9. Juli 2017
Die Liebe zu Gott in allem und über alles
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Im Kirchengebet der heutigen heiligen Messe haben wir gebetet: „O Gott, du hast jenen, die dich lieben, unsichtbare Güter bereitet; so gieße denn unseren Herzen deine Liebe – oder besser: die Liebe zu dir – ein, auf dass wir dich in allem und über alles lieben.“ Hier ist von der Liebe die Rede, und zwar von der Liebe zu Gott. Auch der Umfang und das Maß der Liebe werden angegeben: in allem und über alles. Nun ist das Wort Liebe das am meisten missbrauchte in allen Sprachen. Was für eine Liebe ist gemeint, wenn wir von der Liebe zu Gott sprechen? Die Liebe zu Gott ist diejenige übernatürliche, persönliche Hingabe des Willens an Gott, durch die wir ihn als das höchste Gut um seiner selbst willen und um Gottes willen auch uns selbst und den Nächsten lieben. Gott ist liebenswert wegen seiner Größe und Schönheit, seiner Allmacht und Ewigkeit, seiner Güte und Herrlichkeit, wegen seiner Unveränderlichkeit. Die Liebe will und schätzt Gott als das höchste Gut um seiner selbst willen. Sie ist personale Hingabe an Gott und seelisches Eingehen in Gott. Diese Liebe ist zunächst eine Anlage, eine Befähigung zum Tun. Sie ist aber auch eine Lebens- und Wirkkraft, die zu dem Handeln aus Liebe drängt und treibt. Sie hat ihren hauptsächlichen Gegenstand in der Erkenntnis des wahren dreieinigen Gottes und in der menschlichen Erscheinung seines Sohnes, Jesus Christus. Sie empfängt ihr Maß und ihre Art am Beispiel Christi. Er hat ja aus Liebe das Leben für seine Brüder hingegeben.
Die Liebe zu Gott muss bestimmte Eigenschaften haben. Sie muss innerlich und wirksam sein, d.h. sie muss das ganze innere und äußere Leben des Christen prägen und durchherrschen. Eine bloß äußerliche, zur Schau getragene Liebe ist leer, ist leerer Schein. Die Liebe muss beständig und unveränderlich sein; das ergibt sich aus ihrem Wesen als einer Lebensform, als einem Lebensband, als Lebens- und Liebesband der Gotteskinder und der Glieder Christi. Die Liebe hat unweigerlich Folgerungen, Wirkungen. Die nächsten Wirkungen der Liebe zu Gott sind die Freude über die Vollkommenheit, Seligkeit und Herrlichkeit Gottes. „Wir preisen dich ob deiner großen Herrlichkeit“, haben wir im Gloria der heutigen heiligen Messe gebetet: Wir preisen dich wegen deiner großen Herrlichkeit. Weitere Wirkungen sind das Streben nach äußerer Verherrlichung Gottes durch wachsende Verähnlichung mit Christus und durch Mitwirkung an seinem Heilswerk. Weitere Wirkungen der Liebe zu Gott sind die übernatürliche Selbst- und Nächstenliebe, die Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes im Gehorsam gegen seine Gebote. Das sind die Wirkungen der Liebe.
Gott zu lieben, ist uns von Gott geboten. Der Herr nennt die Liebe zu Gott das erste und größte Gebot. Wir sollen Gott nun über alles und in allem lieben. Über alles lieben, d.h. wir sollen ihn mehr lieben als alles andere, wir dürfen ihm nichts vorziehen. Gott ist die liebenswerteste Wirklichkeit von allem Wirklichen. Wir müssen Gott also über alles hochschätzen. Die Forderung, Gott über alles zu lieben, ist streng verpflichtend. Sie sichert die habituelle Liebe, das Gehaben, die Anlage, das ständige Bereitsein zur Liebe. Ihre Übertretung ist eine Todsünde. Denn wer etwas anderes Gott vorzieht, der erniedrigt Gott, der treibt Götzendienst. Das ist die Lehre des Herrn: Wir sollen Gott lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus allen Kräften. Und für die gottmenschliche Person Jesu fordert der Herr eine Liebe, die größer ist als die zu Vater, Mutter und Kindern. „Wer Vater oder Mutter oder Kinder mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.“ Der Dienst Gottes ist absolut. Er duldet kein Geschöpf neben sich. Niemand kann Gott dienen und gleichzeitig dem Mammon. Gott als Gegenstand der Liebe ist das höchste, unendlich liebenswürdige Gut. Da ist nur eine Liebe über alles seinem Wesen und seiner Würde entsprechend. Ein Geschöpf in der Liebe ihm vorziehen oder gleichstellen, ist Götzendienst. Weil Gott an Größe und Güte allem überlegen ist, muss er mehr geliebt werden als alles andere, wenn unsere Verehrung für ihn eine echte und würdige sein soll. Wir sollen aber Gott auch in allem lieben, d.h. jeder Gegenstand, der aus Gottes Macht hervorgeht, soll uns wertvoll und teuer sein, soll uns liebenswert sein, weil er von Gott kommt und auf Gott verweist. Alles, was lebt, stammt ja in letzter Linie von Gott. Er ist der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erde, des Weltalls und dessen, was existiert, sein Wille und sein Einsatz stehen hinter allem Wirklichen. Er bejaht alles und erhält es im Dasein. Die Herkunft von Gott prägt alles, was existiert. Alle Geschöpfe tragen etwas von Gottes Macht, Schönheit und Würde an sich; sie sind wertvoll. Es gibt keinen wertlosen Menschen, meine lieben Freunde. Wir können und müssen alles, was existiert, auf Gott zurückführen. Die Geschöpfe sind gleichsam durchsichtig auf Gott. Sie sind liebenswert, weil sie ein irgendwie geartetes Abbild Gottes sind, wenn auch in noch so schwacher Form. Man kann und soll in ihnen Gott lieben, von dem sie – wenn auch in manchen Zwischenursachen – herkommen.
Das Streben, alles ausschließlich aus Liebe zu Gott zu tun, ist der höchste Grad der Liebe. Das ist nicht geboten, dass man alles ausschließlich aus Liebe zu Gott tut, denn das bedeutet, bei freier Wahlmöglichkeit immer das Vollkommenere zu tun; und das ist eine schwere Forderung. Nein, dieses Streben, immer alles ausschließlich aus Liebe zu Gott zu tun, ist ein Rat, also nicht geboten. Es führt die Liebe dem Ideal entgegen, aber das Gegenteil zu tun, ist sittlich erlaubt, wenn auch nicht vollkommen. Es gibt Menschen, die diesem Rat gefolgt sind. Ich habe in diesen Tagen die Geschichte der Martyrer des spanischen Bürgerkrieges gelesen. Die „Roten“ haben damals Tausende von Priestern, Ordensschwestern, Ordensbrüdern und Bischöfe (12 Bischöfe) umgebracht. Unter ihnen ist auch die Karmelitin Maria Pilar. Und von dieser heiligen Karmelitin wissen wir, dass sie ihren Exerzitienvorsatz in die Worte gefasst hat: Verbunden mit Jesus, will ich alles tun aus Liebe zu ihm. Das war das Gelöbnis von Maria Pilar.
Der Philosoph Immanuel Kant hielt ein Gebot der Liebe zu Gott für unmöglich. Wir fragen uns: Kann Liebe zu Gott geboten werden? Wir müssen unterscheiden. Die affektive Liebe, die ein unwillkürlicher Zustand der Erregung, des Hingezogenseins im Lebensdrang ist, mit dem sich auch gewöhnlich eine gefühlsmäßige Reaktion im Gemüt verbindet, die affektive Liebe kann nicht geboten werden. Sie kommt oft ohne unseren Willen oder gegen unseren Willen. Aber die Liebe zu Gott ist keine affektive Liebe, sie ist keine gemüthafte, keine sinnenhafte Liebe, sondern eine geistige und freie Bewegung des Willens. Die Liebe zu Gott liegt im personalen geistigen Willen, nicht im sinnlichen Gefühl. Die Liebe als übernatürlicher Habitus, also als eine Anlage, als göttliche Tugend, auch diese Liebe kann nicht direkt geboten werden, denn sie wird ja von Gott geschenkt, sie wird ja von Gott gegeben; wir können sie nicht herbeizwingen mit unserem Willen. Aber was für eine Liebe können wir dann zu Gott haben? Es ist die effektive, die wirksame Liebe, die frei gewollte Liebe, der sittliche Akt, die sittliche Tat als innere Haltung und als äußeres Werk der Wertschätzung und des Wohlwollens, die ist das Werk des freien Willens. Und darum ist sie ein möglicher Gegenstand des Gebotes und der Pflicht. Diese Liebe zeigt sich sowohl in der inneren Haltung oder Grundentscheidung als auch in den äußeren Werken der Gottesliebe, der Nächstenliebe, der geordneten Selbstliebe. Die effektive Liebe, die ist es, die Gott gebietet.
Wie zeigt sich die Liebe zu Gott? Wie beweist man Gott seine Liebe? Wir beweisen unsere Liebe zu Gott erstens, indem wir ihn bekennen, für ihn eintreten, seine Sache betreiben, indem wir für ihn werben und wirken. „Wir müssen Gott mit der Arbeit unserer Hände und dem Schweiß unseres Angesichtes lieben“, sagte einmal der heilige Vinzenz von Paul. „Liebe zu Gott kann nicht müßig stehen, ist sie da, wirkt sie Großes. Will sie nicht wirken, ist es keine Liebe.“ Zweitens erweist sich die Liebe zu Gott als echt in der Erfüllung der Gebote. Niemand anders als der Apostel Johannes hat immer wieder auf die Pflicht hingewiesen, durch Gebotserfüllung die Liebe zu Gott zu beweisen. „Daran erkennen wir, dass wir Kinder Gottes sind, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten, denn darin besteht unsere Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten. Wer seine Worte hält, in dem ist die Liebe zu Gott vollkommen. Die Liebe besteht darin, dass wir nach seinen Geboten wandeln“, schreibt er in seinem 2. Brief. Die Bereitwilligkeit, Gottes Gebote zu erfüllen, ist also ein unzweideutiges Merkmal, ein unzweideutiger Beweis der Liebe zu Gott. Drittens beweisen wir die Liebe zu Gott, indem wir der Sünde Widerstand leisten. Thomas von Aquin schreibt einmal: „Je mehr du kämpfest, desto mehr beweisest du deine Liebe zu Gott“, kämpfen gegen Versuchungen, kämpfen gegen Verlockungen, kämpfen gegen die Triebe, gegen die Unholde in der eigenen Brust. Wer gegen die Sünde kämpft, reiht sich in die Schar derer ein, die Gott lieben. Jede Überwindung einer Versuchung beweist unsere Liebe zu Gott. Sie zeigt, dass uns Gott mehr wert ist als eine irdische Lust, als ein irdischer Gewinn, als alle Schätze dieser Welt. Viertens zeigt sich die Liebe auch darin, dass wir um Gottes willen Verzicht üben und etwas entbehren können. Wer um Gottes willen freiwillig Güter aufgibt, die er erlaubter Weise besitzen oder genießen könnte, ehrt damit Gott, den Geber aller Gaben, zeigt die Wertschätzung, die er für Gott empfinde, und beweist seine Verbundenheit mit Gott. O, es gibt viele Gelegenheiten, um Gottes willen auf zeitliche Güter zu verzichten: im Essen, im Reden, im Telefonieren, im Fernsehen, in der Zuwendung von Geld und anderen Gegenständen an Bedürftige. Damit beweisen wir unsere Liebe zu Gott. Und schließlich fünftens wird die Liebe zu Gott offenbar im Leiden für Gott. Das Leiden, meine lieben Freunde, ist die Probe auf die Echtheit unserer Liebe. Wir müssen mit Christus leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden. „Es wäre eine Schande, ein wehleidiges Glied zu sein unter einem dornengekrönten Haupte“, hat einmal der heilige Bernhard von Clairvaux geschrieben. Es wäre eine Schande, ein wehleidiges Glied zu sein unter einem dornengekrönten Haupte. Leiden aus Liebe zu Gott ist besser als Wunder tun. Der heilige Franz von Sales hat die Beweise der Gottesliebe in einer Liste zusammengefasst: „Als Zeichen, ob du Gottesliebe hast, nenne ich erstens, dass du entschlossen bist, eher alles zu opfern, als ihn durch eine schwere Sünde zu beleidigen. Zweitens, dass du gern in Gottes Gegenwart bist, denn die Liebe strebt immer nach Vereinigung. Drittens, dass du neben Gott nicht noch manches andere mit ähnlich großer Liebe liebst. Viertens, dass du den Mitmenschen recht liebst, denn niemand kann wahrhaft sagen, er liebe Gott, wenn er nicht seinen Nächsten liebt.“ Da haben wir die Lösung der Schwierigkeit, wie wir auch die garstigen, die unangenehmen Zeitgenossen lieben können. Wir lieben sie nicht um ihretwillen, aber um Gottes willen. Wir lieben sie, weil Gott es befohlen hat und weil er sich mit ihnen gleichsetzt.
Die Liebe zu Gott ist unentbehrlich in Gottes Gericht. Wir werden gerichtet nach der Liebe. Die Liebe ist ein notwendiges Mittel, um das Heil zu erlangen. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus dem sittlichen Wesen der Liebe. Sie verwirklicht ja den höchsten Zweck des sittlichen Lebens und des übernatürlichen Heilswerkes, die Ehre Gottes durch volle Hingabe der Seele an Gott, das höchste Gut. Der Apostel Johannes erklärt kurz und bündig: „Wer nicht liebt, bleibt im Tode.“ Diese grundsätzliche Notwendigkeit fordert auch besondere Akte der Liebe, Handlungen der Liebe. Wir sollen lieben nicht mit Worten, sondern in der Tat und in der Wahrheit. In dem schönen Kirchenlied singen wir ja: „Ich will dich lieben, meine Stärke, ich will dich lieben, meine Zier, ich will dich lieben mit dem Werke und immerwährender Begier; ich will dich lieben, schönstes Licht, bis mir das Herz im Tode bricht.“ Die Liebesreue ist so stark, dass sie schon vor dem Empfang der Sakramente das Heil verschaffen kann. Wer nicht mehr die Taufe empfangen kann, wer nicht mehr das Bußsakrament empfangen kann, der ist nicht verloren, er braucht nur die Liebesreue zu erwecken, dann öffnet ihm der Himmel sein Tor. Wir haben es ja im Kriege erlebt. Da war nicht immer ein Priester zu erlangen, aber es gab das Mittel, durch Liebesreue sich mit Gott zu verbinden. Und selbst in der Todesgefahr war der Mensch damit gesichert durch Gottes Hand. Wir müssen in der Liebe verharren. Wir dürfen also sie nicht schwächer werden lassen oder gar aufgeben. Die Liebe zu Gott wird bewahrt, indem man danach strebt, in ihr zu wachsen und sie zu betätigen. Die Werke der Liebe wirken zurück auf den Liebenden, und zwar umso mehr, je selbstloser sie in der Liebe Christi geschehen. Vorzügliche Mittel, die Liebe zu Gott zu bewahren, sind das Gebet um Liebe, das innige Verlangen nach Gott, nach Vereinigung mit Christus im eucharistischen Opfersakrament: „Komm, o Herr, o komm zu mir“, die Bekämpfung der Eigenliebe, der Selbstsucht durch Selbstverleugnung, durch Demut, die Verehrung der heiligsten Eucharistie und des Herzens Jesu – hier lernen wir die Liebe an diesem Herzen, denn es ist ein Herz, das ein Feuerherd der Liebe ist – und natürlich auch durch das tatkräftige Apostolat für das Reich Gottes. Wir müssen uns müde arbeiten für unseren Heiland aus Liebe zu ihm. Im Alten Bunde hatten die Juden ein schönes tägliches Gebet, und das lautete: „Höre, Israel! Der Herr, unser Gott, ist allein der Herr. Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“ Dieses Gebet der frommen Juden können wir ihnen nachsprechen. Die Kirche fordert uns auf, die Liebe zu Gott und den Menschen zu erbeten und zu üben. Am Pfingstsonntag beten wir in der heiligen Messe: „Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe“, nicht die schwache Glut, sondern das Feuer. Wer in der Liebe zu Gott geübt ist und verharrt, der befindet sich auf dem geraden Wege in die ewige Seligkeit. Die heilige Theresia von Lisieux sprach vor ihrem qualvollen Tode: „Ich fürchte mich nicht vor Gottes Gericht, denn ich habe den zum Richter, den ich einzig geliebt habe.“ Ich fürchte mich nicht vor dem Gericht, denn ich habe den zum Richter, den ich einzig geliebt habe. Ach, meine lieben Freunde, wer ihr das nachsprechen könnte.
Amen.