Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. August 2000

Der Glaube als Voraussetzung zur Rechtfertigung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In dem Evangelium, das wir soeben gehört haben, ist die Rede von dem Thema, das uns seit geraumer Zeit beschäftigt, nämlich von der Rechtfertigung. Der Zöllner gibt gerechtfertigt nach Hause, d. h. Gott hatte ihm die Sünden vergeben; der Pharisäer dagegen nicht. Der Grund der erlangten Sündenvergebung wird angegeben: Der eine hat sich selbst erhöht und als Gerechten ausgegeben, der andere hat sich erniedrigt und seine Schwäche und Erbärmlichkeit vor Gott bekannt. Damit hat er das Herz Gottes gleichsam gerührt und die Vergebung empfangen.

Die Rechtfertigung bedarf der Umkehr. Der erste Schritt zur Rechtfertigung ist die Bekehrung. Sie hat ein negatives und ein positives Element. Das negative Element der Bekehrung ist die Abwendung vom Bösen; das positive Element ist die Hinwendung zu Gott, und diese Hinwendung bezeichnen wir mit dem Worte Glaube. Der Glaube ist der erste Schritt auf Gott zu. Die Bekehrung kann sich nicht zutragen, ohne daß der Mensch Glauben hat, und deswegen wird auch immer zur Bekehrung und gleichzeitig mit ihr der Glaube gefordert. Als Paulus in Philippi den Kerkermeister vom Evangelium unterrichtete, da fiel ihm dieser zu Füßen und fragte: Was muß ich denn tun, um gerettet zu werden? Da antwortete Paulus: Glaube an Jesus Christus! Der Glaube ist der Weg zur Rettung. Dieser Glaube, von dem hier gesprochen wird, ist ein unbedingt notwendiges Element für die Vorbereitung zur Rechtfertigung. Es ist ein Glaubenssatz der Kirche: Der Glaube ist die unerläßliche Vorbedingung für die Rechtfertigung. Wer sich auf die Rechtfertigung vorbereitet, muß den Glauben haben.

Das Konzil von Trient hat den Glauben als die grundlegende und unentbehrliche Vorbereitung auf die Rechtfertigung ausgesprochen, wenn es lehrt: „Der Apostel sagt, daß der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird. Diese Worte sind so zu verstehen, wie die katholische Kirche stets einmütig festhielt: Wir werden durch den Glauben gerechtfertigt, so heißt es deshalb, weil der Glaube Beginn des Heils für den Menschen, Grundlage und Wurzel jeder Rechtfertigung ist.“ Der Glaube ist der Beginn des Heils, Grundlage und Wurzel jeder Rechtfertigung. Diese Worte müssen wir uns merken, denn sie werden uns in dieser Predigt beschäftigen.

Nun hat niemand anderes als Luther den Glauben ja sehr hervorgehoben. Er hat gesagt: Es kommt nur auf den Glauben an. Man braucht nichts anderes als den Glauben. Darin liegt das Falsche. Er hat sodann den Glauben als ein bloßes Vertrauen auf Jesus Christus verstanden; für ihn ist der Glaube Vertrauensglaube. Darin liegt der Irrtum. Es genügt nicht der Vertrauensglaube, es ist vielmehr für die Rechtfertigung der inhaltlich bestimmte Bekenntnisglaube erfordert. Das eben hat das Konzil von Trient gegen Luther festgehalten. Die Vorbereitung zur Rechtfertigung geschieht auf folgende Weise: „Geweckt und unterstützt von der Gnade, nehmen sie den Glauben im Hören auf und erheben sich so frei zu Gott, gläubig für wahr haltend, was von Gott geoffenbart und verheißen ist, besonders, daß der sündige Mensch von Gott gerechtfertigt werde durch die Gnade.“ Hier, meine lieben Freunde, ist beschrieben, welcher Glaube notwendig ist: gläubig für wahr haltend alles, was von Gott geoffenbart und verheißen ist. Also nicht bloß Vertrauen auf Gottes Erbarmen, sondern: Alles für wahr haltend, was von Gott geoffenbart und verheißen ist, besonders, daß der sündige Mensch von Gott gerechtfertigt wird.

Aber dieser Glaube allein genügt nicht. Es muß etwas zum Glauben dazu kommen. Der Glaube allein ist nicht gefüllt, er ist noch leer, denn, so sagt der Apostel Jakobus, „glauben tun auch die Dämonen, aber sie zittern dabei“. Der Glaube allein genügt nicht, denn, so fährt das Konzil fort, „wenn sie dann in Erkenntnis ihrer Sündhaftigkeit von Furcht vor der göttlichen Gerechtigkeit heilsam erschüttert sind, besinnen sie sich auf Gottes Barmherzigkeit und richten sich in Hoffnung auf, vertrauend, daß Gott ihnen um Christi willen gnädig sein werde. Dann beginnen sie ihn als Quelle aller Gerechtigkeit zu lieben und erheben sich deshalb wider die Sünde in Haß und Abscheu“. Hier ist lichtvoll und in relativer Vollständigkeit ausgeführt, was zum Glauben hinzukommen muß, damit der Glaube zur Rechtfertigung führt, nämlich: Der Mensch muß seine Sündhaftigkeit erkennen und, weil Sünde Strafe verdient, auch heilsame Furcht in sich haben, die Furcht vor dem strafenden Gott, und diese Furcht erschüttert ihn. Aber gleichzeitig denkt er an Gottes Barmherzigkeit und richtet seine Hoffnung darauf. Der Glaube muß sich also mit der Hoffnung vermählen. Und jetzt kommt auch das Vertrauen dazu. Vertrauen ist notwendig, aber es genügt nicht allein. „Vertrauend, daß Gott ihnen um Christi willen gnädig sein werde.“ Das Vertrauen ist die Begleitschaft des Glaubens, aber es ist nicht der volle Inhalt und der einzige Inhalt des Glaubens.  Dazu kommt dann die anfanghafte Liebe. „Dann beginnen sie ihn als Quelle aller Gerechtigkeit zu lieben und erheben sich deshalb wider die Sünde in Haß und Abscheu“, d. h. sie haben die Reue. Um auch ganz sicher zu gehen, daß niemand den Glauben falsch bestimmt, hat das Konzil von Trient dann nochmal einen Lehrsatz aufgestellt, der lautet: „Wer behauptet, der rechtfertigende Glaube sei nichts anderes als das Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit, die um Christi willen die Sünden nachläßt, oder dieses Vertrauen allein sei es, wodurch wir gerechtfertigt werden, der sei ausgeschlossen.“

Damit ist die katholische Lehre deutlich und über jeden Zweifel erhaben dargestellt. Aber wir sind ja immer darauf bedacht, daß wir diese Lehre nicht im luftleeren Raum ansiedeln, sondern daß wir fragen: Ist sie denn in der Offenbarung begründet? Gibt die Offenbarungsurkunde, also das Neue Testament vor allem, gibt die Offenbarungsurkunde so viel her, daß man diese Aussagen treffen kann, wie sie das Konzil von Trient getroffen hat? O ja. Der Apostel Johannes ist der Herold des Glaubens, und er lehrt den Glauben als unerläßliche Vorbedingung für den Empfang des ewigen Lebens – aber natürlich den gefüllten Glauben, nicht den leeren Glauben. Er sagt nämlich in seinem Evangelium: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn dahingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe.“ Jeder, der an ihn glaubt! Glauben, daß Gott existiert, und an Gott glauben sind zwei verschiedene Dinge. Daß Gott existiert, ist den Dämonen ohne Zweifel sicher, aber sie glauben nicht an ihn, d. h. sie vollziehen nicht die Übergabe an Gott; sie übereignen sich nicht im Glauben an Gott, sondern sie widerstreben ihm aufs heftigste. Aber hier hat Johannes deutlich ausgesprochen, daß es den Glauben an Gott braucht, nicht bloß den Glauben, daß Gott existiert. So ist es auch bei allen anderen Stellen. „Wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht.“ Oder an einer anderen Stelle: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, hat ewiges Leben.“ Oder noch einmal: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist, und jeder, der im Leben an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.“ Ja, sein ganzes Evangelium hat Johannes nur geschrieben, um den Glauben zu wecken. Das ist aufgeschrieben, sagt er, „damit ihr glaubet, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen“. Der Glaube, von dem Johannes spricht, ist die Übergabe an Gott, ist die Entscheidung, daß man Gott Recht sein läßt und daß man sich selbst im Unrecht sieht.

Der Apostel Paulus ist ebenfalls Herold des Glaubens, wie Johannes. Er gibt das Zeugnis von der Heilskraft des Glaubens in der Form eines nie verstummenden Lobpreises auf die Gnädigkeit Gottes. So schreibt er im Römerbrief: „Ich schäme mich der Heilsbotschaft nicht, ist sie ja eine Gotteskraft zum Heil für jeden, der glaubt, für den Juden zuerst und auch für den Heiden.“ Aufgrund des Glaubens sind alle, die an Christus glauben, gerechtfertigt worden. So schreibt er an einer anderen Stelle: „Jetzt aber ist Gerechtigkeit Gottes ohne Gesetz offenbar geworden, bezeugt vom Gesetz und den Propheten, nämlich Gerechtigkeit durch den Glauben an Jesus Christus, allen und über alle, welche an ihn glauben.“ Und wiederum an einer anderen Stelle: „Gerechtfertigt also durch den Glauben haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.“ Daß dieser Glaube nicht bloß Vertrauen ist, sondern daß er Bekenntnis einschließt, das Bekenntnis zu Jesus als dem Heilbringer, als dem Erlöser, als dem Retter, das ist ganz deutlich ausgesagt an einer anderen Stelle des Römerbriefes: „Wenn du mit deinem Munde den Herrn Jesus bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott ihn von den Toten erweckt hat, so wirst du selig werden.“ Hier sieht man den Inhalt des Glaubens. Man muß glauben, daß Jesus der Herr ist, also der gottgesandte Herrscher über Lebende und Tote, und man muß glauben, daß er vom Vater aus dem Tode erweckt worden ist. Das sind Inhalte. Diese Inhalte gehören zu dem Glauben, der die Vorbereitung, die unerläßliche Vorbereitung auf die Rechtfertigung ist.

Man hat dann versucht, das Minimum des notwendigen Glaubens zu bestimmen. Wie muß ein jeder glauben, damit er gerechtfertigt werden kann? Wieviel ist zur Vorbereitung auf die Rechtfertigung zu glauben notwendig? Nun, für diejenigen, die noch nicht mit der Offenbarung konfrontiert worden sind, ist das relativ wenig, denn nach dem Hebräerbrief „muß, wer sich Gott naht, glauben, daß er ist und denen, die ihn suchen, ein Vergelter wird“. Hier werden also ganz geringe Anforderungen für den Glauben, der zur Vorbereitung notwendig ist, verlangt, nämlich: Er muß an die Existenz Gottes glauben, er muß glauben, daß er ist, und er muß an die Richterfunktion Gottes glauben, daß er ein gerechter Vergelter ist. „Ohne Glauben ist es unmöglich“, sagt der Hebräerbrief, „Gott zu gefallen. Denn wer Gott sich naht, muß glauben, daß er ist und denen, die ihn suchen, ein Vergelter wird.“

Ein solcher Glaube genügt aber nicht für diejenigen, die schon von der Offenbarung erreicht worden sind. Sie müssen glauben, daß Jesus der Heilbringer ist, daß Jesus der Sohn Gottes ist, daß er der Logos, die zweite Person in Gott, ist und daß der Mensch ein Sünder ist, der notwendig des Anschlusses an Jesus bedarf. Das muß glauben, wer von der Offenbarung berührt worden ist.

Nun komme ich noch einmal zurück auf das, was ich am Anfang vorgelesen habe, nämlich daß nach dem Konzil von Trient der Glaube der Anfang des Heiles, die Wurzel und die Grundlage jeder Rechtfertigung ist. Das bedeutet: Der Glaube ist nicht nur am Beginn des Heilsweges notwendig. Er ist unerläßlich zum Anfang, aber er ist nicht nur für den Anfang erforderlich; er muß das ganze Christenleben durchtragen. Aus ihm muß sich alles andere ergeben. Den Glauben darf man niemals fallenlassen, sondern muß in ihm wachsen, ihn vertiefen und in ihm Frucht bringen. Diese zweite Aussage, daß man nämlich im Glauben Frucht bringen muß, nennt man in der Theologie die zweite Rechtfertigung. Man soll in der Gnade wachsen, und das bezeichnet man als zweite Rechtfertigung. Von dieser zweiten Rechtfertigung, also vom Wachsen in der empfangenen Rechtfertigung, sagt das Konzil: „In dieser Gerechtigkeit, die sie durch Christi Gnade empfangen haben, wachsen sie unter Mitwirkung des Glaubens an ihren guten Werken.“ Hier sehen Sie, daß also auch für die zweite Rechtfertigung, für das Wachsen in der Rechtfertigung, der Glaube notwendig ist. Sie wachsen „unter Mitwirkung des Glaubens“ an ihren guten Werken. Die guten Werke führen zur Zunahme in der Rechtfertigung, und diese guten Werke sind notwendig, sie sind unerläßlich. Keiner darf sich also, sagt das Konzil, „mit dem Glauben allein schmeicheln und meinen, durch den Glauben allein sei er zum Erben bestellt und werde er die Erbschaft erlangen, auch wenn er sich nicht mit Christus im Leiden vereint. Denn auch Christus selbst hat in seinem Leiden Gehorsam gelernt, und nach seiner Vollendung wurde er für alle, die ihm folgen, Urheber ewigen Heiles“.

Die erste Rechtfertigung ist die Versetzung aus dem Sündenzustand in den Gnadenstand. Die zweite Rechtfertigung ist das Wachsen in der Gnade. Es gibt noch eine dritte Rechtfertigung,  und sie besteht darin, daß, wenn ein Gerechtfertigter in schwere Sünde gefallen ist, er wieder die Rechtfertigung erlangen kann. Er kann sich durch das Sakrament der Buße erneut in den Zustand der Rechtfertigung erheben. Auch zu dieser dritten Rechtfertigung ist selbstverständlich der Glaube notwendig, denn nur der Glaube gibt ja dem Menschen die Kraft, seine Sünden zu erkennen im Lichte Gottes. Nur durch den Glauben findet er zur Reue. Nur im Glauben faßt er den Vorsatz, die Sünde zu überwinden und zu meiden. Deswegen ist auch für die dritte Rechtfertigung, also für die Wiedergewinnung der Gnade, nachdem man sie verloren hat, der Glaube unbedingt notwendig.

Diese Bedeutung des Glaubens für die erste, für die zweite und für die dritte Rechtfertigung macht uns gewiß, daß in unserem Leben weniges so wichtig ist wie die Gewinnung eines festen, eines tiefen, eines lebendigen, eines unerschütterlichen Glaubens. Wer den Glauben hat, dem kann, auch wenn er in die schwere Sünde gefallen ist, geholfen werden. Aber wenn er den Glauben nicht hat, dann ist er nicht mehr zu retten. Die Gnade geht verloren durch jede schwere Sünde, aber wenn die schwere Sünde gleichzeitig mit dem Unglauben verbunden ist, dann ist eigentlich alle Hoffnung dahin. Deswegen preisen die Apostel Johannes und Paulus den Glauben so über alle Maßen. Deswegen schreibt der Apostel Johannes in seinem ersten Briefe: „Wer ist es denn, der die Welt überwindet, wenn nicht der, welcher glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist?“ Die Welt, insofern sie im argen liegt, die Welt, in der der Satan herrscht, diese Welt wird nur überwunden im Glauben. „Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, welcher glaubt, daß Jesus der Messias ist?“

Amen.

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