Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Mai 2006

Die Bedeutung der Himmelfahrt für uns (Teil 1)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Himmelfahrt unseres Herrn und Heilandes Versammelte!

„Aufgefahren in den Himmel, sitzet er zur Rechten Gottes.“ So bekennen wir im Glaubensbekenntnis unserer Kirche. Und dieses Ereignis begehen wir am heutigen Tage: die Himmelfahrt des Herrn. Wir fragen: Was hat dieses Geschehnis für uns zu bedeuten? Ist es nur ein Feiertag wie andere, der halt die Arbeitswoche unterbricht, oder ist dieses Ereignis von großer Bedeutung für uns? Wir haben den Bericht des Evangeliums und der Apostelgeschichte gehört, wie Jesus in den Himmel aufgenommen wurde. Die Auffahrt Jesu nach oben, also in die Welt der Wolken und der Vögel ist ein Gleichnis, ein Gleichnis für etwas Unräumliches und Unsichtbares, nämlich die Aufnahme des Herrn in die Herrlichkeit des Vaters.

Wenn Jesus nach oben aufgefahren ist, dann ist das eine Anpassung an das Weltbild der damaligen Zeit. Oben war eben das Helle, das Lichte, das Freundliche, das Gütige, und unten war das Dunkle, das Untermenschliche, die Unterwelt. Wäre Jesus nach unten von den Aposteln verschwunden, dann müsste man annehmen, er wäre zu den Verdammten gegangen. Aber weil er nach oben fuhr, wird uns durch dieses Gleichnis, und es ist nur ein Gleichnis, bezeugt, dass er in die helle, lichte Welt des Vaters gegangen ist. In jeder Stunde ward Jesus, der Gottessohn und Menschensohn, der gehorsame und demütige Knecht Gottes, der gekreuzigt und gestorben war im Dienste Gottes, in jener Stunde ward er aufgenommen in die volle und ungetrübte Herrlichkeit des Vaters. Da wurde die letzte Folgerung aus seinem Wesen, aus seinem Wirken und aus seinem Leiden gezogen. Da ward er an den Platz gestellt, der ihm zukam nach allem, was er gewesen war und gewirkt hatte, nämlich an den Platz zur Rechten Gottes.

Auch das ist ein Bild, denn es gibt bei Gott keine rechte und keine linke Seite. Aber wir wissen, was dieses Bild sagen will: Jesus, der Heiland, der Gekreuzigte ist nun in eine Ehre und Herrschaft bei Gott eingesetzt worden, die man in Wahrheit als ein Teilhaben an Gottes Macht und Herrlichkeit bezeichnen kann. Da ist in Erfüllung gegangen, was der Prophet Isaias Jahrhunderte zuvor vorausgesagt hatte, nämlich: „Der Wille Gottes wird in seine Hand gelegt und wird in seiner Hand gelingen.“ Von diesem Tage an ist ihm wahrhaft alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben.

Dieses Ereignis ist aber auch für uns von größter religiöser Bedeutung. Denn alles, was an Jesus geschieht, das ist auch unser Anteil, das ist unsere Erwartung und unsere Erfüllung. Indem Jesus in die Herrlichkeit des Vaters eingegangen ist, tritt er in unsere Mitte, in die Mitte des Christentums und der Christenheit. So können wir jetzt erkennen, was die Mitte, was das Wesen des Christentums ist, worauf es in dieser Religion ankommt und was es heißt, ein Christ zu sein. Der Inhalt dieses Geschehnisses wird vom Apostel Paulus in eine ganz einfache Formel zusammengefasst, nämlich: Christos Kyrios – Christus ist der Herr. Das ist der kürzeste Ausdruck für die Bedeutsamkeit der Himmelfahrt Jesu. Christus ist der Herr. Ja, wie denn? Wie ist Christus unser Herr? Gibt es einen Herrn über uns? Wir heutigen Menschen sind ja gleichberechtigt und erkennen keine Herren mehr über uns an. Wir kennen Arbeitgeber, aber sie sind nicht unsere Herren. Wir kennen Regierungsleute, aber sie sind nicht unsere Herren. Wir kennen Führer, aber als unsere Herren erkennen wir sie nicht an. Sollen wir nun Christus als unseren Herren anerkennen? Ja, wir müssen ihn als Herrn anerkennen, denn er ist der menschgewordene Sohn Gottes, Gott und Mensch zugleich, der vom Vater kam und unter uns wohnte als Mensch, der aus Liebe zu uns dem Vater diente und uns den Zugang zum allheiligen Gottes eröffnet hat, so dass wir jetzt an seiner Hand und mit ihm hintreten dürfen in die volle und letzte Gottesgemeinschaft, so dass sich das Gebet Christi an uns erfüllt: „Vater, ich will, dass die, die an meinen Namen glauben, auch da seien, wo ich bin und die Herrlichkeit gesehen, die du mir gegeben hast.“

Wenn Christus unser Herr in dem heiligsten und höchsten Sinne ist, den man überhaupt in dieses Wort hineinlegen kann, dann ergeben sich daraus zwei Folgerungen: 1. Wir stehen zur Christus in einem Eigentumsverhältnis, und 2. Wir stehen zu ihm in einem Befehlsverhältnis.

Erstens: Wir stehen zu Christus in einem Eigentumsverhältnis. Ja, ist das denn möglich? Kann ein Mensch das Eigentum eines anderen werden? In alter Zeit gab es die Sklaverei. Da war tatsächlich ein Mensch des anderen Eigentum, mit dem er tun durfte, was er wollte. Aber das war eine Verkehrung, das war ein Greuel, das war ein Missbrauch. Der Mensch kann niemals ein Nutzding für andere werden. Auch unter Liebenden geht die Rede: Ich bin dein Eigentum, ich gehöre dir, ich bin dir übergeben. Aber das ist meistens nur ein Überschwang der Worte. Wenn es wirklich so wäre, wenn diese Rede aus dem Überschwang der Liebe käme, dann wäre sie Wahrheit. Die Liebe kann in der Tat einen Menschen einem anderen zum Eigentum geben, so dass aus Zweien eine Eins wird, etwas Zusammengehöriges. Nun hat aber niemand eine größere Liebe, als wer sein Leben hingibt für den anderen. Und eben das hat unser Herr und Heiland grtan. Als er im Begriff war, sein Leben hinzugeben, da sagte er: „Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für den anderen.“ Da ist also diese Liebe, die aus Zweien eins macht, und die Menschen, für die er sich hingab, können sich ihm ebenso schenken, und so wird auch von dieser Seite die Einheit mit ihm gebildet. In seinem Leben und Sterben hat uns ja der Herr an der Hand genommen und ist zum Vater in den Himmel eingegangen: „Vater, ich will, dass sie auch da seien, wo ich bin.“ Also vor Gott, dem Ewigen, und in aller Wirklichkeit gehören wir zu ihm, sind wir sein Eigentum. Wir heißen Christiani, das heißt Christusangehörige. Das ist der eigentliche Name, den wir tragen. Wir sind Christus-Zugehörige, wir sind sein Volk, wir sind seine Jünger, wir sind sein Reich. Jawohl, seine Kraft und seine Gnade, seine göttliche Nähe und sein Leben aus dem Vater ist auch in uns, weil er es uns mitgeteilt hat. Seine Kindschaft ist in uns, so dass wir mit dem gleichen Wort wie er zum ewigen Gott sprechen können: „Abba, lieber Vater.“ So ist auch das Schicksal, das er gehabt hat, das unsere. Es ist das gleiche Ziel, nämlich die Herrlichkeit beim Vater. Und es ist der gleiche Weg, der über einen Golgothaberg und über ein Grabesdunkel führt, hindurch auf den Himmelfahrtsberg und von dort hin zur Rechten des Vaters, auf dass wir seien, wo er ist. Denn wo der Herr ist, da muss auch sein Eigentum sein, das ihm gehört, das er sich verdient hat, das sich selbst ihm geschenkt hat, das ihm in gemeinsamer Liebe und gemeinsamer Not verbunden ist. Wir stehen zu Christus in einem Eigentumsverhältnis.

Wir stehen aber auch zu ihm zweitens in einem Befehlsverhältnis. Da er uns zum Vater vorausgeht, da er uns bei der Hand nimmt und dem Vater vorstellt, ist er unser Führer und hat also zu bestimmen, welcher Art wir sein müssen, wenn er es auf sich nehmen soll, uns dem Vater vorzustellen. So steht es also bei ihm, unser Wesen, unseren Charakter, unser Leben und unsere Lebensform festzusetzen. Es steht bei ihm, zu erklären, wie er uns haben will. Es steht bei ihm, zu sagen: Wer mir nachfolgen will, der muss dieses tun und jenes lassen, der muss hier verzichten und dort auch etwas auf sich nehmen. Es steht bei ihm, zu sagen: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Er ist der Gesetzgeber. Er darf verkünden: „Den Alten ward gesagt: Auge und Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde. Tuet Gutes denen, die euch hassen und betet für die, die euch verfolgen.“ Es steht bei ihm, zu sagen: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebet, wie ich euch geliebt habe. Und daran sollen alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid.“ Er darf uns auch drohen: „Wer mich vor den Menschen verleugnet, den werde ich auch vor meinem Vater im Himmel verleugnen.“ Und er darf uns die Verheißung geben: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Und: „Wer mein Wort hält, der ist es, der mich liebt.“

Das ist also das Befehlsverhältnis, meine lieben Christen, in dem wir zu ihm stehen. Wenn wir in sein Leben eingehen wollen, müssen wir seine Gebote halten. Wenn wir vollkommen sein wollen, müssen wir ihm nachfolgen und alles andere verlassen. Ihm nachfolgen, das heißt seinen Geist, seine Denkart, seine Seele in uns ausprägen. Ihm nachfolgen, das heißt so über Gott, über die Vorsehung, über das Leben, über die Sünde, über die Ewigkeit denken, wie er über diese Dinge denkt. Ihm nachfolgen, das heißt so beten und so lieben, so leiden und so tragen, wie er es uns vorgemacht hat, heißt sanftmütig und demütig werden, rein und pflichttreu sein wie er. Ihm nachfolgen heißt einander die Lasten tragen, wie er unsere Last getragen hat.

Damit ist die christliche Sittlichkeit begründet, nach Inhalt und nach Form. Ihrem Inhalt nach: Seitdem Christus da war, kann es eine andere Sittlichkeit, eine andere Moral, eine andere Lebensform, eine andere Vollkommenheit des Menschentums nicht mehr geben. Es kommt kein anderer Maßstab mehr in Frage als der seine. Es kann nur noch gelten die Bergpredigt: Selig die Selbstlosen, selig die Kreuzträger, selig die Nächstenliebe, selig die Erbarmung, selig der Gehorsam, selig die Reinheit und selig der Idealismus, der keinen Gewinn aus dieser Welt ziehen will. Es kann also keine Menschenentwicklung und keine Moralentwicklung mehr geben, die über Jesus hinausführt. Es kann keine Zeit mehr kommen, wo an die Stelle der Demut die Gewalt seliggesprochen wird, anstelle der Liebe der Haß, anstelle des Erbarmens die Selbstsucht, anstelle der Reinheit die Genußgier, anstelle des Kreuztragens die Herrschsucht, anstelle des Schenkens das Fordern und das Begehren.

Auch formell ist die Sittlichkeit jetzt auf eine endgültige Grundlage gestellt. Nun wissen wir für alle Zeiten, warum wir gut sein sollen, warum wir liebreich, erbarmungsvoll und reich sein sollen. An sich ist eine mehrfache Begründung der Sittlichkeit möglich. Man kann gut sein wollen aus wohlverstandener Nützlichkeit. Denn auf die Dauer ist es doch die Güte, die Gerechtigkeit, die Barmherzigkeit allein, die sich bewährt und zum vollen und wahren Leben führt. Man kann gut sein wollen um des Fortschritts willen, weil man ein vollkommener und rechter Mensch sein will. Die Befehle und Forderungen Gottes decken sich eben mit den Geboten eines reinen und reichen Menschentums. Man kann gut sein wollen um des Guten willen, und das ist vielleicht die höchste Form der Sittlichkeit, weil das Gute gut ist. Gut sein wollen um Gottes willen, das ist ein entscheidender Grund. Aber Gott ist Herr und unsichtbar, und nicht jeder findet leicht das persönliche Du zu diesem unsichtbaren Gott, das die Seele aufstehen lässt und sich zu Gott wenden lässt. Wenn aber Gott als Mensch zu uns kommt, und wenn dieser Mensch uns an der Hand nimmt und sagt: „Folge mir nach!“, dann kann um dieses brüderlichen und zugleich göttlichen Menschen willen in uns die große Woge aufstehen, die uns mitreißt und hinreißt zu letzten Entscheidungen. Und diese Woge heißt: „Für dich und mit dir.“ Das ist die vollkommenste Sittlichkeit, vollkommener als jeder Imperativ, und sei er noch so kategorisch. Ich gehe hin, wo du hingehst. Ich will sein, wie du bist. Ich will tragen und leiden, was du trägst. Ich will es nicht anders haben, als du es hast. Das ist die vollkommene Sittlichkeit, die uns Jesus lehrt. Das könnten wir zu jedem guten und lieben Menschen auch sprechen, aber zu keinem so wie zu Jesus. Denn er ist der Herr. Wir stehen ihm nahe wie sonst keinem Menschen. Wir sind sein Eigentum und bilden eine Einheit mit ihm. Und deswegen können wir ihm sagen: Weil du der Herr bist, darum geschehe mir nach deinem Worte. Weil du mein Freund bist, darum laß mich bei dir bleiben. Weil du mein Erlöser bist, darum laß mich mit dir leiden. Weil du mein Gott und Alles bist, darum laß mich dir anhangen.

In dieser persönlichen Nachfolge und Hingabe ist die weltbewegende Frage der Sittlichkeit gelöst, die Frage nämlich, was gut ist und warum es gut ist und warum wir es tun sollen. Die Antwort lautet: Weil du, mein Heiland, es willst. Weil du du bist. Befiehl mir, und was du befiehlst, das soll meine Güte sein. Rede Tod oder Leben zu mir, Leben und Tod sollen mir lieb sein, weil sie von dir sind. Fordere von mir, was du willst, und deine Forderungen sollen mir eine Gnade sein. Ich darf tun, was du willst. Da hört das Sollen auf, und das Dürfen beginnt. Da ist das Gesetz aufgehoben in der Liebe und in der Hingabe. Mein Heiland, laß mich dir gehören, laß mich dir folgen, laß mich deinen Weg gehen bis zum Vater im Himmel.

Amen.

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