Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. November 1988

Das Fegfeuer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die vier Letzten Dinge heißen: Tod, Gericht, Himmel und Hölle. Es gibt aber einen Zustand, der kein letzter, sondern ein vorletzter ist, und diesen Zustand nennt die Kirche purgatorium, das heißt Reinigungszustand. Im Deutschen wird dafür meistens das Wort Fegfeuer gebraucht. Die Reinigung, die der Mensch nötig hat, bereitet ihn für den Eingang in den Himmel, denn nur der Himmel – oder aber die Hölle – sind endgültige Zustände. Dagegen das Fegfeuer ist ein vorläufiger, ein provisorischer Zustand, eine Durchgangsstufe zum endgültigen Zustand.

Der Reinigungszustand, das Fegfeuer, ist jenes Geschehen, in dem die Seelen verweilen, die zwar in der Gnade Gottes abgeschieden sind, aber wegen ungesühnter läßlicher Sünden und wegen ungetilgter Sündenstrafen noch durch einen schmerzlichen Läuterungsprozeß bereitet werden müssen, ehe sie fähig sind, das Angesicht Gottes zu schauen. Das Fegfeuer ist also eine Offenbarung der Gerechtigkeit, der Heiligkeit und der Barmherzigkeit Gottes.

Es ist eine Offenbarung seiner Gerechtigkeit, weil Gott niemanden verstößt, der nicht im Unfrieden mit ihm abgeschieden ist. Es ist eine Offenbarung seiner Heiligkeit, weil er nicht duldet, daß etwas Unreines sich ihm naht. Und es ist eine Offenbarung seiner Barmherzigkeit, weil er diesen – wie wir sehen werden – leidvollen, aber gleichzeitig trostreichen Zwischenzustand geschaffen hat.

Woher wissen wir vom Fegfeuer? Woher wissen wir von seiner Existenz? In der Überzeugung vieler vor- und außerchristlicher Völker ist eine Ahnung von diesem Reinigungszustand enthalten. Ich erwähne aus der großen Zahl der Zeugen nur einen, nämlich den unvergleichlichen Platon. Platon war ein griechischer Philosoph, er lebte von 427 bis 347 vor Christus, also 400 Jahre vor Christus, und seine Werke sind uns erhalten, vor allem seine großen Dialoge. Und in einem dieser Dialoge heißt es: „Der Richter sieht solche, die ein frommes, der Wahrheit geweihtes Leben geführt haben. Diese führt er zur Insel der Seligen. Es kommen andere, deren Seelen ganz entstellt sind von begangenen Freveln. Diese werden den verdienten Qualen überantwortet. Ihnen nützt keine Buße, weil ihre Frevel unheilbar sind. Wieder anderen aber verschafft die auferlegte Buße Nutzen, jenen nämlich, die heilbare Fehler begingen. Dessen ungeachtet erwächst ihnen dieser Nutzen nur aus Schmerz und Leiden.“

Sie werden zugeben, meine lieben Freunde, daß herrlicher und deutlicher eigentlich die Lehre vom Reinigungszustand nicht ausgesprochen werden kann als hier von diesem weisen Philosophen Platon. Er sagt sowohl, daß es einen Reinigungszustand gibt, als auch, daß er schmerzlich ist, aber daß er den Seelen hilft.

Auch die Heilige Schrift deutet den Reinigungszustand an. Unter Judas Makkabäus, dem großen Helden, hatten die Israeliten eine Schlacht gegen die Syrer geschlagen. Als man dann die gefallenen Israeliten bestatten wollte, fand man, daß sie Amulette, heidnische Götzenbilder, bei sich trugen, was natürlich den Juden streng verboten war. Da war Judas Makkabäus sehr in Sorge um ihr jenseitiges Schicksal. Was tat er? Er ließ eine Sammlung veranstalten, Geld und Silber zusammenbringen, schickte es nach Jerusalem, damit dort Opfer dargebracht würden für die Gefallenen, damit sie, so heißt es im 2. Makkabäerbuch, von ihrer Sünde erlöst würden. Also hier haben wir eine offensichtliche Andeutung für die Tatsache, daß man Verstorbenen noch helfen kann, daß man für Verstorbene noch etwas tun kann. Deswegen ließ Judas Makkabäus Opfer darbringen. Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, daß das 2. Makkabäerbuch in der protestantischen Bibel der anerkannten Bücher fehlt; es wird von ihnen unter die apokryphen eingereiht.. Die Protestanten haben eben nicht dieselbe Bibel wie wir. Das 2. Makkabäerbuch wird von ihnen aus der Sammlung der kanonischen Bücher verwiesen.

Auch die kirchliche Tradition weiß davon, daß ein solcher Reinigungszustand existiert. Ich erwähne nur Gregor den Großen, den Papst, in seinen Dialogen. „Es ist unser Glaube,“ sagt er, „daß vor dem Weltgericht ein Reinigungsfeuer für kleinere Sünden besteht.“ Ein Reinigungsfeuer für kleinere Sünden. Das haben viele, viele Kirchenväter in ununterbrochener Folge gelehrt, bis es dann das Konzil von Trient gegen die Glaubenserneuerer als Dogma, als unverbrüchlichen Glaubenssatz festgelegt hat. Es gibt einen Reinigungszustand, sagt das Konzil, und wir können den in diesem Zustand befindlichen Seelen helfen durch unser Fürbittgebet, vor allem durch die Feier des heiligen Meßopfers.

Auch die Vernunft sagt uns, daß ein solcher Zustand existieren muß. Wenn wir an die Heiligkeit Gottes denken, so wissen wir, daß nichts Unreines vor ihm bestehen kann. Aber wer ist schon so rein, daß er vor Gott bestehen kann, wenn er von dieser Welt abscheidet? Andererseits ist Gott ein Gott der Gerechtigkeit. Was der Mensch sät, das wird er ernten. Wenn der Mensch noch mit Flecken antritt vor seinem Gerichte, dann müssen diese Flecken getilgt werden. Und doch ist Gott auch ein Gott der Barmherzigkeit, der den Menschen nicht verstößt, wenn er einen Funken Reue hat. Und so ist es eben eine Erfindung der Barmherzigkeit Gottes, daß er dieses Reinigungsfeuer geschaffen hat.

Welches ist die Eigenart des Läuterungsprozesses? Es ist ein Zwischenzustand zwischen Himmel und Hölle, zwischen Freude und Leiden. Ja, die Armen Seelen leiden. Sie sind ja in der Verbannung. Wie kann man sich freuen, wenn man in der Verbannung ist? Die Juden waren 70 Jahre in der Verbannung in Babylonien, und da forderten sie die Babylonier auf, ihre heimatlichen Lieder zu singen. Die Israeliten lehnten das entrüstet ab. „Wie können wir die Sionslieder singen in der Verbannung?“ Da ist Trauer am Platz und nicht Freude. Und ähnlich-unähnlich ist es eben mit den Armen Seelen. Sie sind in der Verbannung, und das ist ihr Schmerz. Sie sind gleichsam in einem Gefängnis, und wer freut sich in einem Gefängnis? Ein Gefängnis ist eine Stätte des Leidens.

Sie haben Sehnsucht, unstillbare Sehnsucht nach Gott, und das ist auch ein Stück ihres Leidens. Sie haben beim Gericht gleichsam einmal flüchtig ins Angesicht Gottes geschaut. Sie haben gewissermaßen einen Spalt die Himmelstür geöffnet gesehen, aber dann mußten sie in die Verbannung, und seitdem ist ihre Sehnsucht unstillbar nach dem Antlitz Gottes, nach der Freiheit des Himmels.

Die Armen Seelen leiden, weil sie voller Reue an ihr vergangenes Leben denken. Ach, hätte ich doch – ach,  wäre ich doch! So werden sie sich sagen. Hätte ich doch mehr getan für meine arme Seele, wäre ich doch tugendhafter gewesen, hätte ich doch besser auf Gottes Willen geachtet, wäre ich doch weniger eigennützig gewesen! Jetzt haben sie Reue, Reue, Reue, daß sie in Unreinheit abgeschieden sind. Und sie sind unfähig, sich selbst zu helfen. Jetzt ist die Nacht, da niemand mehr wirken kann. Jetzt können sie nichts mehr tun, sie können ihre Leiden nicht abkürzen, sie können den Prozeß der Reinigung nicht beschleunigen, sie können nur die von Gott verordnete Dauer ableiden. Sie leiden vielleicht auch deswegen, weil wir, die auf Erden Befindlichen, nicht genug für sie tun, weil sie vergessen sind von vielen Menschen, weil die Erdenpilger nicht das für sie aufwenden, was ihnen helfen kann – wovon ich gleich sprechen werde. Auch das ist ein Teil ihrer Leiden.

Diese Leiden sind nicht gering. Ein so großer Theologe wie Thomas von Aquin sagt, daß die irdischen Leiden nicht zu vergleichen sind mit denen im Fegfeuer. Also müssen es doch wohl schlimme Leiden sein.

Und dennoch, meine lieben Freunde, sind die Armen Seelen gleichzeitig voller Freude. Es ist nicht nur ein Zustand der Leiden, denn die Armen Seelen wissen, daß sie in der Gnade Gottes sind und daß sie von Gott geliebt sind. Sie wissen, daß sie gerettet sind und das Ziel erreicht haben. Sie danken Gott dafür, daß er sie bewahrt hat vor dem Verderben, vor dem Schlunde der Unterwelt. Sie sind also insofern auch froh gestimmt. Sie wissen, daß sie nicht nur arme, sondern daß sie auch reiche Seelen sind, reich deswegen, weil voll von Hoffnung, voll von sicherer Erwartung, daß sie einziehen können, wenn die von Gott verordnete Dauer der Läuterung vorüber ist, in den Himmel der Freuden. Und deswegen sind sie ganz ergeben in Gottes Willen. Sie lehnen sich nicht etwa auf gegen die ihnen bestimmten Leiden, nein, sie wollen das, was Gott will. Sie sagen Ja zu diesem Zustand, und auch das ist ein Grund ihrer Freude. Sie sind ganz im Einklang mit Gott. Weil sie alles das, was Gott über sie verordnet hat, bejahen, ist die Freude in ihnen, und sie haben die sichere Hoffnung, daß dieser Zustand vorübergehen wird, daß sie einziehen werden in die Festfeier des Himmels. Sie haben sicher auch Freude deswegen, weil sie die Gebete und die Fürbitten ihrer auf Erden verbliebenen Angehörigen zu spüren bekommen. Auch das ist sicher eine große Freude für sie, wenn wir an sie denken, und zwar nicht bloß im Totengedenken, sondern im Gebet. Totengedenken ist für die Verstorbenen nur dann nützlich, wenn es in ein Gebet ausmündet.

Und so sind wir schon gleich bei der Frage: Was können wir für die Armen Seelen tun? O, viel! Wir können ihnen helfen. An erster Stelle durch die Feier des heiligen Meßopfers. Judas Makkabäus ließ im Tempel zu Jerusalem ein Sühnopfer darbringen, das waren Böcke und Stiere, also Tiere, die da geopfert wurden. Das war immerhin etwas, daß diese wertvollen Wesen Gott dargebracht wurden. Wir haben ein viel wertvolleres Opfer, meine lieben Freunde, wir haben das Opfer unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. Wir brauchen nicht nach Jerusalem zu gehen, wir benötigen dazu keinen Tempel, sondern überall da, wo ein katholischer Priester würdig und in rechter Gesinnung das heilige Meßopfer feiert, da wird das Werk der Erlösung unserer Armen Seelen betrieben. Da wird ihnen Trost zuteil, da geschieht das, was wir immer erbeten: „Lieber Heiland, sei so gut, lasse doch dein teures Blut in das Fegefeuer fließen, wo die Armen Seelen büßen!“

Jawohl, da fließt es hinein, meine lieben Freunde, im Meßopfer fließt es hinein in das Fegfeuer. Wir können auch für die Armen Seelen Fürbitten darbringen, für sie beten. Wir haben ja so schöne, so ergreifende Gebete für die Armen Seelen, vor allem das Gebet zu den heiligen fünf Wunden: „Durch die heilige Wunde deiner rechten Hand erbarme dich ihrer! Durch die heilige Wunde deiner linken Hand erbarme dich ihrer! Durch die heilige Wunde deines rechten Fußes erbarme dich ihrer! Durch die heilige Wunde deines linken Fußes erbarme dich ihrer! Durch die heilige Wunde deiner Seite erbarme dich ihrer!“ So beten wir, und dann fügen wir jeweils ein Vaterunser und ein Ave Maria hinzu. Das ist wirksame Fürbitte für die Armen Seelen. Und selbstverständlich das Gebet, das wir jeden Tag und immer wieder beten: „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen. Laß sie ruhen in Frieden!“

Wir können den Armen Seelen auch zu Hilfe kommen durch Almosen, also Gaben, die wir für die notleidenden Glieder des Leibes Christi auf Erden in der Absicht geben, damit den im Läuterungszustand Befindlichen zu Hilfe zu kommen. Almosen helfen den Armen Seelen, sie bedecken die Sünden, und sie befreien sie. Gott sieht die Almosen gnädig an. Wir können den Armen Seelen helfen durch Ablässe. Ablässe sind Nachlässe von zeitlichen Sündenstrafen. Und das eben ist es, was die Armen Seelen durchmachen, nämlich die Sühne für zeitliche, also vorübergehende Sündenstrafen. Die Ablässe, die wir gewinnen, z.B. durch das Gebet des Rosenkranzes, können wir den Armen Seelen zuwenden. Wir müssen nur die Absicht haben, ihnen zu helfen. Wir müssen nur dem lieben Gott sagen: Die Ablässe, die ich heute gewinne, den Ablaß, den ich jetzt gewinne, wende sie, wende ihn, o Gott, den Armen Seelen im Fegfeuer zu! Wir können also den Armen Seelen in mannigfacher Weise helfen.

Vom Fegfeuer, vom Reinigungszustand, meine lieben Freunde, geht eine Botschaft aus. Die Toten lehren die Lebendigen. Und welches ist diese Botschaft? „Laß dich ermahnen und laß dich trösten!“ Die Lehre vom Reinigungszustand soll uns ermahnen, daß wir in unseren Sünden und Schwächen nicht erschlaffen. Die Lehre vom Reinigungszustand soll uns trösten, daß wir in unseren Sünden und Schwächen nicht verzagen.

Jetzt ist die Zeit, wo wir die Sünde bekämpfen, wo wir gegen das Böse angehen sollen. Jetzt ist die Zeit, wo wir büßen und sühnen können. Wenn uns die Leiden treffen, meine lieben Freunde, die Gott verordnet hat, dann wollen wir sie in der Gesinnung annehmen, daß wir sagen: „O Gott, laß mich so leiden, daß ich meine Sündenstrafen abbüße, daß ich sie hier abbüße und deswegen im Jenseits von dir verschont werden kann.“

Also die zeitlichen, auf Erden verhängten Sündenstrafen haben einen guten Sinn. Sie befreien uns, so hoffen wir, von jenen zeitlichen Sündenstrafen, die sonst im Jenseits abzubüßen wären. Mühen wir uns, die Sünde, die Schuld zu tilgen oder zu meiden! Helfen wir vor allem den Armen Seelen! Sie sind hilfsbedürftig. Seien wir hilfsbereit! Feiern wir das heilige Meßopfer für sie! Rufen wir fürbittend Gott für sie an! Wenden wir ihnen Ablässe zu! Geben wir Almosen für sie! Wenn sie, die auf uns warten, unsere Hilfe spüren, dann werden sie glücklich sein und für uns beten und uns segnen, daß wir sie nicht vergessen haben. „Habt Erbarmen mit mir, wenigstens ihr, meine Brüder,“ so flehte der geschlagene Job. Und so ist es auch, als ob aus dem Jenseits, aus dem Fegfeuer, der Ruf an uns erginge: „Habt Erbarmen, wenigstens ihr, meine Brüder! Habt Erbarmen mit uns, die wir leiden! Habt Erbarmen mit uns, die wir hoffen! Habt Erbarmen mit uns, die wir nichts mehr tun können für uns selbst! Habt Erbarmen mit uns!“

Amen.

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