Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. März 2006

Die Zehn Gebote

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Unser Ziel ist die ewige selige Anschauung Gottes. Daraufhin sind wir unterwegs. Alles, was Gott zu unserem Heile unternommen hat, dient dazu, uns diesem Ziele zuzuführen. Es ist einmal ein junger Mann zu Jesus gekommen, der Sehnsucht nach diesem Ziele hatte, und er fragte Jesus: „Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?“ Die Antwort lautete: „Halte die Gebote!“ Das also ist der Weg, der uns zum ewigen Leben führt, die Gebote zu beobachten. Gott hat uns Wegmarken an unseren Weg gestellt, die es zu beachten gilt. Das ist der Weg zum Leben: Halte die Gebote!

Gott selber stellt diese Wegtafeln auf. An erster Stelle im sittlichen Naturgesetz. Ja, so ist es. Die Natur, wie sie von Gott geschaffen ist, enthält Sollensforderungen. Das Sein ist gleichzeitig ein Sollen, und diese Sollensforderungen, die sich aus der Natur der Dinge, der Menschen ergeben, nennen wir das sittliche Naturgesetz. Dieses sittliche Naturgesetz ist dem Menschen eingeprägt, zumindest in den obersten Formulierungen, und meldet sich im Menschen durch das Gewissen. Im Gewissen wird uns das sittliche Naturgesetz hörbar.

Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant hat in Worten, die wirklich des Erwähnens wert sind, von diesem sittlichen Naturgesetz gesprochen. „Zwei Dinge“, sagte er, „erfüllen den Menschen mit immer neuer und zunehmender Ehrfurcht und Bewunderung, je tiefer und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt, nämlich der gestirnte Himmel über mir und das sittliche Gesetz in mir.“ Dieses sittliche Gesetz in mir, dieses moralische Gesetz, hat Gott zum Urheber; es ist das Instrument seiner Herrschaft. Nur dort kann Gott zur Herrschaft kommen, wo sein heiliger Wille Macht über die Gewissen bekommt, und das ist die Funktion des sittlichen Naturgesetzes: Gottes Willen über unser Sein und Handeln Macht bekommen zu lassen. Gott ist kein Schattenkönig. Der heilige und gerechte Gott ist Gesetzgeber. „Du sollst“ lauten seine Gebote und „Du darfst nicht“. Er ist der Herr, sein Wille ist Gesetz; wir stehen in seinem Dienste.

Aber damit nicht genug. Gott hat sich nicht begnügt, durch die Natur zu uns zu sprechen. Er hat uns vielmehr eine übernatürliche Offenbarung geschenkt. Diese übernatürliche Offenbarung ist zweifältig, nämlich eine alttestamentliche und eine neutestamentliche Offenbarung. Ich nehme an, dass die meisten von Ihnen noch in der Schule die Zehn Gebote gelernt haben. Die Zehn Gebote sind das Urgesetz des Alten Testamentes, gegeben am Berge Sinai, auf zwei Tafeln geschrieben und dem Moses übergeben.

„Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine fremden Götter neben mir haben! Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren! Du sollst den Sabbat heiligen! Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es dir wohl ergehe auf Erden! Du sollst nicht töten! Du sollst nicht ehebrechen! Du sollst nicht stehlen! Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten! Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Frau! Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut!“ Das sind die Zehn Gebote, die uns im zweiten Buch Moses überliefert sind. Ich war Zeuge, meine lieben Freunde, bei Prüfungen, bei Prüfungen von Studenten an der Universität, wie der Kollege neben mir diese Gebote auf persische und babylonische Einflüsse zurückführte. Also nicht von Gott empfangen, sondern aus dem Ausland bezogen! Das ist ein gigantischer Unfug. Selbstverständlich haben auch heidnische Völker das sittliche Naturgesetz vernommen, und das sittliche Naturgesetz spricht sich ja aus in den Zehn Geboten. Die Zehn Gebote sind als alttestamentliche Offenbarung die Bestätigung des sittlichen Naturgesetzes. Wir brauchen also nicht zu zweifeln, dass diese Gebote Gott zum Urheber haben. Es sind Gottes Gesetze. Sie sind nicht von Menschen erfunden, im Codex Hamurabi meinetwegen aufzufinden. Mag ja sein. Aber auch der Codex Hamurabi enthält eben Spuren der Uroffenbarung und des sittlichen Naturgesetzes. Es sind Gottes Gebote und nicht Menschensatzungen. Immer fügt Gott, als er diese Gebote gab, hinzu: „Ich bin Gott, der Herr“, d.h. derjenige, dem du Gehorsam schuldest. Diese Gebote bringen eine Verpflichtung mit sich, eine absolute Verpflichtung, und wenn der Herr redet, dann muss die Erde schweigen. Die Israeliten haben damals bekannt: „Alles wollen wir tun, was der Herr befiehlt.“ Und so muss es sein. Ein sittliches Gesetz, hinter dem nichts anderes steht als ein Privatmann, hat nicht mehr Macht als der König auf der Spielkarte. Sittlichkeit ist immer heteronom, d.h. hat einen überlegenen, gebietenden Willen zum Urheber. Der Einzelne kann auf sittlichem Gebiet nicht sein eigener Gesetzgeber sein, ebensowenig wie er im natürlichen Leben sein eigener Vater sein kann oder wie er im bürgerlichen Leben sein eigener Regent ist. Nein, es sind Gottes Gebote, die uns unbedingt verpflichten.

Es sind aber auch Lebensgesetze, d.h. Gebote, die das Leben schützen. Sie geben uns eine Lebensordnung. Das ist sehr leicht zu erkennen. Es ist ein Lebensgesetz, dass der Mensch sich Gott unterwerfen muss, dass er sich zum wahren Gott bekennen muss, denn die wahre Religion ist das Fundament des Lebens. Wer nicht den wahren Gott anbetet, der betet Götzen an, und wer Götzen anbetet, der wird sich auch das Gesetz des Lebens nach dem Bilde dieser Götzen schaffen. Die Ehrfurcht vor Gott ist ein Lebensgesetz. Wer vor Gott keine Ehrfurcht mehr hat, der wird auch gegenüber anderen Autoritäten keine Ehrfurcht beweisen. Auch ein Ruhetag ist für den Menschen notwendig. Es ist ein Lebensgesetz. Der Mensch verkommt, wenn er keine Feierkleider mehr anzieht. Er braucht für seinen Körper die Ruhe und die Erholung und für seinen Geist die Erhebung. Nur durch den Ruhetag ist die gemeinsame Gottesverehrung und ein religiöses Innenleben möglich. Die Gebote Gottes sind Lebensgesetze. Ehrfurcht vor der Autorität, vor der elterlichen, vor der staatlichen, vor der kirchlichen Autorität, das ist ein Lebensgesetz. Ohne Autorität zerfällt jede Gemeinschaft. Ehrfurcht vor dem Leben, Ehrfurcht vor dem Leib, Ehrfurcht vor der Seele, Ehrfurcht vor der Keuschheit, Ehrfurcht vor der Ehe, vor dem Eigentum, vor dem Gut des anderen, das alles sind Lebensgesetze, Ehrfurcht vor der Ehre des anderen, Ehrfurcht vor der Wahrheit. Sie sehen, die Zehn Gebote sind wahrhaft Lebensgesetze. Das zeigt sich nicht zuletzt darin: Früher oder später, aber gewiß immer rächt sich die Natur an dem, der diese Gesetze übertritt. Deswegen ergeht an uns die Mahnung: Spiel nicht mit dem Leben, du verfügst nicht über dein Leben. Spiel nicht mit dem Eigentum, denn es ist dir von Gott zum Lehen gegeben. Spiel nicht mit dem Kinde, es ist keine Puppe für deinen Salon. Spiel nicht mit dem Körper, er dient ewigen Zielen. Spiel nicht mit der Ehe, sie ist nicht Genuß, sondern Pflicht, Menschheitsaufgabe.

Die Gebote Gottes sind Gottesgesetze, sie sind Lebensgesetze. Sie sind aber auch Liebesgesetze. Sie kommen aus dem Herzen Gottes. Sie sind aus seiner Vaterliebe geboren. Er schützt durch sie seine Kinder. Gott bewahrt uns davor, dass wir vor falschen Göttern unsere Knie beugen. Der Mensch soll nur vor Gott seine Knie beugen. Zu ihm, dem Schöpfer, soll er aufblicken in Ehrfurcht. Ihm dienen heißt herrschen. Gott schützt die Eltern durch sein Gebot und all die anderen, die in seinem Namen Autorität tragen. Sie sind seine Stellvertreter. Wer sie schmäht, der beleidigt Gott selbst. Gott schützt unser Leben, unsere Keuschheit, unser Eigentum, unsere Ehre. Wer sie angreift, und wäre es nur in Gedanken, der muss sich vor Gott verantworten. So sind also die Gebote Gottes wahrhaft Liebesgesetze, Zeichen der göttlichen Liebe. Und wehe, wenn diese Tafeln zerbrochen werden! Wo die Gebote Gottes nicht mehr gelten, meine Freunde, da können zehntausend staatliche Gesetze eine Ordnung nicht mehr aufstellen. Übrigens enthält das Alte Testament auch andere sittliche Gebote außer den Zehn Geboten. Sie sind auf die verschiedenen Bücher verstreut. So wird zum Beispiel im Alten Testament mit voller Klarheit gesagt, dass homosexuelle Betätigung eine schwere Sünde ist!

Und dann kam Christus und brachte das Neue Gesetz, das Gesetz des Neuen Bundes. Eine Art Zusammenfassung dieses Gesetzes ist die berühmte Bergpredigt. Sie ist uns aufbewahrt im 5. bis 7. Kapitel des Matthäusevangeliums. Die Bergpredigt, das neue Gesetz, das vollkommene Gesetz des Neuen Bundes. Da heißt es immer: „Den Alten ist gesagt worden…, ich aber sage euch…!“ Und dann gibt der Herr seine Seligpreisungen: „Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig die Trauernden, sie werden getröstet werden. Selig die Weinenden, sie werden lachen. Selig die Sanftmütigen, sie werden das Land besitzen. Selig die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, sie werden gesättigt werden. Selig die Barmherzigen, sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig die reinen Herzens sind, sie werden Gott schauen. Selig die Friedensstifter, sie werden Kinder Gottes genannt werden.“ Und so gibt es noch viele andere Weisungen des Herrn in seiner Bergpredigt. Sie werden alle zusammengefasst durch das Doppelgebot: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit allen deinen Kräften und aus deinem ganzen Gemüte, und deinen Nächsten wie dich selbst!“ Der Inhalt des neutestamentlichen Gesetzes stimmt wesentlich überein mit dem alttestamentlichen Gesetze. Der wesentliche Inhalt ist derselbe. Und ebenso der absolut verbindliche Charakter der Forderung. Und doch besteht ein gewichtiger Unterschied. Das alttestamentliche Gesetz trat von außen an den Menschen heran. Es war Buchstabe. Das neutestamentliche Gesetz tritt von innen an den Menschen heran mit der Gnade Gottes und gibt die Kraft, es zu erfüllen. Das neutestamentliche Gesetz ist eine Kraft, die den Menschen umfasst und umgestaltet.

So hat der Herr die Sittlichkeit in unerhörter Weise verinnerlicht und verpersönlicht. Er hat uns ja den Weg des Glaubens gewiesen. Sein Weg ist der Weg des Glaubens, des übernatürlichen Glaubens, den er gebracht hat. „Das ist das ewige Leben, dass sie dich, den Vater, den allein wahren Gott, erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus.“ Dieser Glaube ist also der Weg, den wir gehen sollen. Und der Weg des Glaubens ist gleichzeitig der Weg der Liebe, denn das Liebesgebot umfasst und regelt alle Verhältnisse des Menschen. Wenn wir die Liebe hätten, bräuchten wir die anderen Gebote nicht, denn die Liebe weiß, was zu tun ist. Aber weil wir die Liebe nicht in vollkommenem Maße besitzen, müssen wir sie ausgestalten lassen durch die übrigen Gebote. Diese Liebe ist eine Liebe zu Gott, dem Vater, sie ist eine Liebe zu den Geschöpfen um uns, und sie ist eine Liebe, eine geordnete Selbstliebe zu uns selbst.

Dieser Weg des Glaubens und der Liebe ist auch ein Weg der Gnade. Ich sagte schon, dass das neutestamentliche Gesetz von innen an uns herantritt. Christus zeigt nicht nur den Weg, sondern er geht ihn mit uns. Er selber hat uns ja aufgerufen, dem Weg, den er gegangen ist, zu folgen. Die Nachfolge Christi, das ist der Weg, den wir zu gehen haben. Wenn wir an Wegscheiden stehen, wenn wir nicht wissen, welchen Weg wir gehen sollen, brauchen wir nur zu fragen: Was würde Jesus an meiner Stelle tun? Wenn wir den Geist Jesu haben, dann wissen wir, was zu tun ist. So wollen wir also immer und immer wieder das schöne Gebet sprechen, das im 118. Psalm enthalten ist: „Inclina cor meum in mandata tua“ – Neige, o Gott, mein Herz, zu deinen Geboten!“

Amen.

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