Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Der Heilsplan Gottes (Teil 1)

25. Januar 1987

Der Mensch, Geschöpf aus Leib und Seele

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Gott der Herr bildete den Leib des Menschen aus Erde und hauchte ihm den Odem des Lebens ein.“ So schildert das 1. Buch Moses die Entstehung des Menschen. Über wenige Sätze der heiligen Schrift ist so viel nachgedacht worden wie über diesen: Gott bildete den Menschen aus dem Staub der Erde und hauchte ihm den Odem des Lebens ein.

Die verschiedensten Anthropologien – also Kunden vom Menschen – hat man aus diesem einen Satz zu ermitteln versucht. Wir sind in der glücklichen Lage, daß wir in der Einrichtung Belehrung empfangen, die Gott dafür eingesetzt hat, daß der wahre Sinn seiner heiligen Botschaft erhalten bleibt. Und so lehrt uns unsere heilige Kirche mit unfehlbarer Sicherheit, daß in diesem Satz die Zweieinheit des Menschen ausgesagt ist. Der Mensch besteht aus Leib und Seele! Der menschliche Körper bedarf keines Beweises. Wir sehen seine tägliche Funktion, wir spüren seine Bedürfnisse, wir kennen seine Unzulänglichkeit. Aber es ist da etwas im menschlichen Leibe, das über das körperliche Element hinausragt. Und dieses andersgeartete Element nennen wir Seele.

Ein anderes Wort für Seele ist Geist. Seele und Geist ist dasselbe. Von Seele sprechen wir, wenn wir die Verbindung mit dem Körper betonen wollen. Von Geist sprechen wir, wenn wir die geistigen Tätigkeiten hervorheben wollen, das Denken und das Wollen. Es ist nur eine Seele im Menschen, so hat das IV. Konzil von Konstantinopel gelehrt, nicht zwei Seelen, wie manche gemeint haben. Der Dichter spricht dichterisch: „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust.“ Damit ist nicht gemeint, daß es zwei geistige Substanzen gibt, die in dem Leibe vorhanden sind, sondern daß die eine Seele sich hin- und hergerissen fühlt zwischen dem Sog zum sinnlichen Genuß und  dem Kampf gegen die irdischen Begierden. Die eine Seele wird eben von verschiedenartigen Bestrebungen ergriffen und gezogen.

Das Verhältnis von Leib und Seele muß man in vierfacher Weise beschreiben. Einmal ist der Leib der Aufenthaltsort der Seele. Die Seele lebt im Leibe – bildlich gesprochen – wie die Brille im Futteral. Die Seele bedient sich weiter des Leibes als ihres Werkzeugs. Im Leibe wirkt sie ihr Heil oder ihr Unheil. Der Leib steht der Seele zur Verfügung so wie der Hammer dem Schmied oder wie der Hobel dem Zimmermann. Ähnlich -  unähnlich, jeder Vergleich hinkt, das ist eine alte Wahrheit. Die Seele leitet den Leib, sie ist der Lenker. So wie der Steuermann das Schiff lenkt, so soll, so kann, so muß die Seele den Leib lenken. Sie darf sich von ihm nicht beherrschen lassen, sondern sie muß ihn führen.

Und schließlich viertens: Die Seele belebt den Leib. Es gibt kein Zwischenglied, das für die Belebung des Leibes etwa zuständig wäre, so wie es manche falsche Anthropologien gewollt haben, daß zwischen Seele und Leib noch ein drittes Element wäre. Nein, die Seele, die Geistseele ist die forma corporis. Sie belebt den Leib, und wenn sie den Leib verläßt, dann stirbt der Leib.

Nun hat es sehr zur Verwirrung beigetragen, daß man auch dem Tier eine Seele zuschrieb. Aber die Rede von der Tierseele ist nicht nur gefährlich, sie ist falsch. Das Tier lebt, und sein Leben ist nichts anderes als das, was manche als Tierseele bezeichnen wollen. Es ist gelenkt durch seine Instinkte, die in seinem Körper angelegt sind, aber auch sie vermögen nicht eine eigene Substanz, ein für sich stehendes Sein zu begründen. Daß das Tier wesentlich vom Menschen unterschieden ist, läßt sich in mehrfacher Hinsicht zeigen. Das Tier strebt nicht nach Vervollkommnung. Die Schwalbe baut ihr Nest heute genau so wie vor 500 Jahren. Es ist gar kein Fortschritt zu erkennen. Das Tier ist auch nicht fähig, sich Rechenschaft zu legen von seinem Tun. Das Tier hat keine moralische Anlage. Das Tier vermag nicht, nach den Ursachen zu forschen. Es kann das Tier auch nicht zur höchsten Ursache emporsteigen, nämlich zu Gott. Das Tier hat keine Frömmigkeit. Das Tier hat keine Anbetung. Und schließlich hat das Tier auch keine geistigen Bedürfnisse. Es ist ganz in die Verhältnisse seines Lebensraumes eingegrenzt, vermag sie nicht zu überschreiten, vermag keine Kultur auszubilden.

Manche Gläubige wurden in früheren Zeiten -  vielleicht auch heute noch – in Unruhe versetzt, in ihrem Glauben erschüttert durch die sogenannte Abstammungslehre, die sogenannte Deszendenztheorie. Diese Deszendenztheorie ist alles andere als neu. Sie wurde schon im Altertum vertreten, aber sie hat eben in der Neuzeit einen gewaltigen Aufschwung genommen, vor allem durch einen Mann namens Charles Darwin, einen Engländer. Dieser Charles Darwin lebte im 19. Jahrhundert. Er hat eine jahrelange Forschungsreise gemacht und brachte daraus mannigfache Sammlungen mit. In der Deutung dieser Sammlungen entwickelte er die moderne Deszendenztheorie. Nach dieser Theorie hat sich der Mensch, hat sich das Leben aus niedrigsten Lebewesen zu einer höheren Form entwickelt. Im Laufe langer, unvorstellbar langer Zeiträume hat sich eine Emporentwicklung vollzogen, die die Arten durchschreitet, die die Gattungen und die Formen überschreitet und die eben im Menschen ihren Gipfelpunkt erreicht hat. Die Faktoren dieser Entwicklung sind nach Darwin Variabilität – also die Mannigfaltigkeit in einer Art Weitergeben durch Vererbung, die eben Eigenschaften festhält – und Auslese, Auslese vor allem durch den Kampf ums Dasein.

Diese kurz geschilderte Deszendenztheorie ist nicht von Darwin, aber von einem deutschen Professor, Ernst Haeckel in Jena, benutzt worden, einen Generalangriff auf das Christentum, ja auf den Gottesglauben zu starten. Denn, so meint er, diese Lehre macht einen Schöpfer überflüssig. Es geschieht alles von selbst und ohne Zutun von außen. Ein Schöpfer ist nicht mehr erforderlich.

Was ist zu diesen Aufstellungen zu sagen, meine lieben Freunde, vor allem, wenn sie sich in die Form kleiden: Der Mensch stammt vom Affen ab? Zunächst einmal muß man darauf erwidern, daß der Glaube gegen eine Entwicklung der Formen keinen Einspruch einlegt. Solange daran festgehalten wird, daß der Herr am Anfang dieser Entwicklung steht, daß er diese Entwicklung angelegt hat und leitet, solange haben wir vom theologischen Standpunkt aus keinen Anlaß, gegen eine arten- oder gattungsüberschreitende Entwicklung Einspruch zu erheben. Die Kirchenväter haben schon eine doppelte Schöpfungslehre vertreten, nämlich die Simultanschöpfung – vor allem die alexandrinischen Theologen – und die Sukzessivschöpfung – vor allem die antiochenischen Theologen wie Chrysostomus. Nach den alexandrinischen Theologen waren alle Arten von Anfang an vorhanden. Dagegen haben sich  nach den Anhängern der Sukzessivschöpfung  die Arten nacheinander entwickelt durch ein immer neues Eingreifen und Einschreiten Gottes. Augustinus – wohl der größte Geist des christlichen Altertums – vertrat die Lehre von den Samenursachen. Er war der Meinung, daß in den Keimen das Element der Entwicklung enthalten ist, daß Gott gewissermaßen einen Teil seiner Schöpfungsmacht hineingelegt hat in diese Keime, so daß sie sich artübergreifend entwickeln konnten.

Also vom Glauben her haben wir keinen Einwand gegen eine wissenschaftlich bewiesene Abstammungslehre. Aber das ist es ja eben. Diese Abstammungslehre ist nicht wissenschaftlich bewiesen. Sie ist und bleibt eine Hypothese. Eine Hypothese ist eine Vermutung, mit der man bestimmte Erscheinungen zu erklären versucht. Man will in den aufeinanderfolgenden erdgeschichtlichen Epochen verschiedene Lebensformen nachweisen und behauptet dann: Ja, die stammen voneinander ab. Niemals, meine lieben Freunde, konnte diese Entwicklungslehre im Experiment bestätigt werden. Es ist uns nicht möglich, gattungsüberschreitende Mutationen herbeizuführen. Selbstverständlich gibt es Mutationen, d.h. Veränderungen des Erbgutes, und wir bedienen uns dieser Erscheinungen zu neuen Züchtungen. Aber eine Entwicklung von der Kellerassel bis zum Menschen, eine solche Entwicklung erscheint nicht nur utopisch, sondern phantastisch.  Sie wird durch die paläontologischen Funde nicht gedeckt. Man hat ja versucht, auch da eine Entwicklungsreihe aufzustellen, vom Pithec-anthropus über den Neandertaler bis zum Homo recens. Aber diese Entwicklung verläuft nicht so, wie man es gerne in der Theorie haben möchte, sondern es zeigen sich vielmehr Formen des Homo recens – des heutigen Menschen – in einer Zeit, die vor dem Neandertaler liegt, der eben eine fliehende Stirn und Überaugenwülste hatte.

Es ist in dieser Entwicklungslehre zu vieles unsicher. Es gibt namhafte Gelehrte, Fachgelehrte, Biologen, die eine Entwicklungslehre radikal ablehnen. Wir haben also keinen Anlaß, über diese Gelehrten hinwegzugehen und ungesicherte „Ergebnisse“, zweifelhafte „Ergebnisse“, die auf hypothetischer Grundlage beruhen, zu übernehmen. Eines ist allerdings sicher: Eine Abstammung des Menschen vom Affen ist ausgeschlossen. Warum? Das entscheidende Argument gegen die sogenannte Affenabstammung liegt darin, daß  der Affe ausspezialisiert ist und daß der Mensch hingegen viel variabler ist. Das ausspezialisierte Element stellt den Endpunkt einer Entwicklung dar, nicht eine Anfangs- oder Durchgangsform.

Zwischen Affen und Menschen bestehen himmelweite Unterschiede. Das Gehirn des Menschen ist viel, viel größer, auch das Gehirn des primitivsten Menschen ist viel, viel größer als das Gehirn des Affen. Der Mensch drückt seine Empfindungen mit dem Gesicht aus. Der Mensch besitzt eine Sprache. Er vermag Wissenschaft und Kultur zu entwickeln. Alles das ist dem Affen unmöglich.

Diese Bemerkungen, meine lieben Freunde, müssen genügen, um zu zeigen: Mit der Entwicklungslehre ist die kirchliche Lehre von der Zweiheit im Menschen, also von Leib und Seele, nicht aus den Angeln zu heben. Der Mensch ist das Ebenbild Gottes. „Lasset uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis, daß er herrsche über die Fische des Meeres, über die Tiere auf Erden und über die Vögel des Himmels.“ Er ist das Ebenbild Gottes, d.h. er ist Gott ähnlich. Er ist ihm ähnlich zuallererst nach seiner Seele; denn die Seele hat geistige Fähigkeiten, Verstand und Wíllen, und dasselbe dürfen wir aufgrund der analogia ensis auch Gott zuschreiben. Selbstverständlich sind göttlicher Verstand und göttlicher Wille unendlich verschieden von dem Verstand und dem Willen des Menschen. Sie sind ihm mehr unähnlich als ähnlich. Aber es wird die Ähnlichkeit nicht völlig ausgelöscht. Es besteht eine analogia, die uns berechtigt, zu sagen: In Gott sind – unendlich gesteigert – Verstand und Wille ähnlich – unähnlich wie im Menschen. Mit dem Verstand und mit dem Willen vermag der Mensch über die Erde zu herrschen. Er kann das Gute und das Wahre erkennen und wollen, und über dieser natürlichen Gottähnlichkeit, die aufgrund der Schöpfung besteht, gibt es eine übernatürliche Gottähnlichkeit aufgrund der Erlösung. Wenn die Gnade in den Menschen einzieht, dann verleiht sie ihm eine neue, eine gesteigerte Ähnlichkeit mit Gott, die übernatürliche Gottebenbildlichkeit. Denn durch die Gnade wird der Mensch teilhaftig göttlicher Natur. Es wird sein Geist erhellt und erleuchtet, sein Wille gestärkt und gefestigt. Die übernatürliche Gottähnlichkeit macht ihn wahrhaft zum Herrscher, nämlich zum Herrscher über die Triebe und über die Leidenschaften.

So gibt es also eine doppelte Gottebenbildlichkeit der menschlichen Seele, und auch der Körper ist nicht ganz von dieser Gottähnlichkeit entblößt. Gott hat keinen Leib, er ist ein Geist, aber die Gottebenbildlichkeit der menschlichen Seele drückt sich auch im Körper aus, vor allem in seinem aufrechten Gang, in seiner Hand. Mit dieser Hand ist der Mensch fähig, alles zu entwickeln und zu begreifen, was überhaupt nur denkbar ist. Der Affe hat eine Kletter-Greifhand. Diese Hand ist spezialisiert. Dagegen ist die Hand des Menschen geeignet, alle Werkzeuge aus sich heraus zu entwickeln, eine Säge, einen Bohrer, einen Hammer. Das sind ja nur Nachahmungen dessen, was die menschliche Hand tun kann.

So können wir also, meine lieben Freunde, über die biblische Anthropologie froh und glücklich sein. Wir wissen: Der Mensch ist tatsächlich der Herr der Erde. Gott hat ihn dazu gemacht kraft seines Körpers und kraft seiner Seele.

„Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst, des Menschen Sohn, daß du dich seiner erinnerst? Nur wenig unter die Engel hast du ihn gestellt, über die ganze Erde hast du ihn gesetzt. Herr, unser Gott, wie groß ist dein Name auf der ganzen Erde!“

Amen.

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