Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
10. August 2014

Wer vermeint zu stehen, der achte darauf, dass er nicht falle

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In der Epistel des heutigen Sonntags erinnert der Apostel Paulus an vorbildliche, warnende Beispiele des Alten Bundes. Das alte Gottesvolk Israel empfing auf seine Weise Gottes Wohltaten, und doch wurden nicht alle Israeliten gerettet. So kann auch den Christen Taufe und Herrenmahl keine absolute Heilsgewissheit verschaffen. Es bedarf ernstlicher Anstrengung und tapferen Kampfes, um das Heil zu erlangen; jedes falsche Selbstvertrauen ist ausgeschlossen. So ergeht die Warnung an die Christen: „Wer meint zu stehen, gebe acht, dass er nicht falle.“ Worauf muss man achten, dass man nicht fällt? Die Wirkursache der Sünde ist allein der freie Wille des Menschen. Keine innere oder äußere Macht kann ihn zwingen, Böses zu tun. Aber der Mensch unterliegt mannigfacher Einflüssen, Anreizen, die für ihn Veranlassung zur Sünde sein können. Es gibt innere und äußere Anreize zur Sünde. Innere Anreize sind die ungeordnete Begierlichkeit, die verschuldete Unwissenheit in sittlichen Dingen, die durch wiederholtes Sündigen erzeugte Gewohnheit. Äußere Anreize sind die Welt – insofern sie im Argen liegt, der Teufel, die böse Gelegenheit und die Versuchung. Die böse Gelegenheit, meine lieben Freunde, soll der Gegenstand unserer heutigen Überlegungen sein.

Die böse Gelegenheit besteht in äußeren Verhältnissen, die dem Menschen Anlass zur Sünde werden oder seine ungeordnete Begierlichkeit wecken. Die Gelegenheit zur Sünde ist noch keine Versuchung, denn die Versuchung kommt von innen, die Gelegenheit von außen. Aber sie ist die Quelle von möglichen Versuchungen. Die nächste Gelegenheit besteht darin, dass die äußeren Verhältnisse so geartet sind, dass die Gefahr zu sündigen sehr groß ist. Das ist die nächste Gelegenheit. Wer fortwährend schlechte Bücher und Zeitschriften liest, kann sich deren Beeinflussung schwerlich entziehen. Er wird allmählich die Ansichten und Verhaltensweisen übernehmen, die er in diesen Büchern und Zeitschriften gefunden hat. Ich habe einmal einen Medizinprofessor in Mainz getroffen, der mir sagte: „Ich lese gern Pornographie.“ Pornographie ist die Darstellung sexueller Akte mit der Absicht, sexuelle Reizwirkungen auszuüben. Eine nächste Gelegenheit ist der ungezügelte Fernsehkonsum. Ich kann im Fernsehen Belehrung und Unterhaltung suchen – das ist zulässig. Aber ich kann auch Belustigung oder Erregung der sinnlichen Leidenschaften suchen; und das gibt es im Fernsehen ja in reichem Maße. Es hängt von mir ab, was ich mir ansehe. Wenn ich nicht aufpasse und stark bin, werden mich aufreizende Bilder und Geschehnisse in Erregung und Sinnestaumel versetzen. Die Suggestivkraft der Bilder ist stark. Das ist die nächste Gelegenheit zur Sünde. Die entfernte Gelegenheit besagt, dass die äußeren Verhältnisse die Sünde möglich, aber nicht wahrscheinlich machen. Während des letzten Krieges richtete die Wehrmachtsführung für die Soldaten Bordelle ein – Wehrmachtsbordelle. Niemand wurde gezwungen, sie aufzusuchen. Wer von ihnen Gebrauch machte, der tat es freiwillig. Aber die Gelegenheit zur Sünde war geboten. Oder denken wir an die Kaufhäuser und Großmärkte. Da sind Waren in reicher Fülle ausgebreitet. Es ist so leicht, sich ohne Bezahlung zu bedienen. Und wir wissen, dass Herren und Damen aller Gesellschaftsschichten dieser Versuchung oder besser dieser Gelegenheit erliegen. Die nächste Gelegenheit kann so geartet sein, dass sie an und für sich, also vermöge ihrer Natur, zur Sünde verleitet. Das Lesen religions- und sittenfeindlicher Bücher ist für jeden Menschen eine Gelegenheit zur Sünde. Die Kirche hatte früher ein Verzeichnis verbotener Bücher aufgestellt, und ich habe es immer für segensreich gehalten, aber es wurde nach dem Konzil abgeschafft. Wer sich einer homosexuellen Vereinigung anschließt, wird ohne Schwierigkeit zu homosexueller Tätigkeit veranlasst werden. Meine lieben Freunde, es fällt mir schwer, es auszusprechen, aber ich muss es sagen: Der gesamte Ökumenismus ist eine Gelegenheit zum Abfall von der katholischen Kirche. Ich möchte nicht missverstanden werden: Wir achten und lieben unsere nichtkatholischen Mitbrüder und Mitschwestern, aber unsere Achtung und Liebe verpflichtet uns, alles daran zu setzen, dass sie eine Heimat in unserer Kirche finden. Größeres und Besseres können wir ihnen nicht bieten. Wieso und warum ist der Ökumenismus eine nächste Gelegenheit zur Sünde? Er verwischt den unaufhebbaren Gegensatz zwischen der katholischen Kirche und den Abspaltungen von ihr. Er erweckt den Anschein, die katholische Kirche und die nichtkatholischen Gemeinschaften seien gleichwertige und gleichberechtigte Formen des Christentums. Er lädt ein zum Übergang vom katholischen Glauben zur nichtkatholischen Gemeinschaft, denn die machen es „billiger“. Im Protestantismus gibt es kein Priestertum. Dort kann man mit schweren Sünden das Abendmahl empfangen. Ja, die Leute werden eingeladen, mit schwerer Sünde zum Abendmahl zu gehen. Im Protestantismus herrscht sexuelle Freiheit. Ehescheidung und nochmalige Verheiratung sind gestattet; wie viele evangelische Pfarrer sind zum zweiten Mal verheiratet. Es ist leichter, protestantisch zu sein. Es besteht die Gefahr, dass katholische Christen die Folgerung ziehen, alle diese Dinge seien auch für sie zulässig, „denn es ist heute nicht mehr so schlimm“, so sagen die Leute nach dem Konzil, „es ist ja alles nicht mehr so schlimm“, d.h. wir brauchen das Christentum nicht mehr ernst zu nehmen. Der Vorsitzende des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland, Schneider, ist von seinem Amt zurückgetreten. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Marx, zeigte sich davon sehr betroffen, denn er habe Schneider und seine Frau „als aufmerksame Gesprächspartner und treue Wegbegleiter geschätzt“ – treue Wegbegleiter. Der erwähnte Schneider ist verantwortlich für ein Papier, in dem ein Verständnis von Ehe und Familie vorgetragen wird, das der biblischen Schöpfungsordnung widerspricht. Schneider förderte auch die diabolische Genderideologie. Die Position dieses Mannes stellt eine Verhöhnung der biblischen Schöpfungsordnung dar. Aber das hindert den Kardinal Marx nicht, ihn als treuen Wegbegleiter zu schätzen. Dass dieser Weg in den Abgrund führt, das hätte er auch sagen müssen! Denkt er nicht an die Gefahr der Ansteckung? Spürt er nicht, dass diese Äußerung als Empfehlung für die irrigen Ansichten Schneiders verstanden werden kann? Die nächste Gelegenheit kann auch so gestaltet sein, dass sie nur mit Rücksicht auf bestimmte Menschen, wegen derer persönlichen Beschaffenheit und wegen der von ihnen gemachten Erfahrungen, zur Sünde verleitet. Die Jugend hat eine starke Aufnahmefähigkeit für Lektüre und Bild und gleichzeitig eine beschränkte Urteilsfähigkeit. Starke Aufnahmefähigkeit und beschränkte Urteilsfähigkeit gefährden die Jugend. Was für Erwachsene unbedenklich und gefahrlos sein kann, das kann für Jugendliche eine große Gefahr bedeuten. Das Wirtshaus ist für Menschen, die dem Alkohol ergeben sind, eine Gelegenheit zur Sünde. Man muss also versuchen, solche Menschen vom Wirtshaus fernzuhalten. Für viele Menschen ist der Gedanke an eine Selbsttötung ausgeschlossen, aber labile, furchtsame Menschen, die leicht in Panik geraten, mögen in der Selbsttötung einen Ausweg aus einer angeblich oder wirklich aussichtslosen Lage sehen. Es besteht die Möglichkeit – wie Hans Küng angedeutet hat – es besteht die Möglichkeit, in die Schweiz zu fahren und sich dort ein Mittel geben zu lassen, das den Eintritt des Todes bewirkt – assistierte Selbsttötung.

Wenn das Eintreten oder die Fortdauer der Gelegenheit vom freien Willen des Menschen abhängt, spricht man von der freiwilligen Gelegenheit. Jemand plant einen Ausflug mit dem Omnibus. Er weiß, dass bei dieser Fahrt keine Möglichkeit sein wird, an einem Sonntagsgottesdienst teilzunehmen. Diese Gelegenheit hat er freiwillig aufgesucht, die schafft er sich selbst. In einer besonderen Lage sind Verliebte und Verlobte. Sie können und sollen zusammenkommen; sie müssen sich ja kennenlernen. Aber bei dem an sich zulässigen Austausch gewisser Zärtlichkeiten besteht die Gefahr, dass die Grenze zur geschlechtlichen Betätigung überschritten wird. Die Eingehung einer konfessionsverschiedenen Ehe ist nach allen Erfahrungen ein Risiko. Der katholische Christ ist in Gefahr, die religiöse Praxis wie Gebet, Besuch des Gottesdienstes, Empfang der Sakramente aufzugeben. Große Gefahr besteht auch für die katholische Erziehung der Kinder. Erst recht bedenklich ist die Eingehung einer religionsverschiedenen Ehe. Wer einen Juden oder einen Muslim heiratet, begibt sich in die große Gefahr, in seinem Glauben lau zu werden und ihn zu verlieren und die Kinder aus dieser Ehe an das Judentum oder den Islam abzugeben. Im REWE-Laden von Budenheim bedient mich eine junge polnische Frau; sie hat einen Muslim geheiratet. Das erste Kind wurde noch getauft, das zweite Kind nicht mehr. Wenn die Gelegenheit zur Sünde notwendig und unvermeidlich ist, spricht man von der notwendigen Gelegenheit. Wir Jugendliche mussten ja in der Nazizeit die Schule besuchen – Schulpflicht besteht in Deutschland und wird rigoros durchgesetzt. Aber der Unterricht war – jedenfalls in bestimmten Fächern – von der nationalsozialistischen Ideologie durchtränkt. Ich denke etwa an Biologie, Geschichte und Deutsch. Aber es war eine notwendige Gelegenheit. Wir mussten in die Schule gehen. Für die Gegenwart denke ich an den schulischen Sexualunterricht. Hier werden den Kindern die verschiedenen Möglichkeiten und Praktiken sexueller Betätigung vor Augen geführt, ohne dass die entsprechenden sittlichen Normen mitgelehrt werden. Es wird den Eltern regelmäßig verwehrt sein, ihre Kinder von diesem Unterricht fern zu halten – eine notwendige, eine unvermeidliche Gelegenheit zum Sündigen.

Es gibt Gelegenheiten, die dem Menschen immer nahe sind, ohne dass er sie eigens aufsucht. An manchen Drogerien hängen Kondomautomaten; jedermann kann sich an ihnen bedienen. Es gibt aber auch Gelegenheiten, die erst durch den Menschen herbeigeführt werden. Petrus suchte, als der Herr gefangen war, die Gesellschaft der Feinde Christi im Vorhof des Hohenpriesters ohne Notwendigkeit auf, und er fiel in die Verleugnung. Schlechter Umgang oder besser Umgang mit schlechten Menschen ist die häufigste Ursache für den religiösen und sittlichen Zusammenbruch katholischer Christen. Allzu oft bewahrheitet sich der altdeutsche Spruch: Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen.

Wie ist nun die moralische Bewertung der Gelegenheit zum Sündigen? Nun, wer freiwillig die nächste Gelegenheit aufsucht oder festhält, der will entweder unmittelbar die Sünde oder vertraut in vermessener Weise auf Gottes Gnade oder auf die eigene Kraft. Wer die böse Gelegenheit leichtfertig aufsucht, begeht schon dadurch eine Sünde. Er wird daher von der Gnade Gottes verlassen und fällt in die Todsünde. Die böse Gelegenheit lieben und in die Sünde fallen, ist ein und dasselbe. Ich lernte im Jahre 1956 in München einen ungarischen Priester kennen. Er erzählte mir, er werde fortwährend von Prostituierten angesprochen. Meine lieben Freunde, ich bin viele Jahre in München gewesen. Ich wurde nicht ein einziges Mal von einer Prostituierten angesprochen. Man geht eben nicht dahin, wo man von Prostituierten angesprochen werden kann! Die schlechte Presse übertritt frech die Gebote Gottes und der Kirche, zieht den Leser vom Göttlichen ab. Die religionsfeindliche Presse ist der größte Verderber des katholischen Christentums. Die meisten Zeitungen sind gefährlich für Glaube und Sitte. Denken Sie an den „Spiegel“. Der „Spiegel“ ist ein grundsätzlich religionsfeindliches, vor allem katholikenfeindliches Blatt. Wer es liest oder gar abonniert, begibt sich in die Gefahr, gegen seinen Glauben aufgebracht zu werden. Das Meiden bzw. das Aufgeben einer solchen Gelegenheit ist unbedingte Voraussetzung für eine aufrichtige Bekehrung und für die sakramentale Lossprechung im Bußsakrament. Der Beichtende, aber auch der Beichtvater, hat ein untrügliches Mittel, um festzustellen, ob wahre Reue vorliegt. Sie ist nämlich nur dann gegeben, wenn der feste Wille besteht, die freiwillige Gelegenheit zu meiden. Nicht immer reicht das Versprechen, diese Gelegenheit aufgeben zu wollen, aus. Wenn einer fortwährend das Versprechen gegeben und gebrochen hat, dann kann es sein, das man die Lossprechung aufschieben muss, bis man als Beichtvater die Gewissheit gewonnen hat: Diesmal ist sein Vorsatz ernst. Ist die nächste Gelegenheit unfreiwillig oder ihr Aufgeben unmöglich, dann muss man alle möglichen Mittel anwenden, um die Gefahr zu sündigen, fernzuhalten oder unwirksam zu machen. Man muss also die nächste Gelegenheit in eine entfernte verwandeln. Wodurch? Durch treues, anhaltendes Gebet, durch häufigen, würdigen Empfang des Buß- und des Altarsakramentes, durch Sichvertrautmachen mit Gottes Willen anhand der Lehre der Kirche. Wer sich von Amtes wegen oder aus Notwendigkeit in die böse Gelegenheit begeben muss, der darf auf Gottes Schutz hoffen. Wer Gott nicht durch Vermessenheit versucht, kann auf den Beistand der Gnade rechnen. Die entfernten Gefahren zur Sünde zu meiden, ist unmöglich. Wir müssen Umgang mit anderen Menschen haben; wir können uns nicht isolieren; wir brauchen die Menschen und die Menschen brauchen uns. Wir müssen mit ungläubigen, sittenlosen Menschen umgehen, ob sie im gleichen Hause oder in der Nachbarschaft wohnen, ob wir mit ihnen dienstlich oder geschäftlich zu tun haben. Diese Notwendigkeit war schon in der Urkirche bekannt. Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth: „Habt keinen Umgang mit Unzüchtigen; ich meine damit nicht allgemein die Unzüchtigen dieser Welt oder die Habsüchtigen oder die Götzendiener oder die Räuber. Denn diese sind so zahlreich, dass man sie gar nicht meiden kann, sonst müsstet ihr aus der Welt hinausgehen. Nun aber schreibe ich euch, ihr sollt keinen Umgang haben mit einem, der sich Bruder nennt und dabei ein Unzüchtiger, ein Habsüchtiger oder ein Götzendiener ist; mit einem solchen sollt ihr nicht einmal zusammen essen.“ Nach dem Kriege gab es in Bayern einen Kultusminister mit Namen Alois Hundhammer. Er war wegen seiner katholischen Überzeugung heftig angefeindet. Er hatte aber eine derartige Lauterkeit der Gesinnung, dass auch seine Gegner darüber nicht hinwegsehen konnten. Ein Rundfunkkommentator urteilte über ihn: „Wenn man Hundhammer mit einem Sack voll Geld und einer Jungfrau auf Weltreise schicken würde, er würde beides unversehrt zurückbringen.“ Für Hundhammer waren Besitz und Frauen keine Gelegenheit zur Sünde. Die Offenbarung Gottes und die Lehre der Kirche empfehlen die heilige Gottesfurcht. Das ist eine Schutzwehr, meine Freunde, gegen die Sünde und gegen die Gelegenheiten zur Sünde. Der Apostel Paulus mahnt uns, vorsichtig zu wandeln. Und der Apostel Petrus ruft auf: „Wandelt in Furcht in der Zeit eurer Pilgerschaft! Wisst ihr doch, dass ihr nicht mit Silber oder Gold erkauft seid, sondern mit dem kostbaren Blute Jesu, des fehlerlosen Lammes.“ Wer die Gefahr liebt, kommt darin um. Deswegen ergeht an uns, meine lieben Freunde, die Mahnung: Meide die Gelegenheit zur Sünde, soweit es unter Anwendung von Vernunft und Glaube möglich ist. „Wer vermeint zu stehen, der achte darauf, dass er nicht falle.“

Amen. 

  

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