Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 1993

Im Anfang war das Wort

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Weihnachtsfreude Versammelte!

Wer die beiden heiligen Messen, die dieser dritten Messe des ersten Weihnachtstages vorangingen, mitgefeiert hat, dem ist bewußt geworden, daß sich die Evangelien der beiden ersten Messen von dem der dritten Messe unterscheiden. Denn in den beiden ersten Messen, der Engelmesse und der Hirtenmesse, ist nach dem Bericht des Lukas von der irdischen Geburt Jesu die Rede. Auf den Fluren von Bethlehem singen Engel und künden Hirten die Botschaft vom Kommen des Erlösers. Die dritte Messe hat einen anderen Ausgangspunkt. Sie spricht nicht zuerst von der irdischen Geburt, sondern von der himmlischen Geburt Jesu. In dem Prolog, also in dem Vorwort des vierten Evangeliums, welches der Text des Evangeliums der dritten Weihnachtsmesse ist, läßt Johannes das Thema seines Buches, des vierten Evangeliums, anklingen, nämlich: Der ewige Logos ist Fleisch geworden, um den Menschen Licht und Leben zu bringen.

Die 14 Verse, die dieser Prolog in unserem Weihnachtsevangelium umfaßt, sind in vier Strophen eingeteilt, die deutlich voneinander abgehoben sind. In der ersten Strophe ist die Rede von der dreifachen Beziehung des Logos, nämlich zu Gott, zur Welt und zu den Menschen.

Zunächst berührt uns das Wort „Logos“ fremdartig. Es ist ein griechisches Wort und besagt wörtlich „das Wort“. Aber wenn wir meinen würden, damit sei die flüchtige Rede gemeint, die aus unserem Munde kommt und an unsere Ohren dringt, dann würden wir den Begriff „Logos“ – zu deutsch „Wort“ – völlig mißverstehen. Der Begriff „Logos“ hatte eine lange Geschichte, als der Apostel Johannes ihn aufgriff. In der Religionsphilosophie des Philo und in der platonischen Popularphilosophie war die Rede vom Logos als einem Demiurgen, einem zweiten, untergeordneten Gott. Den jüdischen Ohren war der Begriff nicht unvertraut. Aber Johannes hat nur die Worthülse gewählt, den Inhalt jedoch völlig verändert. Er gebraucht den Begriff „Logos“, also „Wort“, aber was er damit aussagen will, ist toto coelo verschieden von dem, was die Umwelt vom Logos ausgesagt hat. Dort wispert der Mythos, dort wabert die Legende, hier aber redet die Geschichte. Was Johannes mit Jesus von Nazareth erlebt und erfahren hat, das faßt er zusammen in dem Begriff „Logos“. In seinem ersten Briefe wird er schreiben: „Was wir gesehen und gehört, was wir mit den Händen betastet haben, das künden wir euch.“ Und das ist eben der Logos, das Wort Gottes, das personale, ewige, gottgleiche Wort, in dem Begriff „Logos“ zusammengefaßt.

In den ersten fünf Versen des Prologs wird diese Wahrheit enthüllt. Erstens nämlich die Beziehung zu Gott. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Im Anfang! Das ist der Anfang aller Anfänge. Das ist derselbe Anfang, von dem das erste Buch der Bibel spricht: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Das heißt: Bevor es etwas gab, existierte der Logos. Und dieser Logos ist von Gott in gewisser Hinsicht verschieden, sonst könnte nämlich der Apostel nicht sagen: Das Wort war bei Gott. Es wird also von Gott unterschieden. Aber gleichzeitig wird ihm göttliche Wesensnatur beigelegt: „Und Gott war das Wort.“ Das Wort war Gott. Die Aussage „war Gott“ ist das Prädikat, die Satzaussage zu dem Subjekt „Der Logos“. Im Anfang war also der Logos nur bei Gott und nirgends anders. Aber es sollte nicht dabei bleiben, denn durch den Logos hat Gott die Welt geschaffen. Das ist die zweite Beziehung des Logos. Er ist der Schöpfungsmittler. Alles, was geworden ist, ist durch ihn geworden, ohne Ausnahme. Und nichts, was geworden ist, ist ohne ihn geworden. Das ist also die zweite Beziehung des Logos. Die erste war zu Gott, die zweite war zur Welt, zur Schöpfung.

Und die dritte Beziehung, und die ist ja für uns nun besonders wichtig: „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen, und das Licht leuchtete in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht ergriffen.“ Hier wird von dem Logos ausgesagt, daß er Leben und Licht war. Licht, das bedeutet Fülle des Heils, das bedeutet Kraft der Wahrheit, und Leben, das besagt natürlich nicht das biologische Leben, sondern das göttliche Leben, das ewige Leben. Also, wenn dem Logos Licht und Leben zugeschrieben wird, dann wird damit seine Funktion als Offenbarungsträger und als Lebensbringer bezeichnet.

Doch schon klingt das Verhängnis an: Das Licht leuchtete in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht ergriffen. Die Finsternis, nun das sind die Menschen in der Gottesferne, an sie haben sich Licht und Leben gewandt, zu ihnen ist der Logos gesandt worden. Aber die Finsternis hat es nicht ergriffen, d.h. sie hat das Leben und das Licht nicht angenommen, wie es ihr bestimmt war. Da hat Gott noch einmal einen Einsatz gewagt – jetzt kommt die zweite Strophe: Er sandte einen Boten aus, einen Herold, sein Name war Johannes. Wir wissen, es ist Johannes der Täufer. „Dieser kam zum Zeugnis, um Zeugnis zu geben vom Licht, damit alle durch ihn glauben.“ Er sollte also auf das Licht hinweisen, und das hat er ja getan: „Seht das Lamm Gottes,“ hat er gesagt. „Hinter mir kommt einer, dessen Schuhriemen aufzulösen ich nicht wert bin.“ Er hat Zeugnis gegeben von dem Lichte. „Ich muß abnehmen, er muß zunehmen.“ Hier wird also die positive Bedeutung des Johannes deutlich herausgestellt, Zeuge des Lichts zu sein. Aber auch eine Abwehr. „Er war nicht das Licht, sondern er kam nur, um vom Lichte Zeugnis zu geben.“ Warum sagt denn der Apostel: Er war nicht das Licht? Er sagt es in Abwehr gegen die Johannesgemeinde, oder, wenn man will, gegen die Johannessekte. Es gab nämlich in der Zeit, als der Apostel Johannes sein Evangelium schrieb, immer noch Anhänger des Johannes in Ephesus, in Alexandrien und anderswo, die meinten, Johannes sei der Messias, die sich also nicht haben von Johannes zu Jesus führen lassen. Dagegen muß jetzt die rechte Bedeutung des Täufers ans Licht gebracht werden. „Er war nicht das Licht.“ Er war bloß Zeuge des Lichtes. Das hat er ja selbst gesagt: „Ich bin nicht der Bräutigam, sondern nur der Freund des Bräutigams.“ Johannes hat keine Wunder gewirkt, doch nach ihm kommt ein größerer als er. Er tauft nur mit Wasser, aber der nach ihm kommt, tauft mit Heiligem Geist. Also hier wird positiv und negativ die Bedeutung Johannes des Täufers herausgestellt.

In der folgenden, in der dritten Strophe, wird die Bedeutung und das Schicksal des Lichtes in dieser Welt klargemacht. „Es war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt.“ Der Logosb war das echte Licht, kein Irrlicht, und zwar ein Licht von universaler Bedeutung: „das jeden Menschen erleuchtet,“ nicht bloß einen bestimmten Kreis, nicht nur ein bestimmtes Volk, sondern das gesamte Menschengeschlecht.

Diese Bedeutung des Logos sieht man schon daran, daß durch ihn die Welt geschaffen ist. Das Vorrecht, die Welt zu schaffen, teilt er mit keinem anderen. Deswegen wird noch einmal seine universale Bedeutung damit unterstrichen. Es sind auch andere Weisheitslehrer gekommen, Menschen, die den Weg zum Heile weisen wollten, aber niemand von ihnen konnte sagen, daß durch ihn die Welt geschaffen ist. Und diese Welt, die durch ihn geschaffen ist, erkannte ihn nicht! Die Welt erkennt ihren Schöpfer nicht. Das ist die Tragik des Logos. Die Welt erkennt ihren Schöpfer nicht, auch wenn er in die Welt kommt. „Und die ihm zu eigen gehören, die haben ihn nicht aufgenommen.“ Also der, der nach seiner Bestimmung der Erleuchter aller Menschen und der ganzen Welt sein soll, muß – und das ist die Tragik der Weihnacht –, auf einen Mißerfolg zurückblicken. Die Welt erkannte ihn nicht, die Seinen nahmen ihn nicht auf.

Doch gibt es von dieser Erfolglosigkeit Ausnahmen. „So viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Vollmacht, Kinder Gottes zu werden.“ Also nicht alle haben das Licht nicht erkannt, sondern einige haben es erkannt. Nicht alle haben ihn abgewiesen, sondern einige haben ihn aufgenommen. „Und die ihn aufnahmen, denen gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“ Da hat einmal ein Mainzer Theologieprofessor gesagt: „Alle sind Kinder Gottes, wenn sie geboren werden.“ Nein! Wenn sie geboren werden, sind sie Geschöpfe Gottes. Kinder Gottes werden sie durch die Aufnahme des Logos. Es ist also ein Unterschied zwischen den Geschöpfen Gottes und den Kindern Gottes. Kind Gottes wird man dadurch, daß man sich dem Logos zuwendet, daß man – das wird ganz deutlich gesagt – an seinen Namen glaubt. Aufnehmen heißt, an ihn glauben. Sein Name ist natürlich seine Persönlichkeit, der Messias, der Retter, der Heiland, als der er auf den Fluren von Bethlehem ja verkündet worden ist. „Die an seinen Namen glauben.“ Diese Zuwendung zu Jesus ist völlig verschieden von aller geblütsmäßigen Abstammung, „die nicht aus dem Blute (Blut ist ein anderes Wort für Samen), nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Begehren des Mannes, sondern aus Gott geboren wurden.“ Es gibt eben eine neue Geburt, die von der biologischen, natürlichen, völlig und ganz und gar verschieden ist.

Und jetzt kommt der Höhepunkt des Prologs, die letzte Strophe, die vierte: „Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns. Und wir schauten seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“ Und das Wort ward Fleisch. Man stutzt. Warum sagt der Evangelist nicht: Und das Wort ward Mensch? Der Ausdruck „Fleisch“ bedeutet den Menschen, aber er meint den Menschen in seiner Vergänglichkeit, Hinfälligkeit und Nichtigkeit. Es soll damit die Schwäche des Menschen ausgesagt werden, in die der Logos eingangen ist. Ja, er ist in die Schwäche des Fleisches eingegangen, wie sich im Verlauf seines Lebens zeigen wird, in Not und Elend, in Geißelung und Kreuzigung. Das ist gemeint. Er ist in die Schwäche des Fleisches eingegangen.

Aber die Schwäche des Fleisches war nur äußerlich, denn gleichzeitig war an ihm zu erkennen die Gnade und die Wahrheit, die Herrlichkeit des „Eingeborenen“ vom Vater. Was heißt denn das, des „Eingeborenen“? Nun, Eingeborener bedeutet soviel wie „Einziggeborener“. Der Evangelist will sagen: Es gibt nur einen Sohn Gottes, der von Natur aus sein Sohn ist, und das ist eben der Logos. Der Eingeborene ist der Einziggeborene, der Einzige, der Unvergleichliche. Und er erbt als Sohn des ewigen Vaters seine Herrlichkeit, die Herrlichkeit, die sich in Gnade und Wahrheit kundgibt. Gnade, das ist der Liebeswille Gottes, das ist jede innere, übernatürliche Gabe, die Gott uns zum Heil verleiht; Wahrheit, das ist die offenkundige Wirklichkeit Gottes, die uns das Wesen Gottes und des Menschen aufdeckt. Wenn also Jesus – der Logos – voll Gnade und Wahrheit ist, dann deswegen, weil er der Offenbarer, weil er die Offenbarung, weil er die persönliche Offenbarung Gottes selber ist; und sie teilt sich uns mit in gnädiger Zuwendung durch geistliche Gaben, durch Erfüllung unseres Herzens mit Gnade und Durchlichtung unseres Herzens mit Wahrheit.

Meine lieben Freunde, wer an das Geheimnis der Weihnacht glaubt, für den ist alles, was danach in dem Leben Jesu folgte, nicht mehr schwer anzunehmen. Denn das ist nun tatsächlich das Wunder aller Wunder, daß der Unsichtbare sichtbar wird, daß der Schöpfer in seine Schöpfung eingeht, daß der Logos Fleisch annahm. Wenn er dann Wasser in Wein verwandelt, wenn er über die Wellen schreitet, wenn er Tote erweckt, wenn er siegreich aus dem Grabe ersteht, das wird alles nur ein Korollarium sein von dem, was an Weihnachten begonnen hat. Aber umgekehrt: Wer das Weihnachtsgeheimnis auflöst, wer aus der Weihnachtsgeschichte eine Legende und ein Märchen macht, das man Kindern erzählen kann, das aber für Erwachsene umgeschrieben werden muß, wie es im Fernsehen geheißen hat, der muß natürlich auch die anderen Begebnisse des Lebens Jesu in den Bereich der Mythen und der Dichtung verweisen.

Machen wir es so, meine lieben Freunde, wie Anton Bruckner, der große Symphoniker von St. Florian in Österreich! In der Weihnachtsnacht hatte er gar wundersam in der Christmette die Orgel gespielt, und am Morgen suchten ihn seine Hausgenossen und fanden ihn nicht. Sie gingen in die Kirche, und da sahen sie, wie er immer noch an der Krippe kniete. Sie fragten: „Meister, was habt Ihr hier die ganze Nacht gemacht?“ Bruckner gab zur Antwort: „Ich habe immer nur vor mich hingesagt: „Er ist ein Mensch geworden! Er ist ein Mensch geworden! Und da bin ich vor Staunen nicht mehr fertig geworden.“

Amen.

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