Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Pre­digtreihe: Die Gebote Got­tes (Teil 1)

22. Juni 1986

Die Pflicht, Gott anzu­be­ten

Im Namen des Vaters und des Soh­nes und des Hei­li­gen Geis­tes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Die Men­schen, die in die Kir­che gehen, sind auch nicht bes­ser. Haupt­sa­che ist, man ist ein anstän­di­ger Mensch.“ So kann man oft im Gespräch mit Men­schen hören. Der Besuch des Got­tes­diens­tes, der sonn­täg­li­che Besuch des Got­tes­diens­tes ist in eine Krise gera­ten. Wir alle wis­sen, daß die Zah­len der Sta­tis­tik stän­dig wei­ter nach unten gehen, und das nicht nur in Groß­städ­ten, son­dern ebenso auch auf dem Lande. Etwa im Gebiet des Wes­ter­wal­des, das ein­mal eine sehr stark katho­li­sche Gegend war, sind die Got­tes­dienst­be­su­cher­zah­len in den letz­ten zwan­zig  Jah­ren um ein Mehr­fa­ches gesun­ken. Man braucht nicht in die Kir­che zu gehen, so sagt man, Haupt­sa­che, daß man ein anstän­di­ger Mensch ist.

Das haben sich die Men­schen aus­ge­dacht, um sich von die­ser Pflicht zu befreien. Denn zur Anstän­dig­keit des Men­schen gehört eben, daß man Gott anbe­tet. Das ist ja das erste und größte Gebot, daß man Gott anbe­tet, ihm den Dienst der Anbe­tung erweist. So steht es doch auf der ers­ten Tafel des Zehn-Gebote-Geset­zes: „Du sollst keine frem­den Göt­ter neben mir haben!“ Das heißt: Du sollst mich als den einen wah­ren Gott ver­eh­ren und anbe­ten!

Warum soll der Mensch Gott anbe­ten? Weil er nur, wenn er anbe­tet, seins­ge­mäß han­delt. Weil er ver­pflich­tet ist, seine Geschöpf­lich­keit gegen­über dem Schöp­fer anzu­er­ken­nen. Weil Gott unend­lich erha­ben und der Mensch von ihm gänz­lich abhän­gig ist. Anbe­tung ist Aner­ken­nung der Ober­herr­schaft Got­tes und der Abhän­gig­keit des Men­schen. Der Mensch muß anbe­ten, weil er sonst gegen seine Natur ver­stößt. Seine Natur ist eben von Gott total abhän­gig im Sein. Gott ist eben über alle mensch­li­chen Wesen unend­lich erha­ben. Seine Erha­ben­heit zeigt sich in den Eigen­schaf­ten Got­tes, etwa der Ewig­keit. Vor Gott sind tau­send Jahre wie ein Tag, und es ist ein Tag wie tau­send Jahre. Seine All­macht: Die Him­mel erzäh­len des Ewi­gen Herr­lich­keit, und das Fir­ma­ment ver­kün­det das Werk sei­ner Hände. Seine unend­li­che Voll­kom­men­heit! Diese Eigen­schaf­ten begrün­den Got­tes Erha­ben­heit.

Die Abhän­gig­keit des Men­schen zeigt sich darin, daß er von Gott geschaf­fen ist. Selbst­ver­ständ­lich muß man den Begriff der Schöp­fung rich­tig fas­sen. Es hat zunächst den Anschein, als ob das Ent­ste­hen eines Men­schen nur vom Wil­len des Man­nes und vom Wol­len des Flei­sches abhängt, wie es im Pro­log des Johan­nes­evan­ge­li­ums heißt. Aber die Wahr­heit die­ses Evan­ge­li­ums sagt uns, daß keine Zwei­tur­sa­che wir­ken könnte, wenn nicht die Erstur­sa­che – und das ist Gott – sie trüge. Die Zwei­tur­sa­chen wir­ken über­haupt nur in der Kraft der Erst-ursa­che. Wenn Gott seine Mit­wir­kung ent­zöge, wür­den die Men­schen, würde die Welt, würde die Erde in das Nichts zurücks­in­ken. Er hat alles am Anfang geschaf­fen aus nichts, d.h. er hat kein Mate­rial benutzt, er hat keine Werk­zeuge benutzt, son­dern aus sei­ner All­macht hat er das, was geschöpf­lich ist, her­vor­ge­bracht.

Das ist die unend­li­che Erha­ben­heit Got­tes und die ebenso große Abhän­gig­keit des Men­schen. Diese Erha­ben­heit und diese Abhän­gig­keit muß der Mensch aner­ken­nen. Gebet ist Anbe­tung, und Anbe­tung ist Aner­ken­nung der unend­li­chen Erha­ben­heit Got­tes und der tota­len Abhän­gig­keit des Men­schen.

Die Abhän­gigt­keit wird zunächst aus­ge­drückt im inne­ren Han­deln, in Glaube, Hoff­nung, Liebe. Wenn wir an Gott glau­ben, dann ver­eh­ren wir ihn, dann beten wir ihn an, näm­lich als den unend­lich wahr­haf­ti­gen Gott, dem wir die Wahr­heit abneh­men. Wenn wir auf Gott hof­fen, beten wir ihn an, näm­lich als den Gott, von dem wir alles erwar­ten. Wenn wir ihn lie­ben, beten wir ihn an, indem wir näm­lich zu Gott stre­ben und ihm die­nen, der ja unser Ziel und unser Herr ist. Also wir erken­nen: Die drei gött­li­chen Tugen­den, das Gebet aus den drei gött­li­chen Tugen­den sind die grund­le­gen­den For­men der Anbe­tung. An Gott glau­ben, auf ihn hof­fen, ihn lie­ben, das ist Anbe­tung.

Diese Anbe­tung tut sich kund in Hand­lun­gen, in Wor­ten und in Zei­chen. Die wich­tigste Hand­lung der Anbe­tung ist das Opfer. Opfer ist die Hin­gabe, die Zer­stö­rung einer sicht­ba­ren Gabe, um Gott als den höchs­ten Herrn zu ehren. Opfer bringt der Mensch seit uner­denk­li­chen Zei­ten Gott dar, und er tut recht damit. Es ist seins­ge­recht, die Abhän­gig­keit von Gott durch Opfer zu bekom­men, denn im Opfer will der Mensch Ver­zicht tun auf etwas Wert­vol­les, um damit Gott zu ehren.

Als Sokra­tes, der weise Phi­lo­soph des Alter­tums, ster­ben mußte, er mußte ja den Gift­be­cher trin­ken, den Schier­lings­be­cher, da befahl er, vor sei­nem Tode noch dem Askle­pios, also einem Gott, einen Hahn zu opfern. Sokra­tes war ein from­mer Mann, selbst­ver­ständ­lich in den unvoll­kom­me­nen For­men des Hei­den­tums. Aber er hat begrif­fen, daß der Mensch die Ober­herr­lich­keit Got­tes aner­ken­nen muß durch Opfer. Auch wir haben ein Opfer, indem wir Gott das Wert­vollste dar­brin­gen, was es über­haupt gibt, näm­lich sei­nen eige­nen Sohn, der sich am Kreuze zum Heil für die Men­schen als Ver­söh­nungs­op­fer dar­ge­bracht hat. Da sieht man, daß das Chris­ten­tum eine voll­kom­mene, ja die voll­kom­menste, die ein­zige abso­lute Reli­gion ist. Andere Reli­gio­nen haben kein Opfer und das zeigt, daß sie unvoll­kom­mene Reli­gio­nen sind.

Eine andere Weise, Gott anzu­be­ten, ist der Emp­fang der Sakra­mente. Die Sakra­mente sind rich­tig als Gna­den­mit­tel bezeich­net wor­den, also als Werk­zeuge, durch die Gott uns seine hel­fende und hei­lig­ma­chende Gnade schenkt. Wenn wir die Sakra­mente emp­fan­gen, beken­nen wir damit unsere Ange­wie­sen­heit auf Gott, geben wir zu, daß wir sie brau­chen, diese Gnade, wenn wir in das Leben ein­tre­ten in der Taufe oder wenn wir uns zu  stär­ken bemüht sind für die Kämpfe des Lebens in der Fir­mung, oder wenn wir eine Ehe ein­ge­hen, um eben die­sen Ehe­bund in der Kraft der Gnade bewäl­ti­gen zu kön­nen. Sakra­men­ten­emp­fang ist darum auch Anbe­tung, ist Anbe­tung der Majes­tät Got­tes und ist gleich­zei­tig Bekennt­nis der Ange­wie­sen­heit des Men­schen auf Got­tes Gnade.

Gebete, die ja das Opfer und den Sakra­men­ten­emp­fang beglei­ten, sind in Worte for­mu­lierte Wei­sen der Anbe­tung. Das voll­kom­mene Gebet hat uns der Herr selbst gege­ben, näm­lich das Vate­run­ser. Es gibt eine bestimmte Ord­nung des Gebe­tes, und diese ist genau umge­kehrt der Weise, wie man­che Men­schen sie üben; denn die große Ord­nung des Gebe­tes beginnt mit Lob und Dank und geht dann über zur Bitte. Also nicht zuerst oder nur bit­ten und bet­teln, son­dern zuerst dan­ken und loben; erst ein­mal die Macht Got­tes und die Herr­lich­keit Got­tes prei­sen, dann kann man im Ver­trauen auf seine Güte in gro­ßen und klei­nen Anlie­gen seine Bit­ten ihm vor­tra­gen.

Die Anbe­tung wird auch durch äußere Hand­lun­gen kund­ge­tan. Wir knien nie­der. Nie­der­knien, die Knie­beuge machen bedeu­tet sich klein­ma­chen vor Gott, also zuge­ben, daß wir ohn­mäch­tig sind vor Gott. Knie­beu­gen sind Zei­chen er Anbe­tung. Wir fal­ten die Hände. Die Hände fal­ten bedeu­tet gleich­sam gefes­selt sein durch Gott, gefes­selt durch seine Majes­tät, die uns Gebote und Gesetze gege­ben hat. Dem Moses hat Gott befoh­len, die Schuhe aus­zu­zie­hen. Daran hal­ten sich noch heute die Moham­me­da­ner, wenn sie ihre Gebets­häu­ser betre­ten; sie zie­hen die Schuhe aus und gehen dann erst zum Gebet. Diese Ges­ten sind wich­tig. Sie sind ein legi­ti­mer Aus­druck der inne­ren Gesin­nung und wir­ken auf diese zurück.

Und da sind wir gleich bei einem wich­ti­gen Punkte, näm­lich: Warum muß denn das innere Gebet durch äußere Hand­lun­gen kund­ge­tan wer­den? Warum genügt es nicht, im Käm­mer­lein sei­nen Blick zu Gott zu rich­ten? Warum muß man zusam­men­kom­men in Gemein­schaft und dort gemein­sam Gott ver­eh­ren? Der Grund liegt in der mensch­li­chen Natur. Die mensch­li­che Natur ist nicht bloß geis­tig, son­dern auch kör­per­lich; und die mensch­li­che Natur exis­tiert nicht bloß als Indi­vi­duum, son­dern ist auf Gemein­schaft ange­legt. Also wegen der Kör­per­haf­tig­keit und wegen der Sozia­li­tät, der Gemein­schafts­bin­dung des Men­schen müs­sen wir gemein­sam Gott ver­eh­ren und müs­sen wir mit äuße­ren Akten Gott ver­eh­ren. Wir machen uns dadurch unse­rer inne­ren Gesin­nung gewiß, indem wir, was im Inne­ren geschieht, nach außen kund­tun. Außer­dem wird durch die äußere Kund­gabe das Innere gestärkt und gefes­tigt. Die mensch­li­che Natur  als Kör­per-Geist-Wesen und die mensch­li­che Natur als Indi­vi­duum, aber auch als Sozi­al­we­sen for­dert die äußere und gemein­same Kund­gabe der Anbe­tung.

Das Äußere muß frei­lich dem Inne­ren ent­spre­chen. Bevor wir äußer­lich etwas tun, müs­sen wir die innere Gesin­nung in uns tra­gen. Wir dür­fen keine Heuch­ler sein. Heuch­ler sind jene, die nach außen etwas vor­ge­ben, was sie im Inne­ren gar nicht tra­gen. Heu­che­lei ist eine der schlimms­ten Ver­feh­lun­gen, die im Raume des Got­tes­diens­tes und der Reli­gion began­gen wer­den kön­nen. Noch immer spielt man mit gro­ßem Erfolg auf den Thea­ter­büh­nen das fran­zö­si­sche Stück Tartuffe. Tartuffe ist ein Heuch­ler, der nach außen Fas­sa­den errich­tet, daß er ein guter, ein from­mer, ein tugend­haf­ter Mensch sei. In Wahr­heit ist er ein reli­giö­ses und mora­li­sches Scheu­sal. In Frank­reich ist das Wort Tartuffe sogar eine Bezeich­nung für einen Heuch­ler. Du bist ein Tartuffe, das heißt: Du bist ein Heuch­ler.

So soll es nicht bei uns sein, meine lie­ben Freunde. Wir wol­len nicht schein­hei­lig sein, d.h. den Schein der Fröm­mig­keit an uns tra­gen, ohne ihr Sein zu besit­zen. Wir wol­len das, was wir nach außen bekun­den, im Inne­ren beja­hen. Man kann einen Schein­hei­li­gen leicht erken­nen, näm­lich wenn einer auf­fal­lend fromm tut und dar­über die Nächs­ten­liebe ver­gißt. Das ist ein Schein­hei­li­ger. Dafür haben wir Worte des Hei­lan­des: „Wie kann einer Gott, den er nicht sieht, lie­ben, wenn er den Bru­der, den er sieht, haßt?“ Das ist nicht mög­lich. Die Nächs­ten­liebe ist die Frei­heit von Neid und die Bereit­schaft zum Opfer, sie sind die Pro­bier­steine wah­rer Fröm­mig­keit.

Wir sol­len Gott anbe­ten im Geist und in der Wahr­heit, und das heißt nichts ande­res als im Hei­li­gen Geist und in der geof­fen­bar­ten Got­tes­wirk­lich­keit Jesu Christi. Anbe­ten dür­fen wir Gott allein. Anbe­tung ist eben die höchste, nur dem unge­schaf­fe­nen Schöp­fer zukom­mende Form der Ver­eh­rung. Ver­eh­ren, jeman­den schät­zen und jeman­dem Hoch­ach­tung ent­ge­gen­brin­gen, kön­nen wir auch andere. Wir ver­eh­ren Men­schen wegen ihrer Leis­tung, wegen ihres Alters, wegen ihrer Tugend, und das mit Recht. Wir ver­eh­ren die Hei­li­gen, weil sie in der Kraft Got­tes heroi­sche Tugend bewie­sen haben. Wenn die Ver­eh­rung rich­tig ist, dann bezieht sie sich letzt­lich auf Gott. So ver­eh­ren wir die Hei­li­gen, weil sie Zeu­gen des Evan­ge­li­ums, weil sie Zeu­gen der Macht Got­tes, die in ihnen wirk­sam war, gewe­sen sind. Hei­li­gen­ver­eh­rung führt also nicht von Gott ab, wie manch­mal den Katho­li­ken vor­ge­wor­fen wird. Hei­li­gen­ver­eh­rung führt zu Gott hin. Die Hei­li­gen sind Weg­wei­ser zur Gott und Füh­rer zu Gott. Wer die Hei­li­gen rich­tig ver­ehrt, der wird zur Anbe­tung Got­tes geführt.

Wenn aus der Welt, meine lie­ben Freunde, die Rede an unser Ohr tönt: Man braucht nicht in die Kir­che zu gehen, Haupt­sa­che, daß man ein anstän­di­ger Mensch ist; wenn man uns sagt: Die in die Kir­che gehen, sind auch nicht bes­ser, dann müs­sen wir den Men­schen ant­wor­ten: Man muß in die Kir­che gehen, weil man Gott anbe­ten muß, und man muß Gott anbe­ten nicht nur mit dem Geist, son­dern auch mit dem Kör­per, und man muß Gott anbe­ten nicht nur als Ein­zel­ner, son­dern in Gemein­schaft, und man muß Gott anbe­ten in For­men, die er ver­ord­net hat, also in Opfer, Sakra­men­ten­emp­fang, Gebet und in den Hei­li­gen­fes­ten, wel­che die Kir­che seit Jahr­tau­sen­den den Men­schen nahe­bringt. Las­sen wir uns, meine lie­ben Freunde, nicht irre machen. Hal­ten wir uns an das Wort des Hei­lan­des: „Du sollst den Herrn, dei­nen Gott, allein anbe­ten und ihm die­nen!“

Amen.

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