Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. Mai 1994

Pfingsten – Sturm und Feuer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Pfingstfreude Versammelte!

Das Pfingstfest ist in das Bewußtsein der Christenheit tief eingedrungen. Die wirklich gläubigen Menschen wissen, was es um dieses Fest ist, und sind erfüllt von der Freude und der Wärme und dem Glanz, den der Inhalt dieses Festes in ihren Seelen entzündet. Dabei handelt es sich aber um ein tiefes Geheimnis. Schon der menschliche Geist ist etwas außerordentlich Geheimnisvolles und nun erst recht der göttliche Geist. Aber Gott hat uns Verstehenshilfen gegeben, damit wir erfassen können, was es um sein göttliches Wesen ist. Er hat den Sohn, die zweite Person in der Gottheit, in der Gestalt eines Kindes erscheinen lassen, und wir alle begreifen, was ein Kind ist. Welch ein Geheimnis ist ein Kind, und wie aus sich selbst leuchtend und strahlend ist ein Kind!

Gott hat auch für die dritte Person in seinem Innenleben Gleichnisse gefunden, die uns eine Ahnung vermitteln, wie Gott ist und wie die, die aus Gott geboren sind, sein sollen. Diese Gleichnisse sind der Sturm, das Feuer und die Sprache. Naturhafte und menschliche Dinge hat Gott als Gleichnis gewählt, um uns einzuführen in das Geheimnis seines innergöttlichen Lebens. Wir wollen am heutigen Pfingsttage die beiden ersten Gleichnisse und am morgigen Tage das dritte Gleichnis betrachten. Heute also die beiden Gleichnisse des Sturmes und des Feuers.

Der Sturm ist vom Heiland schon angekündigt worden als ein Symbol für den Heiligen Geist. Dem Nikodemus hat er gesagt: „Der Geist weht, wo er will. Du hörst sein Brausen, aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er geht. So ist es mit den aus dem Geiste Geborenen.“ Der Sturm hat also eine dreifache Eigenschaft: Er ist geheimnisvoll, er ist frei, und er ist unwiderstehlich.

Der Sturm ist geheimnisvoll, weil man nicht weiß, von wannen er kommt und wohin er geht. Und ähnlich ist es mit dem Heiligen Geist. Er ist ja das tiefste Geheimnis in Gott. Er ist der flammende Lichtbogen, der zwischen Vater und Sohn schwingt und der als Person in die Wirklichkeit tritt. Er ist die innerste Kammer des göttlichen Lebens und der Gipfel des göttlichen Herzenslebens. Wenn Gott ein Geheimnis ist, dann muß selbstverständlich auch die dritte Person in Gott ein Geheimnis sein und bleiben. Der Geheimnischarakter gehört zum Wesen Gottes. Gott wäre nicht mehr Gott, wenn wir imstande wären, ihn zu durchschauen und ihn zu begreifen. Es gehört zu seiner Überweltlichkeit und zu seiner Übervernünftigkeit, daß er ein Geheimnis ist.

Und geheimnisvoll sind auch die vom Heiligen Geist Erfüllten. Auch sie gehen Wege, sprechen Worte und setzen Taten, die vielen Menschen unbegreiflich, geheimnisvoll erscheinen. Die Propheten des Alten Bundes haben zum Spott und gegen die Auflehnung ihrer Zeitgenossen die Wahrheit verkündet, die Zukunft geschaut, Strafgerichte vorhergesagt. Sie waren unverstanden und wurden abgelehnt, weil der Geist Gottes aus ihnen sprach und mit ihnen war.

Der Sturm ist zweitens frei. Er folgt nur seinem eigenen inneren Gesetz. Nichts kann ihn aufhalten. Und ähnlich ist es auch mit dem Geiste. Auch der Geist folgt nur seinem eigenen inneren Gesetz, das ist das Gesetz der Liebe. Er läßt sich nichts von außen vorschreiben, sondern erfüllt nur sein eigenes inneres Müssen. Er ist frei und schreitet deswegen über Verkrustungen, Versteinerungen und Verhärtungen hinweg; er läßt sich nicht binden. Immer wieder sind in der Kirche Heilige aufgestanden, kühn wie Propheten oder einfältig wie Kinder, haben sich über das Morsche, über das Faulige hinweggesetzt und sind zu neuen Ufern, zu neuen Küsten des Lichtes aufgebrochen.

Der Sturm ist auch unwiderstehlich. Es ist unmöglich, ihn zu dämmen oder aufzuhalten. Auch die aus dem Geiste Geborenen sind unwiderstehlich. Armseliger konnte man nicht anfangen, meine lieben Christen, als die paar galiläischen Fischer, die nach der Himmelfahrt Jesu daran gingen, eine Welt zu erobern. Sie waren gering an Macht, an Einfluß, an Besitz, an Wissen, und doch haben sie in wenigen Jahrhunderten eine neue Welt geschaffen, neue Gesetze, neue Maßstäbe gesetzt, eine neue Denkungsart, eine neue Mentalität begründet.

So ist es immer, wo wirklich der Heilige Geist am Werk ist. Wo der Geist wirkt, da sind die Menschen ihrer Sache gewiß, weil es die Sache Gottes ist. Da braucht es weder Aufgeregtheit noch Hektik. Die Apostel haben, wie uns die Reden der Apostelgeschichte berichten, ruhig und sachlich ihre Lehre vorgetragen. Sie brauchten kein Dröhnen von Reklame, und sie benötigten kein schreierisches Auftreten, nein, „Männer, Brüder“, so sprachen sie zu den Massen, ruhig und gelassen, weil sie wußten: Was sie sagten, das ist im Heiligen Geiste gesagt. Dabei waren sie des Sieges gewiß. Wo der Heilige Geist wirklich am Werke ist, da setzt er auch etwas durch. Letztlich siegreich und hilfreich ist immer nur die Liebe und die Wahrheit, die vom Heiligen Geiste kommen.

Das zweite Symbol für den Geist ist das Feuer. Das Feuer erwärmt, erhellt und strömt über. Wir meinen hier natürlich das Feuer nicht als zerstörerische, verzehrende Macht, sondern als die große Wohltäterin der Menschheit, die Wärme, Helle, Licht und Bewegung in das Leben bringt.

Die erste Wirkung des Feuers ist die Erwärmung. Der Heilige Geist ist der Geist der Liebe, und die Liebe vergleichen wir zu Recht gern mit der Wärme. Wo Geist ist, wo Heiliger Geist ist, ist auch Liebe. Und wir können den Umkehrschluß ziehen: Wo Haß ist und Bosheit, da kann der Heilige Geist nicht sein! Haß und Bosheit sind auf dieser Erde stark. Aber der Heilige Geist ist deswegen mächtiger, weil er seine Erwählten von Haß und Bosheit nicht überwinden läßt. Immer haben die vom Heiligen Geist Erfüllten dem Haß und der Bosheit nicht die gleiche Verhaltensweise entgegengesetzt, sondern sie haben im Geiste für ihre Verfolger gebetet, haben ihnen verziehen und haben ihnen die Liebe erwiesen, die ihnen selbst nicht entgegengeströmt ist. Der Heilige Geist ist deswegen dem Feuer vergleichbar, weil er die Seelen erwärmt, sie mit Liebe, mit echter, mit selbstloser, mit selbstvergessener Liebe erfüllt.

Der Heilige Geist erhellt auch die Seelen. Er schenkt ihnen die Wahrheit, und die Wahrheit läßt es hell werden in den Menschen. Die Unwahrheit verdunkelt, aber die Wahrheit erhellt. Und die Wahrheit ist dem Heiligen Geiste gleichsam anvertraut. Jesus nennt ihn den Geist der Wahrheit, weil er vermag, die Unwahrheit, den Irrtum und die Verführung zu entlarven. Er ist der Geist der Wahrheit, der die Menschen erhellt, indem er sie an das erinnert, was Jesus gesagt und getan hat. Die Unwahrheit ist mächtig auf dieser Welt, meine lieben Freunde, denn die meisten Menschen haben an nichts weniger Interesse als an der Wahrheit. Woran sie interessiert sind, das ist Leben, Genießen, Überleben, aber die Wahrheit ist der Masse der Menschen in der Regel das Gleichgültigste. Und da hat der Heilige Geist eine ungeheuere Aufgabe zu erfüllen, eine Aufgabe, die sehr schwerwiegend und gefährlich ist. Denn die Menschen reagieren gereizt gegen die Wahrheit. Sie wollen sie nicht hören. Sie verfolgen die Künder der Wahrheit, sie möchten sie zum Schweigen bringen.

Der Heilige Geist erinnert an alles, was Christus gesagt und getan hat. Denn das, was er gesagt und getan hat, ist verbindlich für uns. Man kann also nicht hergehen, meine lieben Freunde, wie es mancherorts geschieht, und bei der heiligen Messe statt Brot und Wein Kartoffelpüree und Reiswein verwenden – und das geschieht! Ohne wirksame Gegenwehr! Man kann auch nicht hergehen und sagen: Die Krankensalbung kann auch von Diakonen oder Laien gespendet werden, wo doch die Heilige Schrift sagt: „Man rufe die Priester der Kirche, sie sollen über den Kranken beten und ihn mit Öl salben im Herrn, und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken zum Heile sein, und der Herr wird ihn aufrichten!“ Die Theologen, die Flasches lehren, verderben unsere Wahrheit! Und sie nehmen unseren jungen Priesterkandidaten den Mut. Sie fragen: „Ja, was bleibt uns denn noch? Wozu sollen wir Priester werden, wenn alle alles können?“

Am Freitag war ein Priesterseminarist bei mir, der eine Prüfung machen will. Er sagte: „Ich bin der letzte von zehn, die eingetreten sind.“ Die übrigen neun sind weggegangen, nicht aus eigener Schuld, sondern verführt von den Falschlehrern, verführt von denen, die die Wahrheit niederhalten und ein falsches Evangelium verkünden – ohne wirksame Gegenwehr der Verantwortlichen! Da ist kein Heiliger Geist, meine lieben Freunde, wo die Wahrheit niedergehalten wird. Da ist der böse Geist am Werk, und gegen den muß der Heilige Geist sich zur Wehr setzen, auch in uns und durch uns. Wir müssen Zeugen werden und tapfer sein und Mut haben und dürfen uns nicht einschüchtern lassen von der Kolonne, von dem Heer der Falschlehrer. Sie haben die Positionen, sie haben die Macht, sie haben das Geld. Aber sie haben eines nicht: Sie haben nicht die Wahrheit, und sie haben nicht den Geist!

Der Heilige Geist erhellt die Seelen, weil er die Wahrheit bringt. Und er ist auch überströmend, er ist um sich greifend. Es ist ein klares Zeichen dafür, daß eine Seele den Heiligen Geist empfangen hat, wenn sie nicht mehr knauserig und karg an sich hält, sondern wenn sie über das Mindestmaß des Notwendigen hinausschreitet. Es ist ein Zeichen des Geistes, wenn jemand nicht mehr fragt: Was muß ich noch tun, um in der Kirche zu bleiben, um ein christliches Begräbnis zu empfangen, um gerade noch losgesprochen zu werden in der Beichte? Sondern wenn sie fragt: Was darf ich tun, um mich auszuzeichnen im Dienste Gottes, um dem Geist ein Wirkfeld zu bereiten, um Menschen mit dem Geiste zu erfüllen, soweit es in meiner Macht steht? Das ist ein Zeichen des Geistes, daß er immer wieder Menschen in die Nachfolge Christi ruft, in die unmittelbare und enge Nachfolge Christi, die wir das Leben nach den evangelischen Räten nennen; daß er immer wieder Menschen bewegt, ein Kreuz zu tragen, das sie sich selbst aufladen, um auf diese Weise Anteil zu gewinnen am Leiden Christi, um die Gemeinschaft mit seinem Leiden und dann auch an der Kraft seiner Auferstehung zu erfahren. Das ist ein Zeichen, daß jemand den Geist empfangen hat, wenn er Arbeiten übernimmt, die ihm niemand anschafft als das eigene, vom Geist erfüllte Herz, Leiden auf sich nimmt, die niemand ihm anträgt als nur der Heilige Geist, der in ihm wirkt.

Der Heilige Geist ist überströmend und um sich greifend wie das Feuer. Und wo die selbstlose Liebe, die lautere Wahrheit und die großmütige Leidensbereitschaft in einem Herzen aufwacht, da ist der Heilige Geist am Werke, da ist er wahrhaftig von neuem über einen Menschen gekommen. Und in der Kraft dieses Geistes vermag er über Anfechtungen, über Verleumdungen, über Haß und Ablehnung hinwegzuschreiten, seelenruhig wie einer, der die Sache Gottes zu seiner eigenen gemacht hat.

Amen.

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