Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. Dezember 2015

Weichliche Kleider

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Unsere Urgroßmütter würden große Augen machen, wenn sie einmal Gelegenheit hätten, die Kleiderschränke ihrer Urenkel zu betrachten. Sie selber sind ja in Leinen und Kattun aufgewachsen, einfach und schlicht. Sie würden den Kopf schütteln über die Auswahl und die Eleganz, die Vielfalt und die Qualität unserer Garderobe. Und wenn sie die Bibel kennen würden – und sie haben sie ja gekannt –, dann würden sie vielleicht sagen: Die da weichliche Kleider tragen, sind in den Palästen der Könige. Es ist auffällig, dass immer, wenn der Herr über Könige spricht, ein kritischer Ton dabei ist. Verglichen mit ihren Möglichkeiten und ihrem kärglichen Bestand herrscht bei uns so etwas wie ein Kleiderluxus. Die Menge der Kleider wird auf 5,2 Milliarden in den deutschen Kleiderschränken geschätzt. Die Kleider sind notwendig und wir erfreuen uns an ihnen; wir möchten unsere Garderobe nicht eintauschen gegen die wollenen Umschlagtücher, mit denen unsere Urgroßmütter im Winter sich bekleideten, oder mit der unförmigen Joppe, wie unsere Urgroßväter sie trugen. Aber die Kleiderfrage ist gar nicht das Entscheidende unserer heutigen Überlegungen. Es geht streng genommen nicht um die Kleider, sondern um etwas ganz anderes. „Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste? Was wolltet ihr da sehen? Einen Menschen mit weichlichen Kleidern? Die weichliche Kleider tragen, sind in den Palästen der Könige.“ Nein, der Johannes an der Furt des Jordan trug keine weichlichen Kleider, er führte ein hartes Leben der Entsagung und der Buße, er war in Kamelhaartuch gekleidet, ein Prophet, kein Idealbild für schöngeistige Ästheten. Ohne Zweifel: Johannes ist ein harter Mann – hart gegen sich und hart gegen andere. Mit ungeheurem Ernst hat er den Weg bereitet für den, der nach ihm kommt. Er ist kein schwankendes Rohr, keine Wetterfahne, kein geschmeidiger Diplomatentyp. Sein Charakterbild schwankt nicht in der Geschichte, wie man das von anderen bedeutenden oder unbedeutenden Leuten der Geschichte sagen muss. Er ist eine klar geprägte, ganz von seinem Amt geformte Persönlichkeit.

Das Wort vom schwankenden Rohr ist ein Bild. Es will aussagen, dass ein Mensch keine gefestigte Überzeugung hat, dass er vielmehr von den jeweiligen Stimmungen, Strömungen, Meinungen hin und her getrieben wird. Ein Mensch, der ein schwankendes Rohr ist, steht nicht fest, er hat keinen Standpunkt, er lässt sich verschieben. Ein solcher Mensch ist selbstverständlich auch nicht verlässlich; man kann sich auf ihn nicht verlassen. Ein solcher Mensch ist nicht nach dem Willen Gottes. Der Herr hat wiederholt und entschieden Klarheit und Entschiedenheit von seinen Anhängern und seinen Hörern gefordert. „Euer Jawort sei ein Ja, euer Neinwort sei ein Nein. Was darüber ist, das ist vom Teufel.“ „Ihr könnt nicht zugleich Gott dienen und dem Mammon“; der Mensch kann sich nicht zerteilen: entweder – oder. Und seine Jünger haben diese Verkündigung des Herrn wiederholt. Johannes erklärt: „Wenn jemand die Welt liebhat, so ist die Liebe zum Vater nicht in ihm“, also entweder Weltliebe oder Gottesliebe. Der heilige Paulus lehrt: „Die nach dem Fleische leben, trachten nach dem, was das Fleisch will. Die nach dem Geiste leben, streben nach dem, was der Geist will.“ Auch hier wieder das klare Entweder-Oder: entweder Fleisch oder Geist. Im Epheserbrief, der ein besonders wertvolles Dokument der Gedanken des heiligen Paulus ist, schreibt der Apostel an seine Gemeinde: „Wir sollen nicht unmündige Kinder sein, die sich durch das Trugspiel der Menschen und durch die Verführungskünste des Irrtums von jeder windigen Lehre hin und her treiben lassen.“ Vielleicht hat er gedacht an die Geschichte des Volkes Israel, das sich ja auch nicht entscheiden konnte zwischen Gott und dem Götzen Baal. Der Prophet Elias hat sie auf die Probe gestellt und zur Entscheidung aufgefordert: „Wie lange wollt ihr noch nach beiden Seiten hinken? Ist Jahwe euer Gott, dann haltet zu ihm, ist aber Baal euer Gott, dann haltet zu Baal.“ Wir sollen, meine lieben Freunde, keine schwankenden Rohre sein. Wenn wir nach reiflicher Prüfung für bestimmte Haltungen und Regeln uns entschieden haben, sollen wir daran festhalten; nur so werden wir verlässliche Menschen. Schon im täglichen Leben sollen wir uns an bestimmte bewährte Grundsätze halten, also z.B. nicht mehr ausgeben, als man einnimmt. Schulden machen, ist eine gefährliche Sache. Es gibt in Deutschland Millionen verschuldete Haushalte. Oder: Nicht versprechen, was man nicht halten kann; vorher überlegen, bevor wir eine Zusage geben. Ein Priester beschwerte sich einmal bei seinem Bischof, dass er ihm eine bestimmte Pfarrei nicht gegeben habe, die er ihm doch versprochen hatte. Der Bischof entgegnete ihm: „Ja, meinen Sie, ich hab’ sie nur Ihnen versprochen?“ Ich hatte einen akademischen Lehrer, der trug den Spitznamen „der Jeiner“, also der offenbar nicht ja und nicht nein sagen konnte, sondern immer darum herumredete. Er hatte den verdienten Namen „der Jeiner“. Erst recht braucht es Festigkeit und Beständigkeit im religiösen Leben. Sie alle wissen, dass mit dem Konzil eine allgemeine Lockerung der religiösen Übungen und Gewohnheiten eingetreten ist. Wir sollten sie nicht mitmachen. Wir sollten nicht das dumme Wort nachsprechen: Es ist eben alles anders. Ja, es ist anders, aber es sollte nicht anders sein! Als Kinder haben wir gelernt: Kein Tag ohne Gebet, kein Sonntag ohne heilige Messe, kein Monat ohne Beicht und Kommunion. Und ich kann Ihnen versichern, meine lieben Freunde, als ich Kaplan in der Ostzone war, ich hatte Dutzende von Jugendlichen, die diesen Rhythmus eingehalten haben. Wir sollten uns von solchen Prinzipien nicht durch dummes Gerede abbringen lassen. Es sind falsche Propheten, die uns einreden, man braucht nicht mehr zu beichten, das lange Beten ist überflüssig, die Kommunion kann empfangen, wer will. Im Jahre 1845 – also vor bald 200 Jahren – schrieb der Tübinger Theologe Karl Josef Hefele, später Bischof von Rottenburg: „Die Geistlichen, die auf der Kanzel stets nur sentimentales Gefasel zu Markte bringen, statt die Dogmen zu lehren, sind schuld, dass viele Laien in Glaubenssachen dem schwankenden Rohre gleichen und von jedem Winde des Irrtums bewegt werden.“ Häufig rührt das Schwanken in der Überzeugung und in der Lebensführung aus der Furcht vor dem Urteil der Menschen her, was die Leute dazu sagen. Das schreckt die meisten Menschen mehr als das Bewusstsein, was Gott darüber denkt. Die Menschenfurcht übt mehr Zwang und Druck auf die persönliche Freiheit aus als alle Gebote. Denen, die aus Menschenfurcht hin und her schwanken, ruft der Apostel Paulus zu: „Wollte ich noch Menschen gefallen, dann wäre ich nicht mehr Christi Diener.“

Johannes war ein Mann der Herbheit, ja der Härte. Zu ihm gehört das Opfer und der Verzicht. Er hat ein hartes Asketenleben geführt in der steinigen Wüste Judas. Mit ihm ist uns ein Mensch vor Augen gestellt, von dem der Herr nicht sagt: „Die da weichliche Kleider tragen, sind in den Palästen der Könige.“ Johannes war kein Schilfrohr, das vom Winde hin und her getrieben wird, weil er hart gegen sich selbst war. Wer weichlich ist, wird auch bald ein Schilfrohr sein, das vom Winde hin- und hergetrieben wird. Es geht um die Bereitschaft, zu verzichten, zu einem einfachen Leben. Mit den „weichlichen Kleidern“ ist die Haltlosigkeit gemeint, das Hin-und-Hergetriebenwerden von der Genusssucht, die Verweichlichung. An der Verweichlichung geht der einzelne Mensch und gehen die Völker zugrunde. Entsagung hat Johannes vorgelebt, Entsagung hat er von seinen Hörern gefordert: „Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich.“ Er hat eine Haltung, eine Tugend gefordert, die heute weitgehend vergessen wird, nämlich die Selbstzucht. Die Selbstzucht, die entgegen ist der Selbstsucht. Die Selbstzucht beginnt mit dem regelmäßigen Sichniederlegen zur Nachtruhe und dem regelmäßigen Aufstehen. Nur durch diese Regelmäßigkeit lässt sich das Tagesprogramm, das uns auferlegt ist, bewältigen. Es ist eine Tugend, jeden Morgen zu gebotener Stunde sich zu erheben. Es stählt den Willen, es kostet Überwindung, aber es verhilft zur Selbstachtung. Als ich in München im Priesterseminar war, da sagte unser Leiter, der Regens Prof. Pascher, einmal zu uns: „Ich kontrolliere Sie nicht, ob sie beim allgemeinen Wecken aufstehen. Aber wenn ich es erleben würde, dass einer noch liegenbleibt, dann würde ich ausspucken und mich auf dem Absatz herumdrehen.“ Wer Selbstzucht gelernt hat, geht die Erfordernisse des Tages nach einer bestimmten Reihenfolge an. Sie lautet: erst das Notwendige, dann das Nützliche, schließlich das Angenehme – nicht umgekehrt: erst das Notwendige, dann das Nützliche und zum Schluss das Angenehme. Wer diese Ordnung umdreht, der versinkt in der Unordnung, im Durcheinander. Zur Selbstzucht ist auch gefordert, die anfallenden Aufgaben rechtzeitig anzugehen und pünktlich zu erledigen; nur so erspart man sich Ärger und bleibt zuverlässig. Das unbegründete Aufschieben von Arbeiten zwingt häufig zu hastiger, ungenügender Erledigung im letzten Augenblick; die Verzögerung verschafft Verdruss und Misshelligkeit. Ich habe mir in meinem Leben, wenn ich Ihnen das sagen darf, meine lieben Freunde, zum Grundsatz gemacht, jede Arbeit so früh wie möglich zu beginnen, und mit diesem Grundsatz bin ich gut gefahren. Der Mensch, der Selbstzucht gelernt hat, drückt sich nicht und flieht nicht vor unangenehmen Arbeiten. Es ist schäbig, lästige und beschwerliche Aufgaben liegenzulassen, zu versäumen, auf andere abzuschieben. Nein, wir erwerben die Tugend und gewinnen die Geneigtheit der Mitmenschen, wenn sie erleben, wie wir uns unter das Gesetz der Arbeit beugen, auch wenn die Arbeit ungeliebt sein mag und schmutzig. Der Mensch der Selbstzucht lässt sich eben nicht von seiner Bequemlichkeit und Sinnlichkeit leiten, sondern er herrscht über sie kraft seiner Einsicht und seines Willens. Wenn wir nur dem folgen, was Bequemlichkeit und Sinnlichkeit uns eingeben, da wird nichts aus uns. Wir müssen uns zwingen auch zu ungeliebter Beschäftigung, und das fördert unsere Fertigkeiten und bringt dem Willen Gewinn. Es gibt Menschen, die an ihren Liebhabereien zugrunde gehen, deswegen muss man seinen Zeitvertreib scharf bewachen. Müßiggang lehrt viel Böses. „Ein Teil des Lebens geht zugrunde, wenn eine Stunde verschleudert wird“, schreibt der große Philosoph Leibniz – ein Teil des Lebens geht zugrunde, wenn eine Stunde verschleudert wird. Man kann sich zu Tode arbeiten, gewiss, man kann sich aber auch zu Tode faulenzen. Selbstzucht bedingt die vernunftgemäße Abwechslung von Arbeit und Erholung. Man kann nicht immer nur arbeiten, man muss sich auch erholen. Aber das eine wie das andere muss von der Vernunft geleitet sein, von den objektiven Bedürfnissen. Die Ruhe ist nach der Arbeit zu suchen, nicht vorher, sie muss der Lohn der Arbeit sein. Selbstzucht – das soll das Letzte sein, was ich erwähne – wird auch bei der Nahrungsaufnahme verlangt. Wir sollen das zu uns nehmen, was das Bedürfnis der Natur erfordert, nicht das, was die Esslust eingibt. Man isst und trinkt zur rechten Zeit und zur Notdurft, aber nicht zum Zeitvertreib. „Zügele die Gaumenlust“, mahnt das Buch von der „Nachfolge Christi“, „und du wirst jede andere fleischliche Neigung umso leichter bezähmen.“ Der wahre Fortschritt des Menschen besteht eben in der Selbstverleugnung. Selbstverleugnung bedeutet, sich zu dem zu zwingen, was man nicht tun möchte, und das unterlassen, was man gern tun möchte. Das ist Selbstverleugnung.

Wozu, meine lieben Freunde, strengen wir uns an, überwinden wir uns, bemühen uns um Selbstzucht? Welches ist das Ziel unseres Mühens? Man könnte daran denken: Nun ja, wir wollen halt edle Menschen werden, Menschen, die sich selbst bezwungen haben, Menschen, die einen Charakter ausgebildet haben; das ist ein hohes Ziel, aber es genügt nicht. Wir arbeiten an unserer Persönlichkeit, um würdig zu werden unseres Herrn, um würdig zu werden der Gliedschaft an seinem Leibe. Wir wollen das Bild Christi an uns herausarbeiten. Wir üben Selbstzucht, um fähig zu werden, Gott zu dienen und zu lieben, wie er es verdient. In jeder heiligen Messe opfern wir uns vereint mit dem Opfer Christi auf. Die Messe ist das Opfer Christi durch die Kirche und damit auch durch die Menschen der Kirche. Jeder einzelne ist aufgefordert, an diesem Opfer teilzunehmen, in dieses Opfer einzugehen. Und das beten wir in jeder Messe: „Im Geiste der Demut und mit zerknirschtem Herzen, lass uns, o Herr, bei dir Aufnahme finden. So werde unser Opfer vor dir, vor deinem Angesicht.“ Wir wollen uns, meine lieben Freunde, in dieser Adventszeit bemühen, ein würdiges Opfer für unseren Herrn und Heiland zu werden.

Amen.     

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