Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Januar 1992

Furcht und Hoffnung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Ein neues Jahr liegt vor uns und ist mit einem Schleier bedeckt. Wir möchten den Schleier lüften, um zu erkennen, was es bringen wird. Es ist uns nicht gegeben. Zu unserem Heil ist es so angeordnet, daß wir nicht mit Sicherheit in die Zukunft schauen können. Immerhin lassen sich wahrscheinliche Voraussagen machen, denn die Kräfte und Mentalitäten, die heute am Werke sind, werden sich auch das ganze Jahr über auswirken. Und so möchte ich zwei Sätze formulieren, die wir über das neue Jahr schreiben können:

1. Wir müssen, soweit es die Menschen betrifft, alles befürchten.

2. Wir dürfen, soweit es Gott betrifft, alles erhoffen.

Der erste Satz lautet: Soweit Menschen mit der Gestaltung unserer Geschichte befaßt sind, müssen wir alles befürchten. Die Hoffnungen, die auf Menschen gesetzt werden, haben sich fast immer als brüchig erwiesen. Welche Woge der Begeisterung ging durch unser Volk, als die Wiedervereinigung kam, als das sowjetische Imperium zusammenbrach! Aber die Probleme, die damals existierten, sind deswegen nicht weggewischt. Sie treten vielleicht anders, in anderer Form, aber dennoch unübersehbar und manchmal mit neuer Schärfe hervor. Manche meinten damals, jetzt werde der Friede kommen, der endliche, ersehnte Friede. In Wirklichkeit hat der Krieg nie aufgehört, sind neue Kriegsherde entstanden und werden sich auch im neuen Jahr mit größter Wahrscheinlichkeit wiederum blutige Auseinandersetzungen entwickeln. Der fleischliche Mensch bleibt sich immer gleich, und wenn der Mensch nicht durch die Kraft des Heiligen Geistes geändert wird, dann werden sich auch die Verhältnisse nicht ändern.

Auch im eigenen Lande wissen wir, daß große Gefahren auf uns zukommen. Der Unfriede, der systematisch von Gruppen und Parteien verbreitet wird, der Haß und die Hetze, die von den Massenmedien ausgehen, vergiften die Menschen immer wieder und immer tiefer. Die Berufstätigkeit wird in falsche Bahnen gelenkt. Wir hören, daß hunderttausend Ausbildungsplätze für Handwerker unbesetzt sind, daß wir aber fast 2 Millionen Studenten haben, von denen viele studierunfähig sind. Ich hatte vor Weihnachten eine Zweite Staatsarbeit eines Studenten durchzusehen. In dieser Zweiten Staatsarbeit habe ich etwa 150 grammatikalische Fehler gefunden. In diesem Jahre soll der betreffende als Studienrat vor einer Klasse stehen.

Die Anspruchsmentalität wächst immer weiter. Es soll immer noch mehr gewährt werden an Bezügen, an Freizeit, und immer weniger geleistet werden an Arbeit und Selbstverantwortung. Wir können nur besorgt ob der Menschen in die Zukunft schauen. Und die größte Sorge von uns, die wir gläubig sind, ist zweifellos unsere Kirche. Es ist gar keine Frage, daß ihre Selbstzerstörung im neuen Jahr weitergehen wird. Die Zersetzung der Kirche, die wir seit Jahren mit Schmerzen und unter Tränen erleben, hat ihren Ausgang genommen von den modernistischen Theologen. Sie haben den Glauben zerstört, und diese Glaubenszerstörung geht über die Religionslehrer und Priester, die sie ausbilden, auf das gläubige Volk über. In einer Broschüre, welche eine Religionslehrerin verfaßt hat, werden die Häresien, die Irrlehren, von zwei Professoren an der Universität Saarbrücken gegeißelt, der Professoren Ohlig und Hasenhüttl. Was von ihnen gelehrt wird, ist nicht eine einzelne Häresie, sondern eine Vielzahl von Häresien, die mit unserem Glaubensbekenntnis nichts mehr zu tun haben. Es ist eine Pseudowissenschaft, eine Menschenlehre über Jesus Christus, um dem modernistischen Zeitgeist gerecht zu werden. Jesus Christus ist danach ein gescheiterter Wanderprediger, in dem Gott uns nahe ist. Das alles ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern die Religionslehrerin hat wörtliche Äußerungen dieser beiden Professoren aufgezeichnet und sie dem Bischöflichen Ordinariat Trier unterbreitet. Da heißt es z.B.: „Die Geburt Jesu in Bethlehem ist nicht historisch. Er ist in Nazareth geboren worden. Jesus ist nicht wirklicher Sohn Gottes, Jesus ist der Sohn Josefs. Allgemein christologisch anerkannt ist, daß Jesus die Menschen nicht durch seinen Tod erlösen wollte. Jesus hat die Eucharistie nicht eingesetzt, sondern es wurde erst nach seinem Tode so gestaltet. Die Gemeinde ist Trägerin der Eucharistie. Jedem Glaubenden wird das Priesteramt zugesprochen. Nicht die Symbole, also Brot und Wein, sind einer Wandlung unterworfen, sondern wir selbst sollen verwandelt werden. Wenn Gott sich nicht mehr ereignet zwischen zwei Menschen, wenn also keine Liebe mehr da ist, ist auch keine Ehe mehr da. Die katholische Kirche bürdet Homosexuellen auf, ein keusches Leben zu führen. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist berechtigt.“ Das ist eine kleine Blütenlese aus dem, was von der Kirche mit der kirchlichen Sendung ausgestattete Professoren an die künftigen Religionslehrer in einem ganzen Bundeslande, im Saarland, weitergeben. Diese Anzeige ist an das Bischöfliche Ordinariat Trier, also an den Bischof Spital, gegangen – nichts hat sich getan! Nichts ist unternommen worden. Es geht weiter wie bisher.

Kein Wunder, meine lieben Freunde, daß wir aller Voraussicht nach auch im neuen Jahre Zusammenbrüche von Priestern erleben werden. Wir haben sie ja in dem vergangenen Jahre erlebt. In der Diözese Mainz haben mehrere Priester ihr Amt niedergelegt. Einer hat offen herausgesagt: „Ich habe den Glauben verloren.“

In anderen Diözesen ist es nicht anders. Kurz vor Weihnachten hat sich in der Erzdiözese München und Freising folgender Fall zugetragen: Ein im Amt befindlicher Pfarrer hat ein Buch mit einer Auflage von 5000 Exemplaren herausgegeben. In diesem Buche stehen unter anderem folgende Sätze: „Bei uns in der Kirche geht man über Leichen.“ Die Bibel bezeichnet der Verfasser als eine Sammlung von Märchen. Jesus war nur ein Mensch und nicht Sohn Gottes, von der Jungfrau Maria ganz zu schweigen. In seiner Pfarrei sieht es entsprechend aus; der Beichtstuhl wird seit Jahren nicht benutzt. In Abtreibungskonflikten rät der Pfarrer: Wie du dich entscheidest, wird es gut sein und ist von jedem zu respektieren. Sein letzter Schlag bestand darin, daß er seine sieben Pfarrgemeinderäte aufgefordert hat, gemeinsam mit ihm aus der katholischen Kirche auszutreten. Das sind Tatsachen, und diese Tatsachen lassen sich beliebig vermehren. Wenn jemand meint, die Kirche sei noch in Ordnung, dann liegt es daran, daß er nicht genügend Informationen hat. Wenn wir die Skandalfälle aus der ganzen Bundesrepublik sammeln würden, dann würden wir erkennen, daß die Selbstzerstörung der Kirche in vollem Gange ist.

Soweit es auf Menschen ankommt, haben wir nichts zu erwarten. Es sind auch keine Gegenkräfte am Werk, und wenn sich irgendwelche rühren, werden sie diffamiert, boykottiert, entweder totgeschwiegen oder mit Worten erschlagen. Das ist die Lage, in der wir uns angesichts der Menschen befinden.

Aber es gibt auch den zweiten Satz: Wir dürfen alles erhoffen, soweit es auf Gott ankommt; denn die Vorsehung Gottes lenkt diese Welt. Unter der Vorsehung Gottes verstehen wir seinen ewigen Weltplan, den er mit Sicherheit durchführt. Die Heilige Schrift ist voll vom Vertrauen auf Gottes Vorsehung. In den Psalmen wird häufig die leitende, fürsorgende Vorsehung Gottes angesprochen. „Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir mangeln. Er weidet mich auf grüner Aue, er führt mich zu erquickenden Gewässern und labt dort meine Seele. Er leitet mich auf rechten Wegen um seines Namens willen. Auch wenn ich wandern müßte in Todesschatten, ich fürchte kein Unheil, du bist ja bei mir. Dein Stock wie auch dein Stab gereichen mir zum Trost. Du rüstest mir ein Mahl jenen zum Trotz, die mich bedrängen. Du salbst mein Haupt mit Öl; mein übervoller Becher, wie köstlich ist er doch!“ Und in den geschichtlichen Büchern des Alten Testamentes wird immer wieder von der Fürsorge Gottes für sein Volk – das israelitische Volk – und für die Erwählten seines Volkes berichtet. Wie hat er den ägyptischen Josef geleitet, wie den Tobias in der Verbannung! Auch im Neuen Testament mahnt uns der Herr zum Vertrauen auf die Vorsehung. Er verweist auf die Lilien des Feldes und auf das Gras, das von Gott erhalten wird. Er erinnert daran, daß alle Haare unseres Hauptes gezählt sind. Und deswegen ist die Mahnung Jesu von den Aposteln aufgenommen worden, etwa von Petrus: „Werft alle eure Sorge auf den Herrn, er wird für euch sorgen!“ Und der heilige Paulus sagt: „Er gibt allem Leben und Atem und alles.“

Freilich, meine lieben Freunde, ist die Vorsehung Gottes nicht so zu verstehen, als ob uns Gott das Leid ersparen würde. Seine Vorsehung zielt dahin, uns durch das Leid zum Heil zu führen. Kurz vor Weihnachten war ich befaßt mit einer Habilitation im Fachbereich Geschichte unserer Universität. Da fiel mir einer der Geschichtsprofessoren auf wegen seiner Sprache. Ich fragte einen anderen: „Den kenne ich doch ganz anders. Was ist mit ihm?“ Da sagte er mir: „Ihm ist ein ganzer Lungenflügel operiert worden wegen Krebs.“ Familienvater von mehreren Kindern. Mit bewunderswerter Kraft erträgt dieser Mann sein schweres Los, nimmt bis zum letzten seine Dienstpflichten wahr. Also, das Leid bleibt uns durch Gottes Vorsehung nicht erspart. Aber nach seinem Willen sol es uns zum Heile sein.

Gott versucht niemanden über seine Kraft; das ist immer die Überzeugung der Kirche gewesen. Und wem er viel auflädt, dem traut er offenbar viel zu. Adalbert von Chamisso hat in seinem wunderbaren Gedicht „Die Kreuzschau“ diese Wahrheit verdeutlicht. Ein Wanderer, müde und gedrückt von der Last des Lebens, begibt sich in eine Herberge. Er möchte die Last abwerfen. In der Nacht hat er einen Traum. Er wird in eine Halle geführt, und diese Halle ist gefüllt mit Kreuzen. Er hört eine Stimme, die sagt zu ihm: „Wähle dir das Kreuz aus, das zu dir paßt!“ Er geht umher in der Halle, prüft die Kreuze. Das eine ist zu lang, das andere ist zu hart, das dritte ist zu schwer. Endlich nimmt er ein Kreuz und denkt: „Das könnte mir passen, das könnte das Kreuz für mich sein.“ Und als er es näher betrachtet, da sieht er: Das ist das Kreuz, das er bisher getragen, das Gott ihm aufgeladen  hat.

Gott läßt niemanden über seine Kräfte versuchen. Diese tiefe Überzeugung, meine lieben Freunde, muß in uns sein. Ergebenheit in Gottes Willen vermag auch das schwerste Kreuz zu tragen. Vor einer Reihe von Jahren kam einmal ein Priester in den Allgäu. Und da sah er, wie jeden Tag ein altes Weiblein eine schwere Last auf dem Rücken den Berg hinauftrug. Sie war immer freundlich und heiter gesinnt. Da fragte sie der Priester: „Wie machen Sie das, daß Sie immer guter Dinge sind?“ „O“, sagte sie, „ich habe ein Gebetlein, das hilft mir alles tragen.“ „Wie heißt dieses Gebetlein?“ „Dieses Gebetlein heißt: 'Wie Gott will!' Ich denke da an meinen Heiland, wie er auf den Kalvarienberg gegangen ist, ich erinnere mich an das Wort der Heiligen Schrift, daß man im Schweiße seines Angesichtes sein Brot essen soll. Dann wird mir alles erträglich, was mir aufgeladen wird. Wie Gott will!“

So sollten wir also in dieses neue Jahr gehen – nicht mit großem Optimismus, denn Optimismus ist der Trost der Schwachen, wohl aber mit festem Vertrauen, daß Gott das Schiff der Welt, aber auch das Schiff unseres Lebens steuert; mit festem Vertrauen, daß, was immer kommen mag, seine Vorsehung sich nicht täuscht. Denn die Vorsehung Gottes ist unfehlbar und unveränderlich. Unfehlbar, d.h. sie kommt immer zu ihrem Ziel, kann durch keine menschliche Bemühung zerstört werden. Unveränderlich, d.h. sie nimmt an der Unveränderlichkeit Gottes teil. Der Plan Gottes liegt fest, und dieser Plan wird durchgeführt. Gott mag seine Vorsehung in verschiedenem Maße gewähren; man spricht von einer allgemeinen Vorsehung für alle Geschöpfe, von einer besonderen Vorsehung für die Menschen und von einer ganz besonderen Vorsehung für die Auserwählten. Aber jeder hat Anteil an der Vorsehung Gottes, jedem ist ein Maß zugemessen an der Vorsehung Gottes, das ihn, wenn er Gott einstimmt, zum Himmel führen wird.

Einmal, meine lieben Freunde, fuhr ein Schiff von Liverpool nach New York. Der Kapitän dieses Schiffes hatte seine Familie an Bord, Kapitänen ist das ja gestattet. Und es erhob sich ein furchtbarer Sturm, die Passagiere waren ängstlich und gerieten in Furcht, daß dem Schiff etwas zustoßen könnte. Auch das achtjährige Töchterlein des Kapitäns wurde wach und fragte, was los sei. Man erklärte ihm, daß ein Sturm sich erhoben habe. Dann stellte das Kind die Frage: „Ist der Vater auf der Brücke?“ Die Antwortet lautete ja. „Dann ist es gut!“ Es legte sich nieder und schlummerte ein. Der Vater ist auf der Brücke. Der Vater im Himmel wacht, wacht über uns auch in diesem neuen Jahr.

Amen.

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