Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Kirche in der Welt (Teil 12)

6. Februar 2000

Die alleinseligmachende Kirche

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten seit geraumer Zeit über das Geheimnis der Kirche nachgesonnen. Es war uns bewußt geworden, daß sie der Leib Christi ist, daß sie sein Organ und Werkzeug ist, um die ganze Erde, um alle Menschen um sich zu versammeln. Christus aber, um den alles gesammelt werden soll, ist unser Heil, ist unser Heilbringer und unser Heilsvollender. Wer zu Christus kommt, der findet zum Heil. Christus ist der einzige Heilbringer. „Es ist kein anderer Name auf der Erde den Menschen gegeben, in dem sie selig werden können.“ Wir müssen an der unbedingten Heilsnotwendigkeit Christi festhalten. Das ist ein Dogma, ein Grunddogma unserer Kirche, unseres Glaubens. Es ist kein anderer Name auf Erden den Menschen gegeben, in dem sie Heil finden können. Weder Buddha noch Mohammed, weder Karl Marx noch Friedrich Nietzsche sind Heilbringer. Einzig der Jesus von Nazareth, der menschgewordene Gottessohn, ist der Weg zum Heil. „Ich bin der Weg (der einzige Weg), die Wahrheit (die einzige Wahrheit), das Leben (das einzige Leben).“

Christus will, daß alle Menschen durch ihn zum Vater finden. Er hat im Johannesevangelium diese Wahrheit sehr deutlich ausgesprochen. „Vater, ich will, daß die, welche du mir gegeben hast, dort bei mir seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast.“

Die Einigung der Menschheit in Christus aber ist der Kirche aufgetragen. Die Kirche ist gewissermaßen der Sammelort, wo die Menschen zusammengeführt werden, die sich Jesus anschließen und durch Jesus den Weg zum Vater finden. Der Herr hat die Kirche ausdrücklich als die Stätte bezeichnet, die man angehen muß, um zu ihm zu finden. „Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet werden.“ Glaube und Taufe aber sind in der Kirche und führen zur Kirche. Die Kirche verkündet den Glauben und trägt den Glauben durch die Zeiten; die Kirche spendet die Taufe, das Heilszeichen derer, die zu Christus gehören. Die Heilsnotwendigkeit Christi überträgt sich dadurch auf die Kirche; die Kirche partizipiert an der Heilsnotwendigkeit Christi. Und deswegen ist von Anfang an gesagt worden: Wer nicht in der Arche ist (und das ist die Kirche), der geht in der Sintflut zugrunde. Schon von Anfang an hat die Kirche diese Wahrheit verkündet, daß die Menschen sich ihr anschließen müssen, wenn sie gerettet werden wollen. Das hat Ignatius von Antiochien ausgesprochen, ihm ist Irenäus gefolgt, und das Prinzip ist schon deutlich vorhanden bei Origenes in der Mitte des 3. Jahrhunderts, wenn er sagt: „Außerhalb dieses Hauses (das ist die Kirche)  kann niemand gerettet werden.“ Und um dieselbe Zeit formuliert Cyprian das Dogma: „Extra ecclesiam nulla salus“ (Außerhalb der Kirche ist kein Heil).

Dieses Grunddogma ist von der Kirche in vielen Äußerungen wiederholt worden. Ich nenne die eine oder andere. Der heilige Augustinus, also am Anfang des 5. Jahrhunderts, schreibt: „Laßt uns den Herrn, unseren Gott, lieben! Laßt uns auch seine Kirche lieben, Gott als unseren Vater, die Kirche als unsere Mutter. Was nützt es dir, wenn du den Herrn bekennst, Gott Ehre erweisest und ihn preisest, wenn du seinen Sohn anerkennst und ihn zur Rechten des Vaters sitzen lässest und dabei seine Kirche lästerst? So haltet also, meine Lieben, einmütig fest an Gott, unserem Vater und an der Kirche, unserer Mutter!“ Ein wenig später hat Papst Pelagius II. im Jahre 585 den Satz ausgesprochen: „Wer nicht in Frieden und Einheit mit der Kirche ist, kann Gott nicht finden.“ Und der gewaltige Bonifaz VIII. hat in seiner Bulle „Unam sanctam“ im Jahre 1302 den Satz formuliert: „Daß es nur eine heilige, katholische und apostolische Kirche gibt, zwingt uns der Glaube anzunehmen und festzuhalten. Und standhaft glauben wir und bekennen wir sie, außer der wir kein Heil noch Verzeihung der Sünden finden.“ Dieser Satz ist oft wiederholt worden, so in der Lehrbestimmung für die Jakobiten im Jahre 1442: „Die katholische Kirche glaubt fest, bekennt und verkündet, daß niemand außerhalb ihrer, weder Heide noch Jude noch Ungläubiger oder ein von der Einheit Getrennter, des ewigen Lebens teilhaftig wird.“ Und im vorigen Jahrhundert hat Papst Pius IX. im Jahre 1854 gelehrt: „Im Glauben müssen wir festhalten, daß außerhalb der apostolischen, römischen Kirche niemand gerettet werden kann. Sie ist die einzige Arche des Heils, und jeder, der nicht in sie eintritt, muß in der Flut untergehen.“ An dieser Heilsnotwendigkeit der Kirche ist bis heute unser Glaube festgemacht. Vor wenigen Tagen erst hat Papst Johannes Paul II. die Heilsnotwendigkeit der einen katholischen Kirche in einer Ansprache an die Glaubenskongregation hervorgehoben. Es ist ein katholisches Dogma, daß niemand außerhalb der katholischen Kirche gerettet werden kann. Man muß in Beziehung zu dieser Kirche treten, ja man muß in sie eintreten, wenn immer man sie als die einzige Arche des Heils erkennt.

Nun erhebt sich natürlich sofort die Frage: Was ist denn mit den vielen Menschen, welche niemals von Christus und der Kirche gehört haben? Was ist mit all denen, die sichtbar außerhalb der Kirche stehen? Sind sie alle verloren? Müssen wir an ihrem Heil verzweifeln? Es gibt mehrere Weisen, wie man mit der einen, heiligen Kirche in Verbindung treten kann. Die zuoberst von Gott gewollte ist, daß ein jeder volles Mitglied dieser Kirche wird. Von der Vollmitgliedschaft in dieser Kirche sagt das kirchliche Gesetzbuch: „Voll in der Gemeinschaft der Kirche ist nur derjenige, der Christus verbunden ist in dreifacher Weise: durch das Bekenntnis des Glaubens, durch die Teilnahme an seinen Sakramenten und durch die Gemeinschaft in der Unterordnung unter die kirchliche Autorität.“ Das ist die volle Kirchengliedschaft, die Christus intendiert. Man muß ihr innerlich und äußerlich verbunden sein, innerlich durch die Gnade und äußerlich durch die Bande des Glaubens, der Sakramente und der Gemeinschaft.

Nun kann, wie wir alle wissen, das eine oder andere dieser Elemente fehlen. Diejenigen, die nicht getauft sind, aber schon den Glauben bekennen, gehören schon in irgendeiner Weise zur Kirche. Sie sind noch nicht getauft, gewiß, sie haben noch nicht das Siegel der Wiedergeburt empfangen. Aber sie glauben schon an Christus als den einzigen Weg des Heiles, und deswegen sind sie auch schon mit der Kirche verbunden. Sie sind ihr verbunden – wie die Theologie sagt – durch das „votum ecclesiae“, durch das Verlangen nach der Taufe und damit nach der Kirche. Sie wollen zur Kirche kommen; sie wollen in sie eintreten, ganz und gar, auch durch die Taufe, aber es ist eben ein gewisser Weg zurückzulegen dahin. Man muß den Glauben lernen, man muß ihn einüben, man muß ihn bekennen; und dann erfolgt die Taufe. Aber weil sie eben als Katechumenen, als solche, die belehrt werden über den Glauben, den Glauben angenommen haben, gehören sie in einer bestimmten Weise schon zur Kirche, nämlich durch ihr Verlangen, in die Kirche voll und ganz einzutreten. Man nennt dieses Verlangen das „votum ecclesiae explicitum“, also ein ausgesprochenes Verlangen.

Damit ist aber nicht alles erklärt, denn nicht alle haben Gelegenheit, von Christus zu hören; nicht alle finden den Weg zu einem Verkündiger der Lehre Christi. Denken wir an die Millionen Menschen, die von Christus niemals gehört haben, entweder weil kein  Glaubensverkündiger zu ihnen gekommen ist oder weil den Glaubensverkündigern – wie in China – der Mund verboten wird. Was ist mit ihnen? Können auch sie an der Heilsnotwendigkeit der Kirche partizipieren? Kann man auch von ihnen sagen, daß sie in irgendeiner Weise mit der Kirche verbunden werden und dadurch das Heil finden können? Ja. Die Kirche hat auch ein „votum ecclesiae implicitum“ anerkannt. Man kann auch einschlußweise das Verlangen nach der Kirche haben. Wann hat man einschlußweise, also nicht ausdrücklich, das Verlangen nach der Kirche, das Verlangen, in die Kirche einzutreten und durch die Kirche zu Christus zu kommen? Das hat man dann, wenn man den übernatürlichen Glauben und die vollkommene Reue besitzt. Jeder, der den übernatürlichen Glauben an Gott und die vollkommene Reue in seinem Herzen trägt, wird dadurch in irgendeiner Weise mit der Kirche verbunden. Denn in dieser Haltung des Glaubens und der Reue ist er bereit, alles das zu tun, was Gott von ihm verlangt, also auch in seine Kirche einzutreten, sobald die Botschaft von der Kirche an sein Ohr dringt. Es können also auch Menschen, die niemals von der Kirche gehört haben, wenn immer sie in Redlichkeit Gott suchen und ihrem Gewissen folgen, in der Gnade Christi stehen und dadurch zu der Kirche in eine Verbindung treten. Das ist nicht etwa meine Weisheit, meine lieben Freunde, sondern das ist die Lehre der Kirche. Pius IX., der Papst, der das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis definiert hat, schreibt am 10. August 1863: „Die Menschen, die an unüberwindlicher Unkenntnis unserer heiligen Religion leiden, die aber das Naturgesetz und seine Forderungen, wie sie von Gott in aller Herzen eingegraben sind, getreulich halten und bereit sind, Gott zu gehorchen und so ein sittlich einwandfreies Leben führen, können unter Beihilfe des Lichtes von der Gnade Gottes das ewige Leben erlangen. Denn Gott wird in seiner unendlichen Güte und Milde gewiß nicht zugeben, daß jemand ewig verdammt wird, der nicht mit einer freiwilligen Schuld belastet ist.“

Das ist ein trostreiches Wort. Es ist ein mildes Wort. Es ist ein Wort, das das fast erschreckende Dogma von der alleinseligmachenden Kirche auch für den, der noch keinen Zugang zur Kirche gefunden hat, plausibel macht. „Wir sind weit davon entfernt“, sagt der Papst, „der göttlichen Barmherzigkeit, die unendlich ist, Grenzen setzen zu wollen. Wir wollen auch gewiß nicht die geheimen Ratschlüsse und Urteile Gottes, die ein tiefer Abgrund sind, erforschen.“ Man muß also, meine lieben Freunde, sowohl die Glaubenswahrheit festhalten: „Außerhalb der Kirche ist kein Heil“, muß aber auch die Möglichkeit offenhalten, daß solche, die äußerlich außerhalb der Kirche stehen, ihr innerlich verbunden sein können und deswegen auch in der Kirche und mit der Kirche das Heil finden können.

Auch Papst Pius XII. hat in dieser Richtung Andeutungen gemacht. In seiner Enzyklika „Mystici Corporis“ schreibt er: „Nicht zur sichtbaren Kirche Gehörende können in einer Art unbewußtzen Verlangens und Wunsches hingeordnet sein auf den mystischen Leib des Erlösers.“ Und wenige Jahre später hat in seinem Auftrag die Glaubensbehörde der Kirche einen Brief an den Bischof Cushing in Boston gerichtet. Da waren Theologen aufgetreten, die sagten: „Wenn man sich nicht sichtbarlich der Kirche anschließt, ist man unweigerlich verloren.“ Nein, sagt der Papst durch den Mund seiner Glaubensbehörde, so ist es nicht. „Es kann durchaus sein, daß jemand der Kirche nicht reapse, wirklich, äußerlich sichtbar angehört. Man muß ihr aber wenigstens im Wunsch und im Verlangen anhangen. Dieser Wunsch muß nicht immer explizit sein, wie er bei den Taufbewerbern ist. Wenn nämlich der Mensch in unüberwindlicher Unkenntnis befangen ist, nimmt Gott auch einen einschlußweisen, impliziten Wunsch an, der so genannt wird, weil er in jener seelischen Einstellung enthalten ist, in der der Mensch sein Wollen dem Willen Gottes gleichförmig machen will.“

Hier haben wir also das authentische Zeugnis dafür, daß das Wort von der alleinseligmachenden Kirche niemanden, der wirklich guten Willens ist, vom Heil ausschließt. Denn eben durch seinen wahrhaft guten Willen ist er trotz seiner Unkenntnis Jesu und der Kirche in der alleinseligmachenden Kirche, hat er eine genügende Verbindung mit Christus erlangt. Wenn es so ist, dann muß man aber auch die Vergangenheit einschließen, d. h. man muß sagen: Alle, die vor Christus gelebt haben, alle, die in redlicher Gesinnung auf den Heiland gewartet haben, auch die gehören in ihrer Weise schon der Kirche an. Die Kirche besteht also seit Abel, nämlich bei allen Gerechten. Alle, die von Gott die Gnade empfangen haben, gehören, wann immer sie gelebt haben, der Kirche an. Das sagt kein Geringerer als Augustinus. „Seitdem es Heilige gibt, gibt es eine Kirche auf Erden, denn alle Gerechten seit Anfang der Welt haben Christus zu ihrem Haupte.“ Alle Gerechten seit Anfang der Welt haben Christus zu ihrem Haupte. Jetzt verstehen wir, was im Jahre 165 – 165 n. Chr.! -  der Martyrer Justinus geschrieben hat: „Alle, die mit dem Logos gelebt haben, sind Christen, auch wenn sie für Atheisten gehalten wurden.“ Ein wahrhaft tröstliches, befreiendes Wort. Alle, die mit dem Logos, also mit der göttlichen Führung gelebt haben, sind Christen, auch wenn sie (etwa wie Sokrates) für Atheisten gehalten wurden.

Nun darf man es sich freilich auch wieder nicht zu bequem machen. Meine lieben Freunde, diejenigen, die Christus nicht kennen, müssen, um gerettet zu werden, den übernatürlichen Glauben haben und die vollkommene Reue. Sie müssen glauben, daß Gott ist, und daß er denen, die ihn suchen, Vergelter wird. Und sie müssen ihre Sünden verabscheuen aus übernatürlicher Liebe. Das ist nicht so ganz einfach, übernatürlichen Glauben zu haben und vollkommene Reue zu beweisen sowie seinem Gewissen zu folgen. Das sagt man sehr leicht, seinem Gewissen folgen. Ja, tun wir denn das? Folgen wir immer unserem Gewissen? Was tun wir denn, wenn wir beichten? Da bekennen wir, daß wir dem Gewissen nicht gefolgt sind. Und da muß man dann schließen: Ja, werden denn diejenigen, welche nicht die Führung der Kirche haben, ohne weiteres ihrem Gewissen folgen? Ist das für sie so leicht, daß sie ihrem Gewissen folgen, oder werden sie sich nicht auch zumindest in der Gefahr bewegen, daß sie dem Sog nach unten nachgeben, daß sie sich dem Trieb überlassen? Also, die Wahrheit über die Möglichkeit, auch außerhalb der sichtbaren Kirche gerettet zu werden, darf nicht angefochten werden, aber die Tatsächlichkeit der Rettung, das ist eine ganz andere Frage. Es steht zu fürchten, daß nicht nur manche, die in der Kirche sind mit allen Merkmalen, sondern auch solche und vielleicht viele, die außerhalb der Kirche sind, das Heil nicht erreichen. Das sagt auch das Zweite Vatikanische Konzil. Man kann soviel in der Kirche sein, wie man will: Wenn man die übernatürliche Liebe nicht bewahrt, geht man trotzdem verloren.

Aus diesen Wahrheiten von der Zugehörigkeit zur Kirche, von dem Satz: „Außerhalb der Kirche ist kein Heil“, von der alleinseligmachenden Kirche ergeben sich Folgerungen. Nämlich erstens, daß wir nicht nur zum Leibe der Kirche gehören müssen, sondern auch zur Seele der Kirche, d. h. daß wir nicht nur den Glauben bekennen und uns der kirchlichen Autorität unterwerfen müssen, sondern daß wir auch in der Gnade leben, daß wir aus der heiligmachenden Gnade nicht herausfallen, daß wir nicht verspielen, was uns gegeben wurde in der Taufe. Die Taufe kann nicht rückgängig gemacht werden. „Semel Christianus – semper Christianus“ – Wer einmal Christ war, der bleibt es immer, wegen der Taufe. Aber es ist damit noch keine Gewähr gegeben für die Errettung, wenn wir nicht in der Liebe verharren. Die zweite Folgerung: Wir müssen unseren Teil dazu beitragen, daß diejenigen, die in Finsternis und Todesschatten sitzen, den Weg zur wahren Kirche und durch sie den Weg zu Christus finden. Wir müssen Künder der Wahrheit Christi und Träger der Gnade Christi werden. Wir müssen Werkzeuge seines Heiles werden. Es darf uns keine Ruhe lassen, daß es Menschen gibt, die Christus nicht kennen und sich ihm nicht angeschlossen haben. Es darf uns keine Ruhe lassen, daß es Menschen gibt, die außerhalb der Kirche stehen und in ihrem sichtbaren Verbande noch nicht zu Christus gefunden haben. Hier muß ein heiliger Eifer uns beseelen, so wie ihn Paulus in sich gefühlt hat: „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündige!“

Amen.

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