Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Heilige
24. August 2025

Papst Leo I. (440-461)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Nestorius, der Bischof von Konstantinopel, hatte Jesu Gottheit und Menschheit zu scharf getrennt. Er lehrte: Jesus von Nazareth ist bloßer Mensch, aber mit Gott verbunden. Eine zweite Person, Gottes Sohn, wohnt in ihm. Folglich ist nur der Mensch Jesus der Sohn Mariens. Das Konzil von Ephesus verwarf die Lehre des Nestorius und stellte klar: Im Erlöser ist eine Person, und zwar die göttliche, aber in ihm sind zwei Naturen, die göttliche und die menschliche, darum ist er zugleich Gott und Mensch; Maria ist Gottesgebärerin.

Nun tritt der gegenteilige Irrtum auf. Gottheit und Menschheit werden zu wenig auseinandergehalten. Ein Mönch namens Eutyches, Abt eines berühmten Klosters in Konstantinopel, lehrt: Nach der Menschwerdung des Gottessohnes blieb nur eine Natur, die göttliche; sie hat die menschliche Natur aufgesogen. Damit war die Erlösung in Frage gestellt; ist Jesus nicht wahrer Mensch gewesen, sind Nazareth, Bethlehem und Golgotha hinfällig. Denn die Erlösung hat sich in dem Menschen Jesus vollzogen; ist er nicht wahrer Mensch gewesen, hat er uns nicht erlöst. Der Irrtum des Eutyches zieht weiteste Kreise. Eine große Verwirrung herrscht in der Kirche des Morgenlandes. Kinder der Kirche kämpfen erbittert gegeneinander. Die Staatsgewalt hält es mit der Irrlehre. Der Erzbischof von Konstantinopel, Flavian, versammelt 448 die Bischöfe seines Bezirks zu einer Synode. Die Irrlehre wird verworfen, Eutyches abgesetzt. Nun greift der Kaiser ein. Die Bischöfe des Orients werden zu einer Synode nach Ephesus befohlen. Eutyches erscheint in Begleitung kaiserlicher Soldaten. Die Lehre des Eutyches wird den Bischöfen zur Unterschrift vorgelegt. Die meisten unterschreiben aus Furcht. Erzbischof Flavian wurde für abgesetzt erklärt. Kaiser und Irrlehrer hatten gesiegt. Das war die berüchtigte Räubersynode von Ephesus 449. Die Verwirrung der Geister war grenzenlos. Was soll werden? Woher die Rettung kommen? Doch einer ist da, der Widerstand leistet, der Bischof von Rom, Papst Leo. Er schreibt an den Erzbischof Flavian, an den Kaiser Theodosius II. Kaiser Theodosius II. findet auf der Jagd einen plötzlichen Tod. Damit fällt die Krücke für die Irrlehrer. Das neue Kaiserpaar, Marzian und Pulcheria, lädt die Bischöfe des Byzantinischen Reiches nach Chalzedon. Papst Leo schickt vier Legaten mit Handschreiben an die Kirchenversammlung. Im Dom zu Chalzedon am Bosporus, gegenüber Konstantinopel, tagt im Oktober 451 die glänzendste Kirchenversammlung der alten Zeit. Etwa 600 Bischöfe sind zugegen. Am 10. Oktober verliest der Führer der päpstlichen Gesandtschaft Leos Schreiben. Atemlose Stille in der erlauchten Runde. Denn da redet einer, der Macht hat. Schlicht, bestimmt, scharf, nicht zu überbieten in der Klarheit des Ausdrucks, erklärt Papst Leo die kirchliche Lehre von der Menschwerdung des Herrn und Heilands. Er bittet nicht. Er verhandelt nicht. Der Vorleser hat geendet. Da springen die vielen Bischöfe erregt auf und rufen in die festlich erleuchtete Kirche hinein: „Ja, das ist der Glaube der Väter, das ist der Glaube der Apostel. Petrus hat durch Leo gesprochen.“ Am 22. Oktober erhebt sich der Vorsitzende und stellt die Entscheidungsfrage: „Wem glaubt ihr nun, dem Vertreter der neuen Lehre oder dem Papst Leo?“ Eine einzige Antwort schallt zurück: „Wie Leo, so glauben wir!“ Die Irrlehre des Eutyches wird verworfen. Die Konzilsbeschlüsse werden dem Papst zur Bestätigung vorgelegt. „Du standest uns vor wie das Haupt den Gliedern“, so schreiben die Bischöfe an den Papst. Der katholische Glaube hatte gesiegt. Durch Leo, durch Gott, der ihn seiner Kirche zur rechten Stunde geschenkt hatte. „Petrus hat durch Leo gesprochen.“ Leo I. (440-461) war ein entschlossener Hüter der kirchlichen Rechtgläubigkeit, ein Wahrer der Rechte des Papsttums, ein Retter der abendländischen Kultur, eine überragende Gestalt der Welt-, Kirchen- und Geistesgeschichte. Das war seine größte Stunde, als in Chalzedons Dom sein Schreiben die zerrissene Kirche wieder einte, als die Bischöfe der weiten Welt in ihm Petrus feierten. Petrus hatte durch Leo gesprochen. Reich sind wir katholischen Christen, dass wir Petrus haben. Wir wissen, woran wir sind. Die Frage nach der Wahrheit ist gelöst. Christi unfehlbare Wahrheit steht gesichert in der Kirche. Die Wahrheit macht uns wahrhaft frei.

Kurze Zeit nach dem Konzil von Chalzedon, im Jahre 452, wälzt sich die Lawine der Hunnen über das Abendland. Attila hat ein Reich aufgebaut, das von der Mongolei bis zum Rhein reichte. Attila war der Schrecken des Abendlandes. „Du bist die Geißel Gottes, der Hammer, mit dem die Vorsehung die Welt schlägt“, sagt ihm ein Einsiedler auf seinem Zug durch Frankreich. „Ja“, ruft Attila stolz seinen Leuten zu, „ich bin die Geißel Gottes!“ Dieser Name ging in die Geschichte ein. Seiner Macht widerstand kein Land der Erde. Italien ist, menschlich gesprochen, verloren. Schon sind Aquileja, Mailand, Pavia rauchende Trümmerhaufen. Die Einwohner Roms erstarren im Schreck ob der furchtbaren Gefahr. Da fällt die Entscheidung. Durch Papst Leo. Wo der Mincio in den Pofluss mündet, bei Mantua hat Attila sein Lager aufgeschlagen. Da erscheint eine Friedensgesandtschaft vor ihm, Papst Leo in vollem Ornat, von einigen Priestern begleitet. Ihn erbarmt des Volkes. Er wusste, wie es Bischof Nicasius von Reims ergangen war: Als er für seine Bischofsstadt Attila um Schonung bat, hatte ihm dieser mit einem Hieb den Kopf abgeschlagen. Dennoch erscheint Leo waffenlos vor Attila. Ein Bild von überwältigender Größe: Der wehrlose Papst steht vor dem Herrscher der Welt, dem rücksichtslosen, blutbefleckten Barbaren, wie eine Majestät aus einer anderen Welt von besiegender Würde und Hoheit. Wir wissen nicht, was die beiden miteinander sprachen. Nur das eine: Mit ehrfurchtsvoller Scheu nimmt Attila Papst Leo auf und erweist ihm die größten Ehrenbezeugungen. Und hört auf ihn. Attila zieht mit seinem ganzen Heer nach Norden ab und gibt nicht nur Rom, sondern ganz Italien auf. Der Vater seines Volkes hatte sein Volk errettet.

Aber die Heimsuchungen waren noch nicht zu Ende. Geiserich, der König der Vandalen, setzte über die Meerenge von Gibraltar nach Nordafrika und begründete erstmals ein von Rom unabhängiges Germanenreich mit der Residenz Karthago. Mit einer starken Flotte wurde er zur bestimmenden Macht im westlichen Mittelmeer; er eroberte Sardinien, Korsika, das westliche Sizilien. 455 griff er nach Rom. Papst Leo trat ihm entgegen. Er erwirkte von Geiserich die Schonung der Stadt vor Brand und Mord; die Plünderung durch die Vandalen musste er dulden.

Bei der Ankündigung des Papsttums spricht der Herr davon, dass die Hölle gegen diese Einrichtung mobil machen werde. Diese Voraussage ist wahrlich in Erfüllung gegangen. Wie viele Päpste sind gefangengenommen, misshandelt, für abgesetzt erklärt, gemartert und getötet worden. Die Menschen wurden besiegt, ihr Amt wurde nicht überwältigt. Die Hölle hat alles getan, um den Felsen Petri zu vernichten. Aber Gott tat das Seinige und hat das Papsttum errettet. Als Papst Pius VII. den Kaiser Napoleon wegen seiner Rechtsbrüche und Gewalttaten mit der Exkommunikation belegte, spottete dieser, der Bann werde seinen Soldaten die Gewehre nicht aus der Hand reißen. Aber in der Kälte des russischen Feldzuges fielen sie ihnen aus der Hand. Das Felsenfundament der Kirche Christi ist der ewige Petrus, das Papsttum. Wie erklärt der päpstliche Legat Philippus auf dem Konzil zu Ephesus 431? „Niemandem ist zweifelhaft, vielmehr ist allen Zeiten bekannt, dass Petrus, Erster und Haupt der Apostel, Säule des Glaubens und Grundstein der katholischen Kirche, von unserem Herrn Jesus Christus, dem Erlöser des Menschengeschlechtes, die Schlüssel des Reiches und die Gewalt zu binden und zu lösen empfangen hat, er, der bis zum heutigen Tage in seinem Nachfolger lebt und entscheidet.“ Die Worte Jesu „Du bist der Fels“ und „Weide meine Schafe“ sind nicht nur Petrus persönlich gesagt. Sie wirken weiter, solange die Kirche besteht. Die unvergängliche Kirche hat ihr unvergängliches Fundament in den Nachfolgern des Petrus. Leo hat die Gewalt und die Autorität des Petrus. Aber auch den Beistand Gottes. Beim Letzten Abendmahl wendet sich der Herr an Petrus: „Simon, Simon, der Satan hat verlangt, euch zu sieben, wie man den Weizen siebt. Aber ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht wanke. Und du, deinerseits, stärke deine Brüder.“ Das Gebet des Herrn ist in Erfüllung gegangen. Leo ist kein Neuerer, sondern ein Bewahrer. Seine erste Sorge gilt der Unverfälschtheit des Glaubens. Die Menschwerdung Gottes ist der Kern der neuen Weltordnung. Wer die Wahrheit der einen Person Christi in zwei Naturen leugnet, zerstört den christlichen Glauben. Leo erwarb sich unermessliche Verdienste durch seine entschiedene Verteidigung der kirchlichen Rechte und durch die Abwehr zahlreicher Irrlehren. In vielen Ländern ordnete er die Kirchenverhältnisse, indem er die Hierarchie wiederherstellte. Leo war die absolut beherrschende Persönlichkeit seiner Zeit; niemand konnte auch nur annähernd an ihn heranreichen. Leo erhielt als einziger Papst (außer Gregor) den Beinamen „der Große“. Im Brevier, dem Gebetbuch der Priester, lesen wir häufig seine Predigten. Sie sind an Klarheit, Tiefe und Treffsicherheit nicht zu überbieten. Durch Leo spricht Gott heute noch zu uns.

Amen.

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