Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Dezember 2006

Die Versuchung im Leben des Christen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Mein Sohn, wenn du dich anschickst, Gott zu dienen, mache dich bereit auf Versuchungen!“ Dieser Satz steht in der Heiligen Schrift. „Mein Sohn, wenn du dich anschickst, Gott zu dienen, mache dich bereit auf Versuchungen!“ Ein merkwürdiger Satz. Man sollte meinen, wenn man bemüht ist, ein treuer Diener Gottes zu sein, dann würden die Versuchungen weichen. Das Gegenteil ist der Fall! „Mein Sohn, wenn du dich anschickst, Gott zu dienen, mache dich bereit, mache dich gefasst auf Versuchungen!“ Wir wollen an diesem 3. Adventssonntag über die Versuchungen nachdenken. Sie blieben den Heiligen nicht erspart, ja unser Herr Jesus Christus ist auch versucht worden; er wollte sich versuchen lassen; er ließ zu, dass er versucht wurde. Wir wollen deswegen erstens über die Quelle der Versuchung  nachdenken, zweitens über den Kampf gegen die Versuchung und drittens über den Lohn der bestandenen Versuchung.

Gott lässt Prüfungen über uns kommen, Heimsuchungen, aber das sind keine Versuchungen zum Bösen, sondern das sind Erprobungen, die feststellen wollen, ob wir Gott auch unter Schmerzen und im Leid die Treue halten. Gott versucht niemanden zum Bösen. Die Versuchungen, von denen hier die Rede ist, sind Verlockungen zum Bösen, und die kommen nie von Gott. Die Anreize zum Bösen, die Anreize zur Sünde kommen entweder von unten oder von außen oder von innen.

Sie kommen von unten, das heißt, sie kommen vom Teufel. Der Teufel ist der Versucher von Anfang an. Er hat die ersten Menschen versucht und zu Fall gebracht, und er lässt nicht nach, die Menschen, vor allem die Diener Gottes, zu versuchen. Bei den meisten Versuchungen hat er irgendwie seine Hand im Spiel. Wie kann er uns zum Bösen verlocken? Indem er unsere Phantasie mit Bildern füllt, die uns zum Bösen reizen, oder indem er unseren Körper, die Leidenschaften unseres Körpers aufreizt, um dem Bösen zu verfallen. Das sind die beiden Möglichkeiten, die er hat, die Phantasie und die körperlichen Leidenschaften, die sinnlichen Leidenschaften unseres Körpers. Auf den Verstand und auf den Willen kann er nicht einwirken. Der Verstand und der Wille sind nur offen für Gott. Man darf also die teuflischen Versuchungen nicht überschätzen. Es ist nicht so, dass der Teufel Gewalt über uns hat in jedem Falle. Nein, Gott hat ihm Schranken gesetzt. Nur soweit es seine Allmacht zulässt, kann er uns versuchen, und Gott lässt niemanden versuchen über seine Kraft. Man soll freilich auch die Versuchungen des Teufels nicht unterschätzen, denn der Teufel geht wahrhaftig umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen könne, manchmal auch nicht wie ein brüllender Löwe, sondern wie eine schleichende Schlange. Er hat auch, wie der Herr sagt, versucht, die Apostel zu Fall zu bringen. „Er wird euch sieben, wie man den Weizen siebt.“ Und der Teufel ist ein geschickter Versucher. Er verfügt über eine ungeheure Erfahrung. Er weiß, wo man den Menschen packen muss: an seiner schwächsten Stelle. Deswegen ist es gewagt, die Versuchungen des Teufels zu unterschätzen. Das sind die Versuchungen, die von unten kommen.

Dann die Versuchungen von außen. Sie kommen von der Welt, von der Welt, die an sich von Gott gut geschaffen ist, aber die uns zur Versuchung werden kann, und zwar in einem doppelten Sinne. Zunächst einmal die vernunftlosen Geschöpfe. Sie sind ja alle von Gott gut geschaffen, gehen aus seiner Hand hervor. Aber die ursprüngliche Harmonie ist verloren, ist gestört; ein harmloses Geschöpf kann uns zur Versuchung werden. Ich erinnere mich, als ich ein Knabe war, da wurden Jahrmärkte abgehalten. Auf den Jahrmärkten gab es viele Dinge, die ein Jungenherz erfreuen konnten, die ein Jungenherz begehren mochte, Dolche, Geldbörsen, Feuerwerkskörper. Ich weiß, dass manche meiner Kameraden dieser Versuchung erlegen sind. Auch Menschen können uns zur Versuchung werden, selbst gute Menschen, denn die schöne sinnliche Erscheinung einer Frau oder eines Mannes kann einem Menschen zur Versuchung werden. Seine Ungeschicklichkeit, sein Eifer oder seine Trägheit, das alles kann zur Versuchung werden. Aber noch viel mehr natürlich die bösen Menschen, die es darauf anlegen, uns zu versuchen, die sich Mühe geben, uns so schlecht zu machen, wie sie selbst sind, die uns in die Versuchung hineinführen mit ihrem verführerischen Wort und ihrem verführerischen Beispiel, mit ihrem Spott und mit ihrem Drohen. Das sind die Versuchungen, die von außen kommen.

Die schlimmsten aber sind die Versuchungen von innen. Der dritte Herd unserer Versuchungen ist die eigene böse Begierlichkeit. Keiner sage, wenn er versucht wird, er wird von Gott versucht, vielmehr wird ein jeder von der eigenen Begierlichkeit versucht, die ihn anreizt und lockt. Seitdem die Erbsünde in uns gehaust hat, sind in uns böse, schlechte Neigungen, verschieden nach den Erbanlagen, die jeder empfangen, verschieden nach dem Leben, das jeder geführt hat. Aber es gibt wohl keinen Menschen, in dem nicht solche Neigungen sind, und jede Nachgiebigkeit gegen eine sündhafte Leidenschaft stärkt diese. Die Überwindung wird dann um so schwerer. Diese Begierlichkeit spiegelt uns Güter vor, die wir erstreben sollen. Es sind immer drei: Besitz, Genuß und Ehrsucht. Besitz, Genuß und Ehrsucht. Die Heilige Schrift spricht von Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens. Die Augenlust ist die Habsucht. Der Mensch begehrt Schätze, die er sieht, begehrt Gegenstände, die ihm ins Auge fallen. Der heilige Paulus sagt sogar, dass die Habsucht die Wurzel aller Übel ist. Und der Reichtum, das Besitzenwollen ist tatsächlich eine Gefahr. Judas ist dieser Gefahr erlegen. Schon die alten Griechen wußten um die Gefahr des Reichtums. Es wird von Krates erzählt, dass er sein Geld ins Meer warf und sagte: Da weiche hin, du Flut des Übels. Ich will dich nicht mehr sehen. Sinkt ab in die Tiefe, ihr schlechten Leidenschaften!

Die zweite Gefahr ist die Genusssucht, die Genusssucht in ihren verschiedensten Formen, von der Esslust und der Trinklust angefangen bis zur Geschlechtslust. Und sie ist natürlich besonders stark. Die Geschlechtslust ist eine der größten Gefahren, die in unserem Körper hausen, und hier, durch die enge Verbindung von Körper und Geist, lauern die größten Gefahren. Sie führt sich schmeichelnd ein und bringt uns zu Fall. Die großen Verirrungen der Menschen kommen von der Genusssucht her.

Die dritte Gefahr ist die Ehrsucht. Die Hoffart ist der Anfang aller Sünde, heißt es im Buche Sirach, also der Geltungsdrang, der ist ja in uns allen. Wir wollen etwas darstellen, wir wollen als gut gelten. Wir möchten als besser gelten, als wir sind. Das ist eine große Gefahr. Diese Gefahr begleitet selbst unsere guten Werke, und deswegen muss sie um so heftiger abgewiesen werden. Die kirchliche Tradition hat sieben Hauptsünden herausgestellt, die natürlich auch sieben Hauptversuchungen sind, nämlich Zorn, Stolz, Geiz, Neid, Unkeuschheit, Unmäßigkeit, Trägheit. Zorn, Stolz, Geiz, Neid, Unkeuschheit, Unmäßigkeit und Trägheit. Das sind die Versuchungen.

Nun zweitens der Kampf gegen die Versuchungen. Da müssen wir unterscheiden den Angriff und die Abwehr. Der Angriff geschieht dadurch, dass uns etwas vors Auge tritt oder vor unsere Phantasie und uns lockt und reizt und zu sich ziehen möchte. Ein Gegenstand gibt sich als Wert aus: Das musst du haben, das musst du besitzen, das musst du genießen. Und wir wissen doch, ich darf es nicht ohne Sünde haben. Dem Gegenstand und seinem Anreiz folgt das Wohlgefallen. Etwas in uns ist immer auf der Lauer, was diesem Anreiz entspricht. Es gibt eine unfreiwillige Zuneigung zu dem Gegenstand, der uns von der Versuchung vorgestellt wird. Das Verbotene lockt dann auch von innen. Es ruft eine unfreiwillige Neigung und eine unfreiwillige Freude an dem Gegenstand hervor und fordert die Entscheidung des Willens. Wir haben die Freiheit der Entscheidung. Wir dürfen Ja oder Nein sagen. An uns liegt es, wie wir uns entscheiden. Der Mensch steht vor Gott und seinem Gesetz auf der einen Seite und vor der gottwidrigen Sünde auf der anderen Seite. Dieser Kampf um die Entscheidung, das ist die eigentliche Versuchung.

Und wie muss die Abwehr aussehen? Wie müssen wir uns verhalten angesichts solcher Versuchungen? Erstens, wir müssen die Ruhe bewahren. Wenn man sich verwirren lässt, ist man schlecht beraten. Die Ruhe bewahren, sich nicht aus der Fassung bringen lassen. Wir wissen ja, wir kämpfen unter den Augen Gottes und für die Sache Gottes. Wird Gott da nicht mit uns sein? Gott lässt uns nicht über unsere Kraft versucht werden, er wird mit der Versuchung auch den guten Ausgang geben. Also die Ruhe bewahren. Von der heiligen Katharina von Siena, die nun wirklich eine große Heilige war, wird berichtet, dass sie viel unter Versuchungen zu leiden hatte. Als sie die Versuchungen bestanden hatte, sagte sie nach der Stunde des Kampfes: „Herr, wo warst du in der Versuchung?“ Und der Herr gab ihr zur Antwort: „Ich war in deinem Herzen.“

Zweitens, wir müssen gleich mutig widerstehen. Wenn man mit der Versuchung verhandelt, wenn man das Böse erst einmal sich in seiner falschen, trügerischen Schönheit entfalten lässt, dann besteht die große Gefahr, dass wir fallen. „Widersteht dem Teufel, und er wird von euch fliehen“, so heißt es im Jakobusbrief. Am Anfang ist die Versuchung wie ein Feuerfunken, den man leicht auslöschen kann, aber wenn einmal der große Brand da ist, ist die Gefahr, dass wir verzehrt werden. Wer sich mit Verachtung von der Versuchung abwendet, hat die Sicherheit und die Gewähr des Sieges.

Drittens beten. Der Herr mahnt: „Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet!“ Wir sind nicht allein. Gott hat den Wächter, seinen heiligen Engel, an unsere Seite gestellt, und der Engel verlässt uns nicht. Er behütet uns, er ist mit seiner Kraft. jawohl, mit seiner Kraft an unserer Seite. Wir müssen ihn nur einladen, sie zu entfalten. Wir können rufen zu Maria, der Schlangentreterin, und Maria wird uns mit ihrer Hilfe zur Seite stehen. Maria, breit den Mantel aus, mach Schirm und Schild für mich daraus. Laß mich darunter sicher stehn, bis alle Stürm’ vorübergehn! Und wir haben vor allem unseren Herrn Jesus. Wir können zu ihm rufen, wie die Jünger zu ihm gerufen haben: „Herr, hilf uns, sonst gehen wir zugrunde!“ Und der Herr stand auf und befahl dem Sturm und dem Seebeben, und es trat eine große Stille ein. So wird es auch bei uns sein, wenn wir den Herrn anrufen. Er hat seinen Aposteln gesagt: „In meinem Namen werden sie böse Geister austreiben.“ Wir Priester, wir alten Priester, wir sind ja noch zum Exorzisten geweiht worden. Uns ist noch die Fähigkeit übertragen worden, Teufel auszutreiben. Der Sturm mag gewaltig werden, aber er kann uns nicht umwerfen, wenn wir uns der Hilfsmittel bedienen.

Es ist nicht so, meine lieben Freunde, dass Menschen, die Gott nahe sind, von Versuchungen verschont bleiben. Vom heiligen Ephrem dem Syrer wird berichtet, dass er einmal auf einer Stadtmauer einer großen Stadt einen Teufel sitzen sah, und der war sehr schläfrig. Und bei einem Einsiedler sah er einen ganzen Schwarm von Teufeln. Da sprach er zu dem einsamen Teufel: „Schämst du dich nicht, dass du hier alleine die ganze Stadt zu verführen suchst, und diesen einen Einsiedler, den lässt du mit einem ganzen Schwarm versucht werden!“ Da gab ihm der Teufel zur Antwort: „Dieser eine Einsiedler schadet uns mehr als die ganze Stadt, denn der größte Teil ist schon in unserer Gewalt.“ Das sind die Weisungen für die Abwehr der Versuchung.

Und schließlich der Lohn der bestandenen Versuchung. Versuchungen sind Kämpfe und damit auch Gelegenheiten zum Sieg und zum Lohn. „Selig der Mann, der in der Versuchung standhält. Wenn er sich bewährt hat, wird er die Krone des Lebens empfangen, wie der Herr verheißen hat.“ So steht im Jakobusbrief, der für die Versuchungen eine erstklassige Quelle ist. Auf der bestandenen Versuchung ruht ein großer Segen. Erstens nämlich: Versuchungen üben uns in der Demut. In der Versuchung lernen wir, dass wir schwach sind und schwache Stellen haben und dass der Satan weiß, wo diese schwachen Stellen liegen. Die Versuchung zeigt uns, wozu wir fähig sind, immer noch fähig sind, wenn Gott uns nicht stützt. In Versuchungen lernen wir auch verstehen, warum andere Menschen fallen konnten. Wir werden dann vorsichtig sein in unserem Urteil über andere Menschen. Und selbst wenn wir in der Versuchung fallen, besteht die Möglichkeit, wieder aufzustehen und zu Gott heimzukehren, und dann wird die Versuchung uns zum Segen. Vielleicht hätte nichts so sehr unseren Stolz zerschlagen und uns zu Gott hingewendet wie der Fall in einer Versuchung. Die Erschütterung über diesen Fall kann ins uns zur Quelle des Segens werden für die Zukunft.

Zweitens: Versuchungen, die wir überstanden haben, stärken unsere Kraft. Wie die Stürme die Bäume zwingen, sich fester in die Erde einzuwurzeln, so können auch die Versuchungen uns in unserer Tugend stärken. Unsere Tugenden werden auf diese Weise zu erprobten Tugenden. Es ist ein herrlicher Vorgang, wenn wir durch die Versuchungen in der Kraft gestärkt werden, wenn wir fester in Gott verwurzelt werden.

Und schließlich noch ein Drittes. Die Versuchungen vermehren unsere Seligkeit. Ohne Kampf kein Sieg, ohne Sieg keine Krone. Wir sind gefirmt zu Streitern Christi. Wir sind Brüder der Bekenner und der Martyrer, und wir sollen deswegen nach ihrem Beispiel in den Versuchungen standhalten. Wir sollen sie nicht fürchten, wir sollen sie natürlich auch nicht suchen, aber wir sollen uns, wenn sie über uns kommen, fest an das Kreuz klammern. Wir sollen das Kreuzzeichen machen, denn das ist das Siegeszeichen unseres Herrn, und wie einst Konstantin hörte: In diesem Zeichen wirst du siegen, so werden wir ebenfalls erfahren: Im Kreuzeszeichen werden wir die Versuchung bestehen.

Amen.

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