Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Tugenden (Teil 2)

3. Mai 1987

Die Tugend des Gehorsams

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gehorsam ist, wer das, was ihm in rechtmäßiger Weise aufgetragen wird, gern und mit Rücksicht auf Gott tut. Der Gehorsam ist die zweite sittliche Tugend, der wir uns als österliche Menschen zuwenden wollen. Gehorsam ist nicht schon der, der das Befohlene tut, etwa mürrisch und unwillig, nein, zur Tugend des Gehorsams gehört, daß man das Befohlene gern tut und daß man es mit Rücksicht auf Gott tut. So wie Abraham, der dem Befehle Gottes nachkam und bereit war, seinen Sohn zu opfern, so wie Christus, der Vater und Mutter untertan war, der seinem himmlischen Vater gehorsam war bis zum Tode, ja bis zum Tod am Kreuze.

Gehorsam muß jeder sein, der Vorgesetzte über sich hat, und es gibt niemanden auf Erden, der keine Vorgesetzten über sich hätte. Gehorsam müssen zuerst die Kinder ihren Eltern sein, damit sie erzogen werden und die Familie Bestand hat. Ohne eine Ordnung kann ein Gemeinwesen nicht bestehen, und jede Ordnung bedeutet immer auch Über- und Unterordnung. Eine Vereinigung ist unmöglich ohne Abhängigkeit. So kreist der Mond um die Erde, und die Erde kreist um die Sonne nach den Gesetzen der Gravitation, die Newton und Galilei entdeckt haben. Ähnlich ist es auch mit der Familie. Da muß auch ein zielangebender Wille sein, und der steht den Eltern zu. Die Kinder haben sich diesem Willen zu beugen. Auch in Dienstverhältnissen gibt es Vorgesetzte und Abhängige. Es muß einen Betriebsführer geben, einen Leitenden, der die anderen in der Arbeit unterweist und ihnen die Arbeit anweist.

In den Schriften des Neuen Testamentes wird oft der Gehorsam der Knechte oder Sklaven, wie sie damals genannt wurden, gegenüber den Herren gefordert, und zwar Gehorsam nicht nur gegenüber den gütigen und gelinden, sondern auch gegenüber den schwierigen und bösen Herren. Gehorsam muß man leisten den weltlichen und geistlichen Oberen. Es gibt keine Gewalt außer von Gott; die bestehenden Gewalten sind von Gott angeordnet (Röm. 13,1). Wer sich der Gewalt widersetzt, der widersetzt sich dem Willen Gottes. Es besteht eine legitime Forderung des Staates, der Regierung auf Gehorsam der Untertanen.

Ebenso ist es in der Kirche. Christus fordert den Gehorsam gegenüber den Hirten, so in dieser Bezeichnung. Wenn die einen die Schafe und die anderen die Hirten sind, dann müssen eben die Schafe den Hirten gehorchen, sich von den Hirten führen lassen. Und daher hat der Herr ausdrücklich gesagt: „Wer die Kirche nicht hört, der sei dir wie ein Heide oder Zöllner!“

Freilich muß gleich an dieser Stelle gesagt werden: Gehorsam hat nur der gerecht gebietende Vorgesetzte zu fordern. Es gibt Grenzen des Gehorsams, und diese sind vor allem zwei: Wir brauchen nicht zu gehorchen, wenn ein Vorgesetzter etwas gebietet, was nicht in seine Zuständigkeit fällt, und wir dürfen nicht gehorchen, wenn ein Vorgesetzter etwas verlangt, was gegen Gottes Willen ist. Diese beiden Grenzen des Gehorsams müssen wir uns noch näher anschauen.

Wir brauchen nicht zu gehorchen, wenn ein Vorgesetzter seine Zuständigkeit überschreitet. Ein Vorgesetzter ist nicht allzuständig, er ist nicht über alles gesetzt, er hat nicht in jeder Sache Befehlsgewalt, sondern seine Gewalt ist sachlich, örtlich oder persönlich begrenzt. Nur innerhalb der Grenzen sind seine Befehle rechtmäßig. Wenn er darüber hinausgeht, verliert er seine Zuständigkeit. Um konkret zu werden: Die weltliche Gewalt darf sich nicht in rein geistliche Dinge einmischen. Sie darf nicht bestimmen, wann Gottesdienste gehalten werden dürfen, wie lange sie dauern dürfen, wie viele Kerzen dabei anzuzünden sind; das alles ist ja schon dagewesen, etwa im Josephinismus oder im Zweiten Weltkrieg. Ebenso darf aber auch die geistliche Gewalt sich nicht in rein weltliche Dinge einmischen. Wie die Flugsicherung betrieben wird, wie der Wohnungsnot abzuhelfen ist und wie hoch die Besoldung der Staatsbediensteten ist, ob sie erhöht oder nicht erhöht wird, das sind keine Fragen, die die Kirche angehen. Hier ist die Kompetenz der geistlichen Oberen nicht gegeben.

Auch im Bereich der Familie kann eine Kompetenzüberschreitung vorkommen. Eltern dürfen ihre Kinder beispielsweise nicht in einen Beruf zwingen, zu dem sie keine Eignung und keine Neigung haben. Eltern dürfen auch ihre Kinder nicht zu einer Ehe drängen, von der vorauszusehen ist, daß es nicht zu einem harmonischen Miteinander kommen wird. Sie dürfen sie überhaupt nicht zur Ehe zwingen. Die heilige Rosa von Lima sollte mit 20 Jahren nach dem Willen der Eltern einen reichen Mann heiraten. Aber sie weigerte sich. Das war kein Ungehorsam, sondern eine legitime Ausmessung ihrer Freiheit. Sie durfte die drängende und zwingende Gewalt der Eltern zurückweisen, weil diese hier ihre Zuständigkeit überschritten.

Wir brauchen nicht zu gehorchen, wo die Vorgesetzten ihre Gewalt auf Gebiete ausdehnen, die nicht in dieser Gewalt liegen. Wir dürfen nicht gehorchen, wenn sie etwas befehlen, was gegen den Willen Gottes ist. Das ist schon oft da gewesen. Bereits in der Apostelgeschichte steht die berühmte Äußerung aus dem Munde des Petrus: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ Wo ein Konflikt zwischen den Befehlen von Menschen und den Geboten Gottes vorliegt, da ist keine Überlegung am Platze, da weiß man von vorneherein: Gott gebührt der Vorrang.

Nach diesem Gesetz haben die großen Heiligen des Alten und des Neuen Bundes gehandelt. Die drei Jünglinge im Babylon weigerten sich, die Statue anzubeten, die der König errichtet hatte, und wurden deswegen in den Feuerofen geworfen. Die makkabäischen Jünglinge lehnten es ab, die Speisegesetze, die sie als von Gott empfangen ansahen, zu übertreten. Die thebaische Legion unter ihrem Kommandeur Mauritius weigerte sich, den Kaiserkult zu vollziehen. Sie wurden im Jahre 286 n.Chr. in der Nähe des Genfer Sees niedergehauen. Die heilige Perpetua lehnte es ab, dem Willen ihres Vaters nachzukommen, dem Christentum abzuschwören. Die heilige Barbara weigerte sich, den heiligen Glauben preiszugeben; der eigene Vater brachte sie um.

Das alles sind Beispiele dafür, wie Heilige den Geboten Gottes gehorcht und sich den ungerechten Befehlen der Menschen verweigert haben. Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen!

Natürlich, meine lieben Freunde, ist es der Nachprüfung bedürftig, ob tatsächlich ein Widerspruch zwischen dem Willen Gottes und dem Befehl der Menschen vorliegt. Man muß prüfen, ob ein solcher Zwiespalt gegeben ist, erst dann darf man sich gegen den irdischen für den himmlischen Gehorsam entscheiden. Das hat der heilige Thomas Morus im Gefängnis Tower in London getan. Man suchte ihn zum Gehorsam gegen den König zu bewegen und wies auf das Beispiel der Bischöfe hin. „Sieh,“ sagte man, „alle Bischöfe Englands haben den König als Oberhaupt der Kirche anerkannt, bis auf einen, John Fisher, und du, Thomas Morus, willst klüger sein als alle diese Bischöfe?“ Da gab Thomas zur Antwort: „Für jeden Bischof, der heute lebt, und den ihr mir vorweist, kann ich euch hundert andere nennen, die im Himmel sind und die so denken wie ich.“ Das war die Entscheidung gegen den irdischen für den himmlischen Gehorsam.

Die Tugend des Gehorsams ist eine beschwerliche, aber auch eine vortreffliche Tugend. Sie ist beschwerlich, denn den eigenen Willen opfern, den eigenen Willen preisgeben, das ist eben für den Menschen ein sehr lästiges Geschäft. Er möchte seinen Willen behaupten, er möchte ihn durchsetzen, und das Opfer des Willens ist fast ein kleines Martyrium, jedenfalls in wichtigen Angelegenheiten. Der Mensch will befehlen, er will recht haben, aber er will nicht nachgeben, und er will sich nicht unterordnen, obwohl es zu seinem eigenen Nachteil sein mag. Zweifellos: Der Gehorsam ist eine beschwerliche Tugend. Aber er ist auch eine vortreffliche Tugend, denn wer seinen Willen besiegt, wer über sich selbst siegt, der ist zu allem fähig, dem kann man alles anvertrauen, dem kann man alles aufladen, der wird alles tragen, der wird mit allem fertig werden. Der Gehorsame hat seinen Stolz besiegt und mit dem Stolz, der Wurzel der Sünde, alle übrigen Sünden.

Der Gehorsam ist der sicherste Weg zur Erfüllung des Willens Gottes und auch der sicherste Weg zur Erlangung der Vollkommenheit. Der Wille Gottes spricht sich nun einmal häufig, ja wohl meistens aus in den Befehlen unserer Vorgesetzten, und wer ihnen gehorcht, der kann im allgemeinen sicher sein, daß er dem Willen Gottes gehorsam ist. Die Vorgesetzten sind ja Stellvertreter Gottes, und was sie rechtmäßig gebieten, das ist eben für uns der Wille Gottes, der durch seine Stellvertreter zu uns spricht. Wir können also, sofern wir den Befehl in sittlicher Hinsicht und nach der Kompetenz bejahen können, sicher sein: Wenn wir die Befehle der Eltern, der Vorgesetzten, des Staates und der Kirche erfüllen, dann sind wir auf dem Wege zur Erfüllung des Willens Gottes.

Auch die Vollkommenheit erlangen wir durch die Erfüllung des Gehorsams. Wer gehorsam ist, der wird den Willen Gottes in allen Dingen tun, der wird die Sünde meiden, der wird sich als ein lebendiges Opfer dem Vater im Himmel darbringen. „Gehorsam ist besser als Opfer!“ So steht es im Alten Bunde. Die Heiligen, die heiligen Lehrer der Tugend werden nicht müde, den Wert des Gehorsams zu preisen. „Essen und schlafen auf Befehl des Vorgesetzten ist besser als aus Eigenwille fasten und wachen,“ so hat der heilige Franz von Sales, der große Kirchenlehrer, einmal geschrieben. Der Gehorsam macht unsere Werke wertvoll. Er macht sie verdienstlich.

Man soll sich daher einüben in den Gehorsam. Wie denn? Nun, indem man auch gegenüber seinesgleichen zum Nachgeben, zur Unterordnung, zum Gehorsam bereit ist. Das ist ja das Geheimnis einer guten Ehe, daß einer dem anderen seinen Willen am Gesicht abliest, daß er seinen eigenen Willen preisgibt, daß er sagt: Wenn du es nur gut hast, wenn ich nur dir dienen kann! Diese Selbstaufgabe, diese Selbstlosigkeit ist das Geheimnis einer wahrhaft glücklichen Ehe.

Und wenn wir selbst Vorgesetzte sind, dann sollten wir uns in den Geist des Gehorsams dadurch einfügen, daß wir unsere Befehle in einer sanften, in einer rücksichtsvollen Weise erteilen, also nicht schroff, nicht von oben herab, nicht in Erregung, sondern wir sollen eher um das bitten, was wir befehlen können. Auf diese Weise schonen wir die Untergebenen und bereiten uns selbst für den Gehorsam, den wir unseren Vorgesetzten leisten müssen.

Dem Gehorsam ist der himmlische Lohn verheißen. „Im Himmel,“ sagt einmal die heilige Theresia von Lisieux, „im Himmel wird Gott allezeit meinen Willen tun, denn ich habe auf Erden niemals meinen eigenen Willen getan.“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt