Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. November 2010

Die selige Gemeinschaft bei Gott im Himmel

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Verehrung aller Heiligen Versammelte!

Wir stehen am Beginn des November. November, der Monat, in dem die Blätter fallen, mit den weißen Nebeln, mit den trüben Stimmungen. Die Sonne zeigt sich nur noch selten. Sie ist wie das müde Lächeln auf dem Antlitz eines Todkranken. Jetzt stehen unsere Toten wieder auf, alle, die früher einmal zu uns gehörten. Jahre, Jahrzehnte sind vergangen, seitdem sie von uns gegangen sind. Wir haben ihrer oft gedacht, wir haben für sie gebetet. Wie mag es ihnen gehen? Ob sie im Himmel sind? Und wenn sie dort sind, werden wir sie einmal wiedersehen? Hundert Fragen tauchen auf, die beantwortet werden möchten. „Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen“, lehrt uns die Kirche. Wie wird es mit der Gemeinschaft der Heiligen in der Welt Gottes sein? Werden wir uns einmal wiedererkennen? Wir werden doch ganz anders sein im Jenseits, in einem verklärten Zustand. Werden wir uns noch gegenseitig sehen und finden? Man sagt, die Seele wird in Gott hineingeworfen wie ein Tropfen ins Meer. Wird die Seele dann in Gott vergessen sein, oder werden wir voneinander wissen? Und noch eines: Werden wir miteinander sprechen können? Das ist ja doch etwas Beglückendes in unserem Leben, dass wir einen Mund haben, daß wir das Herz ausgießen können, dass wir in Gesprächen einander trösten und aufrichten können. Wird es in der Ewigkeit ähnlich sein? Werden wir uns dort auch noch lieb haben können wie auf Erden? Manche haben Angst, Angst vor dem Jenseits. Wenn wir uns nur schemenhaft wiedersehen, wenn nur eine „Spur bleibt“, wie Helmut Schmidt sagt, eine Spur, wenn alles Persönliche verschwindet, dann ist es uns, als ob wir das Beste hingeben müßten.

Aber was der menschlichen Natur widerspricht, hat keinen Platz im Himmel. Die menschliche Natur bleibt. Der Herr hat ja einmal gesagt: „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen.“ Ähnlich ist es auch mit unserem Glauben an den Himmel. Die menschliche Natur soll dort nicht aufgehoben, sondern erfüllt und vollendet werden. Der größte Theologe, den die katholische Kirche je hervorgebracht hat, der heilige Thomas, sagt einmal: „Es gibt keine wirkliche oder vermeintliche Freude auf Erden, die man im Himmel nicht irgendwie wiederfindet.“ Es gibt keine wirkliche oder vermeintliche Freude auf Erden, die man im Himmel nicht irgendwie wiederfindet. Ja, Gott ist ein Meer, aber wir sind nicht ein Wassertropfen. Das wäre ein falsches Bild. Wir sind ein Tropfen Öl, der auch im Meer nicht aufgelöst wird. Wenn man Öl in ein Weltmeer gieß, dann bleibt es Öl. So wird es geschehen, wenn wir ins Jenseits eingehen, dass wir Menschen bleiben mit unserer menschlichen Natur, mit unserem Liebenkönnen und Liebenmüssen. Liebe ist das Beseligendste auf Erden. Und das sollte uns der Herrgott im Himmel nehmen? Und das soll dann der Himmel sein? Das Schönste, was wir auf Erden haben, das sollte er uns aus dem Herzen reißen, und das sollte der Himmel sein? Das wäre ein Widerspruch in sich. Nein, der Heiland hat das Menschenherz besser verstanden. Im Abendmahlssaal waren seine Jünger um ihn versammelt, ängstlich, bekümmert. Sie ahnen, dass der Herr von ihnen geht und sie allein lassen will. Da sagt der Meister zu ihnen: „Ihr seid traurig, aber ich werde euch wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen und eure Freude wird niemand von euch nehmen.“ Das klingt so menschlich, so natürlich, so beglückend. Ja, so muss es sein, so, wie es der Heiland gesagt hat: „Ihr seid zwar traurig, aber ich werde euch wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen, und eure Freude wird niemand von euch nehmen.“

Sie kennen alle das schöne Gleichnis vom reichen Prasser und vom armen Lazarus. Lazarus stirbt und kommt zu Abraham. Und Abraham und Lazarus kennen sich. Ja, wir werden uns wiedersehen und wiederfinden. Wir werden uns noch besser verstehen, als es je auf Erden der Fall war. Wie ist es doch schwer, einen Menschen zu durchschauen! Wenn ein Armer, ein Bedürftiger vor uns steht, da möchte man manchmal wissen: Was geht hinter dieser Stirn vor? Was denkt er? Man hat eine ganze Wissenschaft entwickelt von der Seelenkenntnis, Psychologie genannt. Man hat sich Mühe gegeben, aus den Schriftzügen, aus der Hand, aus den Gesichtszügen das Wesen des anderen zu erkennen. Aber wir erkennen die Menschen so wenig. Einmal wird es anders sein. Einmal steht die Seele durchsichtig und klar vor uns, hell wie Kristallglas. Und wir werden sie durchschauen bis auf den Grund. Wir werden in der Seele des anderen lesen wie in einem offenen Buche.

Wird das denn so schön sein? Wir wissen doch, was an Unedlem, an Falschem, an Unechtem in unseren Seelen lebt. Wird das dann schön sein in der Ewigkeit, im Himmel? O, meine lieben Freunde, es wird schön sein, denn alles Unedle ist vergangen. Durch den bitteren Tod, durch eine reumütige Beicht, durch die heilige Kommunion, durch das Fegfeuer ist alles Unedle getilgt. Es ist nichts übrig geblieben von dem Falschen und Unechten. Nichts Unreines kann in den Himmel eingehen. Wenn wir also dort unsere Lieben, unsere Nächsten, unsere Fernsten treffen, dann werden ihre Seelen schön und rein sein. Es wird kein Fehl und kein Makel an ihnen sein. Mutter, dann wirst du erst die Seele deines Kindes erkennen. Mann und Frau, dann werdet ihr sehen, wie das Ideal, das ihr erträumt habt, jetzt in Erfüllung gegangen ist. Dann steht die Seele des anderen vor uns wie ein blühender Garten, wie ein offenes Buch.

Aber selbst durchschaut werden, ist das ein Glück? Durchschaut werden heißt verstanden werden. Und Gott hat in eine jede Seele die Sehnsucht hineingelegt, verstanden zu werden. Man möchte, dass einer uns begreift, ganz begreift. Wir möchten, dass wir einen haben, dem wir nicht alles erst erklären müssen und berichten, der alles erfaßt auf einen Blick, einen, vor dem man das Recht hat, sich nicht zu schämen, einen Menschen, bei dem man das Bewußtsein hat: der liebt und achtet mich, auch wenn er mich bis ins Letzte kennt. So einen Menschen suchen wir und finden ihn oft nicht auf Erden. In der Ewigkeit wird es anders sein. Da werden wir durchschaut werden so, wie wir sind, und wir werden verstanden werden bis ins Letzte hinein.

Eine der lieblichsten Erzählungen des Alten Bundes ist die Freundschaft zwischen David und Jonathan. David, der Kriegsmann, der Feldherr, der vom König Salomon eifersüchtig verfolgt wurde, hatte einen Freund gefunden, den Königssohn, Jonathan. Die beiden waren unzertrennlich. Alles, was der König gegen ihn ersann, das hat ihm Jonathan berichtet. Und da hört er eines Tages, Jonathan ist gefallen, im Kriege gefallen auf dem Berge Gelboe. Da flammt der Schmerz wie ein Feuerbrand in David auf. Kein Tau, kein Regen soll auf diesem Berge fallen, wo mein Freund den Tod gefunden hat. Öder und verlassen und unfruchtbar sollen die Berge sein. Es ist, als ob ihm alles genommen wäre. Er kann es nicht begreifen, dass sein Freund nicht mehr lebt. Sein ganzes Wesen schreit nach ihm.

Meine Christen, wie viele gibt es auf Erden, die nie eine Jonathanseele gefunden haben! Wie viele gehen ihren Weg einsam und unverstanden! Es wird Edles ins Grab mitgenommen, und niemand hat es gewußt. Selbst in der glücklichsten Ehe gibt es eine Grenze des Verstandenseins. Man hört es oft sagen: Bis dahin kann ich mich aussprechen, aber dann habe ich das Gefühl, jetzt werde ich nicht mehr verstanden, jetzt muss ich allein gehen.

Wir verstehen uns ja manchmal selber nicht. Wie sollen uns andere verstehen? Und je mehr die Jahre vorrücken, um so einsamer wird es. Ihr lieben alten Menschen, die Ihr vor mir sitzt, Ihr seid mir Zeugen dafür. Man hört ja oft alte Menschen sagen: Es ist mir, als ob ich in einer ganz fremden Welt lebte. Die jungen Menschen gehen ihren eigenen Weg; es ist, als verstünden wir uns nicht mehr. Und der letzte Weg ist Einsamkeit. Aber drüben findet jeder die Jonathanseele, die ihn begreift. Diese Freude wartet auf uns. Einst werden wir verstanden werden, wie wir sind.

Es gibt ein schönes Bild von dem großen französischen Forscher, Biologen, Mediziner, Arzt Pasteur. In der rechten Hand hält er auf dem Sterbebett  das Kreuz, mit der linken Hand ergreift er die Hand seiner Gattin, und seine Kinder und seine Freunde umstehen ihn. Das Auge auf Gott gerichtet, die Hand in der Hand der Freunde, umgeben von unseren Lieben. Das ist das Bild unserer Zukunft.

Meine lieben Freunde, ich habe eine Nebenfreude des Himmels beschrieben, denn die eigentliche Freude ist ja das Eingehen in Gott. Aber wenn schon diese Nebenfreude so herrlich, so beglückend ist, was muss es erst um das Begegnen mit Gott sein! Deswegen, meine lieben Brüder und Freunde, erhebet eure Häupter, schmücket eure Seele, sucht sie zu verklären und zu heiligen. Ganz schön sollen wir sein, wenn wir zu unseren Freunden und Verwandten heimgehen.

Amen.

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