Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Von den Letzten Dingen (Teil 2)

6. November 1988

Das Gericht nach dem Tode

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben uns vorgenommen, die Letzten Dinge des Menschen zu betrachten. Die Letzten Dinge sind vier: Tod, Gericht, Himmel und Hölle. Die beiden letzten Predigten hatten wir dem Tod gewidmet. „Die Zeit geht hin, der Tod kommt her, ach, wer doch immer fertig wär',“ habe ich einmal auf einem Friedhofsportal gelesen. Der Tod ist das Ende des irdischen Lebens, aber er ist nicht das Ende des Lebens überhaupt. Wir haben gesehen, daß Vernunft und Offenbarung die Existenz eines geistigen Prinzips bezeugen, das wir Seele nennen, und dieses Prinzip überdauert den Zerfall des Leibes.

Warum gibt es nach dem Tod ein Gericht? Vielleicht hat jemand von Ihnen, meine lieben Freunde, schon einmal einer Gerichtsverhandlung beigewohnt, wo es um eine schwere Straftat ging. Wenn sich das Gericht zurückgezogen hat zur Beratung des Urteils und dann aus dem Beratungszimmer tritt, um das Urteil zu verkünden, da wird es still im Gerichtssaal, denn jeder weiß: Jetzt fällt die Entscheidung. Jetzt geht es um ein Menschenschicksal. Ähnlich ist es auch in einem Sterbezimmer. Auch da wird es still, nicht nur wegen der Majestät des Todes, sondern auch, weil jetzt sich das Geschick, das ewige Geschick dieser Seele ereignet. In diesem Augenblick, in dem die Seele den Körper verläßt, wird das Urteil über sie gesprochen. Wie wird das sein? Wie wird es zugehen in diesem Moment, der uns alle erwartet?

Es läßt sich das, was da geschieht, in drei Formeln zusammenfassen: Es wird das sein ein Blitz aus Gottes Wissen, ein Strahl aus Gottes Wesen, ein Blick aus Gottes Augen, hinein in die Seele des Menschen.

Ein Blitz aus Gottes Wissen. Die Seele sieht sich durchleuchtet von der Allwissenheit Gottes. Wir alle haben schon einmal Röntgenbilder gesehen. Auf diesen Röntgenbildern zeichnen sich die Knochen, zeichnet sich auch manchmal noch mehr ab als nur Knochen, zeichnet sich ein Tumor ab. Ähnlich-unähnlich wird es sein, wenn die Seele ein Blitz aus Gottes Wissen trifft. Dann läuft das ganze Leben in einem Nu mit Sekundenschnelle wie ein Tonfilm vor der Seele ab, die Kindheit, die Jugend, das reife Alter. In einem Nu durchschaut die Seele alles, was sie getan oder gelassen hat, die hohen und die tiefen Stunden, das Helle und das Dunkle. Untrüglich, unwiderleglich, ohne daß etwas wegbleibt, ohne daß etwas hinzugefügt wird, ohne daß etwas schöngefärbt wird – ein Blitz aus Gottes Wissen durchleuchtet die Seele so, wie sie sich noch nie gesehen hat.

In diesem Leben sind so viele falsche Urteile im Gange, gibt es so viele Ausflüchte, so viele Selbsttäuschungen. Vor wenigen Wochen war ich mit einem alten Ehepaar zusammen, er 86, sie 80, die steif und fest die Meinung vertraten: Wir sind gute Menschen. Das wird sich zeigen! Es wird sich herausstellen, ob diese Selbstgefälligkeit, ob dieses Selbstlob im Gerichte standhalten kann. Ich würde vorsichtig sein und es nicht über mich bringen, mich als einen guten Menschen zu bezeichnen. Wir möchten es werden, o gewiß, wir haben eine Sehnsucht danach, gut zu sein, aber sind wir gut? Das wird sich zeigen, wenn ein Blitz aus Gottes Wissen uns durchleuchtet.

Aber nicht nur das. Auch ein Strahl aus Gottes Wesen wird uns durchdringen, und dann werden wir gewogen nach Gottes Gewicht. Dann wird sich zeigen, was unsere Taten wirklich wert waren, die guten Werke, ob sie wirklich gut waren oder ob sie angekränkelt waren von Selbstsucht und Eigennutz. Die Menschen wägen nach ihren eigenen Maßen, und das sind nicht die Maße Gottes. Das Maß Gottes ist seine eigene Heiligkeit, und das ist sein Wesen: Heiligkeit, und nach diesem Wesen wird der Mensch gewogen. In einem Nu wiederum, mit Blitzesschnelle wird er erkennen, wieviel wert sein Leben war. Das Gute und das Böse wird auf unbestechlicher Waage gewogen werden, und es wird sich zeigen, wie die Waagschalen sich auspendeln. Ein Strahl aus Gottes Wesen wird uns durchdringen und uns unwiderleglich, ohne daß eine Einrede möglich ist, zeigen, was unser Leben, was unsere Taten, was unser Schweigen, was unser Reden wert waren.

Und schließlich ein Blick aus Gottes Augen, und die Seele weiß sich gerichtet. Der Mensch wird nicht der Überzeugung sein, daß er ungerecht beurteilt ist. Er wird vielmehr überzeugt sein, daß das Urteil gerecht ist; denn er wird sich so sehen, wie er ist, und er wird sich so wägen, wie er war, und deswegen wird er auch das Urteil Gottes akzeptieren.

Für dieses Urteil Gottes, meine lieben Freunde, gibt es nur zwei endgültige Formen. Entweder: „Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters!“ oder: „Hinweg, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer!“  Wenn der Mensch im Augenblick des Todes reif ist, vom Lichte der Gnade durchstrahlt ist, in der Liebe Gottes steht, rein ist, um Gott zu schauen, dann wird Gott ihn in sein ewiges Licht rufen. Dann wird er sagen: „Du guter und getreuer Knecht, du gute und getreue Magd, weil du über weniges getreu gewesen, will ich dich über vieles setzen. Geh ein in die Freude deines Herrn!“ Glücklich, ja selig der, der das vernehmen kann! Aber das ist nur möglich bei jemandem, der als ein Vollendeter das Leben beschließt. Das ist nur möglich bei dem, der am Ende der irdischen Laufbahn mit dem Heiland sprechen kann: „Es ist vollbracht!“ Das Werk, das du mir aufgetragen hast, die Lebensaufgabe, die du mir gestellt hast, das ist vollbracht. Und wir ahnen schon, wir ahnen, daß es bei uns nicht so sein wird, daß wir nicht werden sagen können: Ich bin jetzt licht und habe gebüßt und habe gesühnt und bin jetzt reingewaschen, um dich, meinen Gott und Herrn zu schauen. Und deswegen gibt es eben einen vorläufigen, einen vorübergehenden Zustand, den wir das Fegfeuer nennen, einen Reinigungszustand, wo die Seelen von den Schlacken, die ihnen noch anhaften. befreit werden – in einer schmerzlichen Weise, wie wir noch hören werden, aber immerhin mit der Gewißheit: Ich bin gerettet!

Anders steht es um diejenigen, die im Unfrieden mit Gott von dieser Welt geschieden sind, die in der Todsünde gestorben sind, die in der Auflehnung gegen Gott und seinen heiligen Willen bis zuletzt verharrt haben, ihnen gilt das furchtbare Wort: „Hinweg von mir, ihr Verfluchten, ich kenne euch nicht!“ Über das Geheimnis dieses Spruches werden wir noch ausführliche Überlegungen anstellen, meine lieben Freunde, aber es ist eine Tatsache, daß es nur diese beiden endgültigen Urteile Gottes gibt, entweder Rettung oder Verwerfung.

Da sehen wir, was es um das Gericht Gottes ist. „Wenn du noch auf dem Wege bist, dann versuche es, dich mit deinem Widersacher zu versöhnen,“ sagt der Herr einmal in einem Gleichnis.

Vor einiger Zeit wurde ein Mann in die Klinik eingeliefert, und man sah, daß es mit ihm zu Ende geht, aber er wollte von Gott und Religion und von Priester und Beichte nichts wissen. Eines Tages sagte der Arzt, nachdem eine Röntgenaufnahme gemacht worden war, scherzhaft zu ihm: „Wir haben bei der Röntgenaufnahme Ihre ganze schwarze Seele gesehen.“ Das ging dem Mann zu Herzen. Eine Viertelstunde später läutete er der Schwester und sagte: „Holen Sie mir einen Priester! Das kann nicht so bleiben mit meiner schwarzen Seele.“ Und so hat er noch einmal, bevor er wenige Tage später starb, gut gebeichtet, sich mit dem Heiland versöhnt und die Wegzehrung für die lange Reise genossen.

„Es ist dem Menschen bestimmt, zu sterben; daraufhin ergeht das Gericht,“ heißt es im Hebräerbrief. Jeder von uns muß sich für dieses Gericht bereiten. Es gibt ein Mittel, dem Gericht Gottes zu entgehen – dem Verwerfungsgericht, nämlich dann, wenn wir hier uns schon selber richten. Dafür gibt es das Bußgericht. Wenn wir uns nicht schonen, wird Gott uns schonen. Wenn wir uns hier klar, eindeutig, wahrhaftig im Spiegel Gottes richten, dann werden wir dem Verwerfungsgericht Gottes entgehen. Wie leicht ist es, hier sich selbst zu richten, indem wir eine gute, eine aufrichtige, eine reuevolle Beichte ablegen!

Tun wir es, meine lieben Freunde, bevor es zu spät ist!

Amen.

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