Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Gericht
30. Oktober 1988

Die Naturgesetzlichkeit des Todes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn die Blätter fallen, werden unsere Gedanken auf den Tod gerichtet. Das Absterben in der Natur ist ein Sinnbild für den Gang durch das dunkle Tor, hinter dem das Geheimnis, das große Geheimnis, das große Schweigen, das große Schicksal steht. Wir wollen heute und an den folgenden Sonntagen über den Tod nachdenken, über den Tod und was zum Tode gehört.

In unserer Kindheit lernten wir die vier Letzten Dinge kennen, nämlich Tod, Gericht, Himmel und Hölle. Das sind wahrhaftig die Letzten Dinge. Vielleicht staunt jemand und fragt: Wo ist denn das Fegfeuer? Das ist kein Letztes Ding. Das Fegfeuer ist etwas Vorletztes. Das Letzte Ding für die im Fegfeuer Befindlichen ist der Himmel, und deswegen sprechen wir nur von vier Letzten Dingen: Tod, Gericht, Himmel und Hölle. Am heutigen Sonntag wollen wir fragen, was der Tod ist.

Der Tod, meine lieben Freunde, ist ein Geheimnis der Bosheit, aber auch ein Geheimnis der Liebe. Er ist ein Geheimnis der Bosheit, weil er der Sold der Sünde ist. Wir müssen sterben, weil wir Sünder sind. Er ist ein Geheimnis der Liebe, weil an einem Sterben unser Heil hängt, nämlich am Sterben unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus.

Der Tod ist ein Geheimnis der Bosheit. Er ist ein Naturgesetz. Wenn wir in die Natur schauen, dann sehen wir, daß die Lebewesen, daß die Natur vom gegenseitigen Sterben lebt. Ein Lebewesen verbraucht das andere, immer wieder sinkt alles in Bodenlose hinab, damit es zum Beginn für neues Leben wird. Die Tiere verbrauchen einander, und bei den Pflanzen ist es ähnlich. Was in einem Jahre herabfällt als Kompost, das dient zum Dünger für kommende Ernten.

Der Tod ist ein Naturgesetz, und dieses Naturgesetz ist von Gott gegeben. Gott ist auch ein Gott des Todes. Mit ewiger, gleichmütiger Ruhe sieht er die Wogen des Todes über die Erde rollen, wie der Tod den einen mit tückischer Schnelligkeit, den anderen mit grausamer Langsamkeit erwürgt. Gott ist es, der tot und lebendig macht. Gott ist es, der ins Todesreich führt und wieder herausbringt. Gott ist freilich nicht gleichgültig gegen das Sterben, schon gar nicht gleichgültig gegen das Sterben des Menschen. Dem Menschen wollte er vielmehr den Tod ersparen.

Das Gesetz des Todes gilt für alle Lebewesen; den Menschen hatte die göttliche Vorsehung ausgenommen. Er sollte nach einer Prüfung in ein anderes, in ein höheres Leben übergehen. Aber der Mensch hat diese Prüfung nicht bestanden. Er ist aus der Hut Gottes geflohen, und als er floh vor Gott, da begegnete er dem Tod, denn der Tod ist nicht nur ein Naturgesetz, der Tod ist auch die Strafe für die Sünden. Gott hat den Tod nicht nach dem Sündenfall geschaffen, sondern er hat ihn nur nicht mehr gehemmt, sich auszuwirken, er hat die Schwelle beseitigt, die den Menschen vom Tode trennen sollte, er hat ihm freie Bahn gelassen, so daß der Tod auch über den Menschen herfallen und ihn erwürgen kann.

Wenn wir den Tod sehen, wenn wir in das Angesicht des Todes schauen, dann sehen wir das Angesicht unserer Schuld. Der Tod ist ein Symbol unserer Sünde. So wie er uns gewalttätig überwältigt, so ist auch die Sünde eine Entwürdigung, ein Abfall, ein Auslöschen. Im grauenvollen Angesichte des Todes sehen wir das grauenvolle Antlitz unserer Sünde. Deswegen haftet dem sterbenden Menschen auch ein solcher Schauder an. Wenn eine Pflanze verwelkt oder ein Tier stirbt, so geht uns das auch nahe, aber es ist etwas ganz anderes, wenn ein Mensch stirbt. Wenn wir die Gesichter unserer Toten, unerer lieben Verstorbenen betrachten, so lesen wir in ihren Zügen eine unstillbare Traurigkeit. Es ist die Traurigkeit darüber, daß sie den Sold der Sünde bezahlen mußten.

Der Tod ist ein Naturgesetz. Der Tod ist die Strafe für die Sünde. Der Tod kommt über jeden, er macht keine Ausnahme. Vielleicht schon bald wird der nächste auch aus unserer Mitte durch den Tod abgerufen werden. Und da ergeht der Ruf an uns: „Sei bereit!“ Der Tod säumt nicht, der Tod fragt nicht, der Tod hört nicht, der Tod säumt nicht. Er kommt, er kommt jeden Tag näher. Jede Stunde, die wir leben, ist eine Stunde näher am Tod. Wir gehen dem Tode fortwährend entgegen. Der Tod weiß, wann seine Stunde schlägt, und er wird sie mit unerbittlicher Härte an uns wahrnehmen. Der Tod fragt nicht. Ob es uns paßt oder nicht, ob wir bereit sind oder nicht, das spielt bei ihm keine Rolle. Er fällt den Menschen, wann es ihm von Gott gestattet wird. Der Tod fragt nicht. Der Tod hört auch nicht. Er hört nicht auf Jammern und Flehen, er hört nicht auf denjenigen, der sich noch eine Frist ausbedingen will – er kommt! In den mittelalterlichen Bildern vom „Totentanz“ sieht man Päpste und Könige, Bischöfe und Fürsten, Bauern und Bürgersleute, wie sie jammern und flehen und fliehen vor dem Tode und sich gegen ihn sträuben. Aber es nützt ihnen alles nicht.

Von einem Beduinenscheich wird berichtet, daß er die Ankündigung hatte, er müsse sterben. Da nahm er sein Kamel, das schnellste Kamel, das er besaß, das beste Reitkamel, und ritt hinaus, um zu fliehen vor dem Tode. Aber als er in der Oase ankam, in der er hoffte, sicher zu sein, da saß am Brunnen schon der Tod und wartete auf ihn. Der schnellste Reiter ist der Tod.

Und so ergeht an uns, meine lieben Freunde, die Mahnung: Sterblicher, denk ans Sterben! Sei bereit, denn wenn du heute nicht bereit bist, wie wirst du es morgen sein?

In meiner Heimat gibt es einen Gedenkstein an einer Stelle, wo einmal ein Fuhrmann verunglückte. Auf diesem Gedenkstein stehen die Worte: „Der Weg zur Ewigkeit, der ist doch gar nicht weit. Um achte fuhr er fort, um neune war er dort.“ Wahrhaftig, das ist Volkstheologie. Das ist eine Aussage, die unser Schicksal genau beschreibt. Der Weg zur Ewigkeit, der ist doch gar nicht weit. Um achte fuhr er fort, um neune war er dort. Die Plötzlichkeit des Todes, die Unvorhersehbarkeit des Todes ruft uns auf, uns für den Tod zu bereiten. Kein Tag darf vorübergehen, an dem wir nicht an den Tod denken. Immer wieder erneuern wir die Liebesreue, um bereit zu sein, verbinden uns durch eine gute Beichte mit dem Heiland, dem Todesüberwinder, empfangen die heilige Kommunion, die Wegzehrung, die Speise, die uns helfen soll, das dunkle Tor des Todes zu durchschreiten.

Sterblicher, denk ans Sterben! Wer heute nicht bereit ist, wie wird er es morgen sein?

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt