Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. November 2022

Das Fegfeuer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Mensch trägt für seine Taten vor Gottes Gericht nach seinem Tod Verantwortung (2 Kor 5,10). Verknüpft damit ist die Vorstellung einer Läuterung nach dem Tode (Dt 4,24; Is 66,15; Hebr 12,29; Apk 1,14; Mt 5,22; 13; 42; 1 Kor 3,15). Sie trägt den Namen Purgatorium, Reinigungszustand, Fegfeuer. Das Fegfeuer ist Zwischenzustand der zu läuternden, vom Leib getrennten Seele, die auf ihre Wiedervereinigung mit dem Leib in Gottes Gericht wartet. Die Lehre vom Fegfeuer enthält zwei Dogmen: 1. dass es ein Fegfeuer gibt, 2. dass den dort leidenden Seelen durch die Suffragien der Gläubigen geholfen werden kann. Die katholische Fegfeuerlehre wurzelt in der katholischen Rechtfertigungslehre, speziell in der Lehre, dass mit der schweren Sünde und der ewigen Strafe nicht immer auch alle zeitlichen Sündenstrafen nachgelassen werden; ferner in der Lehre von der wesentlichen Verschiedenheit der schweren und der lässlichen Sünden und in der Lehre vom Ablass.

Auf die Lehre vom Reinigungszustand verweisen mehrere Stellen der Heiligen Schrift. Im Alten Testament heißt es: „Darum veranstaltete Judas der Makkabäer das Sühnopfer für die Verstorbenen, damit sie von der Sünde befreit werden“ (2 Makk 12,45). Hier ist die Möglichkeit einer Läuterung von der Sünde auch noch nach dem Tod (sowie deren Notwendigkeit für die Auferstehung) vorausgesetzt. Im Neuen Testament gilt eine Stelle aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth als Hinweis auf die jenseitige Läuterung. Dort (1 Kor 3,14f.) heißt es in Bezug auf das Gericht: „Wenn nun das Werk, das einer aufgebaut hat, bleibt, so wird er Lohn erhalten. Wenn es aber verbrennt, so wird er bestraft werden; doch wird er selbst gerettet, aber wie durch Feuer (hindurch).“

Entscheidend wird die Existenz des Fegfeuers bewiesen durch die Tradition. Der Papst Gregor der Große spricht es eindeutig aus: „Man muss glauben, dass es vor dem Gericht für gewisse leichte Sünden noch ein Reinigungsfeuer gibt, weil die ewige Wahrheit sagt, dass wenn jemand den Heiligen Geist lästert, ihm „weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird“ (Mt 12,32). Aus diesem Ausspruch geht hervor, dass einige Sünden in dieser, andere in jener Welt nachgelassen werden können.“ Papst Benedikt XII. erklärte in seiner Konstitution „Benedictus Deus“ von 1336: „Jeder Glaubende und Getaufte, der im Stande der Rechtfertigungsgnade stirbt, wird im individuellen Gericht „sofort“ der beseligenden Anschauung teilhaftig und tritt in die Gemeinschaft der Heiligen ein. Wer im Stande der Todsünde stirbt, empfängt bald das Verdammungsurteil. Diejenigen, die in der Rechtfertigungsgnade gestorben sind, aber noch der Reinigung von lässlichen Sünden und zeitlichen Sündenstrafen bedürfen, kommen erst „nach“ einer Läuterung zur Anschauung Gottes.“ Die Kirche hat ihre Lehre vom Fegfeuer förmlich definiert auf den Unionskonzilien von Lyon und Florenz, in den Glaubensbekenntnissen Gregors XIII. und Urbans VIII. und auf dem Konzil von Trient. Auf den Unionskonzilien ist erstmals von der Existenz der poenae purgatoriae seu catharteriae die Rede. Das Konzil von Trient erklärt eindeutig: Es gibt einen Reinigungsort, und die dort festgehaltenen Seelen finden eine Hilfe in den Fürbitten der Gläubigen, vor allem aber in dem Gott wohlgefälligen Opfer des Altares.

Das ewige Los der Seelen im Fegfeuer ist schon ein für allemal durch das besondere Gericht entschieden, und nur dessen Antritt aufgeschoben. Die Armen Seelen sind ihres Heiles gewiss und im Guten befestigt, so dass sie nicht mehr sündigen können. Insofern kann man sie richtigerweise als reiche Seelen bezeichnen. Nach dem Tod der in der Rechtfertigungsgnade gestorbenen Getauften gibt es im Falle noch verbliebener zeitlicher Sündenstrafen und lässlicher Sünden eine letzte, zur vollen Anschauung Gottes befähigende Läuterung durch ein von Gottes gnädigem Gericht auferlegtes Leiden. Das Fegfeuer ist kein Zustand positiven Wachstums im Guten und ferneren Verdienstes, sondern nur der Läuterung und Reinigung durch Erduldung der von der göttlichen Gerechtigkeit verhängten Strafleiden. Die Väter sprechen von reinigendem Feuer (Origenes, Ambrosius, Laktanz, Augustinus, Caes. Arel., Gregor). „Feuer“ ist ein Bild für den Schmerz, der mit der Läuterung verbunden ist. Zum Dogma gehört nicht das „Leiden“ durch ein physisches oder spirituelles Feuer (1 Kor 3,15: quasi per ignem). Das „Leiden“ bedeutet die noch nicht erreichte Anschauung Gottes (poena damni) und die noch nicht erlangte innere Vollendung des schon definitiv geretteten Menschen (poena sensus). Da die Armen Seelen Gott vollkommen lieben, ertragen sie ihre Leiden mit Ergebung. Sie wissen: Die Läuterung ist eine vorübergehende. Das Heil, die Anschauung Gottes, die ewige Freude ist ihnen sicher. Auch für das Fegfeuer gilt das Wort des Apostels Paulus: „Ich halte dafür, dass die Leiden dieser Zeit nicht in Vergleich stehen mit der künftigen Herrlichkeit, die uns wird geoffenbart werden“ (Röm 8,18).

Die Kirche kann dabei amtlich und privat durch Fürbitte, Werke der Nächstenliebe und die Darbringung des Messopfers den Prozess des sühnenden Ausleidens der Restwiderstände gegen die Vereinigung mit Gott unterstützen. Johannes Chrysostomus fordert die Christen, die noch im Pilgerstande sind, auf: „Bringen wir ihnen Hilfe und halten wir ein Gedächtnis an sie. Wenn doch die Söhne Hiobs durch das von ihrem Vater dargebrachte Opfer geläutert wurden (Hiob 1,5), wie sollten wir dann daran zweifeln, dass unsere Opfergaben für die Toten ihnen Trost bringen? Zögern wir nicht, den Verstorbenen Hilfe zu bringen und unsere Gebete für sie aufzuopfern.“ Eine besonders wirksame Hilfe für die Armen Seelen ist der Ablass. Ablass ist die Nachlassung der zeitlichen Sündenstrafen, die nach Vergebung der Sündenschuld hier oder im Jenseits noch abzubüßen sind. Ablass ist demnach keine Sündenvergebung, sondern setzt sie voraus. Auch den Seelen im Fegfeuer kann die Kirche die Wohltat der Ablässe zuwenden, aber bloß fürbittweise, durch einen Akt der Fürbitte und der Aufopferung, nicht durch einen Akt der Lossprechung, wie dies bei Lebenden der Fall ist. Aus dem Schatz der Genugtuung Christi entrichtet die Kirche für den Sünder das Lösegeld, das er sonst der göttlichen Gerechtigkeit entrichten müsste.

Die Mehrzahl der Theologen ist davon überzeugt, dass die Armen Seelen auch für uns beten können. Ihre Nächstenliebe ist gewiss nicht schwächer als sie auf Erden war. Näher gerückt der Quelle der Barmherzigkeit, sind sie selbst auch teilnehmender und mitleidiger geworden. Altchristliche Grabinschriften, auch auf Gräbern von Nichtmartyrern, haben die Anrufung: „Pete pro nobis!“ Die Kirche gibt zwar keine liturgische Form für die Anrufung, duldet jedoch die private Anrufung. Ein frommer Priester erklärte mir einmal, wie hilfreich das Gebet der Armen Seelen für uns ist. Er sagte, man solle sich an jene Armen Seelen wenden, die auf Erden ähnliche Pein und Schmerzen durchgemacht haben wie wir. Sie würden uns verstehen und gern bei Gott für uns eintreten.

Die Lehre vom Fegfeuer zeigt anschaulich Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit, Weisheit und Barmherzigkeit. Sie bewahrt die Menschen vor Verzweiflung wie vor sittlichem Leichtsinn. Sie bietet viel Tröstliches, insofern sie uns die Möglichkeit gewährt, auch den Verstorbenen noch helfen zu können. Sie stärkt auch die Hoffnung der Lebenden auf den Zugang in den Himmel. Es wird wenige Menschen geben, die ihres ewigen Heiles so sicher sind, dass sie mit ihrem Tod auf den sofortigen Eingang in Gottes Herrlichkeit rechnen können. Die meisten Christen wissen oder vermuten, dass sie noch nicht genügend ausgereift sind und die Züge der Heiligkeit angenommen haben. Ihre Hoffnung geht daher auf jenen Zwischenzustand, in dem sie die letzte, endgültige Läuterung erfahren, die sie tauglich macht, den Herrn der Herrlichkeit zu schauen.

Luther bekannte sich noch in der Disputation mit Eck und auch später zum Fegfeuerglauben; erst 1530 gab er ihn auf. Auch die übrigen die Glaubensneuerer des 16. Jahrhunderts verwarfen die Lehre vom Fegfeuer. Ihre Bekenntnisschriften folgen dieser Ansicht. Doch in manchen Protestanten hat sich die Erinnerung an die Wahrheit bewahrt. Der Schweizer Dichter Conrad Ferdinand Meyer legt auf seine Weise in einem Gedicht Zeugnis ab vom jenseitigen Läuterungszustand. Er sah im Traum seine verstorbene Gattin vor dem Eingang zum Himmel. „Mir träumt, ich komm’ ans Himmelstor und finde dich, die Süße! Du saßest bei dem Quell davor und wuschest dir die Füße. Du wuschest, wuschest ohne Rast den blendend weißen Schimmer, begannst mit wunderlicher Hast dein Werk von neuem immer. Ich frug: „Was badest du dich hier mit tränennassen Wangen?“ Du sprachst: „Weil ich im Staub mit dir, so tief im Staub gegangen.“

Amen.

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