Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Juni 1997

Die Allmacht Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Wer glaubt denn heute noch an Gott?“ sagte vor wenigen Tagen ein junger Mann zu einer mir bekannten Dame. Wer glaubt denn heute noch an Gott? Diese Äußerung des jungen Mannes läßt sich vervielfältigen. Denn wir alle wissen: Viele glauben nicht mehr an Gott. Gott aber ist der erhabenste und entscheidende Gegenstand der christlichen Verkündigung. Der Prediger des Christentums muß über viele Gegenstände sprechen, aber es gibt keinen gewichtigeren und keinen erhabeneren Gegenstand, als Gott, das göttliche Wesen, die göttlichen Eigenschaften, die Struktur und das Handeln Gottes seinen Hörern zu künden. Aus dieser Überlegung heraus haben wir uns seit achtzehn Sonntagen bemüht, Gott zu erkennen, die Struktur, das Wesen Gottes vor uns auszubreiten, seine Eigenschaften und sein Tun uns vor Augen zu führen. Denn wir wissen: Wir können Gott nicht lieben und wir können ihm nicht dienen, wenn wir ihn nicht kennen. Also müssen wir uns bemühen, ihn kennenzulernen, damit wir ihm immer mehr Liebe schenken können und ihm immer treuer zu folgen vermögen.

Heute, zum letzten Mal, befassen wir uns mit einer Eigenschaft Gottes, und zwar einer, die allen vertraut ist, nämlich mit seiner Allmacht. Gott ist unendlich mächtig. In allen Glaubensbekenntnissen der Kirche ist die Rede vom allmächtigen Gott, vom „deus omnipotens“ oder griechisch vom „pantokrator“. Diese Bezeichnungen, deus omnipotens und pantokrator, besagen zunächst die Allherrscherlichkeit Gottes, also sein Tun, wie er sich gegenüber der Schöpfung verhält. Er richtet mit seiner Macht seine Herrschaft aus, er führt seinen Willen in der Schöpfung durch. Aber aus seinem Tun können wir auf den Zustand seines Seins schließen, so daß also die Bezeichnung „allmächtig“ vom Tun übertragen werden kann, ja muß auf sein Sein. Ähnlich ist es, wenn wir in der Liturgie Gott als den „deus omnipotens“ ansprechen, als den allmächtigen Gott. Damit wird eine Wesensbestimmung Gottes ausgesagt, die ihn von allen Götzen, die nichtig und schwach sind, unterscheidet. Unser Gott ist eben kein schwacher und nichtiger Götze. Unser Gott ist ein Gott, der alles vollbringt, was er will, im Himmel und auf Erden.

Die Macht Gottes ist eine personale. Das heißt, wir dürfen uns seine Macht nicht als eine Fähigkeit zum Handeln vorstellen, sondern die Macht Gottes ist wegen der Einfachheit Gottes identisch mit seinem Wesen. Die Macht Gottes ist das göttliche Wesen, insofern es sich tätig gegenüber allem außergöttlich Seienden zeigt. Für unser analoges Erkennen ist die Macht Gottes eine Eigenschaft, aber richtig verstanden ist sie das göttliche Wesen, das personal gegenüber allem Außergöttlichen sich auswirkt. Die Macht Gottes ist schrankenlos, in sich gegründet. Sie ist ihrer inneren Kraft und dem Umfang ihrer Wirkungsmöglichkeit nach unendlich. Gott kann alles, was in sich möglich ist.

Gottes Macht ist auch Urmacht, d.h. sie ist absolut schöpferisch. Sie ist absolut schöpferisch, weil sie absolut voraussetzungslos ist. Gott leiht seine Macht nicht von jemand anderem, er leitet seine Macht nicht ab von einem Dritten, sondern seine Macht ist in sich gegründet, voraussetzungslos und deswegen absolut schöpferisch. Weil seine Macht so voraussetzungslos ist, vermag er sie anderen mitzuteilen. Er vermag Zwischenursachen in Dienst zu nehmen, die ihre Macht von ihm ableiten. Gottes Macht, seine Allmacht, ist die Grundlage dafür, daß er ein absolutes Eigentumsrecht über alles besitzt, daß er die Oberherrschaft über alles Geschaffene in sich trägt.

Nun wäre es freilich falsch, ungeschützt zu behaupten, Gott kann alles. Nein, das Unsinnige, das Undenkbare, das in sich Widerspruchsvolle ist in der Macht Gottes nicht inbegriffen. Denn damit würde Gott sich seiner Gottheit begeben, weil seine Weisheit und seine Heiligkeit dadurch Schaden nähme. Das in sich Widerspruchsvolle, das Unsinnige und Undenkbare ist von der Macht Gottes ausgeschlossen. Dazu kommt ein weiteres. Indem sich Gott für eine bestimmte Weltordnung entscheidet, eben die jetzige, die er geschaffen hat, wird seines „potestas absoluta“, seine absolute Macht, zu einer „potestas ordinata“, zu einer geordneten Macht. Gottes Macht ist auch keine Willkür; denn neben der Einfachheit des göttlichen Wesens ist die Macht ja identisch mit seiner Wahrheit, mit seiner Gerechtigkeit, mit seiner Heiligkeit. Die Macht Gottes wird nicht blind und in einer willkürlichen Weise ausgeübt, sondern so, daß sie stets die Heiligkeit, die Wahrheit und die Gerechtigkeit in sich trägt. Der Mensch braucht sich deswegen auch nicht in prometheischem Trotze gegen Gottes Macht aufzulehnen, weil er sich gewissermaßen wehren und ihr trotzen müßte. Nein, Gottes Macht und Weisheit sind ein und dasselbe. Wenn Gott mächtig handelt, dann handelt er weise. Sein mächtiges Tun ist geisterfüllt, und sein Geist ist von der Macht getragen.

Vor allem die Sünde ist eine absolute Grenze, wenn man so sagen will, für Gottes Macht. Der Mensch ist nicht etwa mächtiger als Gott, weil er sündigen kann, sondern die Sünde ist ein Zeichen der Begrenztheit, der Unzulänglichkeit, der Unkräftigkeit des Menschen. Gott kann nicht sündigen, weil seine Macht mit seiner Heiligkeit verbunden ist. Der Mensch kann sündigen, weil er sich in ungeordneter Weise einem Geschöpf zuwenden kann. Warum tut er das? Er tut es, weil er sein Ungenügen spürt. Er sucht in einem anderen Geschöpf Erfüllung. Soweit das in ungeordneter Weise geschieht, kann er die Erfüllung nicht finden. Aber er könnte nicht die Erfüllung suchen, wenn er nicht sein Ungenügen verspürte. Gott dagegen ist unendlich reich und braucht deswegen nicht auszulangen nach einem anderen, um Erfüllung zu finden. Sein Reichtum ist also der Grund, weshalb Gott nicht sündigen kann.

Gottes Macht ist auch verbunden mit seiner Liebe. Das bedeutet, daß die Liebe Gottes allmächtig ist. Nicht ist Gottes Macht von der Liebe bloß getragen, sondern die Liebe ist in seiner Allmacht geborgen. Was das für uns bedeutet, ist klar. Wir können uns im Vertrauen dem allmächtigen und liebenden Vater im Himmel zuwenden. Nun scheint freilich – auf dieser Erde – nichts ohnmächtiger zu sein als die Liebe Gottes. Jeder Mensch kann ihm Widerstand leisten, kann sich gegen ihn empören, kann Aufstand gegen ihn proben. Aber die Liebe Gottes regiert dennoch die Welt. Unsere Augen sind jetzt gehalten. Es ist uns verborgen, wie alles, auch das Böse, letztlich den Weltplänen der Liebe Gottes dienen muß. Aber es wird nicht immer so bleiben. Einmal werden uns die Schuppen von den Augen fallen, und einmal werden wir erkennen, daß der Haß ohnmächtig und die Liebe allmächtig war. Einmal, wenn die Schatten dieser Erde dem Lichte weichen, wird uns geoffenbart werden, daß die allmächtige Liebe Gottes die Welt regiert hat.

Im Alten Testament ist häufig von der Macht Gottes die Rede, von seiner Macht in der Natur, in der Schöpfung, von seiner Macht in der Geschichte gegenüber dem Volk und dem Einzelmenschen. Im Buche Hiob etwa heißt es: „Vor ihm entsetzen die Toten sich. Unterm Wasser und seinen Bewohnern entblößt lieget vor ihm die Unterwelt, das Totenreich ohne Hülle. Überm Leerraum spannt er den Norden aus, überm Nichts läßt er schweben die Erde. In seine Wolken bannt er die Wasser, ohne daß unter ihnen zerbirst das Gewölk. Er überdeckt die Scheibe des Vollmonds und breitet darüber aus sein Gewölk. Einen Kreis zieht er rings um die Fläche des Wassers, da, wo das Licht an die Finsternis grenzt. Die Säulen des Himmels geraten ins Wanken, vor seinem Dräuen erbeben sie. Durch seine Kraft macht er brausend das Meer, durch seine Weisheit zerschlägt er Rahab.“ In diesen Versen aus dem Buche Hiob wird uns Gottes Macht über die Natur geoffenbart. Im Psalm 33 wird dasselbe in folgender Weise ausgedrückt: „Durch das Wort des Herrn sind die Himmel geschaffen, all ihr Heer durch den Hauch seines Mundes.“ Hier wird die Mühelosigkeit des göttlichen Wirkens bezeugt. Gott schafft ohne Erschlaffung, ohne Ermüdung, ohne Erschöpfung. Der ganze Psalm 114 ist dem Preis des mächtigen Gottes geweiht. „Als Israel aus Ägypten zog, Jakobs Haus vom stammelnden Volk, da wurde Juda sein Heiligtum, Israel sein Herrschaftsgebiet. Das Meer sah es und floh, der Jordan wandte sich rückwärts. Die Berge hüpften wie Widder, die Hügel wie junge Lämmer. Was ist dir, Meer, daß du fliehst, dir, Jordan, daß du dich rückwärts wendest? Ihr Berge, was hüpft ihr wie Widder, ihr Hügel, wie junge Lämmer? Vor dem Antlitz des Herrn erbebe, du Erde, vor dem Antlitz des Gottes Jakobs, der den Felsen gewandelt zum Wasserteich, das Kieselgestein zum sprudelnden Quell.“ Und gleich im nächsten Psalm steht der alles zusammenfassende Vers: „Unser Gott ist im Himmel. Alles vollbringt er, was ihm gefällt.“ Sein Wille ist ohne weiteres mit seiner Macht, mit seiner Allmacht verbunden. Auch im Psalm 135 wird das ausgesagt: „Was immer dem Herrn gefällt, das tut er im Himmel und auf der Erde, in den Meeren und allen Tiefen.“ Das sind einige wenige Zeugnisse für Gottes Allmacht, wie sie im Alten Bunde bezeugt wird.

Auch im Neuen Testament ist selbstverständlich von Gottes Macht, von seiner Allmacht die Rede. Der Herr sagt: „Bei Gott ist alles möglich“, nämlich als er von der Unmöglichkeit sprach, daß ein der Erde verhafteter Reicher ins Himmelreich eingehe. Da fällt dieses Wort: „Bei Gott ist alles möglich.“ Und in der Verkündigungsszene, als der Engel zu Maria kommt, da spricht der Engel zu Maria, indem er auf die bisher unfruchtbare Elisabeth verweist: „Bei Gott ist ja kein Ding unmöglich.“ Der heilige Johannes hat in dem Prolog seines Evangeliums die Macht, die Allmacht des Christus bezeugt, indem er sagt: „Alles ist durch ihn“ – nämlich den Logos, den ewigen Sohn des himmlischen Vaters – „geworden, und nichts ist geworden, was nicht durch ihn geworden ist.“

Die Allmacht Gottes zeigt sich im Neuen Testament und speziell bei Christus vor allem in der Heilung und Heiligung der Sünder. Es ist keine geringere Macht, einen Sünder zu einem Heiligen umzuschaffen, als eine Erde ins Leben zu rufen. Und der Herr bezeugt, daß er beides kann. Er vermag Sünden zu vergeben, und er vermag  schöpferisch in die Natur einzugreifen. Eine klassische Stelle dafür ist die Heilung des Gichtbrüchigen. Da staunen die Herumsitzenden ungläubig, weil er zu dem Manne sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ „Wie kann er Sünden vergeben?“, so sagen sie. Aber um es zu beweisen, daß er die Macht hat, Sünden zu vergeben, sagt er zu dem Manne: „Steh auf, du Kranker, nimm dein Bett und geh nach Hause!“ Also: Wer das eine kann, was man kontrollieren kann, nämlich Gesundmachung eines Kranken, der kann auch das andere, was man nicht kontrollieren kann, nämlich die Vergebung der Sünden. Der Herr hat mehrfach seine Macht bezeugt, etwa wenn er erklärt: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden.“ Im Johannesevangelium sagt Jesus: „Wahrlich, ich sage euch, der Sohn kann von sich aus nichts, sondern nur, was der Vater tut und was er den Vater tun sieht. Was dieser tut, das tut in gleicher Weise auch der Sohn.“  Und um noch eine letzte Stelle, aus dem Epheserbrief, zu zitieren. Dort heißt es: „Dem aber, der die Macht hat, alles zu tun, überschwenglich mehr, als wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirksam ist, ihm sei Ehre in der Kirche und in Christus Jesus!“

Die Allmacht Gottes, die identisch ist mit seiner Heiligkeit, Wahrheit und Gerechtigkeit, ist für uns Christen ein Anlaß zum Dank und zum Vertrauen. Es ergeben sich daraus vor allem zwei Folgerungen, nämlich erstens: Wenn Gott allmächtig ist und weil Gott allmächtig ist, können wir in jeder Not von ihm Hilfe erwarten. Gott vermag zu retten durch Kleines und durch Großes, durch wenige und durch viele. Er vermag einen Engel zu schicken, wie dem Petrus im Gefängnis. Er vermag durch einen Traum die Menschen zu führen. Wir können auch in der größten Not auf diesen allmächtigen und liebenden Gott vertrauen. Zweitens: Wenn Gott allmächtig ist und weil er allmächtig ist, können die Menschen seine Pläne nicht durchkreuzen und seine Werke nicht vernichten. Als die Junge Kirche in Jerusalem verfolgt wurde, erhob sich im Hohen Rat ein Gesetzeslehrer namens Gamaliel. Er sprach das weise Wort: „Wenn dieses Werk (nämlich die christliche Kirche) von Menschen ist, dann wird es zerfallen. Wenn es aber von Gott ist, dann könnt ihr es nicht zerstören.“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt