Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
24. Mai 2001

Er sitzet zur Rechten des Vaters

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Himmelfahrt unseres Herrn und Heilandes Versammelte!

„Der Herr Jesus ward in den Himmel aufgenommen und sitzt nun zur Rechten Gottes.“ So hat uns eben das Evangelium nach Markus belehrt. Die Tage und Jahre des Wirkens Jesu waren von Wundern durchzogen. Aber viel wunderbarer noch als das, was er in seinem Leben gewirkt hat, ist das, was nach seinem Tode mit ihm geschah. Es ist seine glorreiche Auferstehung und seine wunderbare Himmelfahrt. Es gibt Menschen, die am Tage der Himmelfahrt Christi in Verlegenheit geraten; es gibt christliche Prediger, denen es schwerfällt, das, was an diesem Tag zu verkündigen ist, über die Lippen zu bringen. In Wahrheit ist das Geschehnis von Christi Himmelfahrt nichts anderes als die Fortsetzung des wunderbaren Lebens Jesu in dieser Zeit und nach seiner Auferweckung. Wir willen heute drei Dinge betrachten, 1. den Vorgang der Himmelfahrt, 2. den Zweck der Himmelfahrt und 3. die Folgen der Himmelfahrt.

Der Vorgang der Himmelfahrt ist in der Heiligen Schrift in bildliche Begriffe eingehüllt. Wie soll man denn zu sinnenhaften Menschen anders sprechen, als indem man sinnenhaft spricht? Wie soll man denn zu Wesen, die alles, was sie lernen, durch die Augen und durch die Ohren aufnehmen, wie soll man ihnen anders etwas vermitteln, als indem man eben von anschaulichen Begebenheiten ausgeht, die aber nicht märchenhaft sind, sondern hinter denen eine Wirklichkeit steht? Die Bilder, welche die Heilige Schrift für den Vorgang der Himmelfahrt Jesu verwendet, sind Ausdruck einer hinter ihnen stehenden Wirklichkeit.

Zunächst einmal ist der Himmelfahrt Jesu nach Ort und Zeit festgelegt. Ort ist der Ölgarten. Ja, warum denn der Ölgarten? Offenbar verbindet Gott mit diesem Himmelfahrtsplatz eine besondere Bedeutung. Es soll vermutlich gezeigt werden, daß, wer im Leiden sich bewährt hat, auch in den Himmel aufgenommen werden kann, und im Ölgarten hatte ja das Leiden Jesu begonnen. Der Vorgang der Himmelfahrt ist auch zeitlich festgelegt. Nicht 31 Tage, nicht 39 Tage, sondern 40 Tage nach der Auferweckung Jesu ist Jesus in den Himmel aufgefahren, um allen Einwänden, hier handele es sich um eine mythische Redeweise, zu begegnen. Das Ereignis liegt fest nach Ort und Zeit. Jesus ist als Mensch in den Himmel aufgefahren; als Gott hat er ihn ja nie verlassen. Als Mensch ist er in den Himmel aufgefahren. Als Mensch ist er eingegangen in die Herrlichkeit des Vaters. Jesus hat durch diesen Vorgang die Gerechtigkeit empfangen, die er sich durch seinen beispiellosen Gehorsam verdient hatte. Jetzt sieht alle Welt: Es gibt eine Gerechtigkeit. Der Geschundene, der Geschmähte, der Verurteilte wird jetzt vom Vater in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen.

Wenn der Vorgang der Himmelfahrt so beschrieben wird, daß Jesus nach oben fuhr, dann nicht deswegen, weil der Himmel oben und die Hölle unten ist. Das sind Bilder. Der Wolkenhimmel, in dem die Flugzeuge kreisen und die Vögel sich aufhalten, ist nicht der Himmel als die Gott vorbehaltene Wirklichkeit. Der Himmel von dem wir hier sprechen, ist, englisch gesagt, heaven, nicht sky. Sky ist der Wolkenhimmel, heaven ist die Gott vorbehaltene Wirklichkeit, und dahin ist Christus gegangen. Wir können dafür keinen Ort benennen, wir wissen nur, daß sie alle unsere Erfahrungswirklichkeiten übersteigt. Und an den Ort oder an die Stelle oder in die Wirklichkeit, die Gott vorbehalten sind, dahin hat sich Jesus aufgemacht.

Er fuhr in den Himmel aus eigener Kraft. Er brauchte keinen Wagen wie Elias, und er bedurfte nicht der Engel wie Habakuk. Aus eigener Kraft, aus der Kraft seiner göttlichen Natur ist der Mensch Jesus in den Himmel aufgenommen worden. Das ist der Vorgang von Christi Himmelfahrt. Wenn Juri Gagarin seinerzeit nach seinem ersten Weltraumflug sagte, er habe Gott nicht angetroffen, dann ist er damit einem schweren Irrtum unterlegen, denn dort, wo die Raumschiffe kreisen, ist Gott nicht. Gott ist jenseits aller erfahrbaren Wirklichkeit, er ist nicht nur über die Erde, er ist auch über die Himmel erhaben. Und es scheint, daß die Kirche diese Wahrheit ausdrückt, wenn sie uns im Brevier und im Missale beten läßt: „Gott, du hast deinen Sohn über alle Himmel erhöht.“ Also nicht zu den Himmeln und nicht in die Himmel, die wir sehen und die wir durch die Ramschiffe kennenlernen, sondern über alle Himmel, d. h. jenseits aller Himmel ist Jesus aufgenommen worden. Das Weltbild kann also nicht den Glauben an die Himmelfahrt Christi erschüttern. Der Glaube an die Himmelfahrt Christi ist mit jedem Weltbild verträglich. Er übersteigt jedes Weltbild, denn er bezeichnet eine göttliche Wirklichkeit.

Zweitens fragen wir nach dem Zweck der Himmelfahrt Jesu. Wozu ist er denn in den Himmel gefahren? Wozu ist er in die Herrlichkeit Gottes aufgenommen worden? Darüber gibt die Heilige Schrift eine vierfache Antwort, nämlich: Er ist erstens deswegen in den Himmel aufgefahren, um die höchste Herrlichkeit zu gewinnen. Er soll durch die Himmelfahrt an die Rechte des Vaters erhöht werden, d. h. er soll die höchste Herrlichkeit Gottes erhalten. Er soll als Mensch in die Herrlichkeit Gottes eingehen. So sagt es der Brief des Apostels Paulus an die Epheser: „Der herabgestiegen ist, ist derselbe, der auch aufgestiegen ist über alle Himmel“ – über alle Himmel! – „damit er das All erfülle.“ Er ist über alle Himmel aufgestiegen, um das All zu erfüllen. Er ist in die Herrlichkeit des Vaters eingegangen. Jetzt sieht man, daß Gott gerecht ist. Er hat seinen Knecht nicht verwesen lassen, er hat ihn aus dem Grabe gerufen und zu seiner Rechten erhöht. Das ist der erste Zweck der Himmelfahrt Jesu Christi.

Der zweite Zweck ist darin gelegen, daß er den Heiligen Geist senden will. Er ist in den Himmel aufgefahren, um den Geist zu senden. Konnte denn der Geist nicht vorher kommen? Nein, er konnte nicht vorher kommen, er mußte erst entbunden werden, indem er aus der verklärten menschlichen Natur Jesu hervorbrach. Das sagt Jesus im Johannesevangelium: „Ich sage euch die Wahrheit. Es ist gut für euch, daß ich fortgehe, denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen. Wenn ich aber fortgehe, wird er die Welt überführen, werde ich ihn euch senden.“ Er ist in den Himmel aufgefahren, um uns das Geschenk des Heiligen Geistes zu machen. Jetzt strömt er durch die verklärte Natur Jesu aus.

Er ist weiter in den Himmel aufgefahren, um den Vater für uns zu bitten. Wir brauchen einen Anwalt, der für uns eintritt. Wir brauchen einen Fürsprecher; wir brauchen einen Mittler. Jetzt haben wir ihn, Jesus Christus, den Menschen, beim Vater im Himmel. „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, damit er auf ewig bei euch sei, der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann.“ Er ist jetzt unser Fürsprecher beim Vater, wie Johannes in seinem ersten Brief schreibt: „Meine Kinder, ich schreibe euch das, damit ihr nicht sündigt. Und wenn einer sündigt, haben wir einen Fürsprecher beim Vater, Jesus Christus, den Gerechten.“ Wir haben jetzt einen Fürsprecher beim Vater.

Der letzte Zweck der Himmelfahrt ist darin gelegen, daß er uns den Himmel zugänglich machen will, daß er uns eine Wohnung im Himmel bereiten will. „Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen“, sagt Jesus in seiner Abschiedsrede. „Wäre es nicht so, dann hätte ich es euch gesagt. Ich gehe fort, um euch eine Wohnstätte zu bereiten.“ Wie tröstlich, meine lieben Freunde, sind diese Worte: „Ich gehe fort, euch eine Wohnstätte zu bereiten.“ Wir erinnern uns an die Präfation in der Totenmesse. Da heißt es: „Deinen Gläubigen wird das Leben nicht genommen, sondern verwandelt. Wenn das irdische Haus zerstört wird, wird eine neue, himmlische Wohnung uns bereitet.“ Da erfüllt sich das Wort, das der Herr in seiner Abschiedsrede gesprochen hat: „Ich gehe hin, euch eine Wohnstätte zu bereiten.“ Das sind also die vier Zwecke, welche die Himmelfahrt Jesu in sich schließt.

Drittens: Die Folgen der Himmelfahrt. Wir bekennen im Glaubensbekenntnis: „Er sitzet zur rechten Hand Gottes.“ Damit sind zwei wesentliche Aussagen gemacht. Die Rechte ist ein Bild, und zwar ein Bild für den Ehrenplatz. Wer zur Rechten sitzt, der hat einen Ehrenrang, einen Ehrenvorrang, und Jesus, der in den Himmel Aufgenommene, hat den Ehrenvorrang vor allen himmlischen Wesen. Er ist erhöht nicht nur über alle Himmel, sondern auch über alle Geschöpfe. Der Hebräerbrief hebt hervor, daß selbst die Engel, die ja doch leibfreie Geister sind, daß selbst die Engel unter Jesus stehen. „Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Gepräge seines Wesens. Er trägt das All durch die Kraft seines Wortes. Er sitzt zur Rechten der Erhabenheit in der Höhe. Um so viel erhabener als die Engel ist er geworden, je mehr der Name sie überragt, den er geerbt hat.“ Er ist über die Engel erhaben, denn er hat den Namen des Sohnes. Zu keinem Engel hat er je gesagt: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt. Und zu keinem Engel hat er gesagt: Ich werde ihm Vater sein, und er wird mir Sohn sein. Alle Engel vielmehr müssen ihm dienen. Er ist der Erste in der Herrlichkeit des Himmels, auch über seiner Mutter, auch über allen Heiligen, auch über den Engeln.

Aber nicht nur das. Es heißt: Er „sitzet“ zur Rechten Gottes. Auch Sitzen ist natürlich wieder ein Bild, denn bei Gott gibt es weder eine Rechte noch eine Linke, und Gott sitzt und steht nicht, sondern Gott ist ein Geist. Aber wenn gesagt wird, daß Christus sitzt, dann soll damit etwas ausgesagt werden. Wer sitzt denn? Nun, in der Bildersprache der Bibel sitzt einmal der König, wenn seine Untertanen ihm huldigen. Wenn also von Jesus ausgesagt wird, daß er „sitzt“ zur Rechten Gottes, dann wird ihm königliche Gewalt und Macht zugesprochen. Und wer sitzt denn noch? Es sitzt auch der Richter. Der Richter sitzt auf seinem Richterstuhl und richtet. Wenn Jesus also das Sitzen zugeeignet wird, dann wird damit ausgedrückt, daß er richterliche Funktion besitzt, daß er der Richter ist, der Richter der Lebenden und der Toten. Das sind die Folgen seiner Himmelfahrt: Er besitzt königliche Gewalt, und er besitzt richterliche Gewalt. Ihm kommt die höchste Gewalt im Himmel und auf Erden zu. So schreibt Paulus im Brief an die Epheser: „Er hat ihn im Himmel zu seiner Rechten gesetzt über alle Herrschaft, Gewalt, Macht und Hoheit und jeden Namen, der nicht nur in dieser, sondern auch in der künftigen Weltzeit genannt wird. Alles hat er unter seine Füße gelegt, und ihn selbst hat er der Kirche zum Haupte über alles gegeben.“

Wenn es so ist, daß Christus die höchste Gewalt im Himmel und auf Erden zukommt, dann kann die Folgerung nur sein, daß ein jeder sich ihm unterworfen und ihm untertan sein muß. Er, der in Knechtsgestalt war, wurde ja von Gott erhöht und hat von ihm einen Namen bekommen, der über allen Namen ist, damit im Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen, der Irdischen und der Unterirdischen, und damit jede Zunge zu Ehren des Vatergottes das Bekenntnis ablegt: Jesus Christus ist der Herr!

Amen.

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