Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Oktober 2006

Von der Bedeutung der menschlichen Ehre

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gott hat uns viele äußere Gaben geschenkt, sichtbare Schätze in unsere Hände gelegt, aber auch unsichtbare Gaben und unsichtbare Schätze, nämlich die Wahrheit, die Liebe und die Ehre. „Dem König der ewigen Herrlichkeit, dem unsterblichen, alleinigen, unsichtbaren Gott, sei Ehre und Herrlichkeit in alle Ewigkeit“, so beten wir Priester fast jeden Tag im Brevier. Derjenige, dem zuerst und vor allem Ehre gebührt, ist Gott. Aber er hat auch einen Strahl aus dem Lichtmeer seiner Ehre auf uns fallen lassen. Wir sind ja von seinem Geschlechte, und er will, dass wir unsere Ehre haben, sie schätzen und sie schützen.

Bei der Ehre unterscheidet man eine innere und eine äußere Ehre. So ist nun einmal der Sprachgebrauch, und daher wollen wir uns auch daran halten. Die innere Ehre ist die Würde, die jemand besitzt, ist die innere Werthaftigkeit, die jemandem zu eigen ist. In dem Sinne sagt man zum Beispiel: Er ist ein Mann von Ehre, weil er nämlich sich ehrenhaft verhält, weil er ein ehrenhaftes Herz besitzt. Die äußere Ehre meint die Anerkennung der Ehrenhaftigkeit. Sie besteht darin, dass dem anderen Ehre bezeugt wird.

Die innere Ehre leitet sich zuerst von Gott ab. Wir besitzen die natürliche Gottebenbildlichkeit. Schrecklich herrlich sind wir erschaffen, und das ist unsere natürliche Gottebenbildlichkeit. Wir sind, wie immer der Unterschied sein mag, wie groß er sein mag, wie unermesslich er sein mag, wir sind in einem bestimmten Sinne Gott ähnlich. Es gibt eine analogia entis. Dazu kommt aber die übernatürliche Gottebenbildlichkeit. Gott hat uns nicht nur wunderbar erschaffen, er hat uns noch wunderbarer erneuert durch das Leben, Leiden und Sterben und Auferstehen seines Sohnes. Wir besitzen eine übernatürliche Gottebenbildlichkeit. Wir sind Kinder Gottes, Brüder Christi, Gefäße des Heiligen Geistes; das ist die übernatürliche Gottebenbildlichkeit. Zu dieser inneren natürlichen und übernatürlichen Gottebenbildlichkeit kommen noch unsere persönlichen guten Eigenschaften, unsere Tugenden, die wir erworben haben, unsere Charaktereigenschaften, unser Wille, auch unser Können und unsere Leistungen. Alles das macht einen Teil unserer inneren Ehre aus. „Man ist das, was man ist vor Gott, und sonst nichts“, sagt einmal der heilige Pfarrer von Ars. Wahrhaftig, wenn man sich leichtfertig darauf beruft, wenn die Menschen ein falsches, ein ungerechtes Urteil über uns fällen: „Gott weiß es“, dann bin ich immer etwas skeptisch. Denn Gott weiß es noch viel besser als die Menschen, wie schlimm wir sind und wie viel Schaden wir innerlich und äußerlich schon angerichtet haben. Aber immerhin, das Wort gilt: Man ist das, was man vor Gott ist, und nicht mehr und nicht weniger. Es muss deswegen in uns auch ein Ehrgefühl sein, mit dem wir unsere Ehre, unsere Ehrenhaftigkeit bewahren. Der heilige Stanislaus Kostka sagte immer zu sich selbst, wenn die Versuchung an ihn herankam: „Ich bin zu Höherem berufen.“ Das sollten wir uns immer vorsagen, wenn wir versucht sind, in die Sünde zu gleiten: Ich bin zu Höherem berufen. Ich will meine innere Ehre bewahren.

Aber die innere Ehre soll auch anerkannt werden. Wenn die innere Ehre von den Menschen anerkannt wird, dann haben wir äußere Ehre. Das heißt, wir stehen in Ehren, wir haben einen guten Namen, wir haben einen guten Ruf. Auch die äußere Ehre ist wichtig. Man kann manche Berufe überhaupt nicht ausüben, wenn man keine äußere Ehre besitzt, denn dann haben die Menschen ja kein Zutrauen zu dem anderen, der ohne Ehre dasteht. Also wer seinen guten Ruf verloren hat, kann vielfach nicht mehr erfolgreich und segensreich wirken. Deswegen müssen wir den guten Namen bei den Mitmenschen schätzen und schützen. Wir müssen ihm Ehre erweisen.

Wie geschieht das? Die Ehre wird schon erwiesen durch den Gruß. Der Gruß, den wir anderen geben, gilt nicht nur der Person, sondern auch dem Geschöpfe Gottes, und dieser Gruß ist ein Zeichen, dass wir ihn ehren, dass wir ihm Ehre erweisen und dass wir ihm den guten Tag und den guten Abend wünschen. Wieviel Gemeinschaft entsteht dadurch, dass man sich freundlich, höflich grüßt! Eine andere Weise der Ehrerweisung ist das ehrerbietige Reden miteinander und übereinander. Wir sollen, wenn wir miteinander reden und übereinander reden, gerecht und liebevoll sein. Gerechtigkeit und Liebe sollen unser Reden bestimmen. Durch Worte ehrlicher Anerkennung schlagen wir eine Brücke zum anderen. Ich habe vor vielen Jahren einmal einen bayerischen Minister erlebt und beobachtet, wie er mit den Menschen umging. Er hatte jedem ein freundliches Wort zu sagen. Er wusste jedem eine Anerkennung zu zollen, und zwar nicht für eine erfundene Qualität, sondern für eine echte, die vorhanden war. Er hat nicht lobgehudelt, sondern er hat den Wert des anderen gewusst und anerkannt. Dieser Minister wurde in seinem Wahlkreis mit 93 Prozent der Stimmen gewählt.

Wir erfüllen die Pflicht der Ehrung auch, indem wir den Mitmenschen vornehm behandeln. Jeder Mensch ist ja ein Bote Gottes, ein Bruder Christi, und durch vornehme Behandlung können wir das Ehrbewußtsein in ihm steigern. Die vornehme Behandlung zeigt sich vor allem in der Höflichkeit, mit der wir ihm begegnen, auch in der Herzlichkeit, die wir ihm erweisen. Die Ehre ist ein hohes Gut und sollte einen hohen Einsatz wert sein. „Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles setzt an ihre Ehre“, hat der deutsche Dichter Friedrich Schiller einmal geschrieben. Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles setzt an ihre Ehre. Da gibt es aktuelle Beispiele. Das Verhalten des amerikanischen Präsidenten Bush gegenüber dem Iran wird dort als ehrverletzend empfunden. Vor wenigen Tagen brachte ein große deutsche Zeitung ein Interview mit dem Präsidenten des Iran, und der letzte Satz dieses Interviews lautete: „Wir verteidigen nur unsere Ehre.“ Also wie immer es auch sein mag um die Anreicherung von Uran, um die Errichtung von Atomkraftwerken, auch diese Menschen, gerade diese Menschen wollen ehrenhaft behandelt werden.

Leider erleben wir in dieser Welt viele Ehrverletzungen. Manche Menschen nehmen es mit der Ehre nicht ernst; sie teilen Nadelstiche des Spottes und der Missachtung aus. Sie fügen Wunden der Beleidigung und der Kränkung und der Verleumdung zu. Sie richten großen Schaden an. Es ist schon ein Unrecht, wenn man ohne Grund vom anderen Böses denkt. Der Argwohn, der im Herzen bleibt, ist bereits eine Verletzung der Ehre, die wir anderen schulden. Der Herr hat uns ja davor gewarnt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Verdammt nicht, damit ihr nicht verdammt werdet!“ Dieses ernste Wort geht uns alle an. Zu leicht und zu schnell argwöhnen wir, dass ein Mensch Böses tut, wo die Wirklichkeit ganz anders aussieht. Wenn man den Menschen richtig kennen würde, seine Anlagen, seine Gene, wie man heute sagt, seine Geschichte, seine Erziehung, seine Entwicklung, wenn man das alles wüsste, dann würde man über sein Verhalten vorsichtiger urteilen und zurückhaltend mit Kritik und Tadel sein, ja das Richten und Verurteilen würde in vielen Fällen unterbleiben. Wie mancher, meine lieben Freunde, den wir verurteilen, hat sich die Finger blutig gerissen, um aus dem Gefängnis seiner Eigenschaften, seiner Anlagen, seiner Herkunft auszubrechen!

Noch schlimmer ist die Ehrabschneidung. Die Ehrabschneidung besteht darin, dass man in vertrautem Kreise Fehler eines Menschen „durchhechelt“, wie man das nennt. Hier werden in Abwesenheit des Opfers wahre Fehler aufgedeckt, die anderen unbekannt sind. Mit jedem Wort, mit dem wir die Schwächen eines anderen aufdecken, schneiden wir ihm ein Stück von seiner Ehre ab. Solche Ehrabschneidung, also das Mindern und das Wegnehmen des guten Rufes, ist keine leichtzunehmende Sache. Es kann das unter Umständen eine schwere Sünde sein. Man kann die Ehrabschneidung gutzumachen versuchen, indem man die wertvollen Seiten eines Menschen hervorhebt, indem man seine Fehler entschuldigt, indem man seine guten Eigenschaften offenbart. In jedem Falle ist das Reden, das unnütze Reden, das überflüssige Reden über die Fehler anderer nicht frei von Schuld. Ich möchte aber eines betonen, dass es einen gerechten Grund gibt, über die Fehler anderer zu sprechen, nämlich um die eigene Not zu offenbaren oder um sich Gewissheit zu verschaffen. Wir oft wird man, wenn man über die Fehler eines anderen spricht, von einem anderen Menschen korrigiert! Er weist auf bestimmte Dinge hin, die man übersehen hat. So ist also, ich sage es noch einmal, das Reden über die Fehler eines anderen nicht immer und notwendig schuldhaft. Es kann zulässig, es kann geboten sein.

Schlimmer noch als das Offenbaren von verborgenen Fehlern ist die Verleumdung. Die Verleumdung besteht darin, dass man Fehler vergröbert oder erfindet und sie anderen zuschreibt. Das ist eine schmutzige Geistessünde, und sie kommt leider Gottes nur allzu oft vor. Am 5. September dieses Jahres hielt der bekannte Historiker Arnulf Baring eine Rede vor der hessischen CDU-Fraktion. In dieser Rede, die er frei vortrug, ohne Manuskript, sprach er über die Vergangenheit des deutschen Volkes, über seine Größe und über seine Schwäche. Kaum war die Rede verhallt, da bezichtigten ihn Angehörige der SPD und der Grünen der Verharmlosung des Holocausts. Sie warfen ihm vor, er habe die deutsche Geschichte der nationalsozialistischen Zeit nicht in ihrer Schrecklichkeit dargestellt. Diese Behauptung der Angehörigen der SPD und der Grünen war eine glatte Verleumdung. Baring hatte das Wort Katastrophe gebraucht, um die jüngste deutsche Geschichte zu kennzeichnen. Er hat in keiner Weise den Holocaust verharmlost. Aber da er nicht zu den Linksliberalen gehört, hat man seine Worte missdeutet, ja ihn offensichtlich verleumdet. So geht es einem angesehenen Wissenschaftler, der nicht das sagt, was linksgerichtete Personen von ihm erwarten.

Man kann auch einen Menschen kränken im Benehmen, indem man ihm seine Missachtung kundgibt, indem man ihn beleidigt, beschimpft und in der Tat verachtet. Unser Herr und Heiland hat das alles ertragen. Was ist die Dornenkrone anders als ein Spottwerkzeug, als ein Ausdruck der Verachtung, der Geringschätzung. Man hat ihn angespuckt, unseren Herrn und Heiland, dieses Antlitz, vor dem das Weltgericht zittert. Ihn hat man angespien. Der Herr hat alles das erduldet, um uns zu befreien. Er hat es geduldet, dass man ihn mit Barabas gleichsetzte, nein, dass man den Barabas ihm vorzog. Er hat uns ein Beispiel gegeben, wie wir uns in Verachtung, in Geringschätzung, in Zurücksetzung verhalten sollen. „Ich suche nicht meine Ehre“, sagt der Herr im Johannesevangelium, „es ist einer, der sie sucht und der richtet.“

Das soll auch unsere Antwort sein, wenn wir verachtet, geringgeschätzt, zurückgesetzt werden. Es kann notwendig sein, seine eigene Ehre zu verteidigen, nämlich immer dann, wenn davon unsere Wirksamkeit abhängt. Dann müssen wir sprechen, auch wenn wir lieber schweigen möchten. Aber diese Fälle sind verhältnismäßig selten. Unsere innere Ehre, meine lieben Freunde, kann uns niemand nehmen. Wir sind das, was wir sind, vor Gott, und das kann uns niemand rauben. Das Äußere vergeht einmal. Es bleibt vor Gott nur der innere Wert und damit die innere Ehre. Im Gericht wird Gott die Wahrheit aufdecken vor aller Welt, und dort wird ein jeder an dem Platze stehen, der ihm in Wahrheit gebührt.

Amen.

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