Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. April 1989

Die Behauptung von den „Brüdern„ Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In einer katholischen Zeitschrift, die ich vor mir habe, steht der Leserbrief einer Person aus Darmstadt. In diesem Leserbrief heißt es: „In der Fastenzeit besuchte ich Vorträge von Herrn Franziskus Eisenbach. Auf die Frage eines Teilnehmers: 'Stimmt es, daß Jesus Brüder hatte?' antwortete er: 'Ja, sie waren alle älter als Maria, Maria war die zweite Frau von Josef.' Nun war mir endlich klar, warum der heilige Josef immer so viel älter als Maria abgebildet wurde, und ich freute mich, endlich die richtige Antwort zu hören. Nun schreiben Sie wieder von einem achtzehnjährigen jungen Mann. Was soll man nun glauben?“

Die katholische Kirche war von Anfang an davon überzeugt, daß Jesus nicht nur der erstgeborene, sondern auch der einziggeborene Sohn der Jungfrau Maria war. Sie hat diese Überzeugung sogar in einen Glaubenssatz gefaßt. Es ist der Glaubenssatz von der immerwährenden Jungfrauschaft Mariens. Maria war nicht nur Jungfrau, bevor sie Jesus gebar, sondern auch, nachdem sie ihn geboren hatte. Dieser Glaubenssatz ist nun seit geraumer Zeit Angriffsobjekt von falschen Lehrern.

Zur Unterstützung ihrer Ansicht greifen sie auf die Redeweise in der Heiligen Schrift zurück von den „Brüdern“ Jesu. Tatsächlich ist in der Heiligen Schrift an sieben Stellen von Brüdern Jesu die Rede. Im Markusevangelium, im Johannesevangelium, in der Apostelgeschichte, im Galatherbrief und im 1. Korintherbrief. Die zweifellos wichtigste Stelle steht im Markusevangelium, wo die Menge über Jesus in Erstaunen gerät und fragt: „Solche Wunder geschehen durch seine Hände! Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn Marias, ein Bruder des Jakobus, Joses, Judas und Simon?“

Hier, so scheint es, ist die Rede von vier Brüdern: Jakobus, Joses, Simon und Judas. Ist diese Stelle und sind die anderen Stellen tatsächlich beweiskräftig für die Behauptung, Maria habe noch andere Kinder gehabt oder jedenfalls, wie Franziskus Eisenbach meint, Josef habe aus einer ersten Ehe Kinder mitgebracht?

Um mit der letzten Meinung zu beginnen: Diese Ansicht stammt aus einer apokryphen Schrift, nämlich dem Prot-Evangelium Jakobi. Apokryph ist eine Schrift, die unecht ist, die nicht in das Verzeichnis der heiligen Schriften von der Kirche aufgenommen ist. In dieser unechten Schrift wird die Ansicht vertreten, Josef sei zweimal verheiratet gewesen. In erster Ehe habe er vier Kinder gehabt, und dann sei er mit Maria vermählt worden. Das ist die sogenannte Stiefbrüderhypothese. Danach wären die vier sogenannten Brüder Stiefbrüder Jesu, weil sie Josef zum Vater haben. Diese Ansicht ist in der orthodoxen Kirche verbreitet, aber unhaltbar. Sie stimmt nicht mit den beiden jeweils ersten Kapiteln im Matthäus- und im Lukasevangelium überein. Nirgends ist darin ein Hinweis zu finden, daß Josef schon einmal verheiratet gewesen sei. Das ist ein Phantasieprodukt ohne jede Grundlage im Evangelium. Mit dieser Stiefbrüderhypothese brauchen wir uns nicht zu befassen.

Um so ernster ist die andere Behauptung, die sogenannten Brüder Jesu seien vollbürtige Geschwister Jesu, seien also Kinder Mariens. Gegen diese Behauptung lassen sich vier schwerwiegende Gründe anführen, nämlich erstens: Maria pilgerte bekanntlich mit Jesus, ihrem Sohne, nach Jerusalem. Sie nahm an der Osterwallfahrt teil mit dem zwölfjährigen Jesuskind. Jedermann wird sich fragen: Wie kann eine Mutter vieler Kinder ihre kleineren Kinder zurücklassen, sich auf eine lange Reise begeben und die Betreuung dieser Kinder vernachlässigen? Wenn neben dem erstgeborenen Jesus noch kleinere Brüder und Schwestern – von Schwestern ist ja auch bei Markus die Rede – vorhanden gewesen wären, wie kann Maria so sorglos sein, diese Kinder sich selbst oder einer fremden Person zu überlassen?

Der zweite Grund gegen diese Behauptung liegt darin, daß im Orient der Erstgeborene eine besondere Herrscherstellung hat über seine anderen Geschwister. „Sei ihr Herrscher! Du sollst über die Kinder deiner Mutter herrschen!“ So heißt es vom Erstgeborenen. Jesus war der Erstgeborene, also hätte er diese Herrscherstellung innegehabt. Nun ist aber im Evangelium nach Markus die Rede, wie die sogenannten Brüder Jesu ihn bevormunden wollen. Einmal, als er vor lauter Andrang des Volkes nicht essen konnte, da gingen sie hin, um sich seiner zu bemächtigen, denn sie sagten: „Er ist außer sich.“ Sie wollten also über ihren sogenannten Bruder eine Macht ausüben. Das ist im alten Orient ganz undenkbar, weil es zum Herrscherrecht des Ältesten im Widerspruch steht.

Der dritte Grund liegt darin, daß an keiner Stelle des Neuen Testamentes jemals die Rede ist von Söhnen oder Töchtern Mariens, sondern es heißt immer nur von Jesus, er sei der Sohn Mariens oder er sei der Sohn Josefs, aber niemals wird gesagt: Das sind die Kinder Mariens oder das sind die Kinder Josefs. Immer ist nur von dem einen und einzigen Kind die Rede, nämlich von Jesus von Nazareth.

Der vierte Grund ist vom Ende unseres Heilandes am Kreuze hergenommen. Am Kreuze übergab der sterbende Herr seine Mutter dem Johannes, dem Lieblingsjünger, also einem Fremden. Jedermann wird sagen: Wenn Brüder vorhanden waren, wenn Maria andere Kinder hatte, warum hat der Herr seine Mutter dann nicht den Geschwistern übergeben? Sie wären doch die Erstverantwortlichen und die Hauptverantwortlichen für das Schicksal der Mutter. Nein, er übergab sie einem Fremden, dem Johannes, offensichtlich, weil keine Brüder vorhanden waren.

Das sind vier Gründe, meine lieben Freunde, gegen die Behauptung, Maria habe noch andere Kinder außer Jesus gehabt. Nun werden aber zur Unterstützung dieser falschen These noch manche andere Behauptungen ins Feld geführt. Zunächst einmal die, daß eben tatsächlich dasteht: „Brüder.“ An sieben Stellen ist von Brüdern Jesu die Rede. Dazu ist zu bemerken, daß die aramäische Sprache, und das ist die Sprache, die Jesus gesprochen hat, kein Wort für andere Bezeichnungen der Verwandtschaft hat. Also zum Beispiel fehlt ein Wort für das, was wir Cousin oder Cousine nennen, Vetter oder Base. Diese Personen werden in der aramäischen Sprache, auch in der hebräischen, mit Bruder bzw. Schwester bezeichnet. Ein Beispiel aus dem Alten Testament: Abraham hatte einen Bruder namens Aram. Dieser hatte einen Sohn namens Lot. Lot war also der Neffe von Abraham. Aber Abraham sagte zu Lot: „Wir sind doch Brüder,“ obwohl er doch sein Onkel war. Oder an einer anderen Stelle (1 Chron 23) ist von Eleazar und Kis die Rede, zwei Brüdern. Der Eleazar hatte nur Töchter, der Kis hatte Söhne. Nun heirateten die Töchter des einen die Söhne des anderen, und das wird im Alten Testament berichtet mir den Worten: „Sie heirateten ihre Schwestern,“ obwohl es gar nicht die Schwestern waren, sondern ihre Cousinen. Also das Wort „Bruder“ und „Schwester“ wird im Alten und auch, wie wir sehen, im Neuen Testament für Verwandtschaftsbezeichnungen anderer Art verwendet.

Man weist dann hin, daß es im Evangelium heißt: „Josef erkannte Maria nicht, bis sie ihren erstgeborenen Sohn gebar.“ „Erkannte“ ist ein Ausdruck für den Vollzug der Ehe. Daran, so sagt man, ist zu sehen, daß er sie nachher doch erkannt, die Ehe mit ihr vollzogen hat. „Bis sie ihren erstgeborenen Sohn gebar.“ Meine lieben Freunde, dieses Argument schlägt nicht durch. Wenn ich von einem Martyrer sage: „Er hielt dem Herrn die Treue bis zum Tode,“ dann ist natürlich nicht gesagt, daß er nach dem Tode von dieser Treue abgefallen ist. Es wird nur das gesagt, was bis dahin geschah, nicht jenes, was sich nachher ereignete. Und so ist es auch bei Jesus und Maria. „Sie gebar ihren erstgeborenen Sohn“ (Luk 1,7) und: „Er erkannte sie nicht, bis sie ihren erstgeborenen Sohn gebar.“ (Mt 1,25). Es soll damit ausgesagt werden: Maria hat die Weissagung aus dem Propheten Isaias erfüllt, sie hat als unbefleckte Jungfrau Jesus geboren. Über die Zeit danach ist nichts ausgesagt.

Dann weist man darauf hin, daß es heißt: „Sie gebar ihren erstgeborenen Sohn.“ Sind dann vielleicht noch andere Söhne zu erwarten? Nein, im Orient heißt jeder erste Sohn, auch wenn keine Kinder mehr kommen, der Erstgeborene. Wir haben eine Grabinschrift gefunden, in der von einer Frau, die nur ein Kind gehabt hat, gesagt wird: Sie gebar ihren erstgeborenen Sohn. Der Erstgeborene hatte nämlich bestimmte Rechte, und, ganz gleichgültig, ob er Geschwister hatte oder nicht, diese Rechte standen ihm zu, und deswegen heißt jeder zuerst ins Leben tretende Sohn, ohne Rücksicht auf weitere Geschwister, der Erstgeborene.

Es gibt aber auch noch andere Beweise dafür, daß es sich bei den sogenannten Brüdern Jesu um Vettern handelt. „Am Kreuze,“ berichtet der Evangelist Markus, „standen Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus und des Joses, und Salome.“ Drei Frauen, Maria Magdalena, die Mutter des Jakobus und des Joses, und Salome. Die Mutter des Jakobus und des Joses! Wer ist denn das? Sie hat auch Maria geheißen, natürlich ist damit nicht die Mutter des Herrn gemeint, denn sonst hätte der Evangelist gesagt: „Seine Mutter“ oder „die Mutter Jesu,“ denn es handelt sich um das Sterben des Heilandes, nicht um das Sterben des Jakobus oder des Joses. Nein,es soll diese Maria als eine andere Maria von der Mutter Jesu unterschieden werden. Und jetzt achten Sie bitte auf die beiden Namen Jakobus und Joses! Das sind dieselben Namen, die im 6. Kapitel bei Markus vorkommen und dort als Brüder Jesu bezeichnet werden, dieselben Namen und dieselbe Reihenfolge. Offenbar sind sie identisch miteinander. Die sogenannten „Brüder“ von Markus 6 und diese beiden, die in Markus 15 zur Kennzeichnung der anderen Maria verwandt werden, sind dieselben Personen, sind also keine Kinder Mariens, sondern der anderen Maria, der Maria des Jakobus, der Maria des Joses. Der Name Joses kommt nur ein einziges Mal im ganzen Neuen Testament vor, nicht Josef, sondern Joses, und deswegen ist er so bedeutsam.

Ähnlich ist es mit den beiden anderen, mit Simon und Judas. Da haben wir einen Zeugen aus dem 2. Jahrhundert, einen Kirchenschriftsteller. Er berichtet, wer in Jerusalem Bischof wurde. Der erste Bischof war Jakobus, der sogenannte Bruder des Herrn. Nach Jakobus Simon, und von diesem Simon sagt der genannte Kirchenschriftsteller: „Er war ein zweiter Vetter des Herrn.“ Also der Simon ist nicht ein Bruder, sondern ein Vetter des Herrn gewesen. Und wenn er ein zweiter Vetter war, dann muß es auch einen ersten geben, eben den Jakobus. Auf diese Weise, durch dieses Zeugnis wird bewiesen, daß Jakobus und Joses nicht Kinder Mariens, sondern der anderen Maria waren, wird aber auch bewiesen, daß Simon und Judas Kinder des Klopas waren. Klopas war ein Bruder des Josef. Und wegen dieser Beziehung hat man den Simon zum zweiten Bischof von Jerusalem gemacht.

Meine lieben Freunde, warum unterbreite ich Ihnen diese Überlegungen? Aus dem guten Grunde, daß ich Ihnen helfen möchte, die Unsicherheit zu überwinden, die von falschen Aufstellungen sogenannter Theologen hervorgeht.

Die Jungfräulichkeit Mariens vor, in und nach der Geburt ist ein Glaubenssatz. Die Geschichte erhebt gegen diesen Glaubenssatz keinen Einspruch.

Amen.

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