Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. April 2007

Mahnung zum guten Beispiel

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Führet einen ehrbaren Wandel unter den Heiden, damit die, welche euch als Übeltäter verleumden, eure guten Werke sehen und Gott preisen am Tage der Heimholung.“ Hier ist die Mahnung zum guten Beispiel ausgesprochen. Das gute Beispiel ist uns als Pflicht gegenüber unseren Mitmenschen auferlegt. Es gibt auch ein schlechtes Beispiel, und wir wissen, welche niederziehende Kraft vom schlechten Beispiel ausgeht. Ich kann mich immer nur wundern, wenn in den Zeitungen ganze Spalten dem Klatsch vorbehalten sind, in denen von den Missetaten und Übeltaten der Menschen berichtet wird, vor allem von den furchtbaren sittlichen Verhältnissen unter Schauspielern, aber auch unter Politikern. Der Bundeskanzler Willy Brandt beispielsweise gab kein gutes Beispiel, denn er war ein Unzüchtiger. Uns ist aufgegeben, ein gutes Beispiel zu geben. „Führet einen ehrbaren Wandel unter den Heiden, damit die, welche euch als Übeltäter verleumden, eure guten Werke sehen und Gott preisen am Tage der Heimholung.“

Das gute Beispiel steht nicht hoch im Kurs, denn es ist anstrengend. Nach unten kommt man von selbst, aber nach oben zu kommen, muss man sich bemühen, muss man sich anstrengen. Viele geben sich keine Mühe, ein gutes Beispiel zu geben. Was liegt schon daran, so sagen sie. Und so verzichten sie darauf, den Dienst den Menschen zu erweisen, den Gott ihnen aufgetragen hat.

Das Beispiel hat eine gewaltige Macht. Das Beispiel hat auch eine gewaltige Verantwortung, viel größer als das Wort. Das Wort kann man hören und annehmen oder abweisen. Wir haben es schon erlebt, wir haben es oft erlebt, wie Menschen, denen wir gut zugeredet haben, unsere Worte in den Wind geschlagen haben, ja manche sind nur um so hartnäckiger geworden. Wenn man auf sie einredet, sagen sie: Jetzt gerade nicht! Die Stimme des Beispiel ist lauter als die Stimme des Wortes. Lang ist der Weg durch Vorschriften, kurz ist der Weg durch das Beispiel. Worte klingen, Taten zwingen. Ohne dass man es merkt, wirkt das Beispiel auf die Seele des anderen ein, und ohne dass wir es selber merken, empfangen wir Eindrücke von dem anderen. Wenn wir viel mit jemandem zusammen sind, so dauert es nicht lange, dann haben wir sein Art zu denken, zu sprechen, sich zu verhalten, angenommen. Wie gern nimmt eine Seele die Züge des anderen an! Und erst nach Jahren kommt einem zum Bewusstsein: Das habe ich von diesem, und das habe ich von jenem angenommen. Und weil es so ist, muss man sagen: Das Beispiel hat eine unheimliche Gewalt, weil es wirkt, ob du willst oder nicht. Das Beispiel wirkt, ob du willst oder nicht – das gute Beispiel und das schlechte Beispiel.

Der Herr selber hat uns die Macht des Beispiels vor Augen geführt. In den letzten Stunden seines irdischen Daseins, im Abendmahlssaal, da gürtete er sich, nahm eine Schüssel mit Wasser und wusch den Seinen die Füße. Er leistete ihnen den Sklavendient. Und als er damit fertig war, sagte er: „Wißt ihr, was ich euch getan habe? Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit auch ihr tut, wie ich euch getan habe.“ Wenn der Herr uns einmal zeigen wird, wie unser Beispiel gewirkt hat im Laufe des Lebens, unser gutes, unser schlechtes Beispiel, wie werden uns dann die Augen aufgehen? In meiner Heimatstadt Liegnitz in Schlesien war einmal ein junger Priester, der Religionsunterricht erteilte in der Ritterschule, die ich auch besucht habe. Eines Tages kam er in die Schule, und da sagte ihm der Rektor: „Drei Kinder, drei Geschwister einer Familie sind heute von unserer katholischen Schule abgemeldet worden.“ Der Priester fragte: „Warum?“ „Das darf ich nicht fragen“, sagte der Rektor. Als der Priester den Religionsunterricht in der Schule beendet hatte, suchte er die Familie auf. Es war eine arme Familie; die Mutter war am Waschschaff tätig. Eines der Kinder verkroch sich unter die Röcke der Mutter, als der Priester eintrat, ein zweiter kroch unter das Bett, nur ein drittes Kind blieb sichtbar. Die Frau sagte zu dem Priester: „Ich weiß schon, weshalb sie kommen. Den Gang hätten Sie sich sparen können. Mein Mann war ein Säufer. Wenn er am Lohntag sein Geld bekam, ging er in die Kneipe und versoff es ganz oder zum Teil, und wenn er nach Hause kam, da verdrosch er mich. So ging es lange Zeit. Dann aber zog neben uns im Hause eine Familie ein von Baptisten. Der Mann dieser Baptistenfamilie sprach meinen Mann an: Was machen Sie am Sonntag? Wir gehen spazieren. Kommen Sie mit? Er kam mit. Und so ging es an den übrigen Sonntagen. Und am Lohntag holte er den Säufer ab und brachte ihn nach Hause, ohne dass er in die Kneipe ging. Sehen Sie“, sagte die Frau, „dieser Mann hat unsere Familie gerettet. Und aus Dankbarkeit für dieses Beispiel und für diese Hilfe, habe ich meine Kinder aus der katholischen Schule abgemeldet und sie in die Schule geschickt, in die die Kinder dieses Mannes gehen, in die evangelische Schule.“ Das war selbstverständlich keine rechte Reaktion, aber wir sehen, wie das Beispiel dieses Baptisten gewirkt hat. Der Baptist hat gezeigt, wie man durch ein gutes Beispiel Gutes wirken kann.

Vor einiger Zeit ist in Italien das Buch eines katholischen Priesters erschienen, eine Autobiographie, in der er seinen Werdegang beschreibt. Er war früher sozialistischer Agitator und natürlich unreligiös, religionsfeindlich. Eines Tages betrat er einmal eine Wallfahrtskapelle, um das Bild der Muttergottes anzuschauen. Als er eintrat, war die Kapelle leer, aber mitten auf den Steinen kniete ein Mann, ein vornehm gekleideter, ein elegant gekleideter Herr tief ins Gebet versunken. Er dachte: Wie kann ein Gebildeter in dieser Weise innig beten? Wenn wir dann weiterlesen in dieser Biographie, dann stellen wir fest: Das war der Wendepunkt in dem Leben dieses sozialistischen Agitators. Er hatte noch zu ringen, aber der Mann aus der Kapelle kam ihm nicht mehr aus dem Sinn. Niemand kann sagen, wer er war, niemand weiß, wofür er gebetet hat. Er selber hat gar nicht geahnt, dass er beobachtet wird, und doch hat er damals die größte Tat seines Lebens vollbracht, nämlich er hat eine Seele Gott zugeführt. Wie wird er staunen in der Ewigkeit, wenn Gott ihm einmal diese Seele zeigen wird!

Wenn der Herrgott uns, meine lieben Freunde, alle die Menschen zeigte, denen wir schon begegnet sind im Leben: Sie haben wohl alle etwas von uns angenommen, Böses oder Gutes. Ob es wohl niemand gibt, der Schaden durch uns genommen hat? Und ob es wohl jemanden gibt, der geläutert wurde durch uns? Können wir da wirklich unbesorgt sein? Oder müssen wir nicht vielmehr voll Reue und Scham bekennen: Wir haben nicht immer ein gutes Beispiel gegeben?

Es ist aufschlussreich, die Heilige Schrift aufzuschlagen und zu sehen, wie Christus über das gute Beispiel spricht. Lange bevor er den Aposteln den Auftrag gab, hinzugehen und zu predigen, sagte er: „Ihr seid das Licht der Welt. Laßt euer Licht leuchten unter den Menschen!“ Das heißt: Gebt ein gutes Beispiel. „Führt einen ehrbaren Wandel unter den Heiden, damit die, welche euch als Übeltäter verleumden, eure guten Werke sehen und Gott preisen am Tage der Heimsuchung.“ Erst viel später sagt der Herr: Gehet hin und lehret die Menschen!“ Erst das Beispiel, dann das Wort. Ich bin überzeugt, dass die Apostel viel mehr durch ihr Beispiel gewirkt haben als durch ihre Predigt. Sie waren keine Meister des Wortes, aber ihr Beispiel wirkte. Am heiligen Paulus können wir sehen, wie er in geradezu kindlicher Unbefangenheit schreibt: „Seid meine Nachahmer, wie ich Nachahmer Christi bin.“ Er konnte sich als Beispiel hinstellen, das nachzuahmen ist, weil er selbst ein Nachahmer Christi geworden war.

Die Methoden der Seelsorge sind heute andere geworden. Man hat einen ungeheuren Apparat aufgebaut, kategoriale Seelsorge genannt, man hat teure Bildungshäuser errichtet, hochbezahlte Funktionäre angestellt, zahllose Referenten eingeladen. Schauen Sie einmal hinaus vor unsere Kirche, im Vorraum der Kirche, da stehen ganze Stapel von Einladungen zu Veranstaltungen, zu Vorträgen, zu Referaten, zu Kursen. Gestatten Sie, dass ich meine Meinung darüber äußere: Ich fürchte, dass die allermeisten dieser Vorträge, Konferenzen und Darbietungen zur Vertiefung des Glaubens und zur Förderung der Frömmigkeit und zum Aufbau der Sittlichkeit wenig oder gar nichts beitragen. Ganz abgesehen davon, dass diese Veranstaltungen häufig vor halbleeren Sälen stattfinden. Warum kommt man nicht auf das Beispiel zurück? Warum lehrt man die Menschen nicht ein gutes Beispiel geben? Warum gibt man nicht selber ein gutes Beispiel – alle diese vielen Referenten und Vortragenden und Räte? Das Beispiel wirkt, das Beispiel bildet, das Beispiel gewinnt. Das Beispiel, meine Freunde, gelangt auch dahin, wohin diese Vortragenden nicht kommen. Das Beispiel wird überall gesehen. Das Beispiel erreicht auch die Kirchenfernen.

Worin sollen wir ein gutes Beispiel geben? Die Antwort ist einfach: indem wir die Gebote Gottes gewissenhaft erfüllen, indem wir Tugenden erwerben, indem wir Gottesliebe und Nächstenliebe beweisen, indem wir unsere Berufspflichten treu erfüllen, indem wir anspruchslos und genügsam leben, indem wir selbstlos sind und selbstvergessen. Das Beispiel, meine lieben Freunde, wirkt mehr als zehn Gelehrte und Hunderte von Büchern.

In meiner Heimat habe ich ein anderes Beispiel erlebt. Ein Priester kam frühmorgens in die Kirche. Da trat eine Frau zu ihm, eine Arbeiterin, und sagte: „Ich möchte katholisch werden.“ Nun, der Priester war etwas misstrauisch und dachte: Wenn da früh um 6 Uhr jemand kommt und sagt: Ich will katholisch werden, da muss man vorsichtig sein. „Gut“ sagte er, „überlegen Sie sich das noch einmal und kommen Sie in ein paar Tagen wieder.“ Die Frau kam tatsächlich in ein paar Tagen wieder und bat von neuem: „Ich möchte katholisch werden.“ Der Priester sagte noch einmal: „Warten wir noch ein paar Tage, dann kommen Sie wieder.“ Sie kam wieder, und sie nahm Konvertitenunterricht mit einem Eifer, der vorbildlich war. Sie hatte große Schwierigkeiten von seiten ihrer Verwandtschaft zu bestehen, weil sie katholisch wurde. Der Priester fragte sie: „Wie sind Sie denn auf den Gedanken gekommen, katholisch zu werden, wo hier doch die Überzahl protestantisch ist?“ Die Antwort lautete: „Sehr einfach. Ich habe in einem Militärdepot gearbeitet. Der Ton, der dort herrschte, war furchtbar. Es wurde kaum ein anständiges Wort gesprochen. Nur einer machte nicht mit. Es war ein einfacher Mann, über dessen Lippen niemals ein gemeines Wort kam. Ich habe mich erkundigt und erfuhr, dass er Katholik war, der einzige Katholik. Ich habe mir gesagt: Jetzt muss ich einmal katholische Predigten hören. Da hörte ich mehr, und so kam ich zu dem Entschluß: Ich muss katholisch werden.“ Diese Frau ist ihrem Entschluß treu geblieben. Sie war eine brave, eifrige katholische Frau. Sie gab das, was sie verdiente, weg für einen guten Zweck. Der Priester hat dann später diesen Mann kennengelernt. Es war ein ganz einfacher, schlichter Mann. Aber er wusste, was er wollte. Der Priester hat sich manchmal gedrängt gefühlt, ihm zu sagen, dass er durch sein Beispiel jemanden zum Glauben geführt hatte, aber er hat es dann gelassen. Er sagte sich: Das soll ihm der liebe Gott selber sagen. Wer das von sich sagen kann, er habe durch sein Beispiel jemanden zur Wahrheit geführt!

Ja, meine Freunde, das Beispiel ist eine gewaltige Macht. Sie kommen heute Mittag mit anderen Menschen zusammen. Enthalten Sie ihnen nicht das gute Beispiel vor! Sie treffen morgen und die ganze Woche über andere Menschen. Geben Sie ihnen ein gutes Beispiel! Führet einen ehrbaren Wandel unter den Heiden, damit die, welche euch als Übeltäter verleumden, eure guten Werke sehen und euren Vater preisen am Tage der Heimsuchung!

Amen.

 

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