Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. März 2008

Von Sünde, Schuld und Gericht

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Nachdem der verlorene Sohn die Becher ausgetrunken und alle sieben Hauptsünden kennengelernt hatte, erhoben seine Kumpane den Stock und prügelten ihn davon. So geht es zu im Wirtshaus der Welt. Wenn einer alles genossen hat und fertig ist, wie man so sagt, dann ruft der Wirt nach dem Hausknecht und lässt den fertigen Gast hinaussetzen. Es könnte nämlich sein, dass neue Gäste kommen und, an seinem Beispiel erschreckend, sehen, wohin die Trunksucht führen kann, und das darf nicht vorkommen. Der Betrieb muss weitergehen.

Aber der verlorene Sohn war schuldig geworden. Während er den Vater verließ, um alles zu gewinnen, hat er alles verloren. Schuld verlangt Gericht oder Gnade. Es ist nicht gleichgültig, was der Mensch tut, Gutes oder Böses. Er hat die wunderbare Gabe, zu wählen, zu wählen zwischen dem Guten und dem Bösen. Er hat die freie Entscheidung, das Rechte oder das Unrechte zu tun. Aber er hat nicht mehr die Freiheit, sich von seinen Taten oder Untaten zu trennen. Sie folgen ihm nach. Und jede Tat trägt in sich den Keim des Gerichtes. „Du hast es befohlen, o Gott, und so ist es, dass sich zur Strafe wird jeder ungeordnete Geist.“  Das prägt sich in seine Seele ein und auch in sein Gesicht. Eine alte Volksweisheit hat das ausgedrückt in dem Vers: „In deinem Gesichte steht deine Geschichte, dein Hassen und Lieben deutlich geschrieben.“

In einem berühmten Roman eines englischen Schriftstellers wird erzählt von einem jungen Mann, der sich ein Bild malen ließ, und diesem Bilde wohnte eine Zauberkraft inne. Es konnte nämlich alle Veränderungen, die in seinem eigenen Leben auftreten würden, in sich aufnehmen. Der junge Mann verfiel dem Laster, der Ausschweifung, dem Verbrechen. Sein körperliches Antlitz blieb jugendlich, frisch und rein, aber auf seinem gemalten Bildnis wurden alle diese Veränderungen, die sich in seiner Seele in seinem Leben zugetragen hatten, sichtbar. Entsetzliche Veränderungen entstellten dieses gemalte Bild, verzerrten die einstige Schönheit. Der junge Mann verbarg das Bild vor fremden Blicken und betrachtete es nur selten. Wenn er es ansah, erschrak er, denn sein wahres, vom Laster zerstörtes Antlitz wurde auf dem Bilde sichtbar, blickte ihn an als sein eigener Richter, dem er zu entfliehen trachtete, zu dem ihn aber eine unentrinnbare Macht immer wieder zurücktrieb. Ein grauenvoller Haß gegen das Bild wuchs in ihm. Eines Tages zog er den Dolch und durchbohrte es, und blutüberströmt brach er zusammen, denn das Bildnis war er selbst. Er hatte sich selbst gerichtet. Das ist der berühmte Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde. Ein Roman, also erdichtet. Aber, meine Freunde, das Leben erzählt genau so. Wo hört die Sünde auf? Wo gibt es Umkehr?

In einer Schweizer Zeitung war vor einiger Zeit zu lesen: An den Ufern der Seine in Paris fand man die Leiche einer 29-jährigen Frau, Louise Cranson. Im Alter von 18 Jahren war Louise nach Paris gekommen, schön und stolz, ehrgeizig und eigensinnig, eine moderne Mona Lisa mit zweideutig lächelndem Munde. Sie mischte sich unter die Figuranten in den Musikhallen, unter die Statistinnen beim Film. Dann entdeckten sie die Maler. Sie verewigten ihre Gesichtszüge und ihren Körper, jeder auf seine Weise. Aus der Unbekannten wurde das berühmteste und gesuchteste Pariser Modell, Lise vom Montparnass. Lise liebte es, fröhlich zu sein, auszugehen, zu lachen, zu tanzen, zu trinken und zu diskutieren. Nachdem sie den Gipfel erreicht hatte, begann der Abstieg. Sie trank eines Abend zu viel. Es begann ihr an materiellen Mitteln zu fehlen. Sie, die als erste die Bücher von Sartre gelesen hatte, war zu alt, um vom Juniorenclub  der Existentialisten aufgenommen zu werden. Sie versuchte ihre Schwierigkeiten zu verbergen. Sie suchte Trost im Alkohol und im Rauschgift. Nun fand man ihre Leiche. Sie hinterließ ein fünfjähriges Mädchen. Das ist keine erdichtete Geschichte, meine lieben Freunde, das ist eine Geschichte, die das Leben geschrieben hat, und sie lehrt uns Schuld, immer tiefere Schuld, zuletzt Gericht ohne Gnade. „Du hast es befohlen, o Gott, und so ist es, dass seine Strafe sich wird jeder ungeordnete Geist.“

Es ist nicht gleichgültig, ob wir Gutes tun oder Böses. Die Sünde ist eine furchtbare Wirklichkeit des inneren Lebens. Wenn sie nicht abgefangen wird, wächst sie. Aus kleinen Sünden werden große, aus großen Sünden wird das Laster. Die Sünde trägt ihre Folgen in sich. Es müssen nicht immer Folgen für das äußere Leben sein, obwohl sie sehr häufig sind. Es müssen nicht immer Lebenskatastrophen sein, obwohl sie vorkommen. Auch die Folgen der Sünde für das innere, seelische Leben sind zerstörend. Die Sünde macht die Seele hart, unempfänglich für das Gute, unempfänglich für die Gnade Gottes. Sie fesselt den Sünder. In einem Faustfragment von Lessing sagt Faust: „Es gibt keinen Gott. Wenn es einen Gott gäbe, könnte er nicht zuschauen und mich weiter sündigen lassen.“ Da vernahm er eine Stimme, die sprach: „Gerade dass ich dich sündigen lasse, ist deine Strafe.“ Gerade dass ich dich sündigen lasse, ist deine Strafe. Das ist das schlimmste Gericht über die Sünde, dass Gott den Sünder sich selbst überlässt. „Du hast es befohlen, o Gott, und so ist es, dass seine Strafe sich wird jeder ungeordnete Geist.“

Vor einiger Zeit wurde vor einem Landgericht ein Prozeß geführt. Eine Frau klagte gegen die Witwe eines Mannes. Und warum? Der Herr, ein wohlhabender Herr, hatte eine Schiffsreise gemacht. Auf dem Traumschiff lernte er eine entzückende Frau kennen. Er drang in sie, dass sie sich ihm schenke. Er hat auf den Knien vor ihr gelegen. Aber sie verweigerte sich ihm. Dann sprach er: „Ich lasse mich scheiden und heirate Sie.“ Dann hat sie sich ihm hingegeben. Als die Schiffsreise vorbei war, hat der Mann Gewissensbisse bekommen. Er wollte sich nicht von seiner Frau trennen. Aber seine Geliebte verfolgte ihn und erinnerte ihn an sein Versprechen. Sie trafen sich in Hotelzimmern. Schließlich, ein Getriebener und Gehetzter, starb der Mann an zerbrochenem Herzen. Jetzt klagte die Geliebte gegen die Witwe auf Schadensersatz. „Du hast es befohlen, o Gott, und so ist es, dass seine Strafe sich wird jeder ungeordnete Geist.“ Gott will seine Feinde nach Gerechtigkeit und Schuld strafen. Deswegen überlässt er sie ihren jeweiligen Gelüsten, auf dass sie, ihren Begierden hingegeben, im Übermaß der Freiheit sch selbst zugrunde richten.

Noch einmal Oscar Wilde. Er schrieb einmal eine Vision nieder, die das Gericht Gottes über die Menschenseele spiegeln sollte. Die Seele erscheint vor dem Richterstuhl des Herrn. „Ich muss dich verurteilen“, spricht Gott. „Du hast die anderen ausgebeutet, die Mitmenschen verachtet, die Eltern gekränkt, fremde Habe dir angeeignet.“ „Ja, Herr, das alles habe ich getan.“ „Du hast deine Sinne und Triebe herrschen lassen, bist blind deinen Leidenschaften gefolgt, hast dir alle Lust der Erde gegönnt.“ „Ja, Herr, das alles habe ich getan.“ „Ich muss dich also verurteilen.“ „Ja, Herr, das musst du.“ „Ich muss dich verstoßen zur Hölle!“ „Herr, das ist nicht möglich; mein Herr, das kannst du nicht tun. In der Hölle bin ich schon gewesen!“

Der Mensch, der in der Todsünde lebt, befindet sich im Zustand der Verdammnis. Der Sünder hat keinen Frieden, sondern er lebt in der Unruhe. Er ist nicht mit sich geeint, denn er ist zerrissen. Der Apostel Paulus drückt es so aus: „Wer auf das Fleisch sät, wird vom Fleische Verderben ernten. Wer aber auf den Geist sät, wird vom Geiste ewiges Leben ernten.“ Gott weiß die Sünde so einzufügen, dass gerade das, was dem Menschen beim Sündigen Genuß verschafft, ein Werkzeug der Bestrafung wird. Sünde fordert Strafe. Wer in verkehrter Weise durch Sünde Unordnung anrichtet, wird durch die Strafe wieder in die Ordnung eingerückt. Einem jeden Menschen erwächst die Züchtigung aus seiner eigenen Sünde, und sein eigenes Vergehen schlägt auf ihn zurück. „Du hast es befohlen, o Gott, und so ist es, dass seine Strafe sich wird jeder ungeordnete Geist.“

Fastenzeit ist Bußzeit, meine lieben Freunde. Buße tun heißt sich bekehren und Genugtuung leisten für die Schuld. Sich bekehren besagt, eine Wende vornehmen, umkehren auf einem irrigen, auf einem falschen Wege, das Gegenteil von Sünde tun, also gute Werke vollbringen, Gottesliebe und Nächstenliebe üben, beten, fasten, Almosen geben. Es gibt Christen, die in der Fastenzeit jeden Tag die heilige Messe besuchen. Verzeihen, Feindschaften abbauen, Frieden halten, Hilfe leisten, das sollen wir tun als Zeichen unserer Bekehrung. Und gleichzeitig auch Genugtuung leisten. Das heißt, dass wir uns Strafen auferlegen: Enthaltung von Speisen, Verzicht auf Genüsse des Gaumens, Verzicht auf Alkohol, Verzicht auf Rauchen, Verzicht auf Fernsehen. Der neue Erzbischof von München, Marx, hat erklärt, dass er in der Fastenzeit auf das Rauchen verzichte. Nun, immerhin, für einen Raucher ein recht ansehnliches Opfer. Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich. Wir haben zwei Möglichkeiten: entweder uns selbst zu schonen, dann schont Gott uns nicht, oder uns selbst nicht zu schonen, dann schont uns Gott. „Willst du, dass Gott dich schone, so schone dich selbst nicht“, schreibt einmal der heilige Augustinus.

Schwebt nicht eine Wolke der Angst über unserer Welt? Diese Angst ist nicht von den Sternen herabgestiegen, sie ist aus den Herzen der Menschen aufgestiegen. Es ist die Angst vor dem Gericht, das wir heraufbeschworen haben. Das Heil vor dem Gericht müssen wir in uns selbst suchen. Jetzt ist der Tag des Heiles, jetzt ist der Tag der Umkehr. Jetzt müssen wir flehen: „Richter du gerechter Rache, Nachsicht üb’ in meiner Sache, eh ich zum Gericht erwache!“

Amen.

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