Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. Oktober 1996

Die Stellung der Engel in der Herrlichkeit des Himmels

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor einigen Jahren habe ich in der Pfarrei St. Bonifaz in Mainz erlebt, daß ein Vortragender die Existenz der Engel leugnete. Da machte eine gute, brave, fromme Frau den Einwand: „Aber es gibt doch Erzengel!“ Dieser Einwand ist rührend, aber natürlich naiv; denn wer die Engel leugnet, leugnet erst recht die Erzengel. Wir sind bemüht, den Glauben an die Engel in uns aufzubauen oder zu erneuern, vor allem ihn lebendig zu machen. Aber man kann die Engel nur in ergreifender und lebendiger Weise verehren, wenn man etwas von ihnen weiß. Am vergangenen Sonntag haben wir das Wesen der Engel, ihre Natur betrachtet. Sie sind leibfreie Geister. Sie besitzen einen durchdringenden und weit ausgreifenden Verstand. Sie haben einen machtvollen und entschiedenen Willen. Das ist ihre Natur. Aber die Schilderung, welche uns die Heilige Schrift von den Engeln gibt, geht weit darüber hinaus. Die Engel sind nicht nur von Natur aus jeder anderen Natur überlegen, sondern sie sind auch in das übernatürliche Leben Gottes hineingezogen. Die Engel sind in jenem Zustand, den wir den Himmel nennen.

Die Engel sind bei Gott. Sie sind Gottes Hofstaat. Sie stehen zu Gott in Beziehung. Sie sind in das dreipersönliche göttliche Leben hineingezogen. Sie leben im Innenraum des göttlichen Lebens; sie sind Gottes Söhne. Diese Wahrheit wird uns in der Heiligen Schrift bezeugt, wenn es heißt, daß die Engel vor Gottes Antlitz stehen. Als der Engel Gabriel zu Maria kam, da stellte er sich vor: „Ich bin Gabriel, der vor Gott steht.“ Und unser Herr und Heiland erwähnt, als er die Kinder um sich versammelte und segnete, die Wahrheit: „Ihre Engel im Himmel schauen allezeit das Antlitz meines Vaters, der im Himmel ist.“ Die Engel schauen Gottes Antlitz, und das ist ein anderer Ausdruck dafür: Sie leben im Himmel. Sie leben in der Herrlichkeit Gottes. Sie sind in das dreieinige göttliche Leben einbezogen.

Sie bringen Gott im Himmel einen Kult dar. Dieser Gottesdienst wird uns im letzten Buch der Heiligen Schrift, in der Apokalypse, folgendermaßen beschrieben: „Rings um den Thron waren noch 24 Throne. Darauf sah ich 24 Älteste sitzen. Sie hatten weiße Kleider an und goldene Kronen auf ihren Häuptern. Vom Throne fuhren Blitze und Stimmen und Donner. Vor dem Throne brannten sieben Fackeln, das sind die sieben Geister Gottes. Vor dem Throne lag es wie ein gläsernes Meer, kristallgleich. Inmitten des Thrones und rings um den Thron standen vier Wesen, ganz voll von Augen, vorn und hinten. Das erste Wesen glich einem Löwen, das zweite einem Stier, das dritte hatte ein Gesicht wie ein Menschengesicht, und das vierte glich einem fliegenden Adler. Ein jedes der Wesen hatte sechs Flügel, ringsum und inwendig voll Augen. Ruhelos sprachen sie Tag und Nacht: ‘Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der allmächtige Gott, der war und der ist und der kommen wird.’ Sooft die Wesen dem, der auf dem Throne sitzt, dem, der von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt, Ruhm und Ehre und Dank darbringen, werfen sich die 24 Ältesten nieder vor dem, der auf dem Throne sitzt, beten den an, der von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt, legen ihre Kronen vor dem Throne nieder und sprechen: ‘Würdig bist du, o Herr, unser Gott, Ruhm und Ehre und Macht zu empfangen, denn du hast das All geschaffen; durch deinen Willen war es da und wurde geschaffen.“ Und ein wenig weiter heißt es: „Ich hörte einen Chor vieler Engel rings um den Thron, und die Wesen und die Ältesten. Sie riefen laut: ‘Würdig ist das Lamm, das geschlachtet ward, zu empfangen Macht und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Ruhm und Preis.’“

Das ist der Kult, den die Engel Gott darbringen. Und wir erinnern uns in jeder heiligen Messe dieses Kultes, nämlich bei der Präfation. Der Priester singt sie in feierlicher Weise. In der Präfation heißt es: „Durch ihn (nämlich Christus) loben die Engel deine Majestät, die Herrschaften beten sie an, die Mächte verehren sie zitternd. Die Himmel und die himmlischen Kräfte und die seligen Seraphim feiern sie jubelnd im Chore.“ Also auch hier ein Rückgriff auf den Kult der Engel, dem wir auf Erden uns anschließen. Und noch ein letztes auf den Engelkult bezogenes Zeugnis, nämlich im Te Deum, in dem Ambrosianischen Lobgesang, den ja Meister Bruckner in wunderbarer Weise vertont hat. In diesem Te Deum heißt es: „Dir rufen die Engel, die Himmel, alle Mächte, die Cherubim und Seraphim mit nie aufhörender Stimme zu: ‘Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott Sabaoth, voll sind Himmel und Erde von der Majestät deiner Herrlichkeit.’“ Diesen herrlichen Gesang dürfen wir Priester jeden Tag in unserem priesterlichen Breviergebet beten. Wir stimmen also mit den Engeln ein in ihren Lobgesang.

Nun ist es freilich nicht so, als ob die Engel zunächst Engel sind und dann auch noch singen. Nein, ihr ganzes Wesen ist Preis Gottes! Ihr ganzes Wesen ist Lobgesang. Sie gehen darin auf, Gott zu verherrlichen. Sie existieren nur dadurch, daß sie sich vor Gott verströmen. Das ist ihr Wesen. Darin finden sie ihre Vollendung. Sie sind in jenem Zustand, dem wir entgegengehen, nämlich im Zustand des Himmels. Ihre Seligkeit besteht darin, daß sie lobend und preisend Gott schauen, daß sie liebend und sich Gott hingebend das Herrlichkeitslied Gottes singen. Ihre Seligkeit ist über alle Vorstellungen groß, und doch kann sie zunehmen, zwar nicht im Wesensbestand, der ist immer gleich, das ist nämlich die Anschauung Gottes in Liebe und Hingabe, aber in einem akzidentellen, in einem nebensächlichen Sinne. Denn wie sagt unser Herr und Heiland: „Im Himmel ist Freude über jeden Sünder, der Buße tut.“ Im Himmel – nun, natürlich bei den Engeln! Die Engel freuen sich über jeden Sünder, der sich bekehrt, und das vermehrt ihre Seligkeit. Sie nehmen nämlich Anteil an den Geschicken derer, die auf Erden sind.

Eine besondere Frage ist die nach der Zahl der Engel. Im alttestamentlichen Buche Daniel und in der Apokalypse des Neuen Testamentes wird gesagt, es seien tausend mal tausend und zehntausend mal zehntausend. Tausend mal tausend – das wäre eine Million, und zehntausend mal zehntausend – das wären hundert Millionen. Diese Zahlen wollen natürlich nicht wörtlich genommen werden. Es soll damit nur ausgedrückt werden: Die Zahl der Engel ist unvorstellbar groß, sie ist unermeßlich. Und so sagt es dann auch der Hebräerbrief: „Unzählige Engel gibt es.“ Unzählige. Die große, für uns nicht meßbare Zahl der Engel scheint mir ein Hinweis auf die Majestät und Herrlichkeit Gottes zu sein. So groß und gewaltig, so unermeßlich und unendlich unser Gott ist, so müssen offensichtlich auch seine Geschöpfe sein, um uns eine Ahnung zu vermitteln von der Unermeßlichkeit und der Unendlichkeit Gottes. Wenn diese Zahlen wörtlich genommen würden, dann gibt es absurde Folgerungen, denn dann käme ja Gott in Verlegenheit, wenn de Erdbevölkerung wächst, einem jeden einen Schutzengel zur Seite zu stellen. Wir haben jetzt etwa 5 oder 6 Milliarden Menschen auf der Erde, also müssen auch entsprechend viele Engel zur Verfügung stehen, um den Menschen zu dienen. Ich gestehe, daß mir die Zahl der Engel keine Schwierigkeiten macht. Ich schaue oft und gern in den gestirnten Himmel. Was wir da sehen, ist ein winziger Ausschnitt des Alls. Mit unseren astronomischen Geräten vermögen wir viel, viel mehr Sterne zu entdecken als mit dem bloßen Auge. Man rechnet bis zu den Grenzen des heute durchschaubaren Weltalls mit 500 Millionen Sternsystemen – 500 Millionen Sternsysteme! Jedes Sternsystem umfaßt wieder eine unvorstellbar große Zahl von Sternen. Ja, wenn es so viel Materie gibt, warum soll es nicht ebenso viele Geister geben, die Gott geschaffen hat, die den Menschen dienen und die zu seiner Verfügung stehen?

Die Engel sind nicht alle im Range gleich. In dem Judas-Brief wird uns von einem Erzengel berichtet, dem Erzengel Michael. Wir rechnen auch Gabriel und Raphael zu den Erzengeln. Es muß im Engelreich eine Hierarchie, also einen Aufbau geben, wonach eben die Engel eine gegliederte, systematische Formation bilden. Die Schriften des Alten Testamentes sprechen von Cherubim und Seraphim, im Neuen Testament ist von Fürstentümern, Thronen, Herrschaften, Mächten, Kräften und Gewalten die Rede. Pseudodionysius, der im Altertum lehrende Theologe, spricht von neun Chören der Engel. Der heilige Thomas meinte, daß jeder Engel eine Art für sich bildet, während andere Theologen – wie Bonaventura – der Meinung sind: Nein, es gibt Arten von Engeln, und zu jeder Art gehören viele Engel. Es ist uns darüber nichts geoffenbart, und man sollte das Schweigen der Offenbarung nicht durch Phantasien zu ergänzen versuchen.

Vor einigen Jahren begegnete ich einmal einem Priester, der ein dickes Buch mit sich führte und täglich darin las. In diesem Buche waren die Namen von Hunderten, wenn nicht von Tausenden von Engeln aufgeführt. Nun, das ist offensichtlich kein Erzeugnis der Offenbarung, sondern das ist ein Produkt der menschlichen Phantasie. Ich warne vor solchen phantastischen Aufstellungen. Sie geben die Lehre von den Engeln der Lächerlichkeit preis. Wir wissen genug über die Engel, was uns Gott geoffenbart hat. Was er uns nicht geoffenbart hat, das brauchen wir nicht zu wissen. Was uns Gott geoffenbart hat, das überzeugt uns von der Existenz und von der Macht der Engel. Es genügt auch, um uns mit Vertrauen und Zuversicht zu den Engeln zu erfüllen.

Es sollte kein Tag vergehen, meine lieben Freunde, an dem wir nicht rufen: „Sei mein Freund, mein Führer hier, du mein Schutzgeist, Gottes Engel! Weiche, weiche nicht von mir!“

Amen.

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