3. Februar 1991
Die Vorzeichen der Wiederkunft des Herrn
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Der Wiederkunft Jesu gehen Vorzeichen voraus. Wir haben am vergangenen Sonntag zwei dieser Vorzeichen kennengelernt, nämlich die Drangsale, die über die Kirche kommen, und das Erscheinen des Antichristen. Es bleiben uns heute drei weitere Vorzeichen zu bedenken. Es sind die folgenden:
1. die Verkündigung des Evangeliums auf der ganzen Erde,
2. die Bekehrung des jüdischen Volkes und
3. das Chaos in der Welt.
Das erste Vorzeichen ist die Verkündigung des Evangeliums auf der ganzen Erde. Christus wird nicht eher kommen, als bis die ganze Öffentlichkeit der Erde das Evangelium vernommen hat. Es muß allen Völkern gepredigt werden. Es wird also, wenn der Herr kommt, nur Freunde oder Feinde geben. Die einen werden ihn begrüßen als den König, der endlich die Seinen rettet, die anderen werden in ihm den Gegner sehen, der ihre mit Lüge und Gewalt aufgerichtete Macht beenden wird.
Das Evangelium muß allen Völkern verkündigt werden, d.h. nicht jedem einzelnen. In den Völkern muß die Botschaft kundgeworden sein, denn der einzelne vernimmt sie durch das Volk, in der Gemeinschaft des Volkes und in der Verbindung mit seinem Volk. Es ist also nicht erforderlich, damit diese Verheißung erfüllt ist, daß jeder einzelne diese Botschaft vernommen hat. Wir wissen freilich nicht, wie groß und wie geformt eine Gemeinschaft sein muß, damit das von Christus gebrauchte Wort „Volk“ erfüllt ist. Ob es nur die entscheidenden Völker dieser Erde sind oder ob jede Menschengruppe innerhalb eines großen Volkes von dieser Botschaft Kenntnis erlangt haben muß, ist uns nicht geoffenbart. Wir wissen nur soviel: Christus kommt nicht eher, als bis die ganze Öffentlichkeit der Erde seine Botschaft in irgendeiner Weise vernommen hat. Es ist auch nicht gesagt, daß, wenn dieser Zustand eingetreten ist, sofort die Wiederkunft geschieht. Wir wissen nicht, wieviel Zeit noch verstreichen kann zwischen der Verkündigung des Evangeliums auf der ganzen Erde und der Wiederkunft Christi. Deswegen läßt sich auch nicht mit völliger Gewißheit sagen, ob dieser Zustand jetzt schon erreicht ist. In einem gewissen Sinne kann man ja sagen, daß das Evangelium heute die ganze bewohnte Erde erreicht hat. Aber ob die Völker, die von der Botschaft des Evangeliums erfahren haben, den Begriff Volk erfüllen, wie ihn unser Herr und Heiland meint, das ist uns nicht geoffenbart.
Das zweite Vorzeichen ist die Bekehrung des jüdischen Volkes. Wenn man das jüdische Volk und seine Geschichte betrachtet, dann erkennt man, daß man es nicht mit den Maßen messen kann, mit denen man sonst die Völker und ihre Geschichte mißt. Dieses Volk ist ein einzigartiges Volk, zerstreut auf der ganzen Erde, zerteilt unter alle Völker und doch nicht aufgehend in diesen Völkern, vielmehr seine Eigenart bewahrend unter diesen Völkern; ein Volk, ständig bedroht und bedrängt, und doch nicht ausgelöscht. Das Volk Israel kann man nicht mit politischen Kategorien beurteilen, es kann nur mit theologischen Maßstäben gemessen werden.
Das Volk Israel war das auserwählte Volk. Gott hat es vor Jahrtausenden erlesen, um das Kommen des Erlösers vorzubereiten. Und als er dann kam, hat er einer Jungfrau aus diesem Volke die Gnade gewährt, den zu gebären, der sein Volk und alle Völker erlösen sollte. Es ließ sich zunächst nicht schlecht an. Jesus hatte große Erfolge mit seiner Predigt und mit seiner Wundertätigkeit errungen, die Massen hingen an ihm. Freilich haben sie den Kern seiner Botschaft nicht erfaßt. Sie haben seine Verheißungen auf das Politische abgedrängt und waren für den religiösen Anspruch seiner Verkündigung wenig empfänglich. Dennoch hörten sie ihn gern. Es war, wie die Führer des Volkes meinten, ein Erfolg seiner Predigt, daß das ganze Volk ihm nachlief, so daß die Führer es mit der Angst zu tun bekamen, daß er nämlich ihnen den Rang ablaufen könnte. Deswegen faßten sie den Plan, sein Ansehen zu untergraben und ihn zu beseitigen. In verschiedenen Ansätzen haben sie versucht, Jesus um seinen Nimbus zu bringen und schließlich dem Tode zu überliefern. Freilich mußte erst ein Umschwung der öffentlichen Meinung herbeigeführt werden. Man kann sich vorstellen, wie die Hetzer und Wühler gearbeitet haben, um Jesus in Mißkredit zu bringen. Der entscheidende Tag war dann jener, als Jesus gefangengenommen worden war und Pilatus in seiner Unsicherheit dem Volke einen stadtbekannten Mörder, den Barabas, und Jesus zur Wahl stellte, wen es frei haben wollte. Und Barabas war offensichtlich eine populäre Figur. Das Volk entschied sich für diesen Mörder. Und so wurde Jesus zu Tode gebracht. „Nicht diesen, sondern Barabas gib uns frei!“ Damit hat das Volk – jedenfalls das beteiligte Volk – dem Tun seiner Führer zugestimmt, damit hat es die Schuld des Gottesmordes auf sich geladen. Da hat es das furchtbare Wort gesprochen: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ Und dieser Fluch, der seitdem über dem Volke ruht, ist in der Geschichte immer wieder zu beobachten. Ein Volk, das nicht leben, aber auch nicht sterben kann; ein Volk, das immer verfolgt ist, und sich doch immer wieder aufrichtet. Paulus, der ja selbst ein Jude war, hat unter dem Schicksal seines Volkes auf das schmerzlichste gelitten. Aber er wußte, daß dieser Fluch einmal zu Ende gehen würde. Zunächst weist er – im Römerbrief – darauf hin, daß nicht das ganze Volk verworfen wurde. Es blieb ein Rest, ein heiliger Rest. Er selber ist das beste Beispiel dafür, daß es eben Angehörige des israelitischen Volkes gab, die die Botschaft Jesu gehört und angenommen haben. Aus dem alten Gottesvolke wuchs ein Wurzelschoß, und dieser Wurzelschoß waren die bekehrten Juden. Die Apostel waren alle aus dem jüdischen Volke hervorgegangen. „Und dieser Wurzelschoß wächst empor, und auf ihn“ – Paulus spricht wie ein Gärtner – „werden aufgepropft die Heiden als die neuen Zweige.“ Also das Gottesvolk aus Juden und Heiden hat eine Wurzel, und das sind die Juden. Aber es hat viele Zweige wie ein gewaltiger Ölbaum, und das sind die Heiden, die sich zum Heiland bekehren.
Das ist also die erste trostreiche Wahrheit, die uns Paulus über sein Volk vermittelt. Nicht das ganze Volk ist verworfen, sondern ein heiliger Rest bleibt. Aber dann hat er eine weitere Hoffnung: „Wenn die Vollzahl der Heiden eingegangen ist in die Kirche, dann wird sich auch Israel bekehren.“ Einmal wird die Binde über den Augen des Herzens dieses Volkes hinweggenommen werden, und dann wird es seinen Erlöser erkennen, dann wird sich das erfüllen, was die Kirche immer wieder in der heiligen Messe betet und was zurückgeht auf ein Wort des Heilandes: „Jerusalem, Jerusalem, du steinigst die Propheten und tötest, die zu dir gesandt sind. Dein Haus wird dir öde gelassen werden, und ihr werdet mich nicht mehr sehen, bis ihr rufen werdet: 'Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!'„ Diesen Ruf spricht die Kirche in jeder heiligen Messe aus, nämlich im Sanktus. „Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Und dieser Ruf ist zugleich ein Hoffnungsruf für Israel. Einmal wird Israel, wenn der Fluch von ihm genommen ist und der Segen Gottes über ihm wirksam ist, wenn die Verheißungen Gottes sich auch an ihm erfüllen, in diesen Ruf einstimmen und sagen: „Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Eher wird die Wiederkunft Christi nicht geschehen.
Allerdings bleiben auch hier Unsicherheiten. Wir wissen nicht, wie viele Juden sich bekehren müssen, damit man sagen kann, das Volk hat sich bekehrt. Ob es nur gewisse hervorragende Personen sind – zur Zeit Pius' XII. trat der Oberrabbiner von Rom zum katholischen Glauben über – oder ob es weitere Kreise sein müssen. Wir wissen es nicht. Und deswegen bleibt auch über dieser Weissagung ein Geheimnis, ist auch dieses Vorzeichen nicht mit einer letzten Stufe der Sicherheit ausgestattet.
Das dritte Vorzeichen ist das Chaos in der Welt. Wir haben am vergangenen Sonntag vom Antichristen gesprochen. Er richtet seine Ordnung – oder besser seine Pseudoordnung – auf, er schafft eine politische, wirtschaftliche, religiöse Einheit, und die Masse der Menschen stimmt ein in den Ruf: „Ein Staat, eine Wirtschaft, eine Religion!“ Aber diese Preudoordnung, die der Antichrist aufrichtet, dient nicht dem Heile der Welt, sondern ihrem Unheil. Er ist ja der Machtträger des Satans, also des Weltverderbers. Deswegen bringt er nicht das Paradies für die Welt, sondern wird zu ihrem Totengräber. Er ruft die Chaosmächte gegen die Christen auf und verfolgt die Kirche. Aber diese Chaosmächte wenden sich auch gegen ihn und seine Anhänger. Die Zerstörung, die er hervorruft, ergreift die ganze Erde und darüberhinaus die ganze Welt.
Die Chaosmächte sind zweifacher Natur. Sie sind einmal geschichtshaft und zum anderen naturhaft. Die geschichtshaften Unheilsträger werden von dem Apokalyptiker Johannes in dem Symbol der vier apokalyptischen Reiter geschildert. Der erste Reiter sitzt auf einem weißen Pferd. Er reitet von Sieg zu Sieg; er ist das Symbol des Imperialismus und des Militarismus. Er unterwirft die ganze Welt aus Herrschaftslust und bringt die Völker unter seine Knute. Der zweite Reiter sitzt auf einem feuerroten Roß. Er ist derjenige, der die Menschen zum gegenseitigen Haß animiert. Die Menschen entbrennen in Wut gegeneinander. Jeder gegen jeden, Krieg aller gegen alle, Bürgerkriege, Zerfleischung der Menschen in inneren Streitigkeiten. Der dritte Reiter sitzt auf einem schwarzen Pferd. Er ist derjenige, der Teuerung und Hunger bringt. Die Menschen haben nichts mehr, womit sie sich nähren könnten. In ihrer Verzweiflung werden sie Dinge zu sich nehmen, die für die Nahrung gar nicht geeignet sind. Und schließlich der letzte und furchtbarste Reiter. Er sitzt auf einem fahlen, gelblich-grünen Roß. Es ist der Tod. Ein Viertel der ganzen Erde fällt unter seinen Streichen. Das sind die geschichtshaften Unheilsmächte, die vom Antichristen in Bewegung gesetzt werden, hinter dem letztlich der Satan steckt.
Dazu kommen die naturhaften Unheilsmächte. Gewaltige Zeichen auf der Erde und im Weltall ereignen sich. Die Sterne stürzen vom Himmel, das Meer verfärbt sich und erhebt ein gewaltiges Rauschen, Stürme toben, Erdbeben erschüttern den Boden. Ein furchtbares Chaos setzt auf der Erde ein. Und was das Schlimmste ist: Es werden von diesen naturhaften Unheilsmächten auch die Bäume betroffen. „Und die Bäume wurden versengt, und alles grüne Gras verbrannte.“ Bäume und Gras, das ist Leben, das ist Hoffnung auf Leben. Und wenn das alles vernichtet wird, dann ist der Tod besiegelt. Denn ohne Bäume und ohne Gras und ohne Pflanzen kann der Mensch nicht existieren. Die Menschen werden ob dieser Unheilsmächte vergehen. „Und die Könige der Erde, die Fürsten und Befehlshaber, die Reichen und die Mächtigen, die Sklaven und die Freien versteckten sich in den Höhlen und Felsklüften der Berge. Und sie sagten zu den Bergen und den Felsen: 'Fallet über uns und verberget uns vor dem Angesichte dessen, der auf dem Throne sitzt und vor dem Zorne des Lammes. Denn gekommen ist der große Tag ihres Zornes, und wer kann da bestehen?'„ Jetzt ist es mit ihrer Selbstsicherheit dahin, jetzt suchen sie sich zu verbergen. Aber niemand entgeht dem Zorngerichte Gottes.
Wer dieses Unheil herausfführt, ist der Antichrist, und er ist der Dienstmann Satans. Aber auch Satan steht ja letztlich wieder im Dienste Gottes, und Gott bezweckt mit diesen Plagen die Bekehrung der Menschen. Er versucht ein letztes Mal, die Menschen zur Umkehr zu bewegen. Wenn sie es in der Periode der Langmut Gottes nicht geschafft haben, dann sollen sie es wenigstens unter dem Zorn Gottes schaffen, daß sie Gott erkennen und ihm folgen und sich unterwerfen. Aber auch dieser letzte Appell verhallt ungehört. Die Menschen bekehren sich nicht. Zuerst haben sie Gott ignoriert und ihn verspottet, und jetzt entbrennen sie in Wut gegen Gott, weil er sich nicht verspotten läßt. Dieses Chaos ist das letzte und furchtbarste Vorzeichen und schon die Einleitung des Weltendes.
Meine lieben Christen! Die Vorzeichen, die Gott uns geoffenbart hat, haben eine große Bedeutung. Sie sollen uns in der Wachheit des Herzens erhalten. Wir spähen die grauen Horizonte ab, ob sie erfüllt sind, und das ist unser gutes Recht, das ist unsere Pflicht. In einem gewissen Sinne kann man nämlich sagen, daß jede Zeit und jede Generation vermuten kann, daß die Vorzeichen in ihr schon erfüllt sind. So haben die Menschen des 1. Jahrtausends, so haben die Menschen im 16. Jahrhundert gemeint, die Vorzeichen seien erfüllt, und das Kommen des Herrn stehe bevor. Das ist keine Täuschung, sondern das ist ein Ernstnehmen der Verheißungen Christi gewesen. Und deswegen müssen auch wir uns fragen: Ist es nicht soweit, wie der Herr uns geoffenbart hat? Wir wissen nicht, wieviel Zeit noch vergeht zwischen dem Eintreten der Vorzeichen und der Wiederkunft Christi. Ja, wir können auch nicht mit letzter Sicherheit sagen, jetzt sind die Vorzeichen erfüllt, und trotzdem verlieren die Vorzeichen nicht ihre Bedeutung. Sie gestatten uns, das Weltgeschehen im Lichte der Ereignisse, die Christus angekündigt hat, zu sehen. Die Katastrophen und Zusammenbrüche, die wir erleben, sind also nicht zufällige Unfälle. Es sind das vielmehr Warnzeichen, die Gott aufrichtet. Gott spricht durch die Katastrophen und Zusammenbrüche auf der Erde zu uns.
Als im vorigen Jahre die DDR sich an die Bundesrepublik anschloß, als in der Sowjetunion der Militarismus abzubröckeln begann und der führende Mann einen Kurs des Friedens zu steuern schien, da bemächtigte sich vieler die Meinung: Also, jetzt ist der endgültige Friede gekommen, jetzt können wir die Bundeswehr abschaffen, jetzt können wir die Gewehre vergraben, denn jetzt kommt kein Krieg und kein Unheil mehr. Die das gemeint haben, sind Menschen, die den Glauben nicht kennen. Es sind Menschen, die von der Offenbarung nichts wissen. Es sind Menschen, die von der Apokalypse des heiligen Johannes nichts gehört haben. Wir Sehenden wissen es besser: Solange die Menschen auf dieser Erde sind, wird es Kampf und Krieg und Tod geben, und es wird gegen Ende nicht besser, sondern schlimmer werden.
Die Vorzeichen, die uns der Herr geoffenbart hat, bewahren uns vor der Illusion, an einen ewigen Frieden zu glauben. Sie bewahren uns vor der Meinung, wir könnten uns gesichert und beruhigt auf dieser Welt einrichten. Sie bewahren uns vor der Ansicht, es werde einen ständig steigenden Fortschritt geben. Nein, meine lieben Christen, so ist es nicht. Die von Christus uns mitgeteilten Vorzeichen seiner Wiederkunft mahnen uns, nüchtern und wachsam die Horizonte abzuspähen nach dem ersten Schimmer seines Lichtes. Sie mahnen uns, diese Welt und diese Zeit auszukaufen, d.h. die Zeit zu benutzen, um für Gott und seine Sache zu arbeiten. „Brüder, kaufet die Zeit aus, denn die Tage sind böse!“
Amen.