Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. April 2021

Das Priestertum

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der heutige Tag heißt Grün-Donnerstag, besser Grein-Donnerstag, greinen ist der altdeutsche Ausdruck für weinen. Die Kirche gedenkt heute einer Reihe geheimnisreicher Begebenheiten. Es sind dies: das letzte Abendmahl mit den Abschiedsreden, die Fußwaschung an den Aposteln, die Einsetzung der Eucharistie als Christi immerwährendes Vermächtnis, die Begründung des neutestamentlichen Priestertums, der Verrat des Judas, die Todesangst Jesu, seine Verhaftung. Der heutige Tag hat für mich noch eine zusätzliche Bedeutung. Denn heute vor 70 Jahren empfing ich in der Kirche zu Neuzelle an der Oder das Sakrament der Priesterweihe. So ist der heutige Tag ein Tag des Dankes an Gott, der mich durch die Entscheidung meiner Vorgesetzten in seinen Dienst berufen und darin erhalten hat.

Durch die Weihe wird der Priester Stellvertreter Christi, des guten Hirten. Damit niemand über den Ernst dieser Stellung im Zweifel sein kann, erklärt Christus, was Gott vom guten Hirten verlangt: Er gibt sein Leben für seine Schafe. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dieses Opfer haben im Laufe der Geschichte viele Priester gebracht. Dem Priester ist die Nachfolge dessen aufgetragen, dessen Stelle er vertritt. Seine Gesinnung und sein Wandel sollen in Übereinstimmung mit dem Herrn sein, der von sich sagt: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen.“ Der Priester ist Diener. Diener Gottes in der Sorge für die Menschen. Der Priester gehört nicht mehr sich selbst. Er gehört seinem Herrn und Meister. Die Kirche will Diener haben, deren Streben ungeteilt ist. Sie will Hirten haben, die großmütig genug sind, sogar ihr Leben für ihre Schafe herzugeben. Wie könnte sie dies von den Schwachen erwarten, die nicht einmal eine Neigung besiegen können? Der Zölibat ist der Ritterschlag der Todesbereitschaft. Es war im letzten Krieg auf einem Ersatzflugplatz in Stalingrad. Eine der letzten Transportmaschinen, vollgepfropft mit verwundeten Soldaten, macht sich startbereit. Als letzter steigt ein Wehrmachtspfarrer, Priester einer westdeutschen Diözese, in das Flugzeug. Er ist ebenso ausgemergelt und verwundet wie die anderen. Eben soll die Tür geschlossen und die kleine Leiter eingezogen werden. Da kommt über den Platz noch ein Verwundeter gehumpelt. Es ruft, bittet, fleht: „Nehmt mich doch mit. Eine kranke Frau und fünf Kinder warten auf mich, bitte, bitte!“ Unmöglich, auch nur einen noch mitzunehmen. Es sei denn, einer steigt aus. Im Herzen des Priesters entbrennt ein Kampf. Es war wohl der schwerste Kampf seines Lebens. Er steigt die kleine Leiter hinunter, hilft dem Verwundeten, auf den eine kranke Frau und fünf Kinder warten, beim Einsteigen und bleibt zurück. Er bleibt zurück für immer. Gott holt ihn in die ewige Heimat. Katholischer Priester, Hirt, Held, Heiliger!

Ein Weltpriester muss, anders als ein Ordenspriester, die Kraft haben, allein zu stehen. Er darf sich anlehnen an seinen Heiland, aber nicht an einen Menschen. Der Priester vermag seinen Dienst nur zu verrichten, wenn er sich seinem Herrn und Gott übereignet hat. Diese Übereignung geschieht im Gehorsam des Glaubens. Der Priester muss ein Mann des Glaubens sein. Er muss von der Wahrheit und der Sieghaftigkeit des christlichen Glaubens zutiefst erfüllt sein. Was er ist und was ihm aufgetragen ist, kann nur im Glauben erkannt und festgehalten werden. Mir war dieser Zusammenhang immer bewusst. Darum habe ich mein ganzes Leben lang gestrebt und gebetet, den Glauben zu durchdringen, von ihm überzeugt zu sein und ihn anderen zu vermitteln. Am Glauben hängt gewissermaßen alles.

„Geheimnis des Glaubens“ betet der Priester jeden Tag, wenn er als Werkzeug Gottes die machtvollen Worte spricht: Das ist mein Leib, das ist mein Blut. Was den Priester entscheidend ausmacht und prägt, ist seine Stellung als Opferdarbringer. Mit der Feier des Messopfers steht und fällt der katholische Priester. Es ist ein unbeschreibliches Glück, jeden Tag dem himmlischen Vater das Opfer seines Sohnes in sakramentaler Gestalt darbringen zu dürfen. Ich habe es 70 Jahre lang getan. Dem Priester als Opferdarbringer benachbart ist sein Dienst als Verwalter des Bußsakramentes. Es ist eine hohe Verantwortung, reuigen Christen in Vertretung unseres Herrn den Nachlass der Sünden erteilen zu dürfen. Es ist dies wohl der schwierigste Dienst des Priesters, aber es ist auch der hilfreichste. Ich habe ihn 70 Jahre lang geleistet und tue es noch heute. Der Priester ist Prediger des Evangeliums. Die Verkündigung des Wortes Gottes ist dem Priester als heilige Pflicht auferlegt. „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predige!“ ruft der heilige Paulus aus. Und zwar dies stets gut vorbereitet und zielgerichtet. Die gesamte Glaubens- und Sittenlehre ist dem Priester zur Verkündigung auferlegt. Er hat nicht nur vorzutragen, was gut ankommt bei den Menschen, sondern auch das, was ihnen beschwerlich und lästig ist. Ich habe diesen Dienst 70 Jahre lang geleistet und leiste ihn noch heute.

Der Priester ist nicht nur Verkündiger, er ist auch Lehrer des Glaubens. Gott hat durch die Autorität meiner Vorgesetzten gewollt, dass ich nach einigen Jahren in der Pfarrseelsorge in das akademische Lehramt überwechseln musste. Ich habe diesen Übergang nicht gesucht, sondern ihn im Gehorsam vollzogen. Jahrzehntelang habe ich an den Universitäten München und Mainz sowie an der Hochschule in Freising das Fach Kirchenrecht vertreten. Stets wollte ich nicht nur Kenntnisse vermitteln, sondern die Studierenden im Glauben festigen, mit der Kirche verbinden, in der Treue zum Sittengesetz bestärken. Die längste Zeit meines aktiven Lebens war ich in der Ausbildung der Priester tätig. Mit Erschrecken und Reue denke ich an mein Unvermögen und meine Unzulänglichkeit. Der Priester ist Seelsorger. Dazu wird er geweiht und gesandt, Sorge zu tragen für das ewige Heil der ihm Anvertrauten. Als mein Oberhirt mich fragte, was ich werden wolle, gab ich zur Antwort: Ich will Pfarrer werden, also Seelsorger. Pfarrer durfte ich nicht werden, weil meine Vorgesetzten es anders wollten, aber Seelsorger bin ich immer geblieben, 70 Jahre lang. Der Seelsorger ist berufen, zu raten und zu trösten, die Gebeugten aufzurichten, die Verirrten zu suchen, die Sünder zu mahnen. Das ist Seelsorge, wie Gott sie wünscht und die Kirche sie vorschreibt. Ich habe versucht, die Menschen zu führen, zu belehren und zu tragen. Dabei sind mir gewiss viele Fehler unterlaufen. Meine Unzulänglichkeit stand mir allezeit vor Augen. Ich bin sicher nicht allen gerecht geworden. So bitte ich heute die Gläubigen um Vergebung. Gewiss trägt der Priester zu seinem Teil seine Gemeinde durch seinen Glauben und seine Tugenden. Aber ebenso tragen die Glieder der Gemeinde den Priester mit ihrer Gottesfurcht, mit ihrer Gottseligkeit, mit ihrer niemals wankenden Treue. Viele Gläubige haben mich erbaut und angespornt durch ihre Gläubigkeit, ihre Frömmigkeit, ihre Zuneigung, ihre Hilfsbereitschaft.

Alle äußere Tätigkeit des Priesters muss getragen sein von der inneren Verbindung mit seinem Herrn und Heiland. Sie wird hergestellt und erhalten durch das Gebet. Der Priester ist Beter. Es ist Vorbeter seiner Gemeinde. Er ist Fürbitter für die ganze Erde. Mehrere Stunden des Tages widmet er dem Gebet. Die Kirche drückt ihm sein priesterliches Gebetbuch, das Brevier, in die Hand. Die Kirche verlangt, dass er täglich den Rosenkranz betet. Die Kirche fordert ihn auf, alle Tage dem betrachtenden Gebet zu obliegen. 70 Jahre lang habe ich diese heiligen Pflichten zu erfüllen versucht. Das Geheimnis priesterlicher Fruchtbarkeit liegt darin, dass man sich ganz der Führung des Geistes Gottes überlässt. Je inniger das Werkzeug mit dem vereinigt ist, der es führt, desto größer ist seine Wirkung. Je inniger der Priester in treuer Hingabe mit Christus vereinigt ist, desto mehr wird er unter den Menschen wirken können. Unsere Fruchtbarkeit ist eine Wirkung der Gnade. Wir vermögen so viel, wie wir uns der Gnade öffnen, wie wir die Gnade sich auswirken lassen. Die Gnade aber verbindet sich mit dem Priester nur dann, wenn er sich ganz in die Hand dessen fügt, der ihn führt. Im allgemeinen gilt der Grundsatz: Je heiliger ein Priester ist, um so mehr gibt ihm Gott die Gnade, in der übernatürlichen Ordnung etwas auszurichten.

Der Priester ist Jünger Jesu. Das Geschick Jesu muss sich an ihm wiederholen. „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?“ fragt Christus die Söhne des Zebedäus. Der Weg eines Dieners Christi und eines Nachfolgers der Apostel führt unweigerlich über den Ölberg und die Schädelstätte Golgotha. Keinem Priester bleibt das Leiden erspart. Die Mutter des heiligen Johannes Bosco sagte zu ihrem Sohn am Tag der Priesterweihe: „Nun bist du Priester, mein Sohn. Aber anfangen, die heilige Messe zu lesen, das heißt auch anfangen zu leiden. Vielleicht kommt es noch nicht plötzlich; aber bald wirst du erfahren, dass deine Mutter recht hat.“ Es muss so sein. Der Segen, den der Herr spendet, ist der Segen einer gekreuzigten Hand. So können auch in seiner Kirche nur die Hände Segen spenden, die das Kreuz tragen oder selbst gekreuzigt sind. Ein Priester leidet. Er leidet an seiner eigenen Schwäche, seiner Beschränktheit, seiner Armseligkeit. Die Kirche weiß, warum sie ihre Priester verpflichtet, häufig das Bußsakrament zu empfangen. Ein Priester leidet. Er wirft den Samen aus. Aber einiges wird zertreten, anderes verdorrt, wieder anderes erstickt unter den Dornen. Er fragt sich: Hast du nicht guten Samen gesät? Er erhält die Antwort: Das hat der Feind getan. Der Priester kann niemanden zwingen, zum Glauben zu kommen und im Glauben zu verharren. Ein Priester leidet. Er sieht den Rückgang des Glaubens, der Frömmigkeit und der Sittenreinheit bei vielen von denen, die ihm anvertraut sind oder denen er begegnet. In den 70 Jahren meines Priesterlebens hat sich ein unaufhörlicher Niedergang des religiösen Lebens bei der katholischen Bevölkerung vollzogen. Gott allein weiß, welche Prüfungen uns noch bevorstehen. Ich bin dieserhalb nicht hoffnungsvoll. Ich habe die begründete Vermutung, dass man uns eine Position nach der anderen entziehen, dass man uns an den Bettelstab bringen und dass man uns eines Tages wieder als Volksschädlinge, Ausbeuter und Hinterwäldler verfolgen wird. Ach, dass wir Priester doch standhaft bleiben und unserem Herrn auf seinem Leidensweg folgen möchten! Ach, dass wir doch am letzten Tage dieser irdischen Pilgerfahrt sprechen könnten: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt. Darum harrt meiner die Krone, die mir der Herr an jenem Tage geben wird, der gerechte Richter“ (2 Tim 4,7).

Amen.

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