Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Heilige
26. Dezember 1986

Erster Blutzeuge Stephanus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In Bayern stehen 170 Stephanus-Kirchen, und in Mainz sind es ihrer allein zwei. St. Stephan in der Innenstadt und St. Stephan in Gonsenheim. Es gibt viele Orte, die mit „Stephan“ gebildet sind, Stephansberg, Stephanskirchen, Weihenstephan. Viele Menschen, Männer und Frauen, tragen den Namen Stephan oder Stephanie oder Steffen. Diese Häufigkeit des Stephanusnamens deutet auf eine besondere Verehrung hin. Und in der Tat ist der Erzmartyrer, d.h. der erste, der Proto-Martyrer. Protos ist ein griechisches Wort und heißt „der Erste“ –, der erste Martyrer Stephanus von der Kirche von Anfang an besonders hochgeschätzt worden. Die Apostelgeschichte widmet ihm zwei Kapitel. Die Stephanusverehrung hat auch viele merkwürdige Blüten hervorgebracht. So war es z.B. an vielen Orten üblich, am Stephanustage die Pferde zu segnen. Es wurde ein Umritt um die Kirchen gemacht, ja manchmal wurden die Tiere sogar in die Kirche eingeführt und dort gesegnet. Es wurde der „Stephanushafer“ geweiht, der den Tieren gegeben wurde. Der Volksbrauch hat sich dieser Gestalt mit besonderer Liebe bemächtigt. Viele Stände haben sich den Stephanus als Patron gewählt. Verständlich bei den Steinmetzen; denn mit Steinen wurde Stephanus zu Tode gebracht. Aber auch andere Stände, wie die Maurer, die Böttcher, die Kutscher, ja sogar die Schüler haben sich Stephanus zum Patron gewählt.

Ist das nun Folklore, also Volksbrauch, der sich an eine historische Gestalt anknüpft, oder besitzt Stephanus auch eine kirchliche, eine kirchengeschichtliche, eine theologische Bedeutung? Ja, das ist der Fall. Stephanus, sein Leben und Sterben, bedeutet eine dreifache Wende in der Urgemeinde, in der Urkirche. Aus seiner Verteidigungsrede, die er vor dem Hohen Rat in Jerusalem hielt, können wir entnehmen, daß er ein theologisch beschlagener, geschulter Mann war, dem der ganze Ernst des Überganges vom Judentum zum Christentum geläufig war. Er hat es deutlich und ohne Zögern ausgesprochen: Der Alte Bund hat ein Ende, er ist abgelöst durch den Neuen. Es gibt keine Weitergeltung des Gesetzes mehr als Heilsfaktor, sondern das Gesetz ist überwunden durch den Heilsbringer Jesus Christus. Natürlich bleiben die sittlichen Bestandteile des alttestamentlichen Gesetzes bestehen, also etwa die 10 Gebote. Daran wird nicht gerüttelt, aber das Heil gewinnt man nicht, indem man minutiös die Satzungen des Alten Bundes erfüllt, sondern das Heil gewinnt man, indem man sich im Glauben an Jesus Christus anschließt. Er ist der Heilsbringer, er ist der Name, der einzige Name, in dem den Menschen Heil zukommt. Diese Wende hat Stephanus mit äußerster Schärfe ausgesprochen, und infolgedessen lautete die Anklage gegen ihn: Er hetzt das Volk auf gegen die heilige Stätte und das Gesetz. Die heilige Stätte ist natürlich der Tempel. Und von diesem Tempel sagt Stephanus: Der Schöpfer der Welt wohnt nicht in Häusern, die von Menschenhand geschaffen sind.

Und so hat sich aus dieser ersten Wende gleich die zweite entwickelt, nämlich: Es ist aus dem Zeugnis für Christus mit dem Wort das Zeugnis für ihn mit dem Blute geworden. Stephanus mußte seine freimütige Verkündigung teuer bezahlen. Es wurde ein Verfahren gegen ihn eröffnet, das freilich nicht gerichtsförmig verlief. Er galt als Lästerer, als Gotteslästerer, und auf Gotteslästerung stand die Strafe der Steinigung, wie der Mischna-Traktat Sanhedrin uns wissen läßt. Und so wurde Stephanus vor der Stadt mit Steinen zu Tode geworfen.

Ein entsetzliches Sterben, wenn man bedenkt, daß ein Stein zunächst keine sehr schwere Verwundung hervorruft. Es müssen schon viele Steine das Haupt treffen, es muß jemand unter Steinen begraben werden, ehe er auf diese Weise stirbt; also ein grausames Sterben. Aber dieses Sterben war für den Erstmartyrer nicht Anlaß, gegen seine Verfolger zu wüten. Er hat sie nicht beschimpft und verurteilt und verdammt, er hat für sie gebetet: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Und er hat so gezeigt, wie die Anhänger Jesu sterben müssen, in Ergebenheit gegen Gott: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ und in Frieden mit den Menschen: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Das ist also die zweite Wende. Es wird künftig das Gesetz des Christentums bleiben, das Gesetz, das mit Stephanus beginnt. Für das Christentum zeugt man nicht nur mit Worten, auch nicht nur mit dem Leben, für das Christentum zeugt man auch mit dem Tode, mit dem Sterben, erforderlichenfalls mit dem Martyrium.

Selbstverständlich haben die Feinde des Christentums allezeit versucht, zu vermeiden, daß die von ihnen verfolgten Christen als Zeugen des Glaubens, als Martyrer, erschienen. Sie haben andere Anklagegegenstände vorgebracht als das Bekenntnis zum Christentum, um auf diese Weise die Anhänger des Christentums zu diffamieren. So hat man den ersten Christen vorgeworfen, sie hielten thyesteische Mahlzeiten, sie würden kleine Kinder schlachten, sie mit Mehl bestreuen und dann essen. Mit solchen Verleumdungen hat man das leichtgläubige Volk in die Irre geführt, und so kam es dann zu Pogromen, Anklagen und Verurteilungen gegen die Christen. Das ist die zweite Wende, die Wende vom Lebens- zum Todeszeugnis für Christus.

Die dritte Wende besteht darin, daß viele Christen angesichts der ausbrechenden Verfolgung aus Jerusalem flüchteten, zunächst nach Judäa und Samaria, also in die angrenzenden Gebiete, und daß diese Flucht providentiell wurde. Die Vorsehung Gottes bediente sich der Flucht der Anhänger Jesu, um das Christentum über Jerusalem hinaus zu verbreiten. Denn die geflüchteten Christen hörten ja nicht auf, Christen zu sein. Sie haben vielmehr dort, wo sie jetzt weilten, den Samen der Glaubens weiter ausgestreut, ja, sie haben den Samen über das Judentum hinaus an Nichtjuden weitergegeben. Samaria galt als halb oder ganz heidnisch. Da waren durch die babylonischen Eroberer fremde, heidnische Leute angesiedelt worden. Und so ist das Evangelium jetzt über Jerusalem hinaus zu anderen Juden, aber auch über die Juden hinaus zu Heiden gedrungen.

An diesem Beispiel sieht man, an diesem Beispiel, wie Gott die Gedanken und Taten der Menschen lenkt. Die Feinde meinten, das Christentum tödlich zu treffen, indem sie die Verfolgung ins Werk setzten und die Gläubigen vertrieben oder zur Flucht veranlaßten. Gott aber bediente sich dieser heimatlos gewordenen Männer und Frauen, um das Christentum draußen außerhalb der heiligen Stadt, zu verbreiten. Das ist die dritte Wende gewesen, die Wende der Mission über das Judentum hinaus zu den Heiden, in die ganze Welt, bis an die Grenzen der Erde.

Das also, meine lieben Freunde, ist die dreifache Bedeutung des Stephanus. Er ist nicht nur ein Mann der Folklore; er ist ein großer Theologe, klar wie ein Kristall, hart wie ein Diamant. Er ist ein Mann der ersten Stunde, ein begeisterter Seher, mit visionärer Kraft begabt. „Ich sehe den Himmel offen und Jesus stehen zur Rechten Gottes.“ Stehen! Warum steht er denn? Weil er sich erhoben hat, um seinen Martyrer aufzunehmen, um ihn zu begrüßen, um ihn zu empfangen. Deswegen sitzt er nicht mehr, wie wir sonst sagen, zu Rechten Gottes, er steht. Sein Martyrer wird von ihm heimgeleitet in die Herrlichkeit des Vaters. Stephanus heißt übersetzt „Kranz“. Und dieser Stephanus hat den Kranz, den Siegeskranz des ewigen Lebens wahrhaft gewonnen.

Auf den Abbildungen wird er dargestellt mit Steinen und mit einer Palme. Die Steine bedeuten die Marterwerkzeuge, mit denen er getötet wurde. Die Palme deutet den Sieg an, den er errungen hat, die ewige Freude bei Gott, die sein Sterben ihm erwirkt hat.

Rufen wir Stephanus gern und freudig an als den Blutzeugen, den ersten Martyrer für Christus, als den Mann der großen theologischen Wende, als den Initiator der Mission weit über Jerusalem hinaus ins fremde, ins heidnische Land. 

Amen.

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