14. September 2025
Die Abschiedsworte Jesu
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir können aus den Abschiedsreden des Herrn fünf letzte Weisungen entnehmen, die annähernd alles umfassen, was der Herr seinen Jüngern an Aufträgen geben wollte. Es sind die folgenden: Bleibet in meiner Liebe. Bringet Frucht. Freuet euch. Glaubet an mich. Liebet einander, wie ich euch geliebt habe.
I. Bleibet in meiner Liebe!
Dieses Wort kann einen doppelten Sinn haben. 1. Bleibt in der Liebe, die ich zu euch trage. Bewahrt sie, verachtet sie nicht. Werft sie nicht weg und beschimpft sie nicht, indem ihr sie entwürdigt, indem ihr sie entweiht. Haltet sie hoch als euer Kostbarstes, als euren Schatz, als euer Licht, als euer Leben! Diese Liebe, die ich zu euch trage; sie ist das Licht eures Lebens. Bewahrt sie also! 2. Es kann auch bedeuten: Bleibt in der Liebe, die ihr jetzt zu mir habt. Bewahrt auch diese und lasst sie nicht auslöschen, lasst sie nicht versanden, lasst sie nicht verstauben, bewahrt sie frisch! Sie würde verlorengehen durch eine Sünde, durch Trennung von Gott, und das sei ferne, das sei ausgeschlossen. Wir wollen dem Herrn sagen: Ich will in deiner Liebe bleiben, ich will sie bewahren, die ich jetzt im Herzen trage, damit wenigstens ein heiliger Wille da sei, dir zu dienen und dir zu gehören. Selbst wenn es dunkel würde in meiner Seele, wenn der Zweifel käme oder die Angst – das eine soll sicher und fest stehen: Du weißt, dass ich dich liebe. Dann gibt der Herr auch eine Anweisung dafür, wie wir diese Liebe bewahren können: „Wenn ihr meine Gebote haltet, dann bleibt ihr in meiner Liebe.“ Das ist das Geheimnis, die Liebe zu bewahren. „Darin besteht die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote beobachten.“ Das ist die erste Weisung. Es ist eigentlich eine Einladung, ein Wunsch seines Herzens, eine Werbung um Liebe. Und es ist unendlich rührend: „Bleibet in mir!“ Er bittet um unser Liebhaben, um unsere Treue. Er, der doch befehlen könnte, und er, dem doch eigentlich nichts an unseren Herzen liegen könnte, er bittet: Bleibet in mir, in meiner Liebe!
II. Ihr sollt Frucht bringen!
„Ich habe euch erwählt und euch dazu bestellt, damit ihr hingehet und Frucht bringet und eure Frucht bleibe. Ihr sollt Zeugnis von mir ablegen, weil ihr von Anfang bei mir gewesen seid.“ „Ihr sollt Frucht bringen!“ Er will etwas aus unserem Leben machen, damit es ertragreich, nicht umsonst sei, nicht verloren und vergeudet und vertrödelt. Nein, unser Leben soll etwas Wertvolles hervorbringen; dazu hat er uns erwählt.
Worin besteht diese Frucht, die dauernde, große Frucht, die er selbst als etwas Großes ansieht? Dass ihr Zeugnis von mir ablegt, dass ihr mir helft, dass ihr meinen Namen, den Christennamen durch die Welt tragt; dass ihr den Menschen mein Bild zeigt, mein Evangelium sagt, meine Botschaft vermittelt; dass sie an mich glauben lernen, weil ihr so seid, dass die Welt sagen muss: „Ja, wahrhaftig, an Jesus Christus müssen wir glauben, weil diese Bekenner seines Namens zu uns gekommen sind!“ Die Welt hat das Christentum angenommen um der Glaubensboten willen, um der Kraft ihres Zeugnisses willen. Ihnen haben sie geglaubt, und so bleibt es immer. So wie wir von Jesus Zeugnis geben, so wird die Welt es aufnehmen: aus unserem Wandel, aus unserem Wesen, aus unserem Charakter. Es kommt auf uns an, wie Gott verherrlicht wird, wie sein Name geheiligt wird, wie der Christenname verbreitet wird, wie die Kirche anerkannt und geliebt wird. Wir wollen den Menschen gleichsam sagen: „So ist Christus. Ich kenne ihn, ich bekenne mich zu ihm, so hat er mich geformt, so hat er auf mich gewirkt. Ihr braucht nur zu sehen, was er in mir gewirkt hat, dann könnt ihr euch leicht für ihn entscheiden.“ So müsste unser Leben sein. Jesus nennt das eine Frucht. Es muss wie eine Frucht aus uns hervorwachsen. Wir dürfen nicht ein Plakat vor uns hertragen, auf dem steht: „Ihr sollt an Jesus Christus glauben.“ Es muss eine Frucht aus uns hervorbrechen. Wir sollen nicht herumgehen, behängt mit christlichem Zierat; vielmehr soll es aus unserem Inneren hervorbrechen. Unser Sein soll wirken. Es kommt entscheidend darauf an, nicht so sehr, was er tut, und noch weniger, was er sagt, sondern was er ist. Das ist das Wesentliche.
III. Freuet euch!
„Euer Herz betrübe sich nicht und verzage nicht. Meine Freude soll in euch sein und eure Freude soll vollkommen sein.“ Eine wunderbare Weisung. Ein Auftrag zur Freude. „Euer Herz betrübe sich nicht und verzage nicht.“ Es sieht manchmal so aus, als ob man verzagen müsste. Es wird einem manchmal so schwer zumute, dass man sehr betrübt sein möchte. Aber der Herr gibt uns den Auftrag, sich zu freuen. Und die Freude soll vollkommen werden. Gott hat den Menschen zur Freude geschaffen. Nicht Betrübnis und Leid ist der letzte Sinn der Welt, sondern die Freude. Der Sinn des Christentums ist Freude. Niemand kann sich das Gefühl der Freude befehlen. Aber er kann mit dem Willen schon etwas machen. Er kann die Lichtpunkte aufsuchen, die wohl in jedem Leben da sind; er muss sie nur sehen, darf sie nicht künstlich übersehen. Man kann sich in gewissem Sinne zur Freude stimmen. Und der Herr will es, dass Freude von uns ausgeht. Dankbare Freude. Dass wir den Glauben haben, der uns Licht ist. Dass wir die Gebote kennen, die uns Wegweisung sind. Dass wir eine Hoffnung haben, die nicht zuschanden werden lässt.
IV. Glaubet an mich!
Der Herr fordert uns auf: Glaubet an mich! Denkt an mein Wort: Der Knecht ist nicht über dem Herrn. Sie werden euch verfolgen, sie werden euch ausstoßen aus ihren Versammlungen, sie werden alles Böse wider euch sagen. Ich sage euch das voraus, dass ihr nicht Anstoß nehmet. In der Welt werdet ihr Bedrängnis haben; aber vertraut, ich habe die Welt besiegt. Glaubet an mich! Ein wunderbares Wort. Ihr werdet es nicht leicht haben, den Glauben zu bewahren. Aber glaubt doch, ich bitte euch. Es liegt eine leise Wehmut über diesem Wort; eine gewisse Bangigkeit, ob sie es wohl fertigbringen werden, den Glauben zu bewahren, ob sie nicht verzagen und den Glauben aufgeben werden. Der Herr sieht so viel in der Zukunft, was ihnen den Glauben schwer machen wird, äußere und innere Dunkelheiten, Verdrießlichkeiten und Misserfolge. Und dennoch sollen sie glauben an seine Forderungen, seine Bergpredigt, seine Lebensweisheit, wenn sie sich in der Erfahrung oft schlecht zu bewähren scheint. „Selig die Trauernden, sie werden getröstet werden.“ Das sieht in der Erfahrung oft nicht so aus. „Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“ Es sieht nicht danach aus. Der Herr muss verlangen, dass sie rein, keusch, entsagend, opferwillig, gerecht und geduldig sind. In der Erfahrung kommen diese Menschen regelmäßig zu kurz, es geht ihnen nicht gut in der Welt. So möchte man zweifeln an der Ethik des Christentums, an der Ethik des Altruismus, an der Opferwilligkeit des Mitleids und der Hilfeleistung. Man möchte sich wenden zu der Ethik des Naturmenschen, zu der Ethik der gesunden Natürlichkeit, die keine Bedenken hat, für sich allein zu sorgen. Jesus aber sagt: Glaubet doch daran! Glaubt an meine Fügungen und Zulassungen, wenngleich sie zuweilen unverständlich sind. Und das sind sie in der Tat. Warum hilft Gott uns nicht mehr, auch in unserem besten Wollen und Unternehmen? Warum stützt er uns nicht; nicht einmal in dem, was er selbst uns aufgetragen hat: in der Christianisierung der Welt, der Befreiung der Menschen vom Bösen? Er selbst legt uns mit seinen Zulassungen die größten Hindernisse in den Weg. Wie oft kommt es vor, dass ein armer Missionar seine Kirche baut, mit unendlicher Mühe, zusammengebettelt aus allen Erdteilen; kaum, dass sie fertig ist, kommt ein Zyklon und wirft sie über den Haufen. Warum hilft Gott dem Missionar nicht? Es war nahe daran, dass ganz Japan im 17. Jahrhundert das Christentum annahm. Vielleicht wäre die Weltgeschichte in andere Bahnen gelaufen. Da kamen die Händler aus dem Westen, und es kam eine furchtbare Verfolgung, die das Christentum ausrottete bis auf ein winziges Samenkorn. Warum hat Gott sie hinkommen lassen? So ist es auch im einzelnen Leben. Warum müssen gerade die Gutwilligen so viel schaffen, umsonst schaffen? Es wird ihnen immer wieder zerstört, sie kommen nicht voran. Alles blüht und gedeiht in dieser Welt. Was die edelsten, die heiligsten Menschen unternehmen, ist beständig bedroht von Verfolgung. Warum? Er sagt nur: „Glaubet an mich!“ Es hat doch einen Sinn. Lasst nicht ab! Das sagt er ganz ruhig, tut gar nichts, um diese Bedrängnis aufzuheben, hat nur einen Trost: „Glaubet an mich, weil ich es bin; ich habe die Welt überwunden.“ Ein Wort von unglaublicher Größe und Kühnheit. Das sagte er in der Stunde, die die letzte Abendstunde seines irdischen Lebens ist, unmittelbar vor dem völligen Zusammenbruch, vor dem Karfreitag, vor dem Kreuzestod, als er schon den Verräter am Tisch sah, als die Henker schon beinahe auf dem Weg waren. Begreifen kann man es nicht, aber glauben kann man, weil er es ist.
V. Liebet einander, wie ich euch geliebt habe!
„Ein neues Gebot gebe ich euch, mein Gebot, dass ihr einander liebet, und daran sollen alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid. Dieses Gebot gebe ich euch.“ Es ist sein Herzensgebot. Darum nennt er es „sein“ Gebot, weil ihm daran am meisten liegt und weil es als Kriterium dient: Er will daran erkennen, wer seine Jünger sind, und die Welt soll es erkennen, und die erste Umgebung seiner Christenheit hat sie daran erkannt: „Seht, wie sie einander lieben!“ Sie war erstaunt.
Es ist ein neues Gebot, weil es einen neuen Umfang hat, eine neue Schwierigkeit. Früher hat es geheißen: „Ihr sollt den Nächsten lieben wie euch selbst.“ Er sagt: „Ihr müsst den Nächsten lieben, wie ich ihn geliebt habe.“ Das ist unendlich mehr. Das ist eine enorme Forderung; das ist unmöglich, möchten wir sagen: Deine Liebe können wir nicht haben, das ist eine göttliche Liebe. Darin liegt die Schwierigkeit. Auf der untersten Stufe kann man sich dazu zwingen. Du sollst auch deinen Feind lieben mit dem Willen, wo gar kein Gefühl für ihn spricht. Gott verlangt von den Menschen auch die Feindesliebe. Du sollst wohlwollend gegen ihn gesinnt sein. Wenn er in Not ist, musst du bereit sein, ihm zu helfen. Die unterste Stufe setzt sich fort in einer gewissen natürlichen Anlage zur Liebe. Es gibt Menschen, die von Natur aus eine gewisse Herzensgabe der Liebe haben, eine Aufgeschlossenheit, Weitherzigkeit, Stärke ihrer Seele, so dass sie nicht bitter werden, dass sie schnell alles vergessen, was man ihnen antut. Das ist Anlage. Darüber hinaus liegt das Charisma der Liebe, das eine Gnade Gottes ist, die niemand sich geben kann, zu der man aber bereit sein kann, der man vorarbeiten kann, indem man die Liebe übt, soweit man es versteht; dann gibt Gott vielleicht dieses Charisma. Das Charisma hebt die Schwäche und die Begrenztheit der Natur auf. Aber auch das Vorbild Jesu kann uns da helfen. Da sind seine Freunde, seine Jünger, Nachfolger und Nachfolgerinnen. Zunächst hat er sie ertragen in ihren Schwächen, Streitereien, Engherzigkeiten. Er hat sie ertragen, hat nicht gesagt: „Ich habe euch satt, ihr könnt gehen, mit euch ist nichts anzufangen.“ Er hat ihnen kein hartes Wort gegeben. Es muss ihm doch widerwärtig gewesen sein, dieses entsetzliche Streiten – er hat es ertragen. Das ist das erste, dass wir die Menschen ertragen. Die Angehörigen, die Hausgenossen, die Bekannten: sie ertragen. Dann hat er ihnen gegeben, geschenkt von seinem Innersten. Er hat sie geführt, unterwiesen, ihnen unermüdlich mitgeteilt: „Ich nenne euch nicht Diener, sondern meine Freunde.“ Er hat seine Freunde geliebt. Er hatte einen persönlichen Feind: Judas. Er hat ihn bis zuletzt ertragen, hat ihm das Freundeswort gegeben, hat ihn nicht von sich gestoßen, nicht aufgegeben bis zum letzten Augenblick, hat diese widerwärtige Gesinnung in seiner Nähe geduldet.
Wie liebte er die grundsätzlichen Feinde? Er war ihnen persönlich wohlwollend gesinnt. Grundsätzlich war eine Kluft. Die Pharisäer, die Schriftgelehrten, die er für Verderber des Volkes ansah, die er bekämpfte mit allen Mitteln, denen er die Maske herunterriss, hinter der sie sich versteckten – persönlich hat er sie nicht verachtet, sie geduldet, ist mit ihnen zu Tisch gesessen, hat vertraulich mit ihnen verkehrt, wie z.B. mit Simon. Er hat einen Unterschied gemacht zwischen Person und Grundsatz. Er hat die Personen geschont und geachtet, denen er entgegentreten musste.
Wie hat er die Kinder geliebt! „Lasset die Kleinen zu mir kommen, ihrer ist das Himmelreich.“ Er hatte immer Zeit für sie, immer noch Kraft, auch wenn er am Abend müde war. Er nimmt sie an, wenn sie von selbst kommen, wenn man ihnen nur den Weg frei gibt. Lasst sie kommen, legt ihnen nichts in den Weg, stoßt sie nicht weg! Sie sollen nicht um euretwillen in Trotz und Hass und Misstrauen versinken für ihr Leben lang. Gebt ihnen den Weg frei, den Weg des Herzens, des Vertrauens, lasst sie kommen! Ein wundervolles Wort. Ein sehr ernstes und verantwortungsreiches Wort. Es bedeutet, dass es an einem Hindernis liegt, an einem Nichtkommenlassen, und dass dieses Hindernis des Nichtlassenwollen von den Erwachsenen in den Weg gelegt wird, von Eltern, Erziehern, von der Umgebung. Da werden die Menschen verdorben.
Dann hat er die Hilfesuchenden geliebt, die in einer Not zu ihm kamen. Er hat ihnen geholfen, hat die Kranken geheilt, die Hungrigen gespeist, die Toten erweckt. Ungestüme, unverschämte und unkluge Bittsteller weist er ab. Er schimpft nicht, er wirft sie nicht hinaus. Er hört sie an. Und die Menschen sehen ein, dass die Sache nicht einfach zu erledigen ist.
Wie hat er das Volk geliebt! Er hat das wunderbare Wort gesprochen: „Es erbarmt mich des Volkes.“ Das ist ein Wort, das wir in unser Leben mitnehmen müssen. Denn wir sollen in unserem Beruf dem Volk dienen. Es ist schwer, das Volk zu lieben. Ein großes Kind ist es, naiv, beweglich, leicht verletzt, fanatisch, roh. Und doch ist es ein armes Volk. „Es erbarmt mich.“ Ein wunderbares Wort, das wir über unsere Tätigkeit schreiben sollten. Es ist diese große Menge, die nicht weiß, wo aus oder ein ist. Wir sehen an Jesus, dass die Liebe auch klug, oft streng, oft entschieden sein und abweisen, sogar manchmal kämpfen muss, dass man manchmal den Menschen wehe tun muss aus Liebe.
Wenn wir das von ihm gelernt haben, werden wir auch den Erfolg und das Glück seiner Liebe erfahren. Die Menschen zu lieben hat ihm selber Glück eingetragen. Es kommt doch das letzte und das vollkommenste Glück von der Liebe. Nicht von den begehrlichen, nicht von der selbstsüchtigen und fordernden, sondern von der schenkenden Liebe, von der helfenden Liebe. Sie macht das Herz weit, sie schafft den weiten Himmel in uns, sie gibt uns den Horizont und eine Weite und befreit uns dadurch. Der Mensch wird nur frei durch das Helfen, Schenken, Lieben.
Ein Pfarrer in Oberbayern traf einmal ein kleines Mädchen in seinem Dorf; das trug sein Brüderchen daher, einen kleinen, dicken Bengel, der schon ein bisschen zu schwer war für das Mädchen und seine Kraft. Da sagte der Pfarrer: „Aber Marie, heute hast du eine schwere Last.“ Das Kind schaut ihn verwundert, leicht vorwurfsvoll an und sagt: „Nein, Herr Pfarrer, das ist keine Last, das ist mein Bruder.“ Es hat unbewusst eine Weisheit ausgesprochen. Die Liebe hat schließlich trotz aller Schwierigkeiten etwas Leichtes in sich. Es ist der Bruder, den ich trage, keine Last. Es ist der Freund, den ich trage, keine Last. Es ist mein Heiland, den ich trage, keine Last.
Amen.