Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. April 2010

Nur noch eine kleine Weile

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit drei Wochen tönt Osterjubel durch unsere Gotteshäuser. Aber jetzt treten wir in die zweite Phase der österlichen Zeit ein, nämlich wir schauen aus auf die Auswirkung des Ostersieges des Herrn, auf seine glorreiche Himmelfahrt und auf die Herabkunft des Heiligen Geistes. „Noch eine kleine Weile, und ihr werdet mich nicht mehr sehen.“ Warum? Weil der Herr zum Vater geht. Die Kirche ist aber deswegen nicht traurig, im Gegenteil. „Jauchzet dem Herrn, alle Lande“, so beginnt sie heute ihre Liturgie, „singet ein Lied seinem heiligen Namen!“ Denn was jetzt geschieht, ist die Vollendung des Ostersieges des Herrn. Die Heilige Schrift faßt Auferstehung und Himmelfahrt in den Begriff „Erhöhung“ zusammen. Die beiden Ereignisse bedeuten einen Aufstieg, eine Beförderung für Jesus. Die Erniedrigung in Leiden und Kreuz ist vorbei, die Umkehr zur Erhöhung ist da.

Im Brief an die Philipper hat Paulus diesen Zusammenhang zwischen Erniedrigung und Erhöhung deutlich herausgestellt. Er wurde erniedrigt. Wieso? Weil er seine Gottgleichheit nicht wie einen Raub festhielt, sondern sich entäußerte, im Äußeren erfunden wurde wie ein Mensch, der Jesus von Nazareth, und gehorsam wurde gegenüber dem Vater bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze. Deswegen – als Lohn für diesen Gehorsam! – deswegen hat Gott ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, hat ihn erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist.

Der Herr ist zurückgekehrt, wovon er ausgegangen ist und wohin er nach seiner göttlichen Person und Natur gehört, nämlich in die Gott vorbehaltene Wirklichkeit. Er hat seine menschliche Natur mitgenommen. Seitdem beten wir im Glaubensbekenntnis: „Sitzet zur Rechten des Vaters.“ Das ist ein Bild, das ist bildlich gesprochen. Wir können überhaupt nicht anders sprechen als bildlich. Wir haben ja nur die Begriffe unserer Erfahrung, unserer Umgebung, und so müssen wir auch von dem Unsagbaren mit Begriffen reden, die aus der Erfahrungswelt entnommen sind. „Sitzet zur Rechten des Vaters“, das bedeutet: Er ist in die die Herrlichkeit, in die Herrschermacht der ersten Person der Gottheit eingegangen. Er, der wesensgleiche Sohn des Vaters, ist ihm an Macht und Herrlichkeit ebenbürtig.

Die Himmelfahrt des Herrn hat auch eine Bedeutung für uns. Seine Heimkehr ist die Quartiermachung für uns. Er bereitet uns eine Heimat, die eigentliche Heimat, die ewige Heimat. Denn auf Erden sind wir nur Fremdlinge und Pilger. Das hat die heutige Epistel uns vor Augen geführt: „Ihr seid Fremdlinge und Pilger.“ Fremdling ist, wer dort, wo er sich befindet, nicht zu Hause ist. Fremdlinge weilen an einem Ort, der nicht ihre Heimat ist. Sie fühlen sich nicht heimisch, sie haben eine Sehnsucht nach der Heimat. Von den deutschen Auswanderern, die sich nach Amerika begeben haben, wird berichtet, dass sie in den Vereinigten Staaten ein Lied sangen, und in diesem Lied kam immer ein Refrain vor, und der lautete: „Doch zur Heimat wird die Fremde nie.“ So geht es auch uns. Der Fremdling sehnt sich nach der Heimat. Von den Italienern in den USA wird berichtet, dass ihre Sehnsucht nach der Heimat so stark war und ist, dass sie sich im Alter wieder nach Italien zurückbegeben. Pilger sind wir. Das sind Menschen, die unterwegs sind nach dem Heiligtum, die laufen und laufen, auch wenn die Füße wund werden. Sie gehen weiter, denn sie wissen, die Pilgerschaft hat keinen Sinn, wenn man nicht am Ziel ankommt. Der Pilger darf nicht stille stehen, er muss weitergehen. Erst am Ziel der Pilgerschaft angekommen, findet er Einkehr und Rast.

So enthält das Wort des Heilandes aus dem heutigen Evangelium eine Mahnung an uns. Wir sollen die Dinge und Ereignisse dieses Lebens nicht so wichtig nehmen. Nur eine kleine Weile, und dann sind sie vorüber. Die Heilige Schrift vergleicht dieses Leben mit einer Blume, die heute blüht und morgen verblüht, mit einem Kleid, das die Motten zerfressen, mit einer Wolke, die kommt und verschwindet. Wir freilich hängen unsere Herzen an sie und meinen, es sei zu unserem Glück notwendig, diese Dinge zu besitzen, wollen von ihnen nicht lassen. Aber das alles gilt ja nur für eine kleine Weile. Das Haus, das wir gebaut haben, der Garten, den wir angelegt haben, der Besitz, das alles geht von uns, wenn wir abgerufen werden aus dieser Welt. Nur eine kleine Weile, und die Ehre, die Würden und die Titel, an denen die Menschen hängen, werden vergangen sein. Der Leib, den sie so sorgsam pflegen und hegen, der Leib wird zerfallen. Und die Menschen, denen wir unsere Liebe geschenkt haben und die uns geliebt haben, diese Menschen sind von uns gegangen. Jeder Abend mahnt uns an die Flüchtigkeit der Erdendinge.

Aber das ist auch ein Trost, ein Trost für uns nämlich. Nur eine kleine Weile, und der Lebenskampf, die Sorgen, die Nöte sind vorüber. Nur eine kleine Weile, und die Krankheiten und Schmerzen, sie sind zu Ende. Nur eine kleine Weile, und die Prüfungen, die Demütigungen, die Kränkungen, sie sind vergessen. Nur noch eine kleine Weile, und unsere Verstorbenen, wir werden sie wiedersehen. Es gibt ein ewiges Leben, meine Freunde, es gibt eine ewige Heimat. Und Jesus verkündet uns: „Ich gehe hin, euch ein Heim zu bereiten.“

Im 1. Brief an die Korinther schreibt der Apostel Paulus, was die Auferstehung Jesu für uns bedeutet, nämlich die Erwartung des ewigen Lebens. Wenn wir bloß in diesem Leben auf Christus unsere Hoffnung setzen, dann sind wir die bejammernswertesten unter allen Menschen. Aber die Auferstehung erhebt uns zur Hoffnung eines jenseitigen Lebens, gibt uns die Zuversicht, dorthin zu gelangen, wo der auferstandene Herr lebt. In der Gewißheit, dem Herrn einst nahezukommen, schreibt Paulus an die Gemeinde in Philippi: „Ich wünsche aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein.“ Ich wünsche aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein. Denn das ist doch um vieles besser, als im Fleische auf der Erde zu bleiben. Im 1. Brief an die Gemeinde in Saloniki fordert der Apostel die Gläubigen auf, über die Verstorbenen nicht zu trauern wie die anderen, die keine Hoffnung haben. „Wir glauben ja, dass, wenn Jesus gestorben und auferstanden ist, Gott auch die Entschlafenen durch Jesus herbeiführen wird mit ihm.“ Durch Jesus. Jesus ist auferstanden – auch für uns. Sein Sieg gilt auch für uns. Sein Auferstehungssieg kommt auch uns zugute. Und im 2. Brief an die Korinther tröstet er die Gläubigen in ihrer Trübsal – eine der wichtigsten Stellen, die ich kenne, für das ewige Leben: „Wir sind gewiß, dass, wenn dieses irdische Gezelt abgebrochen wird, wir einen Bau von Gott empfangen, ein nicht mit Händen gemachtes, ein ewiges Wohnhaus im Himmel.“

Alle diese Texte sprechen von der ewigen Heimat, die uns erwartet, der wir entgegen gehen. Es haben immer Menschen bestritten, und oft hatten sie Grund dazu, es hat immer Menschen gegeben, die das ewige Leben verleugnen. Auf dem Terrorhöhepunkt der Französischen Revolution ließ der Terrorist Fouché am Eingang der Friedhöfe eine Inschrift anbringen: „Der Tod ist ein ewiger Schlaf.“ Damit erzürnte er den unbestechlichen Maximilien Robespierre. Er rief in der Versammlung aus: „Nein, Fouché, nein, Chaumette, es ist nicht wahr, was ihr habt über die Tore zum Friedhof schreiben lassen: „Der Tod ist ein ewiger Schlaf.“ Das ist ein Irrtum. Der Tod ist der Beginn der Unsterblichkeit!“ Das hat Robespierre einer feindseligen Versammlung, einer atheistischen Versammlung zugerufen. Der Tod ist der Beginn der Unsterblichkeit.

Nur eine kleine Weile. Wären wir nicht bessere, glücklichere Menschen, wenn wir uns dieses Wort öfter und eindringlich vor sie Seele stellen? Wir lernen dann, was es heißt, in der Welt leben und doch über der Welt sein. Wir würden dann unsere täglichen Pflichten mit größerer Treue erfüllen in dem Bewußtsein: Nur noch eine kleine Weile, und wir müssen Rechenschaft ablegen. Wir würden mit stärkerer Entschiedenheit unsere Leidenschaften niederzwingen und die Versuchungen überwinden mit der Gewißheit: Nur noch eine kleine Weile, dann sind die Plackereien zu Ende, und wir dürfen ein Siegesfest feiern. Wir würden mit größerer Ergebenheit die Kreuze tragen, die Gott uns auferlegt in der Zuversicht: Nur noch eine kleine Weile, und dann werden sie uns abgenommen.

Deswegen spricht die Kirche auch von der Freude. „Jetzt habt ihr Leid, aber ich werde euch wiedersehen, dann wird euer Herz sich freuen, und diese Freude wird niemand von euch nehmen.“ Eine Freude, für die das Wort nicht mehr gilt von der kleinen Weile, sondern die Freude der ewigen Heimat, ewig wie diese Heimat selbst. Ach, was ist so irrsinnig, was uns Friedrich Nietzsche zuruft: „Bleibt der Erde treu, meine Brüder. Glaubt nicht denen, welche von überirdischer Hoffnung reden. Giftmischer sind es. An der Erde zu freveln, ist jetzt das Furchtbarste und die Eingeweide des Unerforschlichen höher zu achten als den Sinn der Erde.“ Ach, Friedrich Nietzsche, ach, Zarathustra, das brauchst du niemandem zu sagen. Du hast genug Gefolgsleute, die der Erde treu bleiben, denen es genug ist mit Essen und Trinken, Genießen und Schaffen. Sie sind wahrhaftig auf der Erde zu Hause, sie sind wahrhaftig der Erde treu. Aber darüber vergessen sie den Himmel und damit das Wichtigste in diesem Leben.

Niemand verkennt den Sinn des Lebens mehr als der Ungläubige. Für den gottlosen Jean Paul Sartre ist es ebenso sinnlos, geboren zu werden wie zu sterben. Für ihn hat das Leben überhaupt keinen Sinn, überhaupt kein Ziel. Der Ungläubige leidet an Sinnverlust, an Sinnkrise, an Mangel an Sinnerfüllung. Der Gottlose ist verschwistert mit dem Nihilismus. Nihilismus propagiert die Verneinung von allgemein Gültigem, Verbindlichem, Sinnvollem. Für ihn führen alle Wege ins Nichts. Der Ungläubige weiß nichts vom Sinn des Lebens. Weil er nichts weiß von der Wirklichkeit Gottes. Er kennt nur die Erde, aber nicht ihren Herrn. Er sieht die Schöpfung, aber er vergißt den Schöpfer. Nein, Friedrich Nietzsche, nein, Zarathustra, der Sinn des Lebens ist es, Weg zum Himmel zu sein. Wir Gläubigen kennen den Sinn des Lebens. Wir haben ein Ziel, und wir gehen auf unseren Wegen diesem Ziel zu. Wir tragen Gott in das Leben, und wir wissen, dann trägt uns auch das Leben zu Gott. Wir sind auf Erde, um Gott zu erkennen, um Gott zu lieben, um Gott zu dienen. Durch die Kenntnis, durch die Liebe, durch den Dienst wird unser Leben frei, froh, glücklich. Wir wissen, wofür wir leben. Wir kennen den Sinn des Lebens. Die Welt vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit. Kein anderer hat diese Wirklichkeit so schön ausgedrückt wie unser schlesischer Dichter Joseph von Eichendorff. Wie hat er doch so schön geschrieben: „Die Welt mit ihrem Gram und Glücke will ich, ein Pilger, froh bereit betreten nur als eine Brücke zu dir, Herr, überm Strom der Zeit.“

Amen.

 

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