Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Juli 1998

Die Verehrung Mariens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Unter allen Heiligen zollen wir niemandem eine so große Verehrung wie Maria. Denn sie ist die Königin aller Heiligen. Maria wird von uns auf vielfältige Weise verehrt. Dreimal täglich rufen wir im Engel des Herrn die große Botschaft aus, die Gott ihr zukommen ließ. In der Lauretanischen Litanei preisen wir sie mit vielen Anrufungen ob ihrer Verdienste und ihrer Erwählung. Den schönsten Monat des Jahres hat die Kirche ihr geweiht, den Maienmonat, in dem wir Maria in den Maiandachten verehren. Wir beten das ganze Jahr über den Rosenkranz, aber der Oktober ist der Rosenkranzmonat, weil in ihm das Rosenkranzfest liegt. Ein ganzer Kranz von Festen ist um Maria gezogen. Viele Orte sind Maria geweiht, Wallfahrtsorte, Gnadenorte – in allen Gegenden, wo katholische Christen wohnen, in Kevelaer im Rheinland, in Maria-Zell in der Steiermark, in Loretto in Italien, in Lourdes in Frankreich, in Fatima in Portugal und an vielen anderen Orten, wo Maria verehrt wird. Da könnte einer fragen: Ja, ist es denn nicht zuviel dieser Verehrung? Machen wir nicht Maria zu einer Göttin? Nehmen nicht Andersgläubige berechtigt Anstoß an unserer Verehrung der Muttergottes?

Vor einiger Zeit hat sich an einem Berliner Lyzeum, also einem Gymnasium für Mädchen, folgendes zugetragen. In der Klasse befanden sich mit Ausnahme zweier Kinder nur Protestanten; zwei katholische Mädchen unter lauter Protestanten. Wenn der Unterricht beendet war, bildeten die protestantischen Mädchen eine Gasse und ließen eines der beiden katholischen Mädchen diese Gasse hinabgehen, verneigten sich vor ihr und verspotteten sie, indem sie riefen: „Ave Maria! Ave Maria!“ Das Mädchen schritt ohne Zorn und ohne Bitterkeit durch diese Gasse. Eine Reihe von Jahren später meldete sich bei einem Berliner Geistlichen eine junge Frau. Sie hatte den Wunsch, katholisch zu werden. Der Priester fragte sie, welches ihre Motive seien. Sie erwiderte: „Das Beispiel und das Vorbild einer meiner Klassenkameradinnen steht mir leuchtend vor Augen und hat mir  keine Ruhe gelassen.“ Und sie erzählte diese Begebenheit, die ich eben geschildert habe. „Ich fragte mich immer: Woher nahm dieses Mädchen die Kraft, diesen Spott und diesen Hohn zu ertragen?“ Maria hatte hier eine protestantische Frau zum katholischen Glauben geführt.

Warum verehren wir Maria? Warum verehren wir sie so glühend, wie es der Fall ist? Darauf wollen wir eine dreifache Antwort geben.

1. Wir verehren Maria, weil sie die Mutter Gottes und unsere Mutter ist.

2. Wir verehren Maria, weil sie von allen Heiligen am meisten ausgezeichnet ist.

3. Wir verehren Maria, weil sie mit ihrer Fürbitte bei Gott am meisten vermag.

Der erste Grund für unsere Verehrung, für unsere Hochverehrung Mariens ist, weil sie die Mutter Gottes und unsere Mutter ist. Daß Maria die Mutter Gottes ist, steht schon in der Heiligen Schrift. „ Woher wird mir die Ehre zuteil“, sagt Elisabeth, „daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ Ja, wer ist denn ihr Herr? Ihr Herr ist Gott. Also hat schon die Heilige Schrift Maria als Mutter Gottes bezeichnet. Es wurde das dann in jahrhundertelanger Verehrung immer mehr erkannt und abschließend ausgedrückt durch das Konzil von Ephesus im Jahre 431, das Maria von Amtes wegen den Titel Theotokos, Gottesgebärerin, gab. Maria ist die Mutter Gottes, weil sie den geboren hat, der Gott und Mensch zugleich ist. Sie hat Jesus von Nazareth geboren, aber dieser Jesus von Nazareth ist in Personalunion mit dem Logos vereinigt. Deswegen trägt Maria zu Recht den Namen Gottesmutter.

Maria ist aber auch unsere Mutter. Christus selbst hat sie uns zur Mutter gegeben. Am Kreuze sprach er zu seinem Jünger Johannes: „Siehe da, deine Mutter!“ Johannes vertrat die ganze Menschheit, er vertrat auch unsere Stelle. Er hat an unserer Statt die Widmung Mariens als unsere Mutter entgegengenommen. „Siehe da, deine Mutter!“ So spricht Gott zu einem jeden Christen. „Siehe da, deine Mutter!“ Wir verehren Maria, weil sie unsere Mutter ist. Sie ist die neue Eva. Die erste Eva hat Unheil über das Menschengeschlecht gebracht durch ihren Ungehorsam. Die zweite Eva bringt Heil über das Menschengeschlecht durch ihren Gehorsam. Maria ist die Gottesmutter und unsere Mutter, und deswegen verehren wir sie wie keine andere Heilige.

Maria wird auch deswegen verehrt, weil sie von allen Heiligen am meisten ausgezeichnet worden ist, und zwar in vierfacher Weise. Einmal wurde sie ausgezeichnet, weil sie die Mutter Gottes sein durfte. Ja, das ist ja ihre grundlegende Auszeichnung, daß sie die Mutter dessen ist, den wir als Gott und Herrn verehren. Deswegen wird ihre Verehrung schon in der Heiligen Schrift bezeugt. Gott selbst ist ein Marienverehrer, denn er läßt seinen Boten sagen: „Du bist voll der Gnade; du bist gebenedeit unter den Frauen.“ Gott selbst verehrt Maria. Elisabeth fügt dieser Verehrung eine neue Note hinzu: „Selig bist du, weil du geglaubt hast.“ Und Maria wußte es, daß sie deswegen selig ist. „Selig werden mich preisen alle Geschlechter.“ Weil sie also zur Mutter Gottes erwählt wurde, deswegen wird sie von uns verehrt. Wenn Gott aber ein Geschöpf erwählt, dann macht er es auch für die Aufgabe, die er ihm zudenkt, geeignet. Und eben das hat Gott getan. Er hat die selige Pforte, die er dem Worte bereitet hat, geheiligt von Anfang an. Alle anderen Menschen kommen mit der Erbsünde auf die Welt, Maria allein wurde ohne Erbsünde empfangen. Vom ersten Augenblick ihres Daseins ist sie von der Erbsünde nun nicht befreit, sondern bewahrt worden. Sie ist auch erlöst, gewiß, aber sie ist die Vorerlöste. Wir sind Erlöste, nachdem wir uns die Erbsünde zugezogen haben; Maria wurde erlöst, indem sie vor der Erbsünde bewahrt blieb. Deswegen bekennen wir sie in der Lauretanischen Litanei als die unversehrte Jungfrau. Sie wurde nicht durch den Biß der Schlange versehrt wie wir, und weil sie nicht die Erbsünde und die erbsündige Verfangenheit in sich trug, deswegen hat sie auch keine Sünde begangen. Sie ist die Sündlose. Sie war vollkommen an Tugenden, und sie strahlt im Tugendkleide, und deswegen bekennen wir sie in der Litanei als die unbefleckte Jungfrau. Wir haben zahllose Flecken auf unserer Seele – unsere Schuld, unsere übergroße Schuld. Maria ist unbefleckt, weil ohne Schuld. Wir verehren Maria also deswegen, weil sie das ausgezeichnete Werkzeug Gottes war. Daraus ergibt sich dann eine weitere Folgerung. Wer nämlich vorerlöst ist, der soll auch ganz erlöst sein, und ganz erlöst ist man eben nur, wenn man nach dem Tode nicht nur mit der Seele zu Gott kommt, sondern auch mit dem Leibe. Maria ist mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden. Sie ist die Vollerlöste, weil sie die Vorerlöste war. Und daraus ergibt sich dann wieder, daß sie im Himmel einen einzigartigen Rang, die erste Stelle hat. Sie ist die Königin des Himmels. Sie ist die Königin der Propheten, die Königin der Apostel, die Königin der Martyrer, die Königin der Bekenner, die Königin der Jungfrauen, die Königin aller Heiligen. „Himmelskönigin“, so singen wir ihr zu, so rufen wir ihr zu, so jubeln wir ihr zu. Sie ist die Königin des Himmels. Deswegen also verehren wir sie, weil sie so ausgezeichnet worden ist wie kein anderes Geschöpf.

Wir verehren sie aber auch deswegen, weil sie am meisten mit ihrer Fürbitte bei Gott vermag. Schon auf Erden hat sie durch ihre Fürbitte bei Jesus manches vermocht; wir denken an die Hochzeit zu Kana. In der Himmelsherrlichkeit setzt sie ihre fürbittende Tätigkeit fort. „Ohne Zweifel“, sagt der heilige Bernhard, „wird ein solcher Sohn einer solchen Mutter nichts versagen.“ Er, der glühende Marienverehrer Bernhard von Clairvaux. „Ohne Zweifel wird ein solcher Sohn einer solchen Mutter nichts versagen.“ Wenn überhaupt etwas von Gott gewährt werden kann, dann gewiß durch die Fürbitte Mariens. Deswegen nennen wir sie die mächtige Jungfrau. Ja, die Heiligen sprechen in ihrer überschwenglichen Verehrung von der Allmacht auf Knien. Wahrhaftig, wenn Gott überhaupt etwas gewährt, dann sicher durch die Hand und auf die Fürbitte seiner heiligen Mutter. Und so hat auch die Christenheit ihr immer wieder die herrlichen Namen gegeben, die ihre Erhörungsgewißheit ausdrücken. „Du Heil der Kranken.“ O, wie viele Kranke haben ihre Zuflucht zu ihr genommen und sind in ihrer Krankheit in irgendeiner Weise durch sie aufgerichtet worden! Nicht jeder, der nach Lourdes fuhr, wurde geheilt; aber ein jeder, der in rechter Gesinnung an diesen Ort gefahren ist, wurde getröstet. „Du Zuflucht der Sünder“, so bekennen wir sie. Wahrhaftig, wer in Sünde gefallen ist, der geht zu dieser Mutter der Barmherzigkeit. Er weiß, sie ist die milde Königin, sie hat Verständnis für ihre Erdenkinder, auch für die schuldbeladenen. Wir hatten im Gymnasium einen harten Lehrer. Er gab Deutsch, Englisch und Sport. Dieser harte Mann hat niemals ein religiöses Wort in seinen Mund genommen. Aber einmal sprach er von Maria. Er sagte: „Jungs, ich habe in meiner Jugend Maria verehrt, und so bin ich rein durch meine Jugend gegangen.“ Maria ist die Zuflucht der Sünder. Sie ist die Trösterin der Betrübten. „Gedenke, o gütigste Jungfrau, es ist noch nie erhört worden, daß jemand, der zu dir seine Zuflucht genommen, deine Hilfe angerufen, um deine Fürsprache gefleht, von dir sei verlassen worden!“ Wahrhaftig, wer Trost braucht, der soll zu Maria gehen. Und sie ist auch die Hilfe der Christen. Die Christenheit hat immer in ihren Nöten Maria angerufen und um ihre Fürsprache gefleht. Als Rudolf von Habsburg seinen Kampf gegen Ottokar von Böhmen führte, da sangen seine Soldaten in der entscheidenden Schlacht im Jahre 1278: „Maria, laß uns nicht verderben!“ Und als die Türken vor Wien standen im Jahre 1683, da betete die ganze Christenheit den Rosenkranz, und am 12. September 1683 wurde die große Entscheidungsschlacht geschlagen, die die Türken zurückwarf.

Wer Maria anruft, darf auf Heil in der Ewigkeit und auf Tugend in der Gegenwart rechnen. So mancher hat es erfahren, meine lieben Freunde. Der Komponist Max Reger hat sein ganzes Leben den Glauben nicht praktiziert, obwohl er ein katholischer Oberpfälzer war. Aber in der Sterbestunde hatte er das Glück, einen Priester zu finden, dem er eine Lebensbeicht ablegte. Der Priester fragte ihn, wie er zu dieser Gnade komme. Da sagte Max Reger: „Wenn ich auch in meinem Leben den Glauben nicht betätigt habe, so habe ich doch dann und wann ein Ave Maria gesprochen.“ Maria hat ihm die Gnade erbeten, frei von Schuld in die Ewigkeit hinüberzugehen.

So lassen wir uns also, meine lieben Freunde, nicht irremachen in unserer Marienverehrung. Wir können unser Heil nicht besser bergen als in den Händen Mariens. Es ist nicht wahr, wenn man sagt, wir würden dadurch den Ruhm Jesu, die Ehre Gottes verdunkeln. Nein, wir erhöhen ihn! Wer die Mutter Gottes verehrt, der ehrt auch Gott selber. Der Kardinal Dechamps von Brüssel unterhielt sich einmal mit einem protestantischen Engländer. Der Engländer sagte ihm: „Ach, wissen Sie, ich gehe lieber geradewegs zu Christus, dem Herrn.“ Da entgegnete ihm Dechamps: „Ich auch. Aber ich gehe nicht allein, ich gehe mit seiner Mutter. Und wer meinen Sie wird eher erhört, ich oder Sie? Ich, der ich mit seiner Mutter komme, oder Sie, der Sie ohne die Mutter zu ihm gehen?“

Amen.

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