden, um alle an sich zu ziehen.

Christus hat die Teufels- und Todes- und Sündenherrschaft nicht durch Gewalt zerschmettert, sondern er hat sie durch Liebe und Gehorsam überwunden. Wie hat er das gemacht? Indem er das menschliche, todverfallene Schicksal auf sich nahm, indem er hinabstieg bis auf den Grund dieses Schicksals, es auf sich nahm und aufarbeitete. Er hat das menschliche Geschick durchgetragen bis zum letzten Blutstropfen. Und dadurch hat er den entmächtigt, der das Verhängnis über den Menschen heraufbeschworen hatte, den Teufel.

Wir können das Heilswerk Jesu in zweifacher Hinsicht betrachten, nämlich einmal, indem er Gott Herr sein ließ, und zum anderen, indem er das Gerechtigkeitsgesetz Gottes erfüllte.

Christus ließ Gott Herr sein, indem er sich binden ließ am Kreuze. Er hat die Bestimmung Gottes, die über seinem Leben stand, in seinen Willen aufgenommen. Gott hat über dieses Leben verfügt wie über kein anderes. Alle Schritte waren von Gott geplant und vorausgeschaut, und Christus hat sich ihnen uneingeschränkt und vorbehaltlos unterworfen. Er hat Gott Herr sein lassen, indem er Gottes Willen über seinem Leben erfüllte. Er hat Gottes Herrschaft aufgerichtet, weil Gott über dieses Leben bis zur äußersten Aufnahmefähigkeit des Geschöpfes verfügte und weil Christus bis zu seiner äußersten Möglichkeit Gott Herr sein ließ. Gleichzeitig hat er die Gerechtigkeit, das Gerechtigskeitsgesetz Gottes, erfüllt. Die Sünde fordert Strafe. So war das Gesetz Gottes. Es gibt ein Gesetz der Vergeltung. Es gibt ein Gesetz der Gerechtigkeit, und wenn heute noch soviel davon geschwiegen wird: Es bleibt dieses Gesetz der Gerechtigkeit bestehen. Die Sünde verdient Strafe. Dieses Gesetz der Gerechtigkeit hat Gott auch an seinem Sohne sich auswirken lassen. Auch er mußte das Gesetz der Gerechtigkeit erfüllen. Und die Gerechtigkeit forderte es, daß der Sünder den Straftod stirbt. Nun war Christus sündenlos. Er starb den Straftod, aber nicht für sich, sondern für die gesamte Menschheit, die gleichsam in ihm gesammelt war. Indem er an sich die Verfügung der göttlichen Gerechtigkeit sich auswirken ließ, hat er die Sünde und den Tod überwunden. In seinem Tode ist deswegen die Königsherrschaft Gottes aufgerichtet worden. Um das Kreuz hallt Siegesjubel. Der Gekreuzigte zieht als Triumphator in die himmlische Herrlichkeit ein. Die Gewaltherrscher der alten Zeit müssen gleichsam wie in einem Triumphzug, zum Gespött der erlösten Menschheit, mitziehen und Gott verherrlichen. Und Christus hat eine Verwandlung erlebt, nämlich eine Umgestaltung vom vergänglichen zum unvergänglichen Leben. In dieser Umformung zeigt sich der Erfolg seines Gehorsams und seiner Bereitschaft, sich unter Gottes Verfügung zu beugen. Diese Verwandlung hat er als Erstgeborener erlebt. Das besagt: Er ist nur der Erstling einer großen Ernte. Alle, die zu ihm gehören und nach ihm kommen, dürfen gewiß sein, daß diese Verwandlung auch an ihnen geschehen wird. Die Kräfte, die ihn verwandelt haben, sind jetzt gegenwärtig. Es sind der Welt gewissermaßen Auferstehungskräfte eingepflanzt, und sie ergreifen jeden, der sich in Glauben und Vertrauen Christus zuwendet.

Jetzt begreifen wir, meine lieben Christen, was es um den Sieg Jesu über Sünde, Tod und Teufel ist. Ich kenne eine Christkönigskirche. In dieser Christkönigskirche war seit der Erbauung auf dem Altare ein Kreuz zu sehen. Und eines Tages kam ein neuer Pfarrer in diese Pfarrei und meinte, das Kreuz sei für eine Christkönigskirche nicht recht angemessen. Er ersetzte das Kreuz durch eine Auferstehungsfigur. Statt des Kreuzes stand jetzt über dem Hochaltar der Heiland mit erhobenen Händen, in hellem Gewande, leuchtend, wie wir uns den Auferstandenen vorstellen. Ich weiß nicht, ob dieser Pfarrer richtig gehandelt hat; denn der Gekreuzigte ist schon der König, der Sieger. Gewiß wird sein Sieg durch die Auferstehung offenkundig gemacht, aber bereits um das Kreuz rauscht Siegesjubel. Das Kreuz ist ein Zeichen nicht der Niederlage, sondern des Triumphes. Der Weg durch das Kreuz führt zur Auferstehung. Der Auferstandene ist gewiß der Gekreuzigte, aber auch der Gekreuzigte ist der, dem der Vater verheißen hat, die Auferstehung zu erleben.

Deswegen können wir auch schon zum Gekreuzigten sagen: „Du Sieger, du König, sieh unsere Not!“

Amen.

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