Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. November 2016

Die Erlösung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Adventsglocken läuten, es sind Glocken der Buße: Tuet Buße, bekehrtet euch, das Reich Gottes ist nahe. Die Adventslieder ertönen: Tauet Himmel den Gerechten, O komm, o komm, Emmanuel. Der ganze Advent ist in seiner Liturgie und in seinem Wesen ein Bekenntnis und ein Geständnis: Wir brauchen einen Erlöser. Wir brauchen eine Erlösung. Der Advent ist ein Flehen um den Heiland, den Emmanuel, den Gott-mit-uns, dass er uns rette. „Wann kommst du Trost der ganzen Welt, auf den sie all ihr Hoffen stellt?“ Der Advent ist nichts anderes als ein Bekenntnis: Wir brauchen einen Erlöser, und wir erhalten einen Erlöser. Er kommt zu uns, weil jedes Geschlecht, jede Generation aufs Neue ihren Erlöser braucht. In unserer Gesellschaft wird die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen vielfach bestritten. Dass die Welt unter der Sünde seufzt, dass sie in Schuld verfangen ist, das wird geleugnet. In unserer Gesellschaft wird das Böse vielfach verharmlost und abgeschwächt. Schlechtigkeiten und Vergehen werden als Mangel an Einsicht oder als krankhafte Schwäche erklärt. Die Schuld gerät außer Sicht. Ein besonderer Trick, das Böse zu leugnen, besteht darin, das staatliche Strafrecht zu entkriminalisieren, also Straftatbestände, die bisher galten, abzuschaffen, und auf diese Weise den Anschein zu erwecken: Das ist nicht mehr strafbar. Und bald ziehen die Menschen die Folgerung: Das ist auch nicht mehr schuldhaft. Dieser Trick ist vor allem auf dem Gebiete des Ehrenschutzes und der geschlechtlichen Sittlichkeit zu beobachten. Das Bundesverfassungsgericht hat den Satz: Soldaten sind Mörder als nicht beleidigend angesehen. Und was sich auf dem Gebiet des Geschlechtlichen tummelt, das wissen wir alle, seitdem wir die Homoehe haben. Die Folge dieses Tricks ist, dass der Pegel des sittlichen Verhaltens infolge immer weiter sinkt. Es gibt sogar Religionen, die versuchen, das Böse abzuschaffen oder abzuschwächen. Der Protestantismus verdankt seine Erfolge bei der Abwerbung katholischer Christen nicht zuletzt seiner verbilligten Sittenlehre. Im Protestantismus gibt es keine Sünde, die immer und überall verboten ist. Es gibt nichts in sich Schlechtes nach protestantischer Ansicht. So war es schon im 16. Jahrhundert. Da gab es eben Männer, die wollten ihren Frauen loswerden und abwechseln mit der Frau. Also wird die Unauflöslichkeit der Ehe preisgegeben. Heute erklärt der Protestantismus den Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern oder zwischen zwei Frauen als sittlich unbedenklich.

Denen, die das Böse bestreiten oder bagatellisieren, vermag die Heilige Schrift die Augen zu öffnen. Im Brief an die Gemeinde in Rom schildert der Apostel Paulus die unerlöste Heidenwelt: „Die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauschten sie mit dem Bild von vergänglichen Menschen, Vögeln, vierfüßigen und kriechenden Tieren (Schlangen). Den wahren Gott vertauschten sie mit falschen Götzen. Die Geschöpfe beteten sie an statt des Schöpfers (den Kaiser). Nach ihren Gelüsten entehrten sie ihre eigenen Leiber. Die Weiber vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen. Die Männer verließen den natürlichen Umgang mit der Frau und entbrannten in wilder Gier gegeneinander. Sie wurden voll jeglicher Ungerechtigkeit, Bosheit, Unzucht, Habsucht, Schlechtigkeit, voll Neid, Mord, Hader, Arglist, Tücke. Sie wurden Ohrenbläser, Verleumder, Gottesfeinde, Spötter, Angeber, Prahler, unvernünftig, ungeordnet, ohne Liebe, ohne Treue, ohne Erbarmen.“ So schildert Paulus die unerlöste Welt. Die ehrlichen Menschen haben stets ihre Sünden erkannt und sich nach Befreiung von ihrer Schuld gesehnt. „Ach, es ging mir so gut unter meinem guten Herrn, und nun bin ich zum Gefangenen geworden unter meinem Verführer“, so muss Adam in seinem Elend bekennen, und in Adam jeder Mensch. „Was ich begangen, lässt sich nicht sühnen. Man schätzt den Klugen, man preist den Kühnen. Allein das Herz, das Herz in der Brust ist sich unendlicher Schuld bewusst.“ Dieses Bewusstsein von der Schuld lebt vor allem in der Geschichte Israels in seinen zahllosen, immer erneuten Opfern, in seiner machtvollen, zum Himmel aufschreienden Opferliturgie des Alten Testamentes, die wie eine Generalbeichte der vorgeschichtlichen Menschheit ist, wie ein lautes Confiteor, wie ein vor allen gesprochenes: meine Schuld, meine übergroße Schuld. Das vergossene Blut der Lämmer im Tempel ruft zum Himmel um Erbarmen. Die feierliche blutige Liturgie des Alten Bundes ist wie der Ruf des Volkes Gottes: O komm, o komm Emmanuel, mach frei dein armes Israel! Auch die Heiden waren vom Bewusstsein erfüllt, dass die Götter Sühne verlangen für die Schuld. Und so wurden überall den Gottheiten Opfer dargebracht. Unbelebte Dinge wie Nahrungsmittel oder Getränke wurden dem profanen Gebrauch entzogen und verbrannt oder ausgegossen, belebte Wesen: Tiere, Menschen wurden der Gottheit geweiht, und zwar in der Regel auf blutige Weise, also getötet. Die Opfer der Heiden dienten der Besänftigung des Zornes der Götter. Der Zorn aber ist durch die Sünden der Menschen verschuldet. Durch dieses Opfer sollte der Mensch entsühnt, gereinigt werden. Aber diese Opfer reichten nicht aus, sie waren unzulänglich, sie schafften es nicht, die Menschen zu befreien. Die Menschheit kann sich nicht selbst erlösen. Sie ist unfähig, ihre Schuld zu tilgen und den Zustand der Gerechtigkeit und Heiligkeit zurückzubringen. Eine Erlösung durch irdische Mittel ist ausgeschlossen. Das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer Kuh sind nach dem Zeugnis des Hebräerbriefes unkräftig, die unermessliche Schuld der Menschen zu tilgen. Kein Geschöpf kann für die in der Sünde liegende Schuld ein Äquivalent leisten.

Die katholische Erlösungslehre unterscheidet sich von allen Erlösungsvorstellungen innerlich und wesentlich. Sie lehrt die sonst nirgends streng festgehaltene Fremderlösung durch den Gottmenschen von der Sünde dank der durch die Erlösung wiedergewonnenen Güte. Erlösung im objektiven Sinne ist die Befreiung der Menschheit durch den Gottmenschen Jesus Christus aus dem durch die Sünde verschuldeten Zustand der Ungerechtigkeit und Knechtschaft unter dem Satan und die Wiederherstellung des Zustandes der übernatürlichen Gerechtigkeit und Heiligkeit und Freundschaft Gottes. Die objektive Erlösung geschah durch Jesus Christus, den Nazarener, den Sohn Mariens. Er ist der Erlöser, der einzige und universale Erlöser. Diese Erlösung vollzog sich zu einer geschichtlichen Stunde, nicht wie in den Mythen der Heiden, wonach die Erlösung fortwährend geschieht durch den Gang der Natur. Nein, „als die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, dem Gesetz unterworfen, auf dass er die, die unter dem Gesetze standen, erlöse, damit sie an Kindes statt angenommen würden.“ Gott ließ seinen eingeborenen Sohn zur Erde niedersteigen, um das Werk der Erlösung zu vollbringen. „Für uns Menschen, um unseres Heiles willen“, beten wir in der heiligen Messe am Sonntag, „ist er vom Himmel herabgestiegen und hat Fleisch angenommen.“ Die Möglichkeit der Erlösung durch Christus beruht auf der hypostatischen Union. Was ist die hypostatische Union? Das ist die Vereinigung von zwei Naturen in der göttlichen Person Christi. Eine menschliche und eine göttliche Natur sind in der Person des Gottessohnes, des Mittlers vereinigt. Christus ist der zweite Adam. Als zweiter Adam fasst er die ganze Menschheit zusammen. Er hat, als er sich die menschliche Natur aneignete, die ganze Menschheit angenommen. Durch die Vereinigung mit der menschlichen Natur hat er die Vereinigung der Menschen begonnen, im Grunde hergestellt. Aber freilich, er hat sein ganzes Leben als Gesamtwerk der Erlösung verbracht. Alles, was er redete, tat und litt, hatte erlöserische Qualität. Sein Erlösungswerk gipfelt im Kreuzestod. Er ist die Vollendung der Erlösung und das vorzüglichste Werk Christi. Um die Menschen mit Gott zu versöhnen, musste ein Opfer dargebracht werden, das gleichen Geschlechtes war wie wir, aber rein von jeder Befleckung. Es musste ein Äquivalent für die Schuld geleistet werden. Und als Äquivalent für die Gott durch die Sünden angetane Schmähung genügte nur das Opfer seines eigenen Sohnes. Christus hat durch die in höchstem Gehorsam und grenzenloser Liebe vollzogene Hingabe seines Lebens ein Versöhnungsopfer dargebracht. Durch den Kreuzestod leistete er anstelle der sündigen Menschheit Gott Genugtuung für die ihm zugefügte Beleidigung, nahm er an unserer Statt die Strafe auf sich. Er ertrug in Vertretung der Menschheit – das wird immer durch das Wörtchen „für“ ausgedrückt – sein Leiden als Strafe für unsere Sünden. Erlösenden Wert bekam es durch seine Gesinnung. Diese Gesinnung bestand in der höchsten Liebe zu Gott und den Menschen, im Eifer für die Verherrlichung Gottes, im Hass gegen die Sünde, im Gehorsam bis zum Tode. An dieser Gesinnung hatte der himmlische Vater solches Wohlgefallen, dass er nicht nur die Sünde verzieh, sondern auch die frühere Freundschaft erneuert hat. Das Erlösungsopfer Christi ist einmalig, es braucht keine Wiederholung, es duldet keine Wiederholung. Durch ein einziges Opfer hat er auf immer die vollendet, die sich heiligen lassen. Das Erlösungsopfer Christi ist ausreichend für alle Menschen und alle Zeiten. Es ist überfließend reich, ja, es ist unerschöpflich. Er hat eine ewige Erlösung gebracht. Sie verzehrt sich nicht im Laufe der Zeit oder wegen der Menge der Menschen. Die Genugtuung Christi ist ihrem inneren Werte nach unendlich, vollgültig, überfließend. Sie ist auch allgemein. Christus ist für alle Menschen und für alle Sünden gestorben. Er verdiente durch seinen Tod für die Menschen die Rechtfertigung, die Heiligung und alle übernatürlichen Gaben. Er kaufte durch seinen Tod die Menschheit los von der Knechtschaft der Sünde, des Teufels und des Todes und brachte die Freiheit der Kinder Gottes. Das Erlösungsopfer Christi reinigt und heiligt alle, die Erlösung suchen und nach ihr streben. Abseits von diesem Wege ist noch niemand erlöst worden.

Gott hat sich die Erlösung viel kosten lassen: das Leben seines einziggeborenen Sohnes. Der blutige Tod Jesu brachte die Erlösung zustande. Alle Schriften des Neuen Testamentes sind sich darin einig, dass es ohne das Blutvergießen des Sohnes Gottes keine Erlösung gäbe. In Christus besitzen wir die Erlösung durch sein Blut. Es gefiel Gott, durch ihn alles mit sich zu versöhnen durch das Blut, das am Kreuze vergossen wurde. Wir wurden durch den Tod seines Sohnes mit Gott versöhnt. „Das Blut seines Sohnes macht uns von allen Sünden rein“, schreibt selbst der milde heilige Johannes in seinem ersten Briefe. Vom Wiederschein des Blutes Christi, das am Kreuze für uns vergossen war, ist noch die ganze Welt gerötet. Der heilige Augustinus hat einmal in einem seiner Bücher geschrieben: „Es gibt törichte Menschen, die sagen: Hätte nicht Gottes Weisheit die Menschen in anderer Art erlösen können, ohne die Menschennatur anzunehmen, ohne von einer Frau geboren zu werden, ohne all das von den Sündern zu erdulden?“ Er gibt darauf die Antwort: „Sicher konnte er das. Aber wenn er es auch anders gemacht hätte, es hätte eurer Torheit wieder nicht gefallen.“ Das Christentum ist die einzige von Gott verordnete Erlösungsreligion. Die heidnischen Religionen enthalten Keime der Wahrheit, aber verderbt und vereinzelt. Die jüdische Religion ist wahre Religion, aber erstorben. Das Christentum ist die wahre Religion, lebendig und vollkommen. Sie ist die Erlösungsreligion. Und der Apostel Paulus jubelt im Gedenken an die von Christus vollbrachte Erlösung. „Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben“, schreibt er im Brief an die Galater – Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben. Diese Tatsache ist sein Glück und sein Stolz: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft für jeden, der glaubt.“ Sehnsucht nach Erlösung, meine lieben Freunde, muss das stärkste Moment unserer Frömmigkeit in den vier Wochen des Advents sein. Sehnsucht nach Erlösung muss unsere Seele durchziehen, muss mit dem ganzen Ernst und der Wucht der Sünde durch unsere Seelen hindurchzittern, wenn wir den Advent richtig verstehen und gnadenreich erleben wollen. „O komm, o komm Emmanuel“, „Tauet Himmel, den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab.“ Weltenheiland, wir brauchen dich. Weltenheiland, wir ersehnen dich. Weltenheiland, wir erwarten dich.

Amen. 

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