5. Juni 1995
Das geheimnisvolle Wirken des Geistes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Endlich wird noch der Geist aus der Höhe auf uns ausgegossen werden.“ So hatten die Propheten des Alten Bundes verkündet. Einmal wird der Geist aus der Höhe auf die, die aufnahmebereit sind, ausgeschüttet werden. Diese Ausgießung des Geistes wurde von den Propheten in doppelter Weise verstanden, einmal in der Gegenwart als innerliche Erneuerung des Herzens durch eben diesen Geist und zum anderen als ein wunderbares Geschehen in der Endzeit. Jesus hat diese Verheißung aufgenommen, und in der Urzeit der Kirche hat sie sich erfüllt. Als Bestätigung der alttestamentlichen Prophetien und als schöpferischer Neuanfang ist der Geist über die ersten Christen ausgegossen worden. Die Urkirche wußte sich vom Geiste bewegt und getragen; und sie führte ihre Bewegung und ihr Getragenwerden auf die Ausgießung am Pfingstfeste zurück.
Am Pfingstfeste und noch geraume Zeit danach erschien der Geist den Menschen nicht nur, indem er die Herzen reinigte, sondern indem er auch äußere Wirkungen hervorbrachte. Wir haben am Pfingsttag gehört von Sturmesbrausen, von Feuerflammen, von Sprachengaben. Es muß noch eine graume Zeit so gewesen sein, daß sich die Mitteilung des Geistes unter unerhörten äußeren Erscheinungen vollzog, bis der Glaube befestigt und die Kirche gegründet war. Dann freilich haben diese besonderen Bezeugungen des Geistes aufgehört. Das ist für manchen ein Anlaß, im Glauben unsicher zu werden. Er fragt: Wo sind denn heute die Wirkungen des Geistes? Wo sind sie greifbar? Wo sind sie faßbar? Wo sind sie erfahrbar?
Wir sind bezüglich der göttlichen Wirklichkeiten in der Regel auf den Glauben verwiesen. Der Glaube aber ist die Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht, die Zuversicht auf das, was man erhofft. Normalerweise liegen die Gnade und das Wirken des Heiligen Geistes in Seinsgründen, die der Erfahrung nicht zugänglich sind. Wir wissen nicht einmal mit absoluter Gewißheit, ob wir selbst im Gnadenstande sind. Wir dürfen und sollen es hoffen. Wir werden gleich sehen, daß es Anzeichen dafür gibt. Aber eine absolute Glaubensgewißheit dafür, daß wir im Zustand der heiligmachenden Gnade sind, gibt es nicht. Die Kirche ist eben zunächst einmal ein äußeres Gebilde. Der Glaube wird verkündet, die Sakramente werden gespendet: das sind äußere Vorgänge. Und dabei kommt es nicht einmal so sehr auf die Würdigkeit oder Unwürdigkeit des Verkündigers oder des Spenders an. Wenn die Wahrheit richtig verkündet wird, ist es nicht entscheidend, ob der Verkündiger im Stande der heiligmachenden Gnade ist oder nicht. Und wenn die Zeichen der Sakramente richtig gesetzt werden, kann ihre Wirksamkeit nicht gehindert werden durch einen unwürdigen Spender. Auch der neuernannte Bischof von Basel spendet die Weihe gültig.
Aber selbstverständlich ist die Frage, wie es um den inneren Zustand eines Verkündigers und eines Spenders steht, nicht unwichtig. Wenn auch die Wirksamkeit der Sakramente durch die Würdigkeit des Spenders nicht wesentlich gesteigert und durch seine Unwürdigkeit nicht wesentlich gehemmt werden kann, so müssen wir doch sagen: Normalerweise sollen äußeres Geschehen und innere Verfaßtheit zusammentreffen. Und deswegen ist es wünschenswert und manchmal sogar notwendig, zu prüfen, ob äußeres Geschehen und innere Wirklichkeit übereinstimmen. Aber noch einmal: Die Gnade ist zunächst einmal eine nicht erfahrbare Wirklichkeit. Der Mensch hat ja von Natur aus schon eine Verwiesenheit auf Gott, ein transzendentes Bedürfnis; und diese natürliche Verwiesenheit auf Gott läßt sich nicht adäquat und empirisch unterscheiden von der übernatürlichen Teilnahme am inneren Leben Gottes in der Gnade. Gnade ist jede innere übernatürliche Gabe, die uns Gott zu unserem Heile verleiht. Die Gnade kann nicht gemessen, gewogen oder gezählt werden.
Dennoch ist sie nicht ganz verborgen. Es gibt Anzeichen der Gnade, es gibt die Möglichkeit religiöser übernatürlicher Erfahrungen. Die übernatürliche Wirklichkeit läßt sich im Menschen nicht unbezeugt. Zunächst einmal ist auf die drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe hinzuweisen. Daß ein Mensch in dieser materiellen Welt an den unsichtbaren Gott glauben, auf seine Gnade hoffen und ihn in Liebe umfangen kann, das ist nur erklärbar durch Gottes geheimnisvolles Wirken. Die Welt, wie sie ist, rät zu allem anderen als zu Glaube, Hoffnung und Liebe. Und wo Glaube, Hoffnung und Liebe sich befinden, da ist der Geist am Werk. Das sind Geschenke Gottes, die nur auf göttliche Wirksamkeit zurückzuführen sind. Die Begabung mit der heiligmachenden Gnade ist – noch einmal – eine unanschauliche Wirklichkeit. Aber sie macht sich bemerkbar. Ob einer im Gnadenstande ist oder nicht, das kann man mit moralischer Gewißheit an seinem Verhalten ablesen. Kein geringerer als der Apostel Paulus hat uns dafür Kriterien an die Hand gegeben, nämlich die Früchte des Geistes. „Früchte des Geistes sind Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Mäßigkeit, Enthaltsamkeit, Keuschheit.“ Und umgekehrt kann man an dem, dem der Heilige Geist abgeht, die Werke des Fleisches finden, nämlich „Unzucht, Unkeuschheit, Schamlosigkeit, Wollust, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Ränke, Spaltungen, Parteiungen, Haß, Mord, Trunkenheit, Schlemmerei und dergleichen“.
Auch andere innere Erfahrungen der übernatürlichen Wirklichkeit sind möglich. Es sind unter uns Männer und Frauen, die auf Gebetserhörungen verweisen können. Sie lassen sich diese Überzeugung nicht nehmen, und wir wollen sie ihnen nicht nehmen, daß ihr Gebet von Gott erhört worden ist. Das ist eine Erfahrung der übernatürlichen Wirklichkeit. Es gibt auch heute noch Christen, gläubige Christen, die von Liebe zu Gott entflammt sind, die keine Ruhe bei Tag und Nacht finden, weil sie wissen, daß Gottes Sache wie im Todeskampfe liegt, und die deswegen sich mühen und arbeiten und kämpfen und leiden, um, soweit es auf sie ankommt, Gott in dieser Welt Anerkennung und Ehrfurcht zu verschaffen. Es gibt auch mystische Erlebnisse wie das Gefühl der Gegenwart Gottes, mystische Erlebnisse, die nicht ohne übernatürliche Einwirkung zu erklären sind. Manche von uns haben göttliche Einsprechungen, und sie wissen genau, daß es der Geist Gottes ist, der da spricht, denn er verlangt viel von ihnen. Der Geist der Welt zischelt dem Menschen Angenehmes und Bequemes zu. Der Geist Gottes verlangt von ihm Hohes und Schweres.
Es gibt auch Hörungen und Schauungen, die sich auf Gott zurückführen lassen. Wir lesen heute oft von Erscheinungen von Engeln und Heiligen. Erscheinungen sind möglich, und warum soll in einer Zeit, in der alles auf letzte Entscheidungen hindrängt, die Zahl der Erscheinungen nicht wachsen? Warum sollen heute nicht vor allem Kinder, gläubige, unschuldige Kinder, Empfänger solcher Erscheinungen Gottes sein?
Erfahrungen kann aber auch jeder schlichte Gläubige machen, etwa bei Beicht und Kommunion. Wenn sich eine Bekehrung ereignet, dann ist Gott im Spiel. Es kann sich nicht jemand plötzlich von einem Lotterleben und einem Sündenleben Gott zuwenden, ohne daß Gott in seinem Herzen etwas bewegt hat. Die Beichte gewährt nach dem Zeugnis des Konzils von Trient – nicht immer, aber doch dem, der sich diesen Wirkungen öffnet – Frieden des Gewissens, Heiterkeit der Seele, Trost des Geistes. Nach einer guten, demütigen, vollständigen und wahrhaft reuigen Beicht stellen sich häufig Friede des Gewissens, Heiterkeit der Seele, Trost des Geistes ein. „Beicht macht leicht!“, so sagt ein Volkssprichwort. Wahrhaftig, das ist eine Bezeichnung für die Wirkungen, die das Konzil von Trient der Beicht zuschreibt. Und die heilige Kommunion ist Nahrung und Stärkung der Seele. Diese Nährung und Stärkung der Seele ist grundsätzlich erfahrbar. Menschen, die sich in der rechten Weise disponiert haben – und die Sakramente wirken nach dem Maße der Disposition! –, können diese Wirkungen der heiligen Kommunion erfahren. Sie werden in ihrem Streben gestärkt und in ihrem Glauben gefestigt.
Es gibt religiöse, übernatürliche Erfahrungen auch heute. Gewiß, die großen, gewaltigen, erschütternden Ereignisse des ersten Pfingsttages vermissen wir. Aber wer sehen will und wer hören kann, der spürt auch heute, daß der Geist am Werke ist und die Herzen befruchtet und beträufelt. Freilich muß man auf der Wacht sein. Es gibt auch Täuschungen. „Glaubet nicht jedem Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind!“ mahnt der Lieblingsjünger Jesu, der Apostel Johannes. Und er spricht vom Geist der Wahrheit und vom Geist der Lüge. Es gibt deswegen eine Gnadengabe, die man die Unterscheidung der Geister nennt. Die Unterscheidung der Geister ist die Befähigung, zu entscheiden und zu unterscheiden, ob aus einem Ekstatiker der Geist Gottes oder der Geist des Unheils spricht. Die Kirche hat eine eigene Lehre von der Unterscheidung der Geister ausgebildet durch hundertjährige Erfahrung.
Welches sind die Kriterien, um festzustellen, ob aus einem Geist Gott oder der Dämon spricht? Es ist zunächst zu prüfen, ob das, was aus einem Menschen herauskommt, mit der Lehre und der Tradition der Kirche übereinstimmt. Wenn es davon abweicht, können wir die Akten darüber schließen. Dann muß man sich die Persönlichkeit ansehen, die von Gott Botschaften empfangen zu haben vorgibt. Man muß fragen: Wie ist ihr Lebenswandel? Wie ist ihr sittlicher Stand? Welche Berufung hat sie? Welche Aufgabe ist ihr im Reiche Gottes zugewiesen? Und schließlich muß man die Wirkungen prüfen. Welche Wirkungen gehen aus diesen außerordentlichen Ereignissen hervor? Sind es gute Wirkungen oder sind es schlechte? Für die Propheten im Alten Bunde war immer ein Kriterium, daß echte Propheten zum Gehorsam gegen Gott und zur Bekehrung aufforderten, während falsche Propheten Heil und Segen ohne Bekehrung und ohne Gericht versprechen. „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“, sagt der Herr. Und an 28 Stellen des Neuen Testamentes wird vor den falschen Propheten gewarnt.
Wir haben also Mittel, um zu unterscheiden, ob Gottes Geist am Werke ist oder der Geist der Welt oder der eigene Geist der betreffenden Person. Eine letzte Eindeutigkeit, eine absolute Gewißheit gibt es freilich in keinem Falle. Das war auch an Pfingsten so. Da versammelte sich eine riesige Volksmenge um die wenigen Jünger, und die einen spürten, daß Gott hier am Werke war, sie waren erschüttert und ihre Herzen wurden feiertäglich bewegt und bekehrt. Aber es gab auch andere, und sie spotteten. Sie erfanden das törichte Schlagwort, das die Jünger der Lächerlichkeit preisgab: „Sie sind voll des süßen Weines.“ Wir dürfen auch bei diesen übernatürlichen Phänomenen auf den bekannten Grundsatz vertrauen: Wer sehen will, der sieht. Wer aber nicht sehen will, der sieht nicht. Es wird einmal die Stunde kommen, wo sich jeder verantworten muß, warum er gesehen hat, aber auch, warum er nicht gesehen hat.
Amen.