Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
10. Juli 2016

Das Christentum, die Religion des Risikos und des Opfers

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es ist überflüssig, zu sagen, dass der Herr uns den schlauen Verwalter des heutigen Evangeliums nicht als Vorbild der Unehrlichkeit hinstellen will. Der Vorgesetzte des Verwalters ist keine stellvertretende Figur für Gott. Wie würde sich Gott einfallen lassen, die Ungerechtigkeit zu empfehlen. Nein, dieser Herr ist geradezu ein Vertreter dieser Erde. Die beiden passen zueinander: der Verwalter und sein Herr, sie sind ihresgleichen, sie sind solche, welche die Ehrlichen für dumm halten. Und doch ist die Geschichte denen erzählt, die sich zur Rechenschaft vor Gott und damit zur Gerechtigkeit verpflichtet wissen. Sie ist nicht den Weltkindern erzählt, um sie in ihrer Dreistigkeit noch zu bestärken. Für die Jünger Jesu und für die Menschen, die nach ihnen dem Herrn folgen, hat die Geschichte nicht nur etwas Abstoßendes, sondern auch etwas Aufrüttelndes. Der Mann imponiert ihnen. Sie spüren: Verhielten wir uns da, wo es um die Gerechtigkeit geht, genauso klug wie der, dem es um seinen irdischen Mammon geht, wie anders wäre es um die Sache Gottes in der Welt bestellt. Also noch einmal: Der Mann, der Verwalter, ist ein Schurke, aber er ist ein schlauer Schurke. Von seiner Schlauheit kann man lernen, freilich nicht für eigene Schurkereien, sondern für die Arbeit im Dienste Gottes. Worin besteht nun die nachahmenswerte Klugheit des Verwalters? Vor allem darin, dass er sich nicht ins Bockshorn jagen lässt. Er verliert angesichts einer gefährlichen Lage den Kopf nicht, sondern überlegt. Er muss Rechenschaft ablegen. Damit ist verbunden, dass er seinen Beruf verliert, denn er weiß, die Betrügereien werden aufgedeckt. Aber er weiß auch, wie er sich helfen kann in dieser vertrackten Lage. Er setzt sich hin und verteilt Vorteile an die Schuldner seines Herrn. Wenn er dann seines Amtes entsetzt ist, werden sie ihn aufnehmen. Wir sehen die Jünger in ihrem Verhalten, wie sie ganz anders veranlagt sind als der Verwalter: beim Seesturm. Ja, sie wissen doch, der Herr ist im Boote, aber sie sind voll Angst und voll Jammer. „Was seid ihr so furchtsam, ihr Kleingläubigen?“ Der Herr ist im Boot. Oder denken wir an die Nacht zum Karfreitag. „Ihr werdet alle an mir irre werden, alle.“ Wenn eine Belastungsprobe kam, haben die Jünger regelmäßig versagt. Wenn einmal eine schwierige Situation eintrat, verloren sie den Kopf, besser gesagt, sie verloren den Glauben, das Zutrauen, dass es noch gutgehen werde. Sind wir anders, meine lieben Freunde? Sind wir nicht oft den Jüngern sehr ähnlich? Fassungslos und mutlos in einer wirklich oder scheinbar ausweglos scheinenden Lage? Wir stehen am Rande der Verzweiflung und vergessen die klare und nüchterne Überlegung des Glaubens: Der alte Gott lebt noch, er steht zu seinen Verheißungen. Wenn wir in allen Leiden geradeso mutlos und ungebärdig, so mürrisch und ohne Hoffnung sind wie die anderen, die keinen Glauben haben, ja, was ist denn das für ein Glauben, den wir bekennen? Von Papst Johannes XXIII. stammt das Wort: „Wer glaubt, zittert nicht.“ Ich weiß nicht, ob das Wort zutrifft. Es haben viele geglaubt, und doch haben sie gezittert. Auch unser Herr Jesus hat geglaubt, und doch schreibt Markus in der Passionsgeschichte: „Er fing an zu zittern und zu zagen.“ Also nach meiner Überzeugung ist es nicht das Kennzeichen des Glaubens, angesichts von Gefahren nicht zu zittern, sondern sich zu verhalten wie der Herr, also zum himmlischen Vater zu rufen, ob es nicht möglich ist, dass der Kelch vorübergeht. Und wenn es nicht möglich ist, dann zu sprechen: Steht auf, wir gehen, der Verräter naht. Da hat er den Leidenswillen, die Entschlossenheit zum Leiden gefunden. So hat es uns der Herr vorgemacht und so sollten wir es nachahmen. In schlimmen Lagen gilt es immer, meine lieben Freunde, den klaren Kopf zu bewahren, nicht in Panik geraten, überlegen: was ist verloren, was bleibt, Verlust und Gewinn gegeneinander abwägen. Gewiss, die Lage mag schlimm sein, aber vielleicht gibt es doch einen Ausweg, eine Hilfe, eine Rettung. Aus Niederlagen und Misserfolgen lässt sich mehr lernen als aus Erfolgen und Siegen. Von dem französischen Außenminister Talleyrand stammt das kluge Wort, wie man sich bei unerwarteten lästigen Ereignissen verhalten soll: „Gut unterrichtet sein und langsam handeln“, also sich Informationen verschaffen, die Lage genau bedenken, sich ein Bild von der Situation machen und dann nicht hastig, sondern überlegt handeln.

Noch etwas anderes ist imponierend an dem ungerechten Verwalter. Er plant, er denkt voraus, er lässt es nicht auf die letzte Minute ankommen. Was werde ich machen, wenn ich meines Postens enthoben bin? Er lässt sich nicht überraschen, er hat alles einkalkuliert. Er arbeitet einen Plan aus, er rechnet alles durch, er weiß, was zu tun ist, er weiß sich wirklich zu helfen. Die Jünger dagegen machen den Eindruck von Menschen, die froh in den Tag hineinleben. Die Leidensweissagungen Jesu nehmen sie nicht ernst. Dreimal hat der Herr sie ihnen vorgetragen, aber das darf nicht passieren, sagt Petrus. Bei der Gefangennahme flohen alle Jünger, alle!, obwohl sie gar nicht in Gefahr waren; die Polizei suchte ja nur den einen: Jesus von Nazareth. Aber die Jünger in ihrer Angst waren kopflos. Auch darin gleichen wir den Jüngern nicht selten. Wir wissen zwar aus dem Evangelium, dass wir den Kreuzweg gehen müssen, dass es uns nicht besser gehen kann als dem Meister, aber das nehmen wir nicht recht ernst: Uns wird es schon nicht treffen, ich muss ja nicht dabei sein, wenn es anderen schlecht geht. Wir beten: „Dein Wille geschehe“, aber wenn er dann wirklich geschehen soll, sind wir ganz anderer Ansicht. Dieser Tage rief mich eine Ärztin an. Sie erzählte, dass sie täglich das Gebet spreche: „Herr, wie du willst, soll mir geschehen.“ Aber wenn sie an den Vers kommt: „Was du willst, das nehm ich hin“, da stockt sie, sagte sie zu mir; so geht es den meisten von uns. Die Kinder dieser Welt haben Regeln ausgearbeitet, wie man sich auf künftiges Unglück einstellen und gefasst machen kann. Eine Regel lautet: Sei bereit, an die Zukunft denken, mit allem rechnen, nicht in den Tag hinein leben, sich nicht vom kommenden Unheil überraschen lassen, immer daran denken: auf dieser Erde gibt es kein vollendete Sicherheit. Eine andere Regel lautet: Immer den schlimmsten Fall – worst case im Englischen – einberechnen. Wir hoffen, dass er nicht eintritt, selbstverständlich, aber es kann schlimm ausgehen. Der schlimme Ausgang darf nicht weggeschoben, darf nicht für ausgeschlossen gehalten werden. Auch der schlimmste Fall ist möglich; man muss mit allem rechnen. Eine dritte Regel lautet: Niederlagen müssen bewältigt werden. Niederlagen sind nicht der Untergang. Nach dem zweiten Weltkrieg haben führende deutsche Generäle nachgedacht über die Ursachen der deutschen Niederlage. Einer von ihnen wies auf einen schweren Mangel der deutschen Strategie hin, er sagte: „Wir kannten nur zwei Kampfarten: Angriff und Verteidigung. Er gibt aber noch eine dritte Kampfart: Rückzug.“ Sie wurde in der deutschen Wehrmacht nicht eingeübt, mit all den verheerenden Folgen: Stalingrad, Nordafrika – jeweils eine ganze Armee zugrunde gegangen, zugrunde gehen gelassen, weil man sich nicht entschließen konnte, sich rechtzeitig zurückzuziehen. Die Engländer waren Meister des Rückzugs. Als sie erkannten, dass ihre Stellung in Norwegen nicht zu halten war, zogen sie sich zurück. Als die deutschen Truppen sie bei Dünkirchen einkesselten, gingen sie auf die Schiffe. Als sie auf der Insel Kreta in Gefangenschaft kommen sollten, sind sie nach Nordafrika übergesetzt. Daraus ist zu lernen: Man muss gewillt sein, unhaltbar gewordene Positionen zu räumen. Hitler kannte nur zwei Möglichkeiten: Sieg oder Untergang. Aber es gibt noch eine dritte Möglichkeit, nämlich die Niederlage, aus der man sich wieder erheben kann. Man muss im alltäglichen Leben lernen, nachzugeben und aufzugeben. Es ist nicht alles verloren, wenn man die eigene Meinung zurücknimmt, ein Projekt fallen lässt, eine Stellung räumt. Eine solche Haltung, ein solcher Rückzug wirkt oft versöhnlich auf andere, stimmt sie großmütig. Bei Kämpfen und Auseinandersetzungen, die ja auf dieser Erde unvermeidlich sind, sollte man bedenken: Man muss mit dem Gegner von heute morgen wieder zusammenarbeiten, man darf das Tischtuch nicht endgültig zerschneiden. Deshalb: immer verhandlungsfähig bleiben, niemals die Möglichkeit des Rückzugs ausschließen. Man darf sich auch nicht an anderen rächen. Ist der Feind mächtig, so ist es unklug und töricht, Rache zu üben. Ist er aber unglücklich, so ist es niedrig und grausam, Rache zu üben.

Da ist noch ein Drittes an dem Verwalter, was wir von ihm lernen können und was das Lob seines Herrn rechtfertigt: Er riskiert etwas, er riskiert sogar alles. Toller konnte er es nicht treiben, als die vielen kleinen Betrügereien nun durch eine ganz große zu krönen. Er bringt den Mut dazu auf; es kostet ihn einen kleinen Anlauf, aber dann hat er es geschafft. Er hat es wirklich geschafft; das große Risiko hat sich bezahlt gemacht. Die Jünger haben gewiss auch etwas riskiert. Sie haben, wie Petrus sagt, alles verlassen und sind ihm nachgefolgt. Aber gleich hinterher kommt die Frage: Was wird uns dafür zuteil? Oder der reiche Jüngling: Er hatte alle Gebote gehalten, aber das Risiko sich von seinem Besitz zu trennen, das wollte er nicht auf sich nehmen; denn er war sehr reich. Es geht uns oft genug genauso. Wir möchten gern gute Christen sein, aber es darf nicht zu viel kosten. Es gibt Ratschläge im Evangelium, die hören sich gut an, aber die sind, so meinen wir, für die anderen. Gemessen an dem, was die Kinder dieser Welt auf sich nehmen an Lasten und Strapazen, um ein Ziel zu erreichen, machen wir es uns im Religiösen gewöhnlich recht bequem. Opfer bringen, Verzichte üben, das ist nicht unsere Sache. Und deswegen geht es mit uns auch nicht richtig voran, denn nur das Opfer bringt uns dem Herrn nahe. Das Leben des Christen ist ein Wagnis und muss ein Wagnis bleiben. Wir suchen Gottes Willen zu erfüllen in der gläubigen Erwartung, dass er uns einst, wenn wir uns bewährt haben, in seine Herrlichkeit aufnehmen wird. Das ist unser Risiko: Hier auf Erden sich an Gottes Gebote halten. Also auf Gewinn zu verzichten, wenn der Gewinn im Widerspruch zu Gottes Willen steht. Lieber ehrlich und arm als unehrlich und reich durch das Leben gehen. Lieber Verzicht üben als Besitz, der durch Unrecht erworben ist, anzuhäufen. Der Zölibat, meine lieben Freunde, ist ein Opfer, daran lässt sich nicht rütteln. Aber dieses Opfer lässt sich begründen, und die Begründung liegt darin, dass hier alles auf eine Karte gesetzt wird, auf die Karte Gottes; und das ist eine Karte, die sticht. Das Christentum ist mehr als bürgerliches Wohlverhalten, mehr als gelegentlicher Besuch des Gottesdienstes, mehr auch als Kirchenmusik von Bach und Brahms, das Christentum ist Anstrengung, Mühe, Entsagung und Verzicht. Das Christentum ist eine Angelegenheit, die hohen Einsatz fordert. „Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich.“ Das Christentum ist die Religion des Heroismus. „Ein Held ist, wer einer großen Sache so dient, dass seine eigene Person dabei gar nicht in Frage kommt“, hat einmal Friedrich Nietzsche geschrieben, und er hat recht. Ein Held ist, wer einer großen Sache so dient, dass seine eigene Person dabei gar nicht in Frage kommt, dass er sich nicht selbst sucht, sondern Gottes Sache. Was einen Menschen zum Helden macht, das ist das Opfer. Die großen Naturen verschwenden sich, verströmen sich. Merkmal großer Menschen ist, dass sie an sich viel höhere Anforderungen stellen als an andere. Selbstverständlich muss man berechnen, wenn man einen Turm bauen will, ob man die Mittel zur Ausführung und Fertigstellung hat, aber der Christ weiß bei seinem Bauen, dass der himmlische Bauherr mitbaut. Selbstverständlich muss man sich fragen, ob man die Kraft hat, eine Ehe und Familie zu begründen oder den steilen Weg der Enthaltsamkeit zu gehen. Aber der Christ kennt das Grundgesetz seines göttlichen Meisters: Dem Menschen, der tut, was in sich ist, versagt Gott nicht seine Gnade. Du kannst, wenn du willst, du kannst, weil du musst. Um große Erfolge zu erreichen, muss etwas gewagt werden. Große Dinge sind immer mit großen Gefahren verknüpft. Darin liegen der Adel und die Schönheit des Glaubens, dass wir das Herz haben, etwas zu wagen. Es wäre wenig in der Welt unternommen worden, wenn man immer nur auf den möglichen unglücklichen Ausgang geschaut hätte. Es ist klug und kühn, dem unvermeidlichen Übel entgegenzugehen. Machen wir uns, meine lieben Freunde, die Lehren zunutze aus dem Verhalten des ungerechten Verwalters. Denken wir, überlegen wir, lassen wir uns beraten in den Entscheidungen und an den Wendepunkten unseres Lebens. Betrachten wir alle Lagen, auch alle Niederlagen unsres Lebens nüchtern. Rechnen wir mit allem Schlimmen, auch mit dem Schlimmsten. Aber vertrauen wir auch dem Gott, der uns berufen und uns zu seinen Kindern gemacht hat. Der edle Kardinal Newman betete: „Du hast mich so lang behütet, wirst mich auch weiter führen über sumpfiges Moor, über Ströme und lauernde Klippen, bis vorüber die Nacht und im Morgenlicht Engel mir winken. Ach, ich habe sie längst geliebt, nur vergessen für kurze Zeit.“

Amen.

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