6. November 2005
Die Kirche als die Gemeinschaft der Heiligen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Alle Seelen, die in Christus verbunden sind, sind auch untereinander verbunden. Es gibt eine Gemeinschaft der in Christus Zusammengehörigen, die ins Jenseits hineinreicht. Der Tod scheidet uns nicht von Christus und nicht voneinander. Die im Gnadenstand befindlichen Seelen stehen alle miteinander in Verbindung. Sie tragen einander, ja sie wohnen ineinander, kann man fast sagen. Sie teilen miteinander ihre Schätze und Kräfte. Alles, was mein ist, ist dein, und alles, was dein ist, ist mein. Diese heilige Gemeinschaft umschließt drei Kreise. Der erste Kreis besteht aus denen, die noch auf Erden kämpfen, ringen mit den Feinden des Heiles, mit dem Satan und der Welt, und diese nennt man die streitende Kirche. Dazu kommen die Seelen, die bereits den Kampf bestanden haben, die aber noch von Makeln, die ihnen anhaften, gereinigt werden müssen. Wir nennen sie die leidende Kirche. Und schließlich gibt es Menschen, die bereits in die Seligkeit eingegangen sind, die an der Herrlichkeit Gottes teilnehmen. Wir nennen sie die triumphierende Kirche. Die streitende, die leidende und die triumphierende Kirche bilden zusammen die Gemeinschaft der Heiligen. Es gibt wenige Dogmen, Glaubenslehren der Kirche, die so tröstlich sind wie dieses Dogma von der Gemeinschaft der Heiligen. Denn sie sind alle mit Christus und untereinander verbunden, sie helfen und trösten einander.
An erster Stelle die streitende Kirche auf Erden. Auch zwischen ihren Gliedern besteht ein innerlicher Austausch, ein gegenseitiges Sich-Tragen. Kein gutes Werk geschieht, das nicht einem anderen zugute kommt. Alle mit Christus verbundenen Gläubigen nehmen teil an allen guten Werken, an allen Gebeten und an allen Messopfern. Wir wissen ja, in jeder Stunde stehen Tausende von Priestern am Altar und bringen das große Messopfer dar. Und aus diesem Messopfer strömen Gnadenquellen zu den Menschen, und jeder, der aufgeschlossen und bereit ist, sie anzunehmen, wird von ihnen ergriffen. Wir haben an allen heiligen Messopfern teil, die auf der ganzen Erde gefeiert werden. Aber nicht nur das. Wenn irgendwo ein Kranker im Geiste Christi leidet, wenn irgendwo im Urwald oder in der Savanne ein Missionar seine schweren Wege geht, wenn irgendwo ein Mütterlein seine zerarbeiteten Hände faltet im Gebet, dann kommt all das den anderen zugute. Und würde einer nur einen Trunk kalten Wassers einem Schmachtenden reichen, das würde einem jeden nützen. Alle Lampen brennen heller, wenn der Strom in sie eindringt. Und so ist es auch mit dem übernatürlichen Gnadenstrom im wunderbaren Leibe Christi, dieser herrlichen Gemeinschaft, die wir die Gemeinschaft der Heiligen nennen. All mein Beten und mein Opfern kommt den anderen zugute, so wie deren Gebet und Opfer mir zunutze ist.
Jetzt müssen wir aber fragen: Ja, wer gehört denn zu dieser streitenden Kirche? Welches sind ihre Mitglieder? Wir müssen unterscheiden zwischen einer rechtlichen und einer gnadenhaften Zugehörigkeit zur Kirche – rechtlich und gnadenhaft. Man kann rechtlich zur Kirche gehören, ohne gnadenhaft zu ihr zu gehören, und man gnadenhaft zur Kirche gehören, ohne rechtlich zu ihr zu gehören. Die volle Mitgliedschaft ist immer eine doppelte, eine rechtliche und eine gnadenhafte.
Wer gehört rechtlich zur Kirche, so dass man es also sehen kann? Erstens, wer die Taufe empfangen hat, zweitens, wer den rechten Glauben bekennt, und drittens, wer sich unter der kirchlichen Hierarchie befindet. Das sind drei Merkmale, die immer zusammentreffen müssen, wenn eine volle rechtliche Zugehörigkeit zur Kirche gegeben sein soll. Dazu kommt die gnadenhafte Zugehörigkeit. Sie besteht darin, dass man im Zustand der heiligmachenden Gnade ist, die grundgelegt wird in der Taufe und wiederhergestellt wird im Bußsakrament. Aber der Kreis derer, die gnadenhaft zur Kirche gehören, deckt sich nicht mit jenen, die rechtlich zur Kirche gehören. Also denken wir etwa an andersgläubige Christen, die wirklich sich bemühen, ihren (wenn auch irrigen) Glauben zu leben, die durch die Taufe mit Christus verbunden sind und ohne Schuld – ohne Schuld! – die wahre Kirche Christi nicht erkennen und sich bemühen, nach ihrem Gewissen zu handeln. Diese sind gnadenhaft in der Kirche. Sie sind nicht rechtlich in der Kirche, denn sie haben ja nicht den rechten Glauben, und sie unterstellen sich auch nicht der Hierarchie der Kirche. Aber sie sind gnadenhaft in der Kirche. Das ist das Wort, das der heilige Augustinus gesprochen hat: „Es gibt viele, die drinnen scheinen und draußen sind, und viele, die draußen scheinen und in Wirklichkeit drinnen sind.“ Zu diesen Leuten, die gnadenhaft zur Kirche gehören können, können sogar Ungetaufte gehören. Wenn sie lauteren Wollens sind, wenn sie der Stimme ihres recht erkannten Gewissens folgen, wenn sie in ehrlicher Gesinnung leben und Liebesreue haben, dann können auch Ungetaufte gnadenhaft zur Kirche gehören. Sie sind dann eben auch Kinder Gottes.
Man hat in den letzten Jahrzehnten versucht, den Satz „Außerhalb der Kirche ist kein Heil“ aus den Angeln zu heben. Meine lieben Freunde, dieser Satz ist gestern wie heute gültig. Außerhalb der Kirche kein Heil! Man muss nur fragen, was er bedeutet. Er besagt, dass in der gegenwärtigen Heilsordnung alle Erlösungsgnaden nur im Hinblick auf Christus und die Kirche gespendet werden. Alle Erlösungsgnaden werden nur im Hinblick auf Christus und die Kirche gespendet. Das heißt: Alle, die gerettet werden, müssen wenigstens innerlich – voto, wie das lateinische Wort heißt, durch ihren Wunsch – zur Kirche Christi gehören. Das eben habe ich auseinandergesetzt: Es gibt eine gnadenhafte Zugehörigkeit zur Kirche, die den Grundsatz: „Außerhalb der Kirche kein Heil“ nicht aufhebt, sondern bestätigt. Der Satz „Außerhalb der Kirche kein Heil“ sagt eben nicht, wer gerettet wird, sondern wodurch wir gerettet werden, nämlich durch Christus und seine Gnade, die in der Kirche bereitgestellt ist.
Nun kann man sich freilich von der Kirche trennen. Die rechtliche Zugehörigkeit kann verloren gehen. Sie geht nur durch zwei schwere Verfehlungen verloren, nämlich entweder dass man zur Häresie abfällt oder dass man in ein Schisma gleitet. Häresie und Schisma sind die einzigen Möglichkeiten, wie man die Kirchengliedschaft verlieren kann. Häresie besteht darin, dass man einen mit Glaubenszustimmung anzunehmenden Satz leugnet. Schisma besteht darin, dass man sich weigert, dem Papst und den anderen Gliedern der Kirche sich zu unterwerfen. Da verstehen Sie jetzt auch, meine lieben Freunde, was es bedeutet, wenn jemand, wie man heute sagt, seinen Kirchenaustritt erklärt. In Budenheim gibt es Hunderte von dieser Sorte, Hunderte, die den Kirchenaustritt erklärt haben. Der Kirchenaustritt ist eine bürgerliche Angelegenheit. Er beendet für den Staat – für den Staat! – die Mitgliedschaft in der Kirche, so dass man keine Kirchensteuer mehr zu bezahlen braucht. Aber kirchenrechtlich und dogmatisch ist der Kirchenaustritt nach den Motiven zu beurteilen: Warum zieht einer aus der Kirche aus? Ich kenne einen Universitätsprofessor, der aus der Kirche ausgetreten ist, aber jeden Tag die heilige Messe besucht. Er hat also keineswegs den Glauben aufgegeben. Er will sich auch keineswegs von der Kirche trennen. Er sagt nur: „Der Konzilskirche gebe ich mein Geld nicht.“ Gott wird ihn beurteilen. Aber Sie sehen an diesem Beispiel, dass der Kirchenaustritt nicht automatisch eine Trennung vom Glauben und von der Kirche ist, sondern dass man nach den Motiven fragen muss. Verärgerung mit dem Pfarrer oder Anstoßnahme an der Kirchensteuer sind häufige Gründe. Ich habe es einmal in der DDR, in der „Deutschen Demokratischen Republik“ erlebt, wie ein Oberschlesier zu mir kam und sagte, er wolle aus der Kirche austreten. „So?“ sagte ich, „warum wollen Sie aus der Kirche austreten?“ „Ja“, sagte er, „ich bin immer hinten in der Kirche, und wenn der Pfarrer mit dem Aspergil das Weihwasser austeilt, dann krieg ich alles in die Fresse, alles in die Fresse.“ Nun ja, das war also sicher kein Grund, um aus der Kirche auszutreten.
Der Austritt aus der Kirche ist freilich ärgerniserregend. Man wird ja eben in den Steuerlisten des Staates nicht mehr geführt, und man gibt auch Ärgernis anderen Leuten. Deswegen sollte der Kirchenaustritt kein Mittel sein, um seine Verärgerung über irgend etwas zu zeigen. Es sollte vielmehr unser Bestreben sein, die Abständigen und Abgefallenen wieder in die Kirche zurückzuführen. In Chikago war vor einiger Zeit an den Anschlagssäulen groß das Bild einer Frau mit vergrämten Zügen zu sehen, und darunter standen die Worte: „Mein Kind, komme zurück zu deiner Mutter!“ Es war das letzte Mittel, das die Mutter einer leichtsinnigen Tochter erfand, um ihr Kind, das sie, durch Freundinnen verführt, um eines freien Lebens verlassen hatte, wieder zur Besinnung zu bringen und zu ihr zurückzuführen. Meine lieben Freunde, das Mutterherz hatte nicht umsonst gehofft. Die Tochter sah das Plakat und kehrte um. Und so muss uns auch die Rückkehr der Abgefallenen und Abständigen ein großes Anliegen sein. Die Budenheimer Gemeinde gilt als eine lebendige Gemeinde, und das kann man mit einem gewissen Recht bejahen. Aber eines vermisse ich in dieser lebendigen Gemeinde: das Bemühen um die Heimholung der Abständigen und Abgefallenen. Da geschieht überhaupt nichts.
Neben die streitende Kirche tritt die leidende Kirche im Fegfeuer. Die Gemeinschaft der Heiligen reicht eben über die Grenzen der Erde hinaus zu unseren leidenden Brüdern und Schwestern. „Lieber Heiland, sei so gut, lasse doch dein teures Blut in das Fegefeuer fließen, wo die Armen Seelen büßen. Ach, sie leiden bitt’re Pein, wolle ihnen gnädig sein. Höre das Gebet der Deinen, die mit Dir sich heut vereinen, und nimm die Armen Seelen doch heute in den Himmel noch.“ So beten wir ja für unsere leidenden Brüder. Wir stehen in lebendigem Austausch mit ihnen, und auch sie beten für uns, und sie beten besser als wir, denn sie sind nicht abgelenkt. Sie sind ganz sicher im Gnadenstand. Die Armen Seelen sind eigentlich reiche Seelen, denn sie haben’s geschafft; sie haben den Kampf bestanden. Sie warten jetzt nur noch auf die letzte Erhebung, und das ist schmerzlich, das Warten, ganz gewiß, aber die Armen Seelen sind gerettet. Sie helfen uns durch ihre Gebete. Sie helfen uns, und sie beten inniger als wir, und unsere Gemeinschaft reicht ins Fegefeuer. Wir beten für sie, wir bringen das Messopfer dar für sie. Nichts ist so wirksam zum Trost der Armen Seelen wie die Feier des heiligen Messopfers. Sie sind nicht fern von uns. Nur eine dünne Wand, nein, nicht einmal eine dünne Wand scheidet sie von uns. Sie sind eins mit uns in Christus. „Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit“, sagt der Apostel Paulus. Das soll auch für uns gelten und für die Sorge für die Armen Seelen. „Lieber Heiland, nimm die Armen Seelen heute doch in den Himmel noch.“
Und schließlich gibt es die triumphierende Kirche. Das sind diejenigen, die bereits voll an der Herrlichkeit Christi teilnehmen. Sie sind in der Vollendung; sie sind verklärt. Sie sind und bleiben unsere Brüder und Schwestern. Sie sind Glieder am selben Leibe des Herrn wie wir. Auch sie stehen in lebendiger Verbindung mit uns, und da gilt das Wort: Wenn ein Glied sich freut, freuen sich alle Glieder. Wir sind Teilnehmer an ihrem Triumphe, wir freuen uns mit ihnen, und wir haben teil an ihren Werken. Was Petrus und Paulus, was Johannes und Andreas, und was all die anderen getan haben, verdient haben, an Früchten gesammelt haben, das kommt uns zugute, ihre Verdienste, ein gewaltiger Schatz, der uns allen offen steht, denn sie sind Glieder am selben Leibe. Auf ihr Gebet hin wird Gott noch mehr als auf unser eigenes Bitten allein seine Gnaden austeilen an alle Glieder am mystischen Leibe. Das ist das herrliche Geheimnis unserer Kirche: Gottes Reich und Gottes Haus, fortwirkender Christus, Christi Leib und Gemeinschaft der Heiligen.
Diese Kirche ist Christi Werk und Werkzeug des Heiligen Geistes, der in ihr die Heiligung der Welt betreibt. Dieser Kirche, meine lieben Freunde, wollen wir allen Unzulänglichkeiten zum Trotz die Treue halten. „Katholisch bin und bleibe ich, nichts soll mich von der Kirche trennen. Sie ist mir Mutter, liebet mich. Froh will ich ihr Kind mich nennen.“
Amen.