Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. November 1989

Die Erschaffung der Welt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In unserer Schulzeit haben wir alle eine Schulbibel besessen. Diese Schulbibel hob an mit dem Bericht über die Schöpfung der Welt. „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde aber war wüst und leer.“ So hat unsere Schulbibel in Nachahmung des ersten Buches des Alten Testamentes, das Genesis heißt, uns in die Glaubenslehre eingeführt. Die Schulbibel gab gewöhnlich den ersten sogenannten Schöpfungsbericht wieder. Im Buch der Genesis sind nämlich zwei Schöpfungsberichte enthalten. Der erste Schöpfungsbericht stellt das Schöpfungswerk im Rahmen eines Sieben-Tage-Werkes dar. Von diesen sieben Tagen sind sechs der Erschaffung gewidmet, der siebte ist der Ruhetag. Die sechs Tage wiederum sind untergeteilt in das Werk der Scheidung (drei Tage) und in das Werk der Ausstattung (wiederum drei Tage). Beim Werk der Scheidung hat Gott nach diesem Bericht zuerst das Licht geschaffen. Er schied also Licht von der Dunkelheit. Danach hat er die Wasser geteilt; Wasser über dem Firmament, Wasser unter dem Firmament. Dann hat er das Wasser am dritten Tage auf der Erde sich sammeln lassen im Meer und die Erde geheißen, Kräuter und Pflanzen hervorzubringen. Am vierten Tage hat Gott die Himmelsleuchten am Firmament befestigt, Sonne, Mond und Sterne. Am fünften Tage hat er die lebenden Wesen geschaffen, im Meer und am Firmamente, also Fische und Vögel. Danach die anderen Arten, die auf dem Lande wohnen, schließlich den Menschen. „Laßt uns den Menschen machen als unser Ebenbild, uns ähnlich!“ So schuf Gott den Menschen als sein Abbild, er schuf sie als Mann und Frau. Er befahl ihnen: „Herrschet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über jedes Lebenwesen!“ So hat unsere Schulbibel uns unterrichtet über das Schöpfungswerk nach dem ersten Schöpfungsbericht des Buches Genesis.

Der zweite Schöpfungsbericht befaßt sich nur mit der Erde, läßt also die Erschaffung der übrigen Wirklichkeit außerhalb der Erde beiseite. Im zweiten Schöpfungsbericht liegt der ganze Ton auf der Erschaffung des Menschen. „Da bildete Gott der Herr den Menschen aus dem Staub der Erde und hauchte ihm den Odem des Lebens ins Angesicht. So wurde der Mensch zu einem lebenden Wesen.“ Dann hat Gott den Menschen in einen Garten versetzt, in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und pflege. Er gab ihm ein Gebot: „Von allen Bäumen darfst du essen, nur von einem nicht.“ Danach stellte Gott fest, daß es nicht gut sei, daß der Mensch allein sei. „Ich will ihm eine Gehilfin machen, die zu ihm paßt.“ Dann nahm Gott mehrere Ansätze, um diese Gehilfin zu machen. Er führte zum ersten Menschen die Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels. Adam gab ihnen den Namen, er wußte also, wie sie heißen sollten, weil er ihr Wesen verstand. Aber unter all diesen Tieren war keine Gehilfin, die zu ihm gepaßt hätte. Da ließ Gott einen Schlaf über Adam kommen. Als er eingeschlafen war, entnahm er ihm eine Rippe. Die Rippe gestaltete er zu einer Frau, führte sie Adam zu. Adam rief: „Diese endlich ist Bein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch. Sie soll Männin heißen, weil sie vom Manne genommen ist.“

So haben wir in Übereinstimmung mit dem ersten Buch des Alten Testamentes in unserer Schulbibel gelesen. Manche, die ihren Glauben nicht entwickelt haben, sind schon auf dem Gymnasium in Zweifel gestürzt worden, weil dort, etwa in Naturkunde, in Biologie oder im Erdkundeunterricht, diese Erzählung der Bibel lächerlich gemacht, über den Haufen geworfen, als unhaltbar beiseite geschoben wurde. Später, in dem Studium der Theologie, haben manche davon gehört, daß es auch bei den alten Völkern, wie den Ägyptern und den Babyloniern, Schöpfungsmythen gab, die ähnlich der Genesis die Erschaffung der Erde und der ganzen Welt behandelten. Diese Theologie hat dann versucht, die biblische Erzählung in eine Reihe zu stellen mit den Mythen der alten Völker. Es gibt also, meine lieben Freunde, einen doppelten Angriff auf den Bericht der Bibel. Der erste Angriff erfolgt von seiten der Naturwissenschaft, der zweite Angriff von seiten der Religionswissenschaft.

Wie haben wir uns zu dieser doppelten Attacke zu stellen? Wenn wir mit dem letzten beginnen, mit dem Angriff der Religionswissenschaft, da muß man natürlich die alten Mythen, die uns ja teilweise erhalten sind, lesen und kennen. Und wenn man sie liest, meinetwegen den bekanntesten, den babylonischen Schöpfungsmythos, dann erkennt man, daß keine Brücke von diesem Wähnen und Sinnen der Menschen zu den rationalen Aussagen der Bibel führt. Wie stellt der babylonische Schöpfungsmythos sich die Entstehung der Welt vor? Er erzählt, daß ein großes Chaos war und daß Urwesen gelebt haben, Anzu und Tiamat. Dann sind Götter entstanden, die Götter kämpften mit den Urwesen, haben die Urwesen besiegt, und der Gott Marduk hat Tiamat geteilt, und aus dem einen Teil die Erde und aus dem anderen Teil das Firmament geschaffen.

Gegenüber diesem Schöpfungsmythos der Babylonier ist erstens festzuhalten, daß in der Bibel keinerlei Kampfmotiv vorkommt. Gott ringt nicht mit anderen Mächten, um die Welt zu schaffen, sondern er spricht. „Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.“ „Gott sprach: Die Erde bringe Pflanzen und Tiere hervor, und es geschah.“ Also: Es ergeht ein Befehl Gottes, und die Welt entsteht. Nicht ein mühsames Ringen und Kämpfen mit feindseligen Mächten bringt die Schöpfung hervor, sondern der weltüberlegene Gott erfaßt mit seiner geistigen Sicht das, was zu schaffen ist, und ruft es durch einen Akt seines Willens ins Dasein.

Der zweite Unterschied liegt darin, daß die Götter im babylonischen Mythos ein Teil der Welt sind. Die Götter gehören zur Welt. Sie sind ein Bestandteil der Welt, während im Alten Testament Gott vor der Welt und über der Welt ist. Das nennt man mit einem aus der lateinischen Sprache entnommenden Wort Transzendenz. Gott transzendiert, d.h. er übersteigt die Welt. Er ist nicht aus der Welt, sondern er ist vor der Welt, und er ist über der Welt. Er ist der weltüberlegene Gott. Er schafft die Welt aus nichts, nicht aus einem Stoffe, den er vorfindet. Er schafft sie mit seinem reinen Willen, der eben imstande ist, aus nichts etwas zu bringen. Also der babylonische Mythos ist in keiner Weise geeignet, als Parallele zum Schöpfungsbericht der Bibel zu dienen.

Jetzt kommt der zweite Angriff, der Angriff der Naturwissenschaft. Wir haben alle schon gehört, daß es die Evolutionstheorie gibt, Weltentstehungstheorien, von Laplace und Kant angefangen bis zu Hoimar von Dithfurt usw. Und diese Theorien oder Hypothesen – es ist ja niemand dabei gewesen von den Gelehrten, als die Welt entstand – haben eine gewisse Wahrscheinlichkeit, lassen sich mit Funden und mit Entdeckungen der Naturwissenschaft bis zu einem gewissen Grade stützen. Und dann gibt es Gelehrte, die dahingehen und sagen: Also angesichts dieser Tatsachen ist der biblische Schöpfungsbericht unhaltbar. Ja, meine lieben Freunde, was will denn der biblische Schöpfungsbericht? Ist die Bibel ein naturwissenschaftliches Handbuch, oder ist sie die religiöse Urkunde, die uns über Gott und das Göttliche unterrichtet? Die Antwort ist klar. Die Bibel will uns nicht über naturwissenschaftliche Tatsachen oder auch über geschichtliche Vorgänge zur Vermehrung unseres profanen Wissens unterrichten, sondern sie will uns das lehren, was Gott zu unserem Heil offenbaren wollte. Sie will uns über das unterrichten, was wir zu glauben und was wir zu tun haben. Der biblische Schöpfungsbericht ist Tausende von Jahren alt. Er mußte also zu den Menschen, denen er zuerst erzählt wurde, so sprechen, wie diese Menschen es verstehen konnten. Er mußte also ihr Weltbild übernehmen. Anders konnte der Schöpfungsbericht überhaupt nicht akzeptiert, angenommen, begriffen werden. Und so schildert eben der Schöpfungsbericht in der Sprache einfacher, kindlicher Menschen die große religiöse Wahrheit, daß Gott die Welt geschaffen hat. Die Dauer der Schöpfung, die Einteilung der Schöpfung, die Reihenfolge der Schöpfung, das sind keine Aussagen, die wir im Glauben übernehmen müssen. Das ist die Einkleidung; das ist die literarische Form dessen, was Gott uns durch die Offenbarung sagen will, nämlich: Alles kommt vom weltüberlegenen Gott.

Von Gott kommt auch der Mensch. Es wäre lächerlich, wie schon Augustinus sagt, anzunehmen, Gott habe wie ein Mensch mit Lehm gearbeitet. Nimis puerilis cogitatio nennt das Augustinus, eine gar zu kindische Auffassung. So ist es nicht gewesen. Gott ist nicht wie ein Mensch, aber die Bibel spricht von Gott wie von einem Menschen, das nennt man Anthropomorphismus. Sie spricht von Gott wie von einem Menschen, weil man sonst die Lebendigkeit Gottes nicht ausdrücken könnte. Wir können nicht anders sprechen. Wir können nicht von Gott, wie Gott von sich selbst denkt, reden. Wir können von Gott nur reden, wie ein Mensch es vermag. Aber immer in dem Wissen, daß es wörtlich so nicht gemeint ist, sondern daß nur gesagt werden soll: Es kommt alles von Gott her. Die Weise, wie Gott geschaffen hat, das ist Sache des Menschen, zu entdecken und zu erfinden, das müssen die Gelehrten herausfinden, wenn sie es vermögen.

Daß die Entstehung der Frau aus einer Rippe des Mannes nicht einen Schöpfungsvorgang in dem Sinne darstellen will, daß die Frau tatsächlich aus einem Bestandteil des männlichen Körpers geworden ist, läßt sich deutlich machen. Es soll dadurch erklärt werden, daß Mann und Frau in inniger Weise zusammengehören. Die Frau gehört zum Manne, so wie eine Rippe zu einem Knochengerüst gehört. Mann und Frau sind aufs innigste aufeinander verwiesen. Das soll auch dadurch zum Ausdruck gebracht werden, daß Gott die Tiere zu Adam führt und er niemanden unter ihnen findet, der zu ihm paßt, bis eben Gott dann nach dem Bilde des Mannes eine Frau ihm erschafft. Der Mensch wird im biblischen Bericht – und das ist auch etwas, was Gott uns lehren will – über alle Tiere gestellt. Er hat eine Herrschaft über die Tiere. Gott sagt es ihm ja: „Herrsche über die Lebewesen! Gebrauche die Erde!“ Er allein ist nach dem Bilde Gottes geschaffen.

In den Mythen werden die Menschen von den Göttern physisch hervorgebracht. Die Götter üben Geschlechtsverkehr, und da kommt der Mensch heraus. Nicht so in der Bibel. Gott schafft den Menschen. Er schafft ihn, wie er das andere schafft. Und er schafft ihn nach seinem Bilde. Der Mensch ist Gott ähnlich. Die Unähnlichkeit zwischen Mensch und Gott ist selbstverständlich viel größer als die Ähnlichkeit, aber das hebt eine gewisse Ähnlichkeit, soweit sie zwischen dem unendlichen Gott und dem endlichen Menschen möglich ist, nicht auf. Die Ähnlichkeit findet man gewöhnlich in der Geistigkeit des Menschen, in seiner Personalität, in seiner Herrscherstellung über die Erde. Gott hat ihn sich ähnlich geschaffen.

Worum geht es, meine lieben Freunde, wenn ich diese Tatsachen vor Ihnen ausbreite? Es geht erstens darum, sich nicht irre machen zu lassen von verwirrenden Aufstellungen. Weder die Religionswissenschaft noch die Naturwissenschaft ist imstande, das, was Gott uns zu unserem Heile in der Bibel sagen wollte, aus den Angeln zu heben. Die Schöpfung ist von Gott hervorgebracht. Die Art und Weise, die Dauer und die Reihenfolge, wie das geschehen ist, das sind bildliche Darstellungsmittel, im ersten Schöpfungsbericht eben nach der Tageseinteilung des Menschen, der Sieben-Tage-Woche. Aber niemand ist im Glauben gehalten, diese Reihenfolge etwa anzunehmen. Das ist eine literarische Einkleidung von religiösen Wahrheiten.

Zweitens, die Tatsache der Schöpfung, die wunderbare Weisheit, die in der Schöpfung liegt und die wir Tag für Tag feststellen können, die Herrlichkeit der Schöpfung soll uns zum Preis des Schöpfers führen. Wir haben ja heute schon im Eingang der heiligen Messe diese wunderbaren Loblieder auf Gott, unseren Herrn, gesungen. „Erde singe!“ „Lobe den Herren!“ Das ist unsere erste Pflicht, Gott anzubeten und ihn zu preisen ob seiner großen Herrlichkeit, wie es im Gloria der heiligen Messe heißt: „Wir preisen dich ob deiner großen Herrlichkeit.“ Weil du so schrecklich herrlich bist, o Gott, deswegen beten wir dich an, deswegen kommen wir hier zusammen, deswegen jubeln und danken wir dir für deine große Herrlichkeit. „Wie wunderbar ist dein Name auf der ganzen Erde! Alles hast du mit Weisheit geschaffen, und der Himmel ruft deine Herrlichkeit aus und die Erde, du Schöpfer des Alls!“

Amen.

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