Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. März 1988

Die Feindesliebe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die schwerste Liebe ist die Feindesliebe. Feind ist derjenige, der uns haßt und uns zu schaden sucht. Die Feindesliebe ist uns von Christus geboten. „Liebet euere Feinde! Tut Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, die euch verfolgen und verleumden!“

Das ist der erste Grund, weswegen wir die Feinde lieben sollen, weil es Christus geboten hat. Er hat es nicht nur geboten, er hat es auch vorgemacht. Er hat uns ein Beispiel der Feindesliebe hinterlassen. Er hat seine Feinde nicht verurteilt und verdammt, sondern sterbend für sie gebetet. Er hat dem Knechte des Hohenpriesters, dem Petrus das Ohr abgeschlagen hatte, Heilung geschenkt auf dem Ölberg. Die Übung der Feindesliebe macht zu einem Kind des Vaters im Himmel. „Der Vater im Himmel läßt seine Sonne aufgehen über Gute und Böse und Regen fallen über Gerechte und Ungerechte.“ Wer also Feindesliebe übt, erfüllt nicht nur ein Gebot Christi, sondern wird Gott ähnlich. Wir sollen den Feind auch deswegen lieben, weil er ein Ebenbild Gottes ist. Auch in einem lasterhaften Menschen ist das Bild Gottes zu erkennen. Auch in einem verderbten Menschen müssen wir Gottes Ebenbild ehren und lieben. „Was Gott gemacht hat, das ist der Mensch, und das sollst du lieben. Was der Mensch gemacht hat, das ist der Fehler, und den sollst du nicht lieben,“ sagt der heilige Augustinus. Also wir sollen wohl unterscheiden zwischen der Sünde und der Person, wir sollen die Sünde verabscheuen, aber die Person des Sünders, auch des Sünders, der uns feindlich gesinnt ist, sollen wir lieben.

Wir sollen die Feinde lieben, wie der Herr uns befiehlt, weil der Feind oft ein Werkzeug Gottes ist. Er weiß es nicht, er will es vielleicht auch nicht, aber in Gottes Plan dient er den Zwecken Gottes. Er soll uns vielleicht von unseren Unvollkommenheiten reinigen, er soll uns möglicherweise unsere Fehler vorhalten; wir sollen Gelegenheit haben, an ihm die Tugenden zu lernen und zu bewähren, die Gott an uns sehen möchte. Der Feind kann also durchaus ein Werkzeug in der Hand Gottes sein.

Wie sollen wir die Feinde lieben? Wir sollen die Feinde lieben erstens, indem wir uns nicht an ihnen rächen. Wir sollen ihnen nicht vergelten, was sie uns an Unrecht getan haben. „Mein ist die Rache!“ redet Gott. Der Herr hat uns auch hier wieder ein Beispiel gegeben. Als er einmal durch Samaria zog, nahm ihn ein Ort nicht auf. Die Jünger waren ergrimmt und fragten den Herrn: „Sollen wir Feuer über den Ort herabrufen?“ Da entgegnete ihnen der Heiland: „Ihr wißt nicht, wessen Geistes ihr seid.“ Wir sollen uns also an den Feinden nicht rächen.

Wir sollen ihnen vielmehr zweitens Gutes für Böses erweisen. Es ist schwer, dem, der uns weh getan hat und uns beleidigt hat, der uns gekränkt und uns geschadet hat, nicht heimzuzahlen. Es drängt etwas in uns, ihm Böses mit Bösem zu vergelten. Aber nein, wir sollen Böses mit Gutem vergelten. Das ist die wirksamste und oft die einzige Weise, ihm sein Unrecht zum Bewußtsein zu bringen.

Wir sollen drittens für unsere Feinde beten. So haben es die großen Heiligen der Kirchengeschichte immer getan, von Stephanus angefangen, der auf den Knien für seine Feinde betete: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Auch vom Apostel Jakobus wird berichtet, daß er, als er von der Zinne des Tempels gestürzt wurde, mit zerbrochenen Knien noch für seine Feinde betete.

Schließlich viertens sollen wir unseren Feinden gern verzeihen. Verzeihen heißt, ihnen ihre Übeltat nicht anrechnen. Wer verzeiht, auf Rache verzichtet und seinen Feinden Gutes erweist, der beschämt und besänftigt oft seinen Feind. Nicht immer! Es gibt Feinde, die werden durch Sanftmut und Friedfertigkeit noch böser. Aber nicht selten wird ein Feind, in dem noch ein Funken Edelmut ist, dadurch, daß man ihm Gutes für Böses erweist, besänftigt und beschämt. Man sammelt gleichsam feurige Kohlen auf sein Haupt, d.h. er wird den guten Taten ebensowenig widerstehen können wie man feurigen Kohlen widerstehen kann. Wer dagegen sich rächt, der begeht eine schwere Sünde und begibt sich auf dieselbe schlechte Ebene, auf der sein Feind steht. Wer seinem Feind verzeiht, der findet auch bei Gott Verzeihung.

In jedem Vaterunser werden wir ja an diesen Zusammenhang erinnert: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben haben unseren Schuldigern!“ Im griechischen Text heißt es nämlich „vergeben haben“. Also muß man erst den Menschen vergeben, dann kann man auf Vergebung bei Gott hoffen und rechnen.

Denken wir an den unbarmherzigen Knecht im Evangelium, dem der Herr seine riesige Schuld, ein Vermögen, nachgelassen hat, und der seinen Mitknecht würgte und in den Schuldturm werfen ließ, weil er ihm ein Geringes schuldete. Nicht so dürfen wir handeln. Unsere Schuld bei Gott ist groß, denn jede Sünde, jede schwere Sünde häuft eine ungeheuere Schuld bei Gott auf. Wenn Gott sie uns vergeben soll, dann müssen auch wir unseren Feinden vergeben. Phokion war ein Feldherr der Athener. In 45 Schlachten hatte er für seine Heimat gekämpft und gesiegt. Er wurde von seinem undankbaren Volke zum Tode verurteilt. Als er den Giftbecher trank, da sagte er zu seinem Sohn: „Mein Sohn, räche dich nicht, sondern vergib meinen Würgern!“ Das hat ein Heide getan, ein Heide, der damit zeigte, daß seine Seele gleichsam in einer natürlichen Weise christlich war.

So sollen auch wir unseren Feinden von Herzen verzeihen. Dadurch werden wir Kinder unseres Vaters im Himmel und Brüder Jesu Christi.

Amen.

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