Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. Juni 2016

Menschenfischer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In der äußeren Mongolei ist in diesen Tagen zum ersten Mal ein Einheimischer, ein Mongole, zum Priester geweiht worden. Aus Anlass dieses Ereignisses schrieb die englische Zeitung „Catholic Herald“: „Nach der Priesterweihe wird Joseph Enkh viele Stunden zu Pferd verbringen und durch die endlosen Steppen reiten, um seinen Landsleuten die Frohbotschaft zu bringen. Liegt darin eine Lehre für das heutige England?“ „Ja“, schreibt die Zeitung, „in einer Zeit, in der nicht viele Menschen in die Kirche kommen, müssen wir von einer sesshaften zu einer mobilen Lebensform wechseln. Statt darauf zu warten, dass die Menschen zu uns kommen, müssen wir dorthin gehen, wo sie sind“, so der „Catholic Herald“ in London. Diese Meldung und dieser Kommentar passen ausgezeichnet zum Evangelium der heutigen heiligen Messe. Denn dort spricht der Herr zu Petrus: „Von nun an wirst du Menschen fangen.“ Er machte ihn zum Menschenfischer. Menschenfischer sind Personen, die andere für den Glauben, für Christus, für die Kirche zu gewinnen sich bemühen. Sie folgen damit der Aufforderung des Herrn: „Machet alle Menschen zu meinen Jüngern. Gehet hin und machet alle Völker zu Jüngern.“ Das Christentum ist eine universale Religion. Die ganze Erde ist ihr Missionsgebiet. Alle Menschen sind von Gott berufen, zur Anerkennung seiner Offenbarung, zum Glauben an Jesu Wort, zum Anschluss an seine Kirche zu gelangen. Die Kirche ist, wie das Zweite Vatikanische Konzil erklärte, von Natur aus, vom Wesen her missionarisch, d.h. sie will sich ausbreiten. Alle Glieder der Kirche müssen je nach der Weise, die ihnen möglich ist, an der Ausbreitung der Kirche mitwirken. Der Dienst der Kirche muss missionarisch sein. Es braucht missionarische Seelsorge. Andere Worte dafür sind heute Rechristianisierung, also Wiederchristlichmachung, oder Neuevangelisierung, wiederum von Anfang an neu beginnende Verkündigung des Evangeliums. Missionarische Seelsorge ist das Bemühen um die abständigen und abgefallenen Christen, um jene, die sich aus der Praxis des religiösen Lebens und der Pfarrgemeinschaft entfernt haben, das Bemühen um jene, die abgefallen sind vom Glauben und sich dem Unglauben zugewandt haben. Sie müssen zum Glauben der Kirche, zum Gebet, zur Teilnahme am Gottesdienst und auch natürlich zur Beteiligung am pfarrlichen Geschehen gewonnen werden. Diejenigen, die aus der Arche des Heiles geflohen sind, müssen zurückgeholt werden. Keiner darf aufgegeben werden; ein jeder ist unersetzlich. In der kaufmännischen Branche gilt der Satz: Wer nicht wirbt, der stirbt. D.h. wer seine Arbeit und seine Erzeugnisse nicht immer wieder, ja unaufhörlich anbietet, wird vergessen, verliert die Kundschaft; das gilt für die Möbel genauso wie für die Waschmittel. Auch die Religion wird übersehen, wenn sie sich nicht bemerkbar macht. Aber in der Religion geht es um höhere Werte als um Möbel und Waschpulver. Die Kirche vermittelt Schätze von unermesslichem Wert: den Glauben und die Gnade, die Verbindung mit Gott und die Kenntnis Christi, das Wort des Heiles und die Sakramente der Heimholung. Diese Schätze müssen den Menschen gezeigt, nahegebracht, vermittelt werden; das geschieht durch missionarische Seelsorge. In jeder Pfarrei bröckelt es ab. Da gibt einer die religiöse Praxis auf, ein anderer geht eine Mischehe ein und verliert den Glauben, wieder ein anderer zieht weg, Alte sterben; in jeder Pfarrei bröckelt es ab. Diese Verluste müssen ersetzt werden. Neue Glieder der Gemeinde müssen gefunden werden, Abständige müssen aktiviert, Abgefallene zurückgeführt werden. Eine Pfarrei, die nicht zunimmt, nimmt ab. Zunehmen kann eine Pfarrei nur durch missionarische Seelsorge, durch Menschenfischer, welche die Bevölkerung einladen, in das Volk Gottes einzutreten oder zurückzukehren, die ihnen das Glück unterbreiten, das Glück, das in der Erkenntnis des dreieinigen Gottes und in der Kenntnis des menschgewordenen Gottessohnes besteht.

Missionarische Seelsorge obliegt an erster Stelle den beamteten Dienern und Dienerinnen der Kirche, geweihten und nicht geweihten. Vom Diözesanbischof als dem Oberhirten und ersten Pfarrer des gesamten Bistums muss erwartet werden, dass er sich aktiv und führend in der missionarischen Seelsorge betätigt. Es ist nicht genug, dass er im Dom predigt und Hirtenbriefe versendet, er muss in seinem gesamten Bistum präsent, persönlich präsent sein. Er muss im Rahmen seiner Möglichkeit auf den Einzelnen zugehen, den Einzelnen seelsorglich betreuen: den Zweifler, den Kranken, den Verunglückten, den Gefangenen. Von einem Mainzer Bischof muss erwartet werden, dass er seine Diözese von Alsfeld (im Norden) bis Lampertheim (im Süden) durchwandert, dass er von Ockenheim bis Seligenstadt rastlos die Diözese durchfurcht. Ein Bischof, der den längsten Teil seiner Amtszeit am Schreibtisch zubringt, verkennt seine wichtigste Aufgabe, nämlich Seelen durch persönliche Einwirkung zu gewinnen. Er darf Pontifikalämter nicht bloß in seiner Kathedralkirche halten, er muss zu Gottesdiensten in allen Pfarrkirchen seines Bistums bereit und gewillt sein. Solche Bischöfe hat es gegeben. Der Mainzer Bischof Colmar hat es gezeigt, wie man das macht. Er war noch nicht einmal vier Jahre Bischof in seiner Diözese Mainz, da konnte er dem französischen Kultusminister schreiben: „Es gibt in meiner Diözese keine Kirche, in der ich nicht wenigstens zwei Mal gepredigt habe.“ Der Bischof muss der erste missionarische Seelsorger seiner Diözese sein. Er muss auch seine Mitarbeiter inspirieren, er muss sie anstecken mit seinem Eifer. Er muss sie anleiten, missionarische Seelsorge aufzunehmen. Missionarische Seelsorge obliegt selbstverständlich in besonderer Weise dem Pfarrer. Der Pfarrer ist nahe an den Gläubigen, er muss ihnen seine ganze Kraft zuwenden. Wer missionarische Seelsorge betreibt, wartet nicht, bis die Menschen zu ihm kommen, denn die meisten kommen nicht. Wer missionarische Seelsorge betreibt, geht zu den Menschen, lässt ihnen – recht verstanden – keine Ruhe, bis er sie wieder zu seiner Herde zurückgeführt hat. Wer missionarische Seelsorge betreibt, denkt unermüdlich darüber nach, wie er Menschen erreichen, gewinnen, ansprechen kann. Jeden Gang in seiner Pfarrei – zur Postagentur, zum Friseur – benutzt ein missionarisch gesinnter Priester, um Menschen zu begegnen, zu begrüßen, in seine Gemeinde zu integrieren. Wer missionarische Seelsorge betreibt, kennt keinen 8-Stunden-Tag. Unermüdlich führt ihn sein Weg in die Wohnungen der Pfarrangehörigen. Hausbesuche, meine lieben Freunde, sind ein entscheidendes Mittel missionarischer Seelsorge. Sie müssen systematisch vorgenommen werden, die Pfarrei muss nach einem bestimmten Plan durchmissioniert werden durch Hausbesuche. Es gibt französische Untersuchungen, in denen nachgewiesen wurde, dass, wo Hausbesuche systematisch betrieben werden, die Kurve der Gottesdienstbesucher automatisch ansteigt. Man muss freilich bei Hausbesuchen geduldig sein, man darf sie nicht abbrechen bei angeblicher Erfolglosigkeit. Der Erfolg der Hausbesuche pflegt sich rasch einzustellen. In einer Pfarrei, wo der Priester seine Anvertrauten planmäßig und unermüdlich besucht, steigt die Zahl der Gottesdienstbesucher merklich. An Hausbesuchen können auch Diakone und Laien beteiligt werden. Ich denke immer an die Mormonen, die mich mehrfach besucht haben. Zu zwei und zwei kommen sie, vorzüglich gekleidet, höflich, unterrichtet und versuchen, ihre Glaubensüberzeugung anderen zu vermitteln. Warum ist das bei uns nicht möglich? Die Hemmnisse und die Einwände gegen die Forderung missionarische Seelsorge zu betreiben, sind mir bekannt. Auf die Menschen zugehen, sie ansprechen, sie anhören, unfreundliche und vorwurfsvolle Reden vernehmen, gelegentlich auch rüde und beleidigende Äußerungen ertragen, dazu braucht es einen starken Glauben, feste Verbundenheit mit Gott und echte Zuneigung zu den Menschen. Vom Bischof Colmar von Mainz stammt das schöne Wort: „Keine Arbeit ist mir zu viel, wenn es dem Vorteil der Kirche dient.“ Nicht wenige Seelsorger scheuen den Kontakt mit der Kirche entfremdeten Menschen. Sie sind ängstlich und unsicher, sie fürchten sich vor peinlichen Fragen, sie fliehen vor der unvermeidlichen Auseinandersetzung. Wer missionarische Seelsorge betreibt, muss alle Müdigkeit, alle Scheu, alle Unlust und sein Ruhebedürfnis überwinden. Vom heiligen Johannes Bosco, dem Apostel der Jugend, stammt das schöne Wort: „Meinetwegen können die Jungen auf meinem Rücken Holz hacken, wenn sie nur nicht sündigen.“ Man verweist auf die Belastung und Überlastung der Priester mit den pfarrlichen Aufgaben. Ich weiß nicht, ob es damit immer recht bestellt ist. So manche Obliegenheiten haben sie abgegeben. Als ich vor 65 Jahren den priesterlichen Dienst aufnahm: Wer hätte damals daran gedacht, den Erstkommunionunterricht guten Frauen anzuvertrauen? Wer hätte damals jede Woche einen Tag frei gemacht, wo man in der Pfarrei nicht anzutreffen war? Und was nimmt der Pfarrgemeinderat wirklich oder angeblich dem Pfarrer ab? Es gibt viele pfarrliche Aufgaben, aber es gibt keine, die es an Bedeutung mit der missionarischen Seelsorge aufnehmen kann. Wenn jeder Pfarrer in der Woche einen Tag, nur einen Tag, für Hausbesuche vorbehalten würde, wäre ein entscheidender Durchbruch zur missionarischen Seelsorge erzielt. Missionarische Seelsorge muss an erster Stelle stehen. Wenn wir den Bestand der Gemeinde nicht halten, werden unsere Kirchen bald wegen der Leere zusammenbrechen.

Missionarische Seelsorge wendet sich aber nicht nur an die Getauften, und zwar die Abständigen, die Abgefallenen unter ihnen, sie zielt auch auf die Ungetauften: die Ungläubigen, die Irrgläubigen. In Deutschland leben Millionen Volksgenossen, die sich vom Glauben der Kirche losgesagt und von ihr getrennt haben. In Budenheim gibt es Hunderte von aus der Kirche Ausgetretenen. Ich habe nie gehört, dass ein Bemühen um diese Menschen auch nur versucht worden wäre. In Städten wie Hamburg und Hof bilden die Nichtchristen die Mehrheit. München, das einmal katholische München, hat noch 39% Katholiken. Die große Zahl derer, die sich vom Christentum losgesagt haben oder niemals in ihm beheimatet waren, ruft nach missionarischer Seelsorge. Sie müssten das Ziel der kirchlichen Missionstätigkeit sein. Bischof Colmar ging persönlich zu den Kirchenfernen und Unbußfertigen – persönlich! Ein Zeitgenosse schreibt von ihm: „Er fand Erholung nur in der Abwechslung der Arbeit.“ Seit Jahrzehnten leben in Deutschland Millionen Anhänger des Islam, einer falschen, von Menschen erfundenen Religion. Diese Anwesenheit ist eine einmalige Chance, sie zum Christentum, der einzigen wahren Religion zu bekehren. Aber niemals haben die deutschen Bischöfe Anstrengungen unternommen, die Muslime zu Christus und seiner Kirche zu führen. Was werden sie antworten, wenn der Herr beim Gerichte sie fragen wird: Was habt ihr für missionarische Seelsorge betrieben? Es gibt Priester, die vorbildliche missionarische Seelsorge geübt haben und dies auf dem harten Boden der Diaspora. Ich erwähne zwei: Maximilian Kaller und Bernhard Lichtenberg. Maximilian Kaller war Pfarrer auf der Insel Rügen. Auf dieser Insel lebten damals Katholiken an allen Ecken und Enden, aber verstreut und abständig von der Kirche. Er durchwanderte die Insel von Norden bis Süden, von Ost bis West. Treppauf, treppab, in jedes Haus ging er und erschuf sich eine blühende Gemeinde. Bernhard Lichtenberg war Pfarrer in Berlin, in dem Moloch Berlin, mit seinen zerstreuten Katholiken. Er sorgte sich um jeden einzelnen Gläubigen. Er sorgte sich um jedes einzelne Kind, dass es Religionsunterricht bekam, dass es für den Gottesdienstbesuch gerüstet wurde, dass es die Sakramente empfing. Lichtenberg war ein leuchtendes Beispiel missionarischer Seelsorge.

Vielleicht, meine lieben Freunde, fragen Sie mich: Warum erzählst du uns das alles? Wir sind doch keine Seelsorger, keine beamteten Diener der Kirche. Ich erzähle es, meine lieben Freunde, weil auch Sie in Ihrem Bereich Menschenfischer werden können, sich an der missionarischen Seelsorge beteiligen können. Im Alltag, am Arbeitsplatz, in der Freizeit stehen uns die Möglichkeiten des Apostolates des guten Wortes zu. Da gilt es, einen Unwissenden zu belehren, einen Irrenden zu warnen und zur Umkehr zu bewegen, einen Zaudernden zu stärken, einen Trägen anzustacheln, einem Furchtsamen Mut einzuflößen. Ein einziges tapferes Wort, ja schon eine ernste Miene vermag oft mehr in einer Seele auszurichten als der beste Religionsunterricht und die beste Predigt. Wir brauchen die Menschen nicht anzupredigen, wir müssen ihnen nicht lästig werden, aber wir können ihnen den Samen des guten Wortes in die Seele fallen lassen. Gute Lehre nimmt der Mensch freilich nur von dem an, der ihm auch das gute Beispiel gibt. Seien wir selbst etwas Rechtes und wir werden Segen für die anderen sein. Gutes Beispiel ist aber nicht nur ein Vorrecht, es ist eine Pflicht, eine heilige Pflicht, wenn man sich nicht fremder Sünden schuldig machen will. Gutes Beispiel ist noch keine unmittelbare Leistung des Seeleneifers, es ist noch keine Menschenfischerei. Von Seeleneifer können wir erst sprechen, wenn einer überlegt und vorsätzlich, bewusst aus wahrer Liebe und wahrer Freudigkeit, die Gelegenheit ergreift, die Seele des Nächsten zu erreichen. Die Sehnsucht, der Wille, die Entschlossenheit, die Menschen zum Glauben, zur Religion, zur Kirche zu führen, muss immer in uns sein. Meine lieben Freunde, damit Sie nicht denken, der spricht vom grünen Tisch, denn der ist ja Gelehrter und nicht Seelsorger. Ich habe in meinen ersten Priesterjahren jede Woche einen Tag freigehalten nur für Hausbesuche, als junger Kaplan, ohne Aufforderung und ohne Anleitung. Es ist ein großes und erhabenes Werk, auch nur einen einzigen Mitmenschen zu seinem Heile zu führen. Denken wir an die Familienangehörigen, an die Berufskollegen, an die Hausnachbarn. Viele gehören dem Reiche Gottes nur äußerlich an, Taufscheinchristen nannte man sie früher; ihr Wandel hat nichts mit christlichem Glauben zu tun. Und das Schicksal dieser abgestandenen Glaubensbrüder muss uns nahegehen, meine lieben Freunde. Bei der Firmung hat uns der Bischof das Kreuz auf die Stirn gezeichnet und uns dadurch zu Vorkämpfern Christi geweiht. Und damit haben wir die bleibende Pflicht übernommen, durch Wort und Tat das Gute hienieden zu mehren und zu fördern. Ausgerüstet mit den sieben Gaben des Geistes müssen wir die Menschen unserer Umgebung zum Heile führen. Gehen wir ans Werk, meine lieben Freunde, reihen wir uns ein in die Zahl der Menschenfischer, beteiligen wir uns an der missionarischen Seelsorge der Kirche. Als Bischof Colmar seine Antrittspredigt in Mainz hielt, da erklärte er: „Meine eigene Seligkeit hängt von der Ihrigen ab. Das heilige Blut, das Jesus zur Erlösung Ihrer Seelen vergossen hat, wird er von meiner Hand fordern. Und wehe mir, wenn ich im Gericht vor ihm verstummen müsste!“

Amen.

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