Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. November 1993

Gemeinschaft der Heiligen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Was soll man in der heiligen Messe beten? Man soll in der heiligen Messe das beten, was der heiligen Messe angemessen ist. Wie erfährt man, was der heiligen Messe an Gebeten angemessen ist? Man erfährt es am deutlichsten, wenn man die Meßtexte sich vornimmt. Die Meßtexte bestehen aus zwei Bestandteilen, aus einem feststehenden Teil, der immer, jeden Tag Verwendung findet – Ordinarium genannt – und einem beweglichen Teil, der sich von Tag zu Tag ändert – Proprium genannt. Das Gerüst der heiligen Messe ist das Ordinarium, das sind die feststehenden Teile. Und das ist ja einer der Gründe, meine lieben Freunde, warum wir mit Gottes Hilfe und dank der Gesetzgebung des Heiligen Vaters an dieser Messe, die wir hier feiern, festhalten, weil sie so deutlich die Wahrheiten ausspricht, die in der heiligen Messe ausgesprochen werden müssen.

Zu diesen Wahrheiten gehört auch jene, die das heutige Fest prägt, nämlich die Wahrheit von der Gemeinschaft der Heiligen. Die Gemeinschaft der Heiligen ist das Gesamt von drei Gruppen von Menschen,

1. den Christgläubigen auf Erden,

2. den Seligen des Himmels und

3. den Armen Seelen im Fegfeuer.

Sie sind eine Gemeinschaft, weil sie durch den Heiligen Geist geheiligt sind und durch den Heiligen Geist verbunden sind. Diese Wahrheit wird in der sogenannten tridentinischen Messe mit größter Klarheit ausgesprochen.

An erster Stelle die Gemeinschaft mit allen auf Erden Lebenden. Im Kanon der heiligen Messe, also in jenem Hochgebet, das nach der Präfation und nach dem Sanktus beginnt, da heißt es: „Gedenke, Herr, deiner Diener und Dienerinnen!“ Und da ergeht die Aufforderung an uns: Hier betet man für bestimmte Gläubige. Und dann fährt der Text fort: „Gedenke, Herr, aller Umstehenden, deren Glauben und Opfergesinnung du kennst! Für sie bringen wir dieses Lobopfer dar, und sie selbst opfern es dir für sich und alle die Ihrigen, damit ihre Seele gerettet und ihre Hoffnung auf Heil und Wohlfahrt gesichert werden.“ Das ist das Gedächtnis der Lebenden.

Noch viel umfangreicher ist das Gedächtnis der Seligen des Himmels. Das vollzieht sich nämlich vor allem an drei Stellen. Gleich anschließend die Hauptstelle, nämlich: „In heiliger Gemeinschaft ehren wir dabei vor allem das Andenken der glorreichen, allzeit reinen Jungfrau Maria, der Mutter Jesu Christi, unseres Herrn und Gottes, wie auch deiner heiligen Apostel und Blutzeugen Petrus und Paulus, Andreas, Jakobus, Johannes, Thomas, Jakobus, Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Simon und Thaddäus, Linus, Cletus, Clemens, Xystus, Cornelius, Cyprianus, Laurentius, Chrysogonus, Johannes und Paulus, Cosmas und Damianus und aller deiner Heiligen. Ob ihrer Verdienst und Fürbitten gewähre uns in allem hilfreich deinen Schutz und Beistand!“ Hier werden namentlich genannt zwölf Apostel, die elf und Paulus dazu, Matthias wird später erwähnt, und zwölf Martyrer. Wer einmal in Rom war und die Kirchen dieser Martyrer besucht hat, wird sich mit besonderer Wärme dieser Heiligen erinnern. Er kann sich vorstellen, wo ihre Leiber bestattet sind.

Das Gedächtnis der Seligen aber vollzieht sich noch an zwei anderen Stellen, nämlich kurz vor dem Schluß des Kanons wird noch einmal die Bitte um Gemeinschaft mit den Heiligen vorgetragen: „Auch uns Sündern, deinen Dienern, die auf deine überreiche Barmherzigkeit vertrauen, schenke gnädig Anteil und Gemeinschaft mit deinen heiligen Aposteln und Blutzeugen, mit Johannes, Stephanus, Matthias, Barnabas, Ignatius, Alexander, Marcellinus, Petrus, Felicitas, Perpetua, Agatha, Lucia, Agnes, Cäcilia, Anastasia und allen deinen Heiligen!“ Hier werden sieben Männer und sieben Frauen genannt. Der Erstgenannte, Johannes, ist natürlich Johannes der Täufer, und jetzt kommt auch der Apostel Matthias, der Nachgewählte, zum Zuge.

Und schließlich wird noch an einer dritten Stelle der Heiligen gedacht, nämlich dort, wo die Vaterunser-Bitte weitergeführt wird: „Erlöse uns von allem Übel, sei es gegenwärtig, vergangen oder zukünftig, und auf die Fürsprache der seligen, glorreichen, allzeit reinen Jungfrau und Gottesmutter Maria wie auch deiner heiligen Apostel Petrus, Paulus, Andreas und aller Heiligen, gib barmherzig Frieden in unseren Tagen!“

Dreimal also rufen wir die Seligen des Himmels in ausführlicher Weise in der heiligen Messe an.

Und schließlich gedenken wir auch in diesem wunderbaren heiligen Meßopfer der Verstorbenen, und zwar genauer der Verstorbenen im Fegfeuer: „Herr, gedenke auch deiner Diener und Dienerinnen, die uns mit dem Zeichen des Glaubens vorangegangen und im Frieden entschlafen sind!“ Und jetzt macht der Priester eine Pause, damit er und die Gläubigen für bestimmte Verstorbene beten können, und das ist so rührend, nicht wahr, daß wir hier unsere teueren Verstorbenen, unsere Eltern, Verwandten und Freunde, der Barmherzigkeit Gottes empfehlen können. „Wir flehen dich an, o Herr, gewähre ihnen und allen, die in Christus ruhen, in deiner Milde den Ort der Erquickung, des Lichtes und des Friedens!“ Sie sind offensichtlich noch nicht an diesem Ort, oder wir wissen es jedenfalls nicht, ob sie am Ort der Erquickung, des Lichtes und des Friedens sind, und deswegen beten wir für sie. Das ist eine klare Aussage des Dogmas vom Fegfeuer, vom Reinigungszustand. Sie fehlt in den neuen Kanones.

Wir haben also in dieser heiligen Messe ein Kompendium, eine Zusammenfassung der Lehre von der Gemeinschaft der Heiligen. Die Gemeinschaft der Heiligen besteht aus den Christgläubigen auf Erden, aus den Seligen des Himmels und aus den Armen Seelen im Fegfeuer. Bei jeder dieser drei Gruppen können wir nun sagen: Wir geben ihnen etwas, und wir empfangen etwas von ihnen.

Erstens bei der Gruppe der Christgläubigen auf Erden: Wir geben ihnen etwas und wir empfangen etwas von ihnen. Wir geben ihnen unsere Gebete, unsere Fürbitten, unsere Sorge um sie, die wir vor Gott tragen, das schenken wir ihnen, das ist unser Geschenk für sie. Und alle guten Werke, die wir verrichten, kommen ihnen zugute. Freilich muß man auch sagen: Alle unsere Sünden schaden ihnen.  Wir können mit unseren guten Taten allen Menschen, die auf Erden mit uns leben, nützen. Wir müssen aber gestehen, daß wir durch unsere Sünden auch allen schaden.

Wir empfangen von den Christgläubigen auf Erden auch etwas, nämlich die Fürbitte, die sie für uns verrichten, die guten Werke, die sie Gott darbringen, das ist die Gabe, die sie uns vermitteln. Es ist bedeutsam, meine lieben Freunde, sich zu erinnern, daß wegen der Gemeinschaft der Heiligen ein jeder durch sein Leben und Wirken der Kirche zur Zierde gereicht oder zur Schande wird. Wir nützen mit unseren Rechttaten dem Volke Gottes, und wir schaden durch unsere Untaten dem Volke Gottes. Ob es sich um das private oder öffentliche Leben handelt, spielt gar keine Rolle, jede unserer Taten hat Auswirkungen auf die Mitmenschen. In der Presse kann man manchmal lesen: Ja, das Privatleben der Politiker, das ist tabu, das geht uns nichts an. Ich bin ganz anderer Meinung. Ich interessiere mich sehr für das Privatleben der Politiker; denn ich halte mit Robespierre daran fest: „Ich glaube nicht, daß ein schlechter Mensch ein guter Politiker sein kann.“ Mich interessiert deswegen sehr das Privatleben der Politiker, ob einer ein ehrgeiziger Raffer oder ein bescheidener Hausvater ist, ob er ein Unzüchtiger und Ehebrecher ist oder ob er ein solider Gatte und Familienvater ist. Das interessiert mich sehr. Denn wer in der häuslichen Welt nicht nach den Geboten Gottes handelt, dem traue ich auch nicht zu, daß er in der öffentlichen Welt nach den Geboten Gottes handelt.

Wir Kinder haben schon in der Schule bemerkt, wie sich das häusliche Leben eines Lehrers auf den Unterricht auswirkt. Wir haben gespürt, wenn ein Lehrer Streit mit seiner Frau und mit seiner Familie hatte, wie er dann diesen Streit in die Schulstunde trug, wie er unleidlich war, wie er uns gequält und gepiesackt hat. Ähnlich-unähnlich ist es auch im öffentlichen Leben. Es wird sich unweigerlich das, was sich im häuslichen Kreise vollzieht, auch im öffentlichen Leben niederschlagen.

Bei den Heiligen des Himmels läßt sich ebenfalls zeigen, daß wir ihnen etwas geben und daß wir etwas von ihnen empfangen. Was geben wir ihnen? Wir schenken ihnen unsere Verehrung, wir nehmen ihre Namen an und zieren uns mit ihren Namen, wir rufen sie an, das ist ja eine Ehrung, denn wir vertrauen ihnen, daß sie bei Gott gehört werden; das ist also etwas, was wir ihnen schenken. Aber viel mehr ist es, was wir von ihnen empfangen. Sie treten bei Gott für uns ein. Sie werden nicht versäumen, unser Leben mit ihrer wachen Sorge, mit ihrer heißen Liebe zu begleiten, vor allem die Heiligen, deren Namen wir tragen, denen wir in besonderer Weise geweiht sind.

Selbst bei der dritten Gruppe, bei den Armen Seelen, läßt sich zeigen, daß wir ihnen etwas geben und etwas von ihnen empfangen. Wir geben ihnen unsere Gebete, wir vermitteln ihnen die Ablässe, die wir für sie gewinnen, wir lassen das heilige Meßopfer für sie darbringen, und das ist ja das allerwichtigste und allergrößte, was wir ihnen tun können; wir pflegen ihre Gräber und wir sprechen oft und oft: „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen!“ Es ist also viel, was wir ihnen geben können. Ihnen, die nur noch genugleiden können, nicht mehr genugtun können. Immerhin können sie auch für uns beten. Sie haben ja die Sorge für uns nicht verloren. Wir dürfen überzeugt sein, daß unsere Verstorbenen, vor allem unsere verstorbenen Angehörigen, in der Ewigkeit uns im Gedächtnis behalten und daß sie an uns Anteil nehmen und daß sie um unsere Schwäche und um unsere Gefahren wissen und daß sie deswegen auch für uns bei Gott eintreten. Das können sie gewiß tun, daß sie Gott für uns anflehen, daß er die drohenden Gefahren unseres Lebens beseitige, daß er uns hindurchführe durch die Niederungen dieser armen Welt in seine Herrlichkeit.

Das ist also diese trostreiche Wahrheit von der Gemeinschaft der Heiligen. Wir bezeichnen die Christgläubigen auf Erden als streitende Kirche. Streiten heißt kämpfen. Auf Erden ist die Stätte des Kampfes. Hier kann man sich nicht ausruhen, hier muß man kämpfen. Es gibt Gläubige, die sagen: Man kann nur beten. Nein, man kann nicht nur beten. Man kann außer dem Beten auch etwas tun. Man kann den Glauben bekennen, man kann für den Glauben eintreten, man kann die Selbstzerstörung der Kirche anprangern und kann sich gegen die Selbstzerstörung wehren. Das kann man. Wir haben unter uns, meine lieben Christen, das sei einmal ausgesprochen, Männer, die sich auszeichnen, auch in dieser Weise. Ich denke an unsere lieben Freunde, den Herrn Nowak und den Herrn Groll, die durch Leserbriefe Zeugnis ablegen von ihrem Glauben und – da ist kein Zweifel – von Tausenden gelesen werden und deren Gewissen ritzen. Das ist etwas, was man tun kann. Man kann nicht nur beten.

Die streitende Kirche geht, wenn sie in die Ewigkeit aufgenommen wird, entweder über in die triumphierende oder in die leidende Kirche. Die triumphierende Kirche, das sind die Heiligen des Himmels. Sie haben ja gesiegt. Sie haben den Kampf bestanden. Sie haben die Welt überwunden, und deswegen werden sie jetzt in einer Gestalt beschrieben, die zur Welt Gottes gehört. Sie tragen weiße Kleider, sie haben Palmen in den Händen – die Palme ist das Siegeszeichen. Das ist die triumphierende Kirche, und zu der wollen wir doch einmal gehören, zu der sind wir unterwegs, und das ist unsere heiße Sehnsucht, daß wir in diese triumphierende Kirche einmal aufgenommen werden.

Die leidende Kirche besteht aus jenen, die bei ihrem Abscheiden von dieser Erde noch nicht würdig waren, Gott zu schauen. Sie müssen gereinigt werden, sie müssen geläutert werden. Es gibt eine Zeit der Läuterung, der Reinigung; es gibt einen Zustand der Läuterung und der Reinigung, und in diesem Zustand befinden sich die Armen Seelen. Wir werden wahrscheinlich glücklich sein, wenn wir auch diesen Zustand erreichen, denn man muß sagen: Die Armen Seelen leiden zwar, weil sie der Anschauung Gottes noch nicht würdig sind, aber sie haben es geschafft! Sie sind jedenfalls nicht verlorengegangen, sondern sie haben die Gewißheit, daß sie Gott schauen werden, wenn auch nach einer schmerzlichen Läuterung.

Das also, meine lieben Freunde, ist die tröstliche Wahrheit von der Gemeinschaft der Heiligen. Sie umfaßt die Menschen, die durch den Heiligen Geist geheiligt sind und die durch diese Heiligung des Geistes miteinander verbunden sind. Unter den Heiligen, die wir besonders verehren und anrufen, müssen die sein, die uns besonders nahestehen. Es sind unsere Namenspatrone. Es sind aber auch die Heiligen, die mit unserer Kirche, mit unserer Ortskirche, mit unserer Pfarrei etwas zu tun haben. Denken wir hier in Mainz an die Verehrung der heiligen Nothelfer! Wir haben in Gonsenheim eine Vierzehn-Nothelfer-Kapelle, und auf dem Jakobsberg steht ebenfalls eine Vierzehn-Nothelfer-Kirche. Wir sollten die vierzehn Nothelfer um ihre Fürbitte in allen Gefahren, Leiden und Fährnissen dieses Lebens anrufen. Sie werden sich zu uns neigen in Liebe und Barmherzigkeit, und dank ihrer Hilfe dürfen wir hoffen, daß wir einmal in ihre selige Gemeinschaft aufgenommen werden.

Amen.

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