Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Januar 2010

Wenn die Stunde des Herrn kommt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Evangelist Johannes berichtet nur sieben Wunder Jesu. Aber als erstes und sichtlich mit Überlegung die wunderbare Verwandlung von Wasser in Wein auf der Hochzeit zu Kana. Nach jüdischer Sitte vollzog sich eine Hochzeit anders als bei uns. Gewöhnlich wird sie am Samstag gehalten, und das ist schon immer bedenklich gewesen, weil dann der Sonntag mit den ausgelassenen Feierlichkeiten belastet ist. Die Juden machten es anders. Die Hochzeit, die eine Jungfrau schloss, dauerte sieben Tage. Bei einer Witwe waren es nur drei oder noch weniger Tage. Und während dieser ganzen Zeit kamen und gingen die Gäste, Dutzende, Hunderte. Deswegen braucht man sich nicht zu wundern, dass der Wein ausging. Die Leute haben tüchtig zugelangt. Die Mutter Jesu war anwesend, auch der Herr und seine Jünger waren geladen. Und Maria, die umsichtige Hausfrau, sieht sogleich die Verlegenheit des Bräutigams oder seiner Familie und wendet sich an ihren Sohn. Sie macht ihn auf den Mangel an Wein aufmerksam. Sie äußert eine bescheidene und vertrauensvolle Bitte, Jesus möge Abhilfe schaffen. Es ist nicht zu bezweifeln, dass sie zu diesem Zweck ein Wunder von ihm erwartet. Auch wenn er bisher keine Wunder gewirkt hat, ahnt sie doch, dass jetzt die Zeit dazu gekommen ist; denn er hat Jünger um sich gesammelt, und das heißt, er beginnt seine messianische Wirksamkeit. Zu dieser Wirksamkeit aber gehören Wunder. Deswegen die Bitte an Jesus, denn in diesen Worten liegt eine Bitte: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Aber Jesus scheint Maria zurückzuweisen. Sinngemäß sagt er zu ihr: Frau, was kümmerst du dich um meine Sachen, kümmere dich um deine Sachen.

Wie Jesus seine Mutter anredet, gibt er zu verstehen, dass sein Leben, dass sein Beruf unter einem anderen Gesetz steht als das der praktischen Notwendigkeit und der Sorge für das tägliche Leben. Aber er begründet seine Abweisung: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Das heißt, der Augenblick, zu helfen ist noch nicht da. Seine Stunde ist nämlich immer die vom Vater bestimmte Stunde. Es ist die Stunde, die der Vater in seinem göttlichen Plan, den er mit ihm hat, festgesetzt hat. Seine höchste und letzte Stunde wird schlagen, wenn er in sein Leiden geht. Aber immer wieder im Leben Jesu wird von „seiner Stunde“ gesprochen. Als er in Jerusalem war und ein Selbstzeugnis gab, da ergrimmten seine Feinde gegen ihn und waren gereizt. Die Oberpriester schickten Diener aus, um ihn zu ergreifen. Aber, so schreibt Johannes, „niemand legte Hand an ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen.“ Als das Osterfest nahe war, das letzte Osterfest, wußte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, die Stunde, da er aus dieser Welt zum Vater gehen solle. Er wußte, dass jetzt die Stunde kommt, wo er anfing zu zittern und zu zagen. Es ist jene Stunde, wo er zu den Häschern sagte: „Das ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.“

Hier in Kana bedeutet „Stunde“ die Zeit für das Vollbringen des ersten Wunders, wodurch seine Herrlichkeit geoffenbart wird. Jesus weist die Bitte der Mutter ab, weil der Zeitpunkt noch nicht gekommen ist, den der himmlische Vater für den Beginn seines Wunderwirkens festgesetzt hat.

Manche Erklärer des Johannesevangeliums schreiben dazu: Was die künftige Stunde bringen wird, das wird in der Spende des eucharistischen Weines in einem realen Symbolismus oder in einem symbolischen Realismus vorweggenommen. Jesus hat nach diesen Erklärern im Sinne, der zu spendende Wein ist das Element des Herrenmahles. Dieses Element kann als solches erst genossen werden, wenn die Stunde überstanden sein wird, denn erst aus der geöffneten Seitenwunde des Herrn fließen ja die Sakramente. Diese Stunde ist noch nicht gekommen, und deswegen wird Maria abgewiesen. Eine mögliche Erklärung.

Aber Maria kümmert sich nicht um die Abweisung, die sie erfährt, sondern sie rechnet mit Bestimmtheit damit, dass ihre Bitte doch noch erfüllt wird. Wie Jesus helfen wird, das weiß sie nicht, aber dass seine Hilfe nicht versagen wird, das ist für sie nicht zweifelhaft. Sie hört aus der Antwort Jesu die Zusage heraus, denn er sagt ja: „noch nicht“, d.h. womöglich recht bald. Maria spricht deswegen zu den Dienern: „Was er euch sagt, das tut!“ Diese Redwendung, meine lieben Freunde, ist aus dem Alten Testament bekannt. Josef, der verkaufte Josef in Ägypten, war dort Vizekönig geworden und auch für die Ernährung des Volkes zuständig. Da brach eine Hungersnot aus in Ägypten, und der Pharao, also der eigentliche König, sagte zu den Leuten, zu den Ägyptern, indem er sie auf Josef hinwies: „Was er euch sagen wird, das tut!“ Diese Wendung gebraucht jetzt Maria und bringt damit zum Ausdruck, dass den Hochzeitsgeästen genauso Hilfe werden wird, wie den Ägyptern Hilfe geworden ist in der Hungersnot. Wie Josef die Ägypter mit Getreide versorgt hat, so wird ihr Sohn die Hochzeitsgäste mit Wein versorgen. In der Verwendung dieser Formel liegt also die Zuversicht auf Jesu helfende Macht ausgedrückt.

Die Stunde, in der Jesus hilft, kommt dann aber bald. Nachdem die Diener auf Weisung Mariens dir nötigen Vorbereitungen getroffen haben, ist die Stunde da. Mariens Demut, die nicht gebieterisch fordert, sondern bescheiden bittet, und Mariens tiefes Vertrauen, das sich nicht abweisen läßt, haben ihren Sohn bewogen, jetzt das Wunder zu wirken. Oder umgekehrt: Jetzt hat der himmlische Vater seinem Sohn grünes Licht gegeben, jetzt kann er, jetzt soll er das Wunder wirken. Man kann also tatsächlich sagen: Die Mutter Jesu hat die Stunde der Offenbarung seiner Herrlichkeit durch ihre Bitte herbeigeführt nach dem Willen des himmlischen Vaters.

Der Vollzug des Wunders wird nicht beschrieben. Er erfolgt durch einen einfachen Willensakt. Jesus bewirkt eine wahre Wandlung des Wassers in Wein, eine Transsubstantiation, eine Wesensverwandlung. Kein Wort fällt, keine Handlung wird erzählt, das Wunder geschieht ohne Kunstgriffe und Praktiken. Alle Zaubertricks, alle schamanenhaften Anstrengungen fehlen. Es genügt, dass er will. Wenn er will, geschieht, was er will. So ähnlich ging es ja bei der Heilung des Aussätzigen zu. Dieser kam, fiel vor Jesus nieder und sagte zu ihm: „Wenn du willst, kannst du mich heilen. Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“ Jesus streckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach: „Ich will: Sei rein!“ Und der Aussatz wich von ihm. Der Wille Jesu ist der Wille Gottes. Dieser Wille hat am Anfang der Welt geboten: „Es werde Licht!“ Und es ward Licht. Jetzt gebietet dieser Wille, dass Wasser zu Wein wird, und es geschieht.

Meine Freunde, ich spreche zu Gläubigen. Diese wunderbare Wandlung geschieht noch heute. Wenn Gott will, dass ein Priester die Worte der Wandlung spricht, dann geschieht die Wandlung. Wenn er sagt: „Das ist mein Leib“, dann wird es tatsächlich sein Leib. Wenn er sagt: „Das ist mein Blut“, dann wird es tatsächlich sein Blut.

Jesus wirkte das Wunder in Kana als erstes und offenbarte dadurch seine Herrlichkeit, d.h. seine göttliche Macht und sein göttliches Wesen, und stärkte und vermehrte dadurch den Glauben seiner Jünger. Johannes bezeichnet die Wunder Jesu immer als „Zeichen“. Das bedeutet zweierlei. Einmal besagt es: Die Wunder zeigen – Zeichen! – auf Jesu göttliche Sendung hin. Sie zeugen für seine Sendung, und sie beweisen sie. Er sagt es ja selbst den Juden: „Die Zeichen, die Werke, die ich im Namen meines Vaters wirke, die geben von mir Zeugnis. Wenn ihr meinen Worten nicht glaubt, so glaubt doch wenigstens meinen Zeichen.“ So haben auch die Großen unseres Glaubens immer die Wunder Jesu verstanden, als Zeichen seiner Macht und seiner Größe. Der heilige Augustinus hat einmal das schöne Wort gesagt: „Ich wäre kein Christ ohne die Wunder.“

Zum anderen besagt das Wort „Zeichen“: Die Wunder Jesu deuten hin auf eine höhere Wirklichkeit. In Kana geschieht mehr, als dass nur einer Hochzeitsgesellschaft aus der Verlegenheit geholfen wird. Hier kündigt sich eine neue Heilsordnung an. Das Wasser versinnbildet den Alten Bund, der Wein den Neuen Bund, den Bund im Blute Christi, den Bund, der durch den Wein, das Element des eucharistischen Opfers, dargestellt wird. An die Stelle des Wassers der jüdischen Reinigungsriten tritt das Blut, das Christus am Kreuze vergossen hat und das auf den Altären des Christentums gegenwärtig wird, zur Tilgung der Sünden vergossen am Kreuze zur Erlösung der Welt.

Solche Zeichen hat Jesus auch sonst gewirkt. Denken wir an die Brotvermehrung. Da hat er Hungrige gesättigt. Aber das war eben mehr als eine Speisung, es war die Offenbarung, dass Jesus das wahre Lebensbrot spendet, ja selber ist. Ein Zeichen. Bei der Heilung des Blinden wurde wiederum ein solches Zeichen gewirkt. Dadurch zeigte Jesus, dass er das Licht der Welt ist. Er macht hell. Bei dem Blinden, indem er die Augen öffnete; bei all seinen Nachfolgern, indem er das Herz von seiner Blindheit befreit. Und schließlich als er den Lazarus auferweckte, gab er wiederum ein Zeichen. Er offenbarte sich als den Herrn über Leben und Tod. Er zeigte, dass er wahrhaftig der Lebensbringer ist. Diese Wunder sind wirklich geschehen, sie sind keine literarischen Fiktionen, aber das äußere Geschehene ist gefüllt mit einer hohen Bedeutung. Die Taten, die Jesus setzte, verkünden das Wesen dessen, der sie erschaffen hat. Und deswegen haben die Menschen auch entsprechend reagiert, nämlich mit Staunen, mit Erschrecken, mit Furcht, mit Fassungslosigkeit. Als Jesus über den See wandelte, erschraken die im Schiff befindlichen Jünger. Er stieg zu ihnen ein, und der Wind legte sich. Wie schreibt jetzt der Evangelist: „Sie aber gerieten vor Staunen ganz außer sich.“ Ähnlich war es, als er den Gelähmten heilte. „Steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause.“ Und der Gelähmte stand auf, nahm sein Bett und ging nach Hause. Da gerieten alle außer sich, priesen Gott und sprachen voll Furcht: „Wir haben heute unglaubliche Dinge gesehen.“

Nach der Absicht Jesu sollen die Zeichen den Glauben derer, die sie erleben, wecken und stützen. Bei den Jüngern ist dies der Fall. Der Glaube der Jünger, der ja schon anfanghaft vorhanden gewesen sein mußte, sonst wären sie nicht seine Jünger, wurde durch dieses Wunder gestärkt. Und das ist notwendig. Meine lieben Freunde, man hat den Glauben nicht wie einen toten Besitz, wie ein erworbene Sache. Der Glaube muss immer neu erweckt, vertieft, verlebendigt werden. Auch der Glaubende muss immer neu glauben lernen. Er muss aus dem Glauben leben, er muss nach dem Glauben leben, er muss im Glauben leben. Ich habe es an dieser Stelle schon mehr als einmal gesagt: Die Krise der Gegenwart ist eine Krise des Glaubens. Weil die Menschen nicht mehr glauben, sind sie gleichgültig gegen die Religion. Weil sie nicht mehr glauben, gehen sie nicht in die Kirche. Weil sie nicht mehr glauben, finden sie nicht den Weg zum Priestertum. Es liegt letztlich alles am Glauben. Und wenn die Bischöfe noch so verzweifelt sich an Strukturmaßnahmen und Organisationsregeln klammern, das ist alles für die Katze. Wenn der Glaube nicht geweckt und vertieft wird, dann können wir einpacken.

Der Unglaube liegt immer auf der Lauer, die Menschen an sich zu reißen. Und so auch bei dem Wunder von Kana. Der Unglaube versucht einmal, das Wunder abzuschwächen. Ach, was kann man da alles lesen! Die einen sagen, Jesus habe den Hochzeitern einen langjährigen Vorrat gestiftet, den man jetzt herbeigebracht hat. Andere behaupten, nur die Oberschicht des Wassers sei zu Wein geworden – immerhin, immerhin! Eine dritte Gruppe von Erklärern spricht davon, es habe eine Sinnestäuschung vorgelegen, eine suggestive Sinnestäuschung. Die letzte Schar meint, der Erzähler habe die Menge des Weins übertrieben. Das alles sind keine Auskünfte, sondern Ausflüchte!

Aber es gibt dann auch zweitens radikale Ungläubige, die sagen: Das Wunder von Kana ist überhaupt nicht geschehen. Das, was da berichtet wird, ist eine literarische Erfindung, die durch ihre Unanschaulichkeit, ja Unwirklichkeit sich als solche kundgibt – so habe ich gelesen in Kommentaren. Sie finden die Herren Erklärer und die Damen Erklärer, es gibt nämlich auch solche, die Herren und die Damen Erklärer finden Unklarheiten und Fragen, die sich nicht beseitigen oder beantworten lassen. Nach der Meinung dieser theologischen Besserwisser hätte Jesus den Anfang seiner Wunder auf andere Weise machen müssen. Meine lieben Freunde, wir müssen es Gott überlassen, wann und wie er handelt. So hoch, wie der Himmel über die Erde ist, so hoch sind Gottes Gedanken über der Menschen Gedanken. Gott ist für Überraschungen gut.

Es ist falsch, zu sagen, die Zeitgenossen Jesu oder die Menschen der Antike seien ohne weiteres bereit gewesen, eine derartige Erzählung für bare Münze zu nehmen, ein Zweifel am Erzählten sei ihnen nicht gekommen. Das ist ganz falsch. Das Unvergleichliche, das Unerhörte, das Ungeheuerliche des Vorgangs, das hier berichtet wird, ist den Menschen von damals genauso vorgekommen wie uns. Die Schwierigkeiten, die diese Erzählung dem Denken bereitet, waren den Menschen der Antike nicht geringer als uns.

Aber es gibt einen Ausweg aus diesen Schwierigkeiten. Was am schwersten zu begreifen ist, das ist nicht das Wunder von Kana, sondern das ist die Menschwerdung Gottes. Dass der Unsichtbare sichtbar wird, dass die Wirklichkeit Gottes sich mit der Wirklichkeit des Menschen verbindet, das ist das wahrhaft Unerhörte. Wer an die Menschwerdung Gottes glaubt, für den bietet das wunderbare Handeln Jesu überhaupt keine Schwierigkeit. Aus der Menschwerdung Gottes ergibt sich alles andere. Wenn Gott auf die Erde kommt, dann geschehen eben Dinge, die unerhört sind, da gibt es eben etwas, was nicht vergleichbar ist, da staunen die Zeugen und sind fassungslos. Als Jesus auf dem Meere wandelte, da entsetzten sich die Jünger. Vollkommen richtig. Als er ein zwölfjähriges Mädchen aus dem Tode rief, da waren die Zeugen des Geschehens bestürzt. Natürlich. So handelt eben Gott, wenn er auf die Erde kommt. Er handelt so, dass die Menschen erschrecken und erbleichen.

Das Wunder von Kana erklärt sich einzig und allein aus der göttlichen Würde dessen, der es bewirkt. Die Jünger folgerten aus dem Wunder das göttliche Wesen Jesu. Und das tun auch wir. Wir wollen uns den Menschen anschließen, die als Augenzeugen der Heilung des Gichtbrüchigen das Wunder beobachtet haben. Als sie das Wunder sahen, da gerieten sie außer sich und sagten: „So etwas haben wir noch nie gesehen.“ Und schließen wir uns dem Petrus an, der zu Jesus gesagt hat: „Wir haben geglaubt und bekannt, dass du der Heilige Gottes bist.“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt