Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. Dezember 2020

Das Kommen des Heiligen Geistes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In der Menschwerdung des Sohnes Gottes ist Gott zu uns gekommen. Nicht nur der Logos, die zweite Person in Gott, kommt zu den Menschen. Auch der Heilige Geist, die dritte Person in der allerheiligsten Dreieinigkeit, kommt zu uns. Er kommt, wenn er gesandt und wenn er gerufen wird. Der Engel Gabriel wurde von Gott zu der Jungfrau Maria gesandt. Er brachte ihr die Kunde, dass sie die Mutter des Messias sein solle. Auf deren verwunderte Frage, wie das geschehen solle, versicherte der Engel der Jungfrau: „Der Heilige Geist wird über dich kommen.“ Der Heilige Geist wird also Maria in einer unerhörten Weise gegenwärtig werden; das ist mit seinem Kommen gemeint. Er wird bewirken, dass sie Mutter wird ohne ein männliches Prinzip. Die Begründung lautet: Bei Gott ist kein Ding unmöglich.

Der Heilige Geist kommt auch weiterhin zu dem, der von der Jungfrau empfangen wurde. Jesus schloss sich der Taufbewegung Johannes des Täufers an. Er wurde getauft, aber er ging nicht unter inmitten der Menge der Taufbewerber. Vielmehr öffnete sich über ihm der Himmel, und der Heilige Geist stieg in körperlicher Gestalt wie eine Taube auf ihn herab, erfüllte ihn und blieb bei ihm. Voll des Geistes kehrte Jesus vom Jordan zurück. Jetzt war er gerüstet für die Erprobung, die ihm bevorstand. Denn der Heilige Geist führte Jesus in die Wüste, damit er in der Versuchung seine Überlegenheit über Satan beweise. Nach seinem Sieg kehrte er in der Kraft des Geistes nach Galiläa zurück. Dort entfaltete er eine staunenswerte Wirksamkeit als Lehrer und Wundertäter. In Nazareth enthüllte er das Geheimnis seiner übermenschlichen Fähigkeiten: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich salbte.“ Christus ist wahrhaft voll des Geistes. Aber er hält den Geist nicht eifersüchtig fest. Er teilt ihn vielmehr freigebig aus. In der Abschiedsstunde verheißt der Herr seinen Jüngern die Ankunft des Parakleten, des Helfers, des Beistands, des Trostes. Während seiner irdischen Tätigkeit war er der Lehrer und Tröster seiner Jünger. Als er von ihnen scheiden muss, lässt er sie nicht als Waisen zurück. Er wird den Vater bitten, ihnen einen anderen Beistand zu geben, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Dieser wird nicht nur vorübergehend zu ihnen kommen; er wird ewig bei ihnen bleiben. Jesus geht fort, verlässt diese Welt, damit er den Parakleten senden kann. Er kann ihn erst senden, wenn er selbst in die Vollendung des Vaters eingegangen ist. Wenn er kommt, „der Geist der Wahrheit, den er senden wird, dann wird er Zeugnis geben“ von ihm (Joh 15,20). Das Zeugnis des Parakleten ist die vom Geist Gottes getragene christliche Verkündigung, deren Mittelpunkt die Sendung des Sohnes in die Welt bildet. Das Kommen des Geistes bedeutet eine neue Weise seiner tätigen Gegenwart. Er wird die Welt belehren über Sünde, über Gerechtigkeit und über Gericht. In Bezug auf Sünde, insofern sie nicht an Christus glauben. In Bezug auf Gerechtigkeit, insofern er zum Vater geht. In Bezug auf Gericht, insofern der Fürst dieser Welt gerichtet ist. Und noch eines wird der Geist tun: Wenn er kommt, wird er, der Geist der Wahrheit, die Glaubenden in alle Wahrheit einführen. Er wird reden, was er von Gott gehört hat. Er wird das Künftige verkünden. Er wird Christus verherrlichen.

Die Verheißung Jesu hat sich erfüllt. Unter bewegenden äußeren Umständen kam der Heilige Geist über die Apostel am Pfingsttage herab. Sturmwind und Feuerzungen waren die sichtbaren Zeichen seines Kommens. Die Apostel redeten in fremden Sprachen, nicht weil sie betrunken waren, wie einige meinten, sondern weil der Heilige Geist über sie gekommen war, wie der Prophet Joel es angekündigt hatte. Der Geist zeigte seine Kraft. Er erfüllte sie und wandelte sie um. Aus scheuen und furchtsamen Anhängern Jesu wurden mutige und todesbereite Bekenner des Auferstandenen. Die Kirche ist fortan die Stätte, in welcher der Heilige Geist seine Kraft und seine Macht zeigt. In 2000 Jahren Kirchengeschichte hat sich die Verheißung Christi über das Kommen des Geistes erfüllt. Seine Kraft hat sich in der Verkündigung der Heilsbotschaft allen Widrigkeiten zum Trotz gezeigt. Seine Macht war in den Sakramenten der Kirche unerachtet der menschlichen Schwäche wirksam, bis heute. Unser Glaube an die Stärke und das Vermögen des Geistes ist ungebrochen. Der Geist ist nie ausgeblieben oder müde geworden. Wenn die Menschen in der Kirche, wenn deren hervorragende Glieder, Bischöfe und Päpste versagten, hat der Geist Gottes heilige Männer und Frauen erweckt, die mit ihrem unerschütterlichen Glauben, ihrer sieghaften Hoffnung und ihrer grenzenlosen Liebe das Feuer des Heiligen Geistes am Brennen hielten. Der Geist Gottes kommt, aber er will angerufen, will herbeigerufen werden. Er kommt, wo und wenn er Herzen findet, die sich bereiten, ihn aufzunehmen. Wir gläubigen Christen erflehen das Kommen des Parakleten am Pfingstfest, wo wir uns erinnern an seine Herabkunft auf die Apostel. „Komm’, Schöpfer, Geist, kehr’ bei uns ein, besuch’ das Herz der Kinder dein. Erfüll’ uns all mit deiner Gnad’, die deine Macht erschaffen hat.“ Darüber hinaus flehen wir jeden Tag: „Komm’, o Geist der Heiligkeit, aus des Himmels Herrlichkeit, sende deines Lichtes Strahl. Vater aller Armen du, aller Herzen Licht und Ruh’, komm’ mit deiner Gaben Zahl. Tröster in Verlassenheit, Labsal voll der Lieblichkeit, komm’, du süßer Seelenfreund.“ Wir beten um das Kommen des Geistes bei jeder Spendung eines Sakramentes. Wir flehen bei der Taufe, der Heilige Geist möge von dem Täufling Besitz ergreifen. Wir rufen bei der Firmung, er möge den Firmling auf dem Lebensweg mit seiner Kraft stärken. Wir erbitten den Heiligen Geist bei der Priesterweihe, er möge den Kandidaten an sich ziehen, ihm seine Befähigung mitteilen, den Hohenpriester Jesus würdig zu repräsentieren. Wir erflehen das Kommen des Heiligen Geistes auch in jedem Messopfer. Bei der Gabenbereitung rufen wir zu ihm: „Komm, Heiligmacher, allmächtiger ewiger Gott, und segne dieses Opfer, das deinem heiligen Namen bereitet ist.“ Die irdischen Gaben, Brot und Wein, sollen in Leib und Blut Christi verwandelt und Gott dargebracht werden. Die Verwandlung ist nicht Menschentun, sondern Gotteswerk; es ist dem Heiligen Geist anvertraut. Der Heilige Geist segnet unser Opfer, wenn er die irdischen Gaben verwandelt.

Das grundlegende Sakrament der Geistmitteilung ist die heilige Taufe. In der Taufe schenkt uns Gott ein neues Leben, das Gnadenleben. Die heiligmachende Gnade ist nicht nur eine neue Qualität der menschlichen Seele, die sie mit dem Glanz von Gottes Herrlichkeit einhüllt. Sie ist auch und viel mehr eine neue Gemeinschaft, die Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Die Christen sind Geistbesitzer. Sie tragen den Heiligen Geist in ihrer Seele. „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5). Das eigentliche Merkmal des Christen ist der Besitz des Heiligen Geistes. Aber der Geist kommt nicht allein. Mit dem Heiligen Geist nehmen Christus und der himmlische Vater Wohnung in der Seele des Begnadeten. Die Einwohnung Gottes im begnadeten Menschen kommt den drei göttlichen Personen gemeinsam zu. Wenn der Geist kommt, kommen auch der Vater und der Sohn. Da erfüllt sich das Wort Christi: „Wenn einer mich liebt, wird er mein Wort bewahren, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (Joh 14,23).

Wir nennen die erste, grundlegende Mitteilung der Gnade, die aus einem Menschen einen Christen macht, Rechtfertigung. Wir erhalten Anteil am Leben des unendlich heiligen Gottes. Wir werden Kinder Gottes. Wir empfangen die heiligmachende Gnade. Darum schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth: „Ihr seid abgewaschen, seid geheiligt, seid gerechtfertigt im Namen unseres Herrn Jesus Christus und im Geiste unseres Gottes“ (1 Kor 6,11). Die Rechtfertigung ist eine wahre Neugeburt. Sie besteht in der Konstitution einer neuen Kreatur, eines vom Geist Gottes selbst wirklich bewohnten Tempels. Die Gnade (der Rechtfertigung) ist primär der sich mit seinem eigenen Wesen mitteilende Gott selbst. Die Rechtfertigung oder Begnadung des Menschen erreicht ihr Ziel in der Einwohnung des Heiligen Geistes (also des Geistes Christi und des Vaters). Die Gnade ist die Selbstmitteilung Gottes. Durch das Gnadenleben werden wir aufs innigste mit dem heiligen Gott, der Quelle aller Gnaden, verbunden und dadurch selbst geheiligt. Darum nennen wir das Gnadenleben die heiligmachende Gnade. Der adäquate Begriff der heiligmachenden Gnade schließt die Einwohnung Gottes (= die ungeschaffene Gnade) mit ein. Ja, so ist es: Die Begnadung (= der Besitz der heiligmachenden Gnade) und Heiligung (durch die Rechtfertigung) besteht in der Einwohnung des Heiligen Geistes und damit der ganzen Dreieinigkeit im Menschen. Es ist die unbeschreibliche Erhabenheit der christlichen Religion, dass (schon auf Erden) dem gläubigen Menschen die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott vermittelt wird. So hat die Kirche immer gelehrt. Das ist die genuine Lehre unserer Kirche. Der Katechismus für die Diözese Mainz aus dem Jahre 1926 lehrte: Der Heilige Geist wohnt in den Seelen der Gerechten. Der Einheitskatechismus für die Bistümer in Deutschland von 1955 enthält eine einlässliche und ausführliche Lehre über den Heiligen Geist. Seine Einwohnung in den geheiligten Menschen wurde eindeutig dargestellt. „In den Herzen der Kinder Gottes wohnt der Heilige Geist. Er ist der Odem des göttlichen Lebens; er ist das lebendige Unterpfand, dass wir einst ewig beim Vater leben werden. Mit dem Heiligen Geist wohnen auch der Vater und der Sohn in uns. Christus sagt: Wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (Joh 14,23). Der Katechismus der katholischen Kirche aus dem Jahre 1993 lehrt von der Taufe, dass sie den Neugetauften zu einer „neuen Schöpfung“ (2 Kor 5,17), zu einem Adoptivsohn Gottes macht. Er hat Anteil „an der göttlichen Natur“ (2 Petr 1,4), ist Glied Christi, „Miterbe“ mit ihm (Röm 8,17) und ein Tempel des Heiligen Geistes (1 Kor 6,19) (Nr. 1265). Die Gnade führt uns in das „Innerste des dreifaltigen Leben Gottes“ (Nr. 1997). Das Wort „Einwohnung“ vermisse ich in diesem Katechismus.

Der Heilige Geist kommt nicht nur zu denen, die bereit und würdig sind, ihn aufzunehmen; er bleibt bei ihnen. Er will die Kraft und der Glanz ihres Lebens sein. Er will sie führen und leiten. „Alle, die sich vom Geiste Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes“ (Röm 8,14). Von Gottes Geist werden die Kinder Gottes geleitet, und zwar durch Anspornung des Willens, durch Erleuchtung des Verstandes, durch Unterstützung bei der Ausführung. Alle Gnadenimpulse, alle Anregungen zum Guten, aller Abscheu vor der Sünde gehen von ihm aus. Wir Beichtväter erleben die Überwindung der Triebe und Leidenschaften in der Kraft des Geistes.

Wenn wir Kinder Gottes sind, sollen wir auch als seine Kinder leben. Wir sollen ihn lieben, ihn verherrlichen, seinen heiligen Willen erfüllen. „Wenn wir im Geiste leben, so lasst uns auch im Geiste wandeln“, fordert der Apostel Paulus die Gemeinde Gottes in Galatien auf. Geistträger müssen Geistzeugen sein. „Betrübet den Heiligen Geist Gottes nicht, in dem ihr auf den Tag der Erlösung versiegelt seid“, mahnt Paulus das christliche Volk in Ephesus. „Löscht den Geist nicht aus!“ (1 Thess 5,19) schreibt er der Gemeinde in Saloniki. Papst Leo der Große mahnt die Christen insgesamt: „Vertreibe nicht durch eine schwere Sünde einen so hohen Gast aus deinem Herzen!“

Ich schildere Wirklichkeiten, erzähle keine Märchen. Da kann sich die Frage erheben: Merkt man das Kommen und Bleiben Gottes in der menschlichen Seele? Gibt es erfahrbare und erfahrene Gottbegegnung? Gibt es ein unmittelbares geistiges Erfassen der Wirklichkeit Gottes, bei dem der Mensch ohne Dazwischenkunft anderer Instanzen die Wirklichkeit Gottes berührt und mit ihr Kontakt gewinnt? Der Ausgangspunkt jeder Erfahrung ist stets die sinnlich wahrnehmbare Welt. Damit steht jeder Gotteserfahrung ein prinzipielles Hindernis entgegen. Denn das macht ja gerade das Gott-Sein Gottes aus, dass er nicht zu dieser Welt gehört, dass er vielmehr der Jenseitige, der ganz Andere ist. Gott und Welt liegen nicht auf einer Erfahrungsebene. Gott kann nicht erfahren werden, wohl aber die von ihm ausgehenden Wirkungen. Es sind die göttlichen Tugenden und die Haltungen des Friedens und der Freude, der Kraft und der Tapferkeit, der Überwindung und der Selbstverleugnung.

O meine lieben Freunde, die Menschen machen einander Geschenke, um ihre Zuneigung zu bekunden, kleine und große, manchmal wertvolle Geschenke. Der himmlische Vater macht uns das kostbarste Geschenk, das es gibt: Er schenkt uns seinen Heiligen Geist. Obgleich Gott allmächtig ist, konnte er nichts Besseres geben. Obgleich er der Weiseste ist, wusste er nichts Besseres zu geben. Obgleich er der Reichste ist, hatte er nichts Besseres zu geben.

Amen.

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